
So, die Hygiene-Prophylaxe ist erledigt, unser Krempel im Auto, auch die immer noch feuchten Klamotten und wir fahren los. Zunächst mal bloß bis zum Campoffice, um für die Nacht zu bezahlen. Die Lady hinter dem Tresen erzählt, es gäbe zwei-, dreimal im Jahr schwere Gewitter in der Gegend, aber das Unwetter von gestern Abend sei ungewöhnlich heftig gewesen – mehr oder weniger ein Jahrhundertgewitter. Na, das haben wir ja prima getroffen! Doch wir haben es vergleichsweise wirklich noch gut mit unseren Zelten und Autos, denke ich mir, als wir nach Maun hineinfahren und ich mir die teilweise recht löchrigen Hütten ansehe. Die sind alles andere als dicht, beherbergen ganze Familien mitsamt deren Hab und Gut und sehen auch nicht unbedingt aus, als würden sie allzu heftigen Stürmen standhalten. Teilweise liegen Strohmatten und Blechteile auf der Straße, genauso wie herabgefallene Äste und überall stehen tiefe Pfützen; der Verkehr in die Stadt wird mehrmals um diese Hindernisse herumgeleitet. In Maun City hingegen ist alles wie immer – nur ein bisschen sauberer und weniger staubig.
Wir parken unsere Autos am Flughafen und schwärmen, wie gehabt, aus. Annette und Jochen ins Department, das gestern schon geschlossen hatte und wir in die Souvenirläden. So richtig Verlockendes aber haben diese nicht zu bieten. Heinz ist ohnehin schon versorgt und mir macht der Andenkenkauf in Läden zudem nicht wirklich Spaß, also marschieren wir beide nach einer Weile die zwei Kilometer zur Hauptstraße hinüber. Die dortige Mall ist leider ebenfalls ziemlich uninteressant – bis auf einen riesigen Schnapsladen mit beeindruckenden Beständen. Ein überreiches Angebot an Weinen, Bieren und anderen Spirituosen aus aller Herren Länder, in großen Flaschen, kleinen Flaschen, Dosen und Kanistern wir hier feilgeboten. Heinz entscheidet sich nach ausgiebigem Bummel für einen leichten Kokos-Aperitif, den er heute Abend zur Feier unserer Ankunft in der Zentralkalahari ausschenken will und ein abenteuerlich aussehendes Chemie-Fruchtsaftgemisch-Döschen für sich selbst. An der Kasse wollen wir das und meinen Guavensaft bei einer schwarzen Kassiererin bezahlen, die allerdings extrem lustlos wirkt. Im Adler-Suchsystem tippt sie die Preise ein, gibt umständlich und quälend langsam Wechselgeld heraus und sagt dann nuschelnd etwas, was klingt, als würde sie gerne unseren „Passport“ sehen. Was, wir Anfangs-Vierziger sollen uns ausweisen? Mal davon abgesehen, dass unsere Päße im Autotresor ruhen, sehe ich das gar nicht ein. Doch penetrant wiederholt die Kassenschnecke brabbelnd dieses eine Wort. Ist die besoffen? „Pssstgr“, beharrt sie schläfrigen Blicks. Endlich begreifen wir, was sie meint: Plastic bag for your drinks?! Wir nicken erleichtert und sie wirft unsere Getränke mit stoischer Ruhe in eine windige Plastiktüte, die wir immer gut als Müllsackerl brauchen können.
Mit unseren hart erarbeiteten Einkäufen traben wir zurück Richtung Flughafen, wo Tommi und Sven schon in einem Café auf den Rest der Truppe warten. Doch Patricia und Sven sind noch beim Shoppen, Annette und Joachim nicht in Sicht, so dass Heinz und ich die Zeit nutzen und ein paar Postkarten einmarkten; in den kommenden Tage haben wir sicher mal Muße, an unsere Lieben zu schreiben.
Mittlerweile sind auch Annette und Joachim wieder da, kopfschüttelnd, und erzählen uns auf der Weiterfahrt wenig prickelnde News aus dem Department. Ein Aufenthalt auf der Linyanti-Campsite zum Beispiel soll in Zukunft 50 US-Dollar pro Person und Nacht kosten. 50 Dollar für einen zugegeben wunderschönen Platz, ein herunter gekommenes Sanitärhäuschen, je eine Wasserstelle und sonst nichts? Nein, nein, so die Aussage, keine Sorge, alles würde neu und schön und sei dann sicher das Geld wert. Keine Sorge? Leichter gesagt, als getan, denn genau das machen wir uns. Sorgen, was da wohl hingebaut werden soll. Einen Luxus-Ablution, eine Flussterrasse, ein Zaun? Es kann auf jeden Fall nichts sein, was diesen Preis rechtfertigen und den Ort in unseren Augen so extrem aufwerten würde; im Gegenteil. Meine düsteren Ahnungen nebst Bauchgefühl dräuen schon wieder – hier ist nichts Gutes im Gange!
Annette hat inzwischen mit ihrem Sohn in Deutschland telefoniert und auch von dort kommen nicht die besten Nachrichten. Patrick hat den Wetterbericht für unsere nächsten Ziele ausgekundschaftet und der besagt, dass es in den nächsten Tagen noch regnerisch bleiben soll. Na super! Mein Autositz, üppig bedeckt mit Handtüchern und Karton, feuchtet noch immer durch diese dicke Schicht hindurch, unsere Klamotten sind nicht mal ansatzweise trocken und jetzt soll es noch mehr regnen – und das in der Kalahari. Nun, wir werden ja sehen.











Das CKGR strengt sich mächtig an und präsentiert uns erste Oryx- und Springbockherden, ein Grüppchen Gnus und zahlreiche Borstenhörnchen, die aufgeregt mit ihren Puschelschwänzen schlagen, Männchen machen und uns neugierig anstarren. Gegen Nachmittag erreichen wir die sanfte Abfahrt ins Deception Valley, das Tal der Täuschung. Heute ist es eher das Tal der Enttäuschung, denn von hier oben könnte man eine wundervolle Sicht auf die Weiten der tiefer liegenden Pfannen haben; könnte, doch leider ist das Wetter relativ trüb und verwehrt uns dieses Erlebnis. Dafür aber sitzt ein kleiner Greifvogel auf dem Wegweiser an der Talkreuzung und läßt genau in dem Augenblick, als ich auf den Auslöser drücke, ein kleines weißes Häufchen fallen. Damit drückt er aus, was ich fühle: Scheiß auf’s Wetter, Hauptsache ich bin hier! Wir bewegen uns am Pfannenrand entlang, beobachten aus unmittelbarer Nähe eine Springbockherde – die meisten der Tiere grasen ruhig, ein paar übermütige Jungböcke hingegen gehen rauflustig aufeinander los. Mit Schmackes krachen die Schädelplatten mit den kurzen Hörnchen aufeinander, die Rückenhaare werden eindrucksvoll aufgestellt, die Kontrahenten trennen sich, machen ein paar gummiballartige Hüpfer und ergehen sich in Übersprungshandlungen wie Kratzen und Putzen, bevor sie erneut die Köpfe senken. Das ist doch eine schöne Nachbarschaft für heute Nacht!



Kurz darauf kommen wir auf unserer gebuchten Site an, wunderschön gelegen am Rande der Pan und sehr spaziös. Doch was müssen wir entdecken? Da steht bereits ein Tisch mitsamt Stühlen an der gemauerten Feuerstelle, daneben ein Haufen Feuerholz und zwischen Bäumen hängen an einer Wäscheleine zwei khakifarbene Handtücher. Nein, nicht schon wieder! Immerhin sind keine Zelte zu sehen, was den Abzug der Sitebesetzer deutlich beschleunigen dürfte; wir sind fest entschlossen, uns heute nicht vertreiben zu lassen. Auch für mich ist die Sache klar: es ist unsere Site, aber die ist groß genug, um im äußersten Notfall doch noch die zwei Handtuchbesitzer zu beherbergen – was ich auf keinen Fall will, ist Streit. Im Moment jedoch habe ich ohnehin nur einen Wunsch; nämlich aufzubauen und das immer noch nasse Zeug zum Trocknen aufzuhängen. Doch niemand meiner Mitreisenden macht Anstalten, mit dem Aufbau zu beginnen, es wird nur heftig diskutiert und sich prophylaktisch aufgeregt. Das wiederum regt mich tierisch auf und ich beginne deshalb, die Zelte aus der Dachkiste zu holen. Es ist eine ganz schmale Stahlleiter, die da auf’s Dach führt, ich habe Sandalen an und bereits auf der zweiten Sprosse knalle ich in meiner genervten Schwunghaftigkeit mit dem rechten kleinen Zeh frontal gegen die senkrechte Strebe der Leiter. Aua, tut das weh! Wutentbrannt vollende ich mein Werk, leere die Kiste, bevor ich wieder nach unten klettere und den Schaden begutachte. Es pocht nur noch leicht im Zeh, dafür aber steht der Nagel im Neunzig-Grad-Winkel nach oben und es blutet heftig. Egal, denke ich mir, gebrochen scheint nichts zu sein, biege den Nagel kurzerhand wieder nach unten und schleppe unser Zelt samt Plane an ein hübsches, ruhiges Örtchen mit schöner Aussicht auf die Pan. Heinz bemerkt erst jetzt, was ich da treibe und eilt sofort herbei. Gemeinsam bauen wir auf, ich berichte von meinem Mißgeschick und werde getadelt: „Siehst Schneck, sowas passiert, wenn man sich über Dinge aufregt, die es nicht wert sind.“ Ja, er hat ja recht, aber manchmal übermannt mich der Zorn, da bin ich zu meinem Leidwesen machtlos und ich muss mit dem Kopf durch die Wand. Oder eben mit dem Zeh an die Leiter... Was meine Blessur anbelangt, bin ich zugegebenermaßen recht sorglos, werde aber von Heinz vorbildlich verarztet. Er spült vorsichtig Sand und Blut ab, desinfiziert die Wunde und verklebt den Zeh sehr gründlich, um ihn vor eindringendem Schmutz zu schützen. Dankbar und gut versorgt ziehe ich meine letzte saubere Socke über den Fuß und widme mich endlich unseren nassen Klamotten.



Auch die anderen haben mittlerweile ihre Diskussionen beendet und bauen auf, schön verteilt über den ganzen Platz. Danach stellen wir gemeinsam das Fremd-Equipment beiseite, richten uns häuslich an der Feuerstelle ein und begießen unsere Ankunft mit Heinz’ Aperitif, der sogar Jochen, dem erklärten Kokoshasser, richtig gut mundet. Gemütlich am prasselnden Feuer sitzend, beobachten wir gerade den Sonnenuntergang, als sich ein Fahrzeug nähert – die Site-Besetzer. Es ist ein junges, tschechisches Pärchen, das da voll schlechten Gewissens aus dem Auto klettert, sich vielmals entschuldigt und nach einer wirklich netten, streitfreien Unterhaltung weiterzieht. Die beiden hatten am Vortag ihren gebuchten Platz nicht mehr erreicht und sich hier niedergelassen, in der Hoffnung, die Site sei nicht reserviert. Und weil es so schön war, sind sie gleich einen weiteren Tag geblieben. Jetzt räumen sie ohne Diskussionen das Feld und fahren weiter zum Nachbarplatz, der bei ihrer Herfahrt noch unbesetzt war. Na also, alle Aufregung war umsonst! Entspannt genießen wir unser Braai, das Lagerfeuer und den lauen, trockenen Abend, bevor wir, begleitet von Schakalgeheul, Schlafen gehen.
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