Freitag, 21. November 2014

Afrika 2014

Auf diesen Link klicken und du kommst zu meinen Bildern von Afrika 2014

Malachit-Nektarvogel (Nectarinia famosa)

27. März 2013, Naukluft Camp > Windhoek, Urban Camp

Nein, ich will nicht viele Worte über das verlieren, was unsere Wildkamera vergangene Nacht aufgenommen hat, denn einziges reicht völlig aus: NIX! Heinz hakt sowohl das Thema als auch die Kamera achselzuckend vom Baum ab und wir widmen uns erfreulicheren Themen - frühstücken und liebe, gefiederte Gäste bewirten. Wenigstens das klappt reibungslos! Eine genussvolle Stunde später, in deren Verlauf auch mein malträtierter Zeh wie durch Zauberhand seine Schmerzfreiheit und volle Beweglichkeit wiedererlangt, beginnen wir gesättigt mit den Abbauarbeiten an unserem Lager. Die verfressene Starendame ahnt Schreckliches, was tatsächlichzur bitteren Wahrheit für sie wird, als der letzte Teller abgespülterweise in der Geschirrkiste landet. Als dann das satte, endgültig klingende Plöpp der Verriegelungsflügel ertönt, da ist auch sie, die bis zuletzt ausgeharrt hatte, weg. Tja, und wir sind abreisebereit. Nein, halt! Ich muss mir doch noch die zerstörte Hydnora bei Tageslicht ansehen und mich mit einem Schlückchen Wasser bei ihr entschuldigen! Eilig haste ich an der Uferbank entlang und finde das beschädigte Gewächs sofort wieder. Und jetzt, bei vollem Licht, ist der Schaden gut zu sehen: mein Zeh hat in einem Rutsch die harte Außenschicht, die sich bereits zu teilen begann, von der faserigen Innenschicht der Pflanze rasiert. Vorsichtig und entschuldigend setze ich das abgefallene Käppchen wieder auf den verbliebenen Strunk, gieße dem bizarren Wurzelparasiten zur Versöhnung ein paar Schlückchen Wasser hin und hoffe, die Konsistenz der Pflanze möge auf ihre Überlebensfähigkeit schließen lassen. Wer so hart ist, sollte die Attacke eines weichen, deutschen Großzehs doch überstehen können...

Von dieser Hoffnung beseelt, klettere nun auch ich in unser Auto, das bereits mit laufendem Motor neben mir wartet und wir verlassen wehmütig diesen wundervollen Ort. Wehmütig auch deswegen, weil uns heute eine Fahrt in Namibias Hauptstadt Windhoek bevorsteht. Diese Fahrt ist zwar relativ kurz, aber eben auch relativ uninteressant; doch das, was uns am wenigsten kickt, ist die Tatsache, dass wir hier auch die kommende Nacht verbringen müssen, bevor wir nach zwei weiteren, harten Fahrtagen die Zentralkalahari erreichen werden. Lange Fahrtage und Stadtbesuche sind einfach nicht unser Ding, aber beides ist leider nötig, um in drei Tagen erneut wohl ausgestattet in die Einsamkeit der Kalahari eintauchen zu können. Darauf freuen wir uns schon sehr und nehmen deshalb zähneknirschend sogar den Windhoek-Tag in Kauf. Apropos Kauf: genau das ist Heinz’ und mein Plan, um uns den unvermeidlichen Tag in Namibias Hauptstadt so weit wie möglich zu versüßen: Souvenirs kaufen und einschlägige Fachliteratur erwerben. Windhoeks Buchläden sind ja durchaus nicht zu verachten und sie alle haben eine mehr oder weniger große Ecke, wo eine Auswahl landesspezifischer Flora- und Faunawerke angeboten wird. Mit dieser Hoffnung fahren wir in Windhoek ein, lassen uns von Annette und Jochen, die komplett andere Pläne haben, auf der Mandume Ndemufayo absetzen und schreiten los – Richtung Independance Ave. Der erste Weg führt uns dort zur Touristen-Info, wo wir einen Stadtplan organisieren, um zielgerichtet all die Läden abklappern zu können, die wir uns vorgemerkt haben.

Gut, den Stadtplan haben wir! Doch allein die Tatsache, dass wir dieses Ding in der Hand halten, kennzeichnet uns als Touristen - dabei haben wir nicht mal größere Taschen, Rucksäcke oder Kameras dabei. Das alles haben wir aus Sicherheitsgründen in der Obhut unserer Freunde zurückgelassen... Wir verlassen also den Touri-Info-Point, der momentan in einem Baucontainer untergebracht ist, traben ein paar Schritte und sind sofort von einer Heerschar der obligatorischen Nüsschenschnitzer umgeben. Hello, how are you, where are you from, whats your name? So schallt es uns aus allen Richtungen entgegen. Heinz gibt konsequent keinerlei Antworten, nachdem er auf unserer letzen Tour praktisch ahnungslos beinahe in solche eine Falle getappt wäre. Ich hingegen bin heute auf Krawall gebürstet und begrüße deshalb den erstbesten Schnitzfuzzi mit diabolischem Grinsen. „Hello, I'm fine, I'm from Germany and my name, ähm, yes, is a bit long: my name is Barbara-Katharina-Leutheusser-Schnarrenberger. And yours?“ Ungläubiges Schweigen folgt, die zu beschnitzende Makalani-Nuss wird ratlos angestarrt, dann gibt der Schnitzer wortlos auf. Mein Name ringelt sich in seiner Vorstellung wohl mehrfach um die kleine Samenkapsel, scheint aber, auch bei bestem Willen, nicht unterzubringen zu sein. Während der arme Nüsschenmann noch immer mit großen Augen auf den Palmsamen glotzt, ergreifen wir zügig die Flucht. Die anderen Makalanimänner, die stets in Hab-acht-Stellung auf Kunden lauern und diese auch ansprechen, obwohl schon zehn Vorgänger bei den potenziellen Käufern abgeblitzt sind, verhalten sich äußerst zurückhaltend: die Verwirrung unseres ersten Schnitzers signalisiert wohl deutlich genug, dass mit uns was faul ist...

Wir nutzen die Gunst dieser Stunde und machen uns angenehm unbehelligt auf die Suche nach den erwähnten Buchhandlungen. Unser Reiseführer, den wir vorab studiert hatten, nannte drei namhafte Geschäfte, die wir nun besuchen wollen. Bei unserem endlosen Zickzacklauf durch Windhoeks Straßen jedoch zeigt sich, dass leider nur noch eines davon existiert - und an dem sind wir schon vor eineinhalb Stunden vorbeigelatscht, weil wir ja erst die anderen, weniger zentral gelegenen zuerst aufsuchen wollten. Mann, das hätten wir uns echt sparen können! Und unser Nüsschenschnitzer-Verwirrungsbonus ist mittlerweile leider auch schon abgelaufen, sodass der Rückweg zur Windhoeker Buchhandlung auf der Independence beinahe zum Spießroutenlauf ausartet. Aber endlich sind wir da, schlüpfen in den Laden und atmen durch, als wir die von uns ersehnte Bücherecke entdecken. In gekühlter Umgebungsluft durchstöbern wir das Angebot, das zwar reichhaltig, lange aber nicht so üppig ist, wie wir es uns gewünscht hätten. Naja, das mag auch daran liegen, dass die Literatur für unsere bevorzugten Fachgebiete halt nicht wie Belletristik aus dem Boden schießt. Dennoch werden wir fündig - natürlich: Heinz erwirbt einen Vierhundert-Seiten-Schinken über die Mittagsblumen dieser Welt, die zu 99,9% im südlichen Afrika beheimatet sind, und ich erstarre vor Glück, als ich tatsächlich den beinahe druckfrischen zweiten Band von Coleen Mannheimer über die Flora Zentral-Namibias entdecke, an den ich schon gar nicht mehr glauben wollte: vor einigen Jahren bekam ich ihr Pflanzenbestimmungsbuch über die südliche Namib geschenkt und war begeistert, denn es ist einer der besten Pflanzenführer über diese Gegend, die man bekommen kann. Auf dem Buchrücken war, neben Autoren und Titel, eine „1“ vermerkt, was ja durchaus einen zweiten Band nahelegt. Der jedoch war nirgendwo zu finden: keine Andeutung darauf im Vor- oder Nachwort, kein Resultat im Internet, kein sonstiger Hinweis. Doch jetzt liegt die so lange erhoffte Fortsetzung tatsächlich vor mir! „Der ist letzte Woche erst reingekommen,“, sagt der deutschsprachige Buchhändler zu mir, „und wurde von Frau Mannheimer persönlich signiert!“ Naja, die Unterschrift der sehr wertgeschätzten Botanikerin ist mir im Moment relativ wurst, wichtig ist nur, endlich dieses zweite Buch der Reihe, das das zentrale Hochland Namibias botanisch abdeckt, endlich in Händen zu halten! Beglückt bezahlen Heinz und ich unsere Schätze und machen uns entspannt an die weitere Erforschung der Windhoeker Innenstadt, der wir ja auch noch ein paar Souvenirs aus den Rippen leiern möchten - von Makalaninüssen abgesehen...

Zu diesem Behufe marschieren wir jetzt erst mal durch die Post Mall Street, in der wir auf unserer letzten Tour auf ein äußerst verheissungsvolles Geschäft gestossen waren; der kleine, kioskähnliche Laden inmitten dieser touristisch belebten Fussgängerzone stellte sehr ansprechende Souvenirs in seinen knapp bemessenen Schaufenstern aus. Leider waren sie allesamt nicht ausgepreist und das Geschäft hatte damals zudem schon geschlossen. Heute hingegen ist noch geöffnet und alles mit Preisschildern bestückt - nur bei den Gegenständen, die uns wirklich gefallen, müssen wir nachfragen. Und wie sollte es auch anders sein: schier astronomische Preise werden uns daraufhin genannt; Preise, die uns die Kauflust durch ihre Unverschämtheit von Grund auf austreiben. Doch was hatten wir erwartet, hier, in der zentralen Shopping-Meile Windhoeks?! Unverschämte Preise, ja! Nichtsdestotrotz fühlen wir uns ein wenig verarscht und kehren deshalb dem Laden demonstrativ den Rücken, um uns auf die Suche nach attraktiveren Waren zu machen. Zielgerichtet steuern wir hierbei auf ein Geschäft zu, in dem wir letztes Jahr noch wundervolle, antiquarische Bücher erstanden hatten. Den Laden gibt es auch heute noch - physikalisch - doch das Angebot hat deutlich gewechselt: ein Handyshop, was sonst... Tja, das entspricht dem typischen Gang der Ding heutzutage; weg mit dem analogen Kack, her mit den crossmedialen Gesamtvernetzungtools, die uns das Denken und die Phantasie immer mehr abgewöhnen. Heinz und ich sind etwas frustriert, stürzen uns aber dennoch todesmutig in die Höhle des Löwen, sprich in die Smartphonehölle, um nach dem Verbleib des Vormieters zu fragen. Bücherladen? BÜ-CHER-LA-DEN? Es ist, als erkundigten wir uns auf Mandarin nach einem völlig unbekannten, ja fast bedrohlichen Phänomen, von dem nur Eingeweihte jemals etwas gehört haben. BÜ-CHER-LA-DEN??? HIER? Niemals, und wenn, dann muss das schon ewig her sein. Ja, so ziemlich genau zwei Jahre. Der Handyman kuckt uns an, als sprächen wir von zwei Lichtjahren. Nein, da könne er uns nicht weiterhelfen. Na, unter diesen Umständen völlig klar.

Höflich verabschieden wir uns und denken kurz über verlässlichere Auskunftsquellen nach, wovon uns tatsächlich eine recht schnell einfällt: im Innenhof dieses Gebäudes, das auch die ehemalige Kaiserkrone, heute The Gourmet, beherbergt, gibt es schon seit mindestens 25 (Licht-)Jahren ein Juweliergeschäft, in dem man wissen sollte, wo der antiquarische Laden abgeblieben ist. Also steuern wir auf den Juwelenshop zu, den zu betreten uns ein wenig Sorgen bereitet - schließlich sehen wir nicht gerade standesgemäß aus, nicht gerade finanzstark. Doch der Zufall kommt uns zu Hilfe. Ein älterer, sehr distinguiert wirkender Herr schließt soeben das Geschäft von außen ab und gibt uns freundlich und bereitwillig Auskunft: ja, das Antiquariat sei verzogen in die alte Brauerei, drüben bei der Mandume Ndemufayo und es sei so schade, dass sich stattdessen immer mehr nichtssagende, schnelllebige Shops in dieser Mall die Klinke in die Hand gäben. Dem können wir nur vollen Herzens zustimmen, ändern aber können wir es leider nicht. Herzlich danken wir dem hilfsbereiten Juwelier und begeben uns wieder hinaus auf die Mall.

Tja, was nun? Dem Kunstgewerbe-Areal der Alten Brauerei hatten wir schon einen kurzen Besuch abgestattet, als Annette und Jochen uns in der Stadt abgesetzt hatten und es als zu kommerziell befunden. Außerdem müssten wir jetzt den ganzen Weg in die Mandume Ndemufayo zurücklatschen - und dazu haben wir definitiv keine Lust. Also vertagen wir die Sache mit dem Antiquariat auf unseren nächsten Windhoek-Besuch und überqueren stattdessen die Independence, um den Open-air-Souvenirmarkt in Augenschein zu nehmen. Oh, ja, das ist schon mehr nach unserem Geschmack! Natürlich gibt es auch hier den üblichen „Kram“, doch zwischen der touristischen Massenware schlummert durchaus das ein oder andere Stück, das ein wenig aus der Reihe fällt - und sei es nur, weil es in der Proportion etwas missglückt erscheint. Aber genau so was suchen wir. Heinz ist zum Beispiel schon lange auf der Suche nach einem ansprechenden Perlhuhn und erblickt auf diesem Markt so einiges, was ihm gefällt. Allerdings möchte er erst das gesamte Angebot sichten, bevor er zuschlägt. Das aber ist recht zeitaufwändig, denn an jedem der Stände wird man angesprochen, in ein Gespräch verwickelt und aufs Aufdringlichste zum Kauf animiert. Wir sind, wie immer beim Souvenirshopping, ein bisschen genervt, wollen jedoch nicht unhöflich erscheinen und finden deshalb für jeden Verkäufer ein paar verbindliche Worte, bevor wir zum nächsten Stand weiterziehen.

Nach einer dreiviertel Stunde schließlich haben wir alles gesehen und treten den Rückweg an, wobei wir zielgerichtet die Stände besuchen, in denen wir etwas Interessantes erspäht hatten. Hatten. Denn leider haben wir mal wieder die Zeit aus den Augen verloren und dabei auch noch völlig verdrängt, dass wir ja in Windhoek sind - der Stadt, in der die Gehsteige zu dörflichen Zeiten nach oben geklappt werden... Und so müssen wir leider feststellen, dass fast alles, was wir auch nur ansatzweise begehrenswert fanden, mittlerweile in irgendwelchen Kartons verschwunden ist und zum Abtransport bereitsteht. Ein hübsches geschnitztes Hühnchen aber entdecken wir doch noch und Heinz greift kurz entschlossen, nach langen Preisverhandlungen, zu. So, nun ist unserer Einkaufslust, zumindest im Ansatz, Genüge getan und wir könnten uns gemächlich auf den Weg zu unserem Camp machen, wäre da nicht eine besonders sympathische Verkäuferin, die unbedingt eine ihrer Straußeneier-Ketten an meinem Hals sehen möchte. Mit Charme und unglaublichen Schmeicheleien schafft sie es tatsächlich, mir ein derartiges Geschmeide aufzuschwatzen. Als ich bezahlen will und Heinz darauf besteht, mir die Kette zu schenken, bricht sie vor (gespielter) Rührung fast in Tränen aus: so eine große Liebe, so ein schönes Paar, so eine wundervolle Kette! Die Kette ist wirklich schön; aber gut, dass sie kein Sinnbild unserer Liebe ist, denn die kleinen Plättchen aus Straußeneierschale sind so eng auf den Trägerfaden gefädelt, dass sie bei jeder Bewegung meines Halses winzige Hautpartien wie mit einer Beisszange erfassen und mir ein schmerzhaftes Tragegefühl vermitteln. Also packe ich das Geschmeide in meine Tasche und nehme mir vor, zuhause ein paar Plättchen herauszubrechen, um das gute Stück tragbar zu machen. Heinz ist ein wenig enttäuscht, dass sein Geschenk so gemein zu meinem Hals ist, aber als wir beschließen, jetzt sofort noch was essen zu gehen, erleuchtet ein vorfreudiges Grinsen sein Gesicht und die Enttäuschung ist vergessen. Das ist auch verständlich: seit wir nämlich vorhin am The Gourmet vorbei gekommen sind, schwebt uns beiden ein saftiges Straußencarpaccio mit pikant-krümeligen Parmesanspänen und dem erfrischenden Hauch einer Zitronenmarinade vor dem geistigen Auge. Während wir nun hurtigen Schrittes die Independence erneut überqueren, läuft uns schon das Wasser im Munde zusammen – wie dem Esel, dem man eine Karotte vor die Nase gebunden hat...

Und juhu, es ist sogar noch ein hübsches Plätzchen auf der überdachten Terrasse frei, auf dem wir uns ungeduldig und schon fast sabbernd niederlassen und sofort schwelgend in der Speisekarte versinken. Aaaah, Carpaccio, uuuuh, Grillteller, ooooh, Steak, mhhhhm, Pizza! Sollen wir nur eine Vorspeise nehmen oder doch gleich noch „was G’scheids“ dazu? Nicht, dass Annette was gekocht hat und wir keinen Hunger mehr haben. Ach was, egal! Die Auswahl ist so verführerisch, dass wir uns ein volles Menü bestellen und dies, vor Genuss schweigend, über unsere lechzenden Zungen gleiten lassen, verzückt mit den Zähnen zerkleinern, um anschließend jeden Bissen mit Andacht zu schlucken und sorgsam im Magen zu verstauen. Was für eine Gaumenfreude! Satt und mehr als zufrieden lassen wir den letzten Schluck Bier durch unsere Kehlen rinnen, dann bezahlen wir und machen uns endlich auf den Weg zu unserem Camp, das in der Schanzenstraße liegt. Annette hatte heute Morgen noch gesagt, es wäre nicht weit: das Camp hat Hausnummer zwei und das müsse ja dann ziemlich am Anfang der Schanzenstraße liegen. Tja, damit hatte sie durchaus recht; das Camp liegt tatsächlich am Anfang besagter Straße, nur leider steigen die Hausnummern nicht von der Innenstadt weg, wie in Deutschland, sondern zählen von draußen nach drinnen hoch. Somit haben wir nun echt eine richtige Meile vor uns, die wir mit unseren vollen Bäuchen und vom Shoppen geplagten Füßen nur stöhnend und schnaufend bewältigen. Zwischendurch vergewissern wir uns sicherheitshalber nochmal bei einer einheimischen Dame, die wir auf der Straße ansprechen, ob wir auch wirklich auf dem richtigen Weg sind. Ja, sagt sie, und deutet weit, weit in die Ferne... Ohje! Schließlich aber kommen wir doch noch an - gerade rechtzeitig. Denn es wird allmählich ziemlich finster, was jedoch nicht nur an der hereinbrechenden Nacht liegt, sondern auch an einem dräuenden Gewitter, das, kaum haben wir das Camp betreten und unsere Freunde lokalisiert, wie aus Kübeln losplöddert. Mit einem beherzten Hopser retten wir uns unter unser Gazebo, das Annette und Jochen strategisch günstig vor dem überdachten Bereich unserer Campsite aufgebaut haben und lassen uns ermattet in unsere bereitstehenden Campingstühle niedersinken. Puh, für heute reicht’s uns!

Unsere Freunde, die schon vor etlichen Stunden im Urban Camp angekommen sind, haben dankenswerterweise bereits alles aufs Trefflichste eingerichtet, sogar unser Zelt steht schon – und nun empfangen sie uns mit einem Willkommensbier, einem kleinen Sparmenü, vielen Fragen über unseren Tag und ebenso vielen Erzählungen über den ihren. Mich lullen das Gerede und der prasselnde Regen allerdings so tierisch ein, dass jetzt erst richtig merke, wie sehr mich dieser Shoppingtag ausgelaugt hat - stehenden Fußes verabschiede ich mich deshalb und falle in unser Zelt, richte es rasch behaglich her und kuschle mich dann sofort in meinen Schlafsack. Innerhalb von Sekunden bin ich weg. Heinz, der sonst immer derjenige ist, der, z. B. während der längeren Autofahrten, sofort wegdämmert, harrt diesmal wacker aus und isst sogar noch was... Ich hingegen bin jenseits von Eden und schlafe einen kurzen, aber sehr gerechten und noch erholsameren Schlaf der Erschöpften, bevor ich mich wieder hochrapple und doch noch versuche, am abendlichen Campleben teilzunehmen. Verstrubbelt krabble ich aus dem Zelt und geselle mich zu Annette und Jochen, die entspannt am Tisch sitzen. Heinz ist gerade telefonieren, er nutzt den großstädtischen Megaempfang, um daheim anzurufen, sagen mir die beiden. Tja, das könnt ich auch mal tun, denke ich gerade, als Heinz, ebenfalls völlig verstrubbelt, aus dem Gestrüpp hinter unserer Campsite wieder auftaucht. „Huh!“, sagt er, „jetzt hab ich telefoniert und mich dabei eben mal gegen den Zaun gelehnt. Und der hat so was von Strom drauf! Mei, hat mir das eine geschnalzt. Gut, dass ich ned a no meinen Bedürfnissen nachgegeben und dagegengestrullert hab...“

Bei dieser Vorstellung müssen wir laut auflachen; aber wir sind froh, dass der Zaun tatsächlich ordentlich unter Strom steht, denn das verspricht Sicherheit und eine ungestörte Nachtruhe inmitten der Großstadt. Mit diesem Wissen beschließen wir bald den Abend und begeben uns in unsere gut befriedeten Zelte, um möglichst viel Kraft für den morgigen Fahrtag zu tanken.

Mittwoch, 20. August 2014

26. März 2013, Naukluft NP, Wanderung

Ah, war das eine angenehme Nacht: der Naukluft gluckerte leise, die Bäume rauschten leicht im Wind und erfrischend kühle Luft drang in unsere Zelte. Dementsprechend sind wir heute besonders früh munter und erholt auf den Beinen. Und natürlich lockt uns zudem das gestern Abend gebackene Brot, das im Auto zum Auskühlen zwischengelagert wurde und nun knusprig und duftend vor uns liegt. Als wir den Laib gestern aus der Glut holten, waren die neugierigen und hungrigen Vögelchen leider schon zur Ruhe gegangen, dafür aber umlagern sie uns jetzt um so gieriger und es ist fast nicht festzustellen, wer sich mehr auf das appetitliche Backwerk freut - wir Menschen oder unsere gefiederten Freunde. Eines jedoch ist ganz sicher: die vorwitzige Starendame vom Vortag, die natürlich auch heute wieder zur Stelle ist, hat unzähmbare Gelüste und vergisst darüber jegliche Restvorsicht, die sie gestern noch an den Tag legte. Heute setzt sie sich gleich auf die Tischkante oder flitzt aufgeregt am Boden umher und pickt mich fordernd in die nackten Zehen. Na gut, du Süße, da hast du was. Ich will ihr gerade ein paar Krumen hinwerfen, entferne aber vorher noch sorgfältig die Streichwurstreste; sie soll ja schließlich keine Magenbeschwerden bekommen. Doch das dauerte ihr wohl zu lange, denn bevor meine Hand zu einem leichten Wurfschwung ausgeholt hat, bin ich die Krumen auch schon los: Madame hat sie höchstpersönlich meinen Fingern entrissen... Hui, die Lady ist aber echt mutig! Mit dieser charmant-gierigen Art jedoch hat sie mich nun vollends geknackt und so teilen wir uns im Folgenden sehr schwesterlich Stulle für Stulle - ein Bröcklein für sie, ein Bissen für mich. Der Starengatte ist ob dieses zutraulichen Verhaltens erneut in höchster Besorgnis und zwietscht aus einem nahegelegenen Ast seine atemlos-verzagt klingenden Ermahnungensmelodien hervor. Vielleicht aber, und das wäre allmählich naheliegend, ist er auch nur besorgt, dass seine ihm Angetraute bald nicht mehr vom Boden hochkommt, so, wie sie sich das Bäuchlein vollschlägt. Bei aller Gier jedoch, so muss ich erstaunt feststellen, ist sie gleichzeitig sehr schleckig: jegliche Restanhaftungen von Käse, Streichwurst und Margarine sind jederzeit willkommen, Aufschnitt, Honig und Beerenmarmelade hingegen werden konsequent durch sorgfältiges Wenden des Brotbrockens im Sande abgestreift. Madame weiß eben, was sie will…

Von allen Seiten belauert...
Streptopelia senegalensis
Ploceus velatus, w.











Irgendwann aber ist auch das leckerste, das gemütlichste, das reichhaltigste Morgenmahl im wahrsten Sinne des Wortes abgefrühstückt. Unter den enttäuschten Blicken der Stärin beenden wir unser Gelage, räumen die begehrten nebst der verschmähten Lebensmittel in den Kühlschrank, streuen die Krümel vom Schneidbrett generös in die Nähe der anderen Vögel und packen das gebrauchte Geschirr ins Auto. Lady Star beobachtet unser Tun so lange, bis sie wirklich glauben kann, dass der Segen nun ernsthaft ein Ende hat und erhebt sich anschließend - laut schimpfend, aber extrem leichtflügelig - in die Lüfte. Der erleichterte Gatte hechtet ihr hinterher und wir sind, zumindest bis zum Abendessen, vergessen. Gut so, denn schließlich haben wir heute noch etwas anderes vor:



Der Beginn des Trails
Die Feige steht noch immer
Der Fluss lebt











Wir möchten den Waterkloof Trail erwandern, besser gesagt, den am Fluss entlang führenden Teil davon. Das ist nun echt keine streckentechnische Herausforderung, aber wir werden wohl trotzdem den ganzen Tag unterwegs sein, denn am und rund um den Fluss gibt es erfahrungsgemäß immer viel zu entdecken. Bevor wir jedoch losmarschieren können, müssen wir noch unsere Zelte ausräumen und offen zurücklassen. Als wir letztes Mal hier waren, hatte man uns der Paviane wegen dazu geraten. Damals hatten wir zwar keinen einzigen gesehen und hielten das lästige Geräume für weitgehend überflüssig - getan haben wir es trotzdem. Heute hingegen haben wir schon Fußspuren der langfingerigen Affen rund um unsere Zelte entdeckt und hören konnten wir sie auch schon. Also gehen wir abermals auf Nummer sicher und entleeren unsere Stoffhäuschen, bevor wir uns endlich auf den Weg machen. Dieser führt uns zunächst über die Komfortterrasse, auf der die Südafrikaner schon wieder heftig und äußerst geräuschvoll räumen. Die Luft, die sie gestern lärmend in ihre Matratzen gepumpt hatten, saugen sie heute nicht weniger laut wieder ab, die Generatoren laufen volle Pulle und verpesten Luft und Stille und, von all dem Packstress in höchster Anspannung, fallen viele laute, scharfe und keifende Worte... Wir sind richtig erleichtert, dass wir diesem Trubel rasch entfliehen können und die unangenehme Geräuschkulisse nach ein paar hundert Metern dem Plätschern des Flusses anheim fällt. Jetzt umfangen uns wieder die beruhigenden Geräusche des Naukluftufers, die uns letztes Mal schon ungemein wohl getan hatten. Raschelndes Schilf, Insektensummen, leises Wassergluckern, im Wind flüsternde Blätter, das Zirpen der Grillen - und lautes Paviangeschrei! Das ist neu, das hatten wir auf der vorigen Tour nicht zu hören gekriegt. Heuer ist überhaupt einiges neu und anders, wie wir schon auf den ersten Metern feststellen: die Ufervegetation präsentiert sich vergleichsweise spärlich, man sieht kaum Schmetterlinge und der Naukluft führt wenig Wasser. Wo wir auf der letzten Tour noch nasse Füsse bekommen hatten, springen wir heute mühelos von Stein zu Stein und queren so mehrmals trockener Schuhe das Flussbett.

Corythaixoides concolor
Sansevieria aethiopica
Sarcostemma viminale











Aber nicht alles hat sich derart verändert. Die Lebewesen, die direkt am und im Wasser leben, sind in gewohnter Üppigkeit vorhanden - Süßwasserkrabben, Frösche, Kaulquappen, Kreiselkäfer und auch die bunten Libellen fehlen nicht. Langsam schlendern wir am Fluss entlang und saugen alles in uns auf, was wir hier geboten bekommen. Wir lassen uns viel Zeit zum Fotografieren, Staunen, Entdecken und Durchatmen, dennoch erreichen wir viel zu schnell, zumindest für meinen Geschmack, die Stelle, an der sich der Weg für längere Zeit vom Wasser entfernt. Ausladende Bäume beschatten hier tiefe, mit glasklarem Wasser gefüllte Becken, der Naukluft ergießt sich in kleinen Kaskaden über bemooste Steine, steile Felsen ragen rundherum auf, feuchte Stellen am Ufer locken Schmetterlinge an und zahlreiche Libellen bevölkern das Binsengras am Rande der Gumpen. Schon auf unserer letzten Tour hatte mich dieser Ort völlig in seinen Bann gezogen, aber natürlich wollte ich damals auch noch weiter nach oben und sehen, wie es weitergeht. Dieser Gang hatte sich damals durchaus gelohnt, ohne Frage, heuer aber sieht die Situation ob der herrschenden Trockenheit deutlich anders aus, weshalb ich beschließe, hier zu bleiben, während es meine Freunde abermals weiter hinauf zieht. Heinz ist nicht ganz wohl bei der Vorstellung, mich hier alleine zurückzulassen, ich habe damit jedoch kein Problem - im Gegenteil.


Frauenhaarfarn (Adiantum)











Vorfreudig lausche ich also den sich entfernenden Schritten meiner Freunde, lege mich genüsslich am Rande eines der Becken ab und lasse erst mal meine Füße im Wasser und meine Seele in meinem Alleinsein baumeln, was richtig wohltuend und entspannend ist. So entspannend, dass ich in einen halb wachen, halb schlafenden Dämmerzustand falle, in dem sich die Umgebungsgeräusche allmählich zu einem einlullenden Akustikbrei verbinden. Bevor ich nun ganz wegpenne, ziehe ich sicherheitshalber meine Füße aus dem Wasser, lächle beglückt über die Libellen, die sich kitzelnd auf meiner feuchten Haut niederlassen - und nicke erneut weg. Dann aber reisst mich lautes Poltern aus meiner Döserei! Ach nö, ich will jetzt allein sein und niemand soll diese Idylle stören - auch keine fremden Wanderer. Genervt setze ich mich auf und spähe in die Runde. Mhm, niemand zu sehen. Hab ich das etwa geträumt? Nein, denn eine Minute später lugt ein Gesicht, etwa fünf Meter über mir, um einen Felsen, und zwei Augen unter gerunzelten Brauenwülsten starren mich ärgerlich an. Ein großes Pavianmännchen fühlt sich durch meine Anwesenheit gestört, ich hingegen bin froh, dass es keine menschlichen Wanderer sind und warte gespannt ab.

Der Pavian-Boss sichert...
...die Gruppe wartet.
Jungfer (Coenagrionoidea)










Der Affenmann verschwindet wieder, großes Gezeter und Geschrei erklingt, eine Weile ist wieder Ruhe, dann aber kommt die ganze Pavianfamilie um die Felsen gebogen und schlängelt sich oberhalb meines Sitzplatzes auf die andere Seite des kleinen Tals. Dabei werde ich von den meisten Clanmitgliedern misstrauisch im Auge behalten und von einigen auch laut beschimpft. Mensch, ich tu euch schon nix - aber nur, wenn ihr mir auch nichts Böses wollt! Über Letzteres bin ich mir nicht ganz so sicher, denn dieser Trupp ist sicher an Menschen gewöhnt; darauf schließe ich aus der Nähe des Camps. Wenn sich die Tiere da rumtreiben, Zelte auseinandernehmen, Lebensmittel entwenden und alles verschleppen, was nicht niet- und nagelfest ist, dann haben sie dabei bestimmt auch schon negative Erfahrungen gemacht. Negative Erfahrungen mit uns Menschen. Und die vergessen sie nicht. Jetzt treffen sie auf mich, die ich auf ihrer Wanderroute in die Berge herumlungere - und ich bin nicht nur ein Mensch, sondern auch noch eine Frau. Und vor Frauen, auch vor Menschenfrauen, haben Primaten wenig Respekt; das ist wissenschaftlich nachgewiesen – zudem durfte ich diese Erfahrung auch schon selbst machen. Ob dieser Tatsache ist mir nun natürlich etwas mulmig.

Papier-Wespe (Belonogaster sp.)
Töpfer-Wespe (Anterhynchium)
Acraea sp.










Doch alle Mitglieder der großen Paviantruppe passieren mich menschlichen Störfaktor, ohne mir in aggressiver Weise zu nahe zu kommen. Ich werde zwar im Auge behalten, ein wenig angekeift, -geknurrt und -gefletscht, aber sonst ist alles gut. Und so geht unsere Begegnung physisch folgenlos vorüber. Die Affen entschwinden bergan, ich bin wieder alleine an meinem Pool und alles könnte weitergehen wie gehabt, wäre ich durch diese Begegnung nicht wieder aus meiner Traumstarre erwacht. Zwinkernd wische ich mir die wabernde Trägheit aus den Augen, packe mein Zeug, ziehe Schuhe und Socken wieder an und beginne, die Umgebung nun wirklich aktiv zu erforschen. Hierzu klettere ich ein Stückchen weiter nach unten, ins Flussbett hinab, und halte Ausschau nach etwas Interessantem. In einer kleinen Uferausbuchtung mit ruhigem Gewässer werde ich fündig: hier ist eine große Menge von Kreiselkäfern hektisch schwimmend auf der Wasseroberfläche unterwegs. Diese bemerkenswerten Insekten waren uns schon auf der letzten Tour aufgefallen, allerdings hatten wir damals zu wenig Zeit, sie eingehender zu beobachten. Heute jedoch nehme ich mir die Zeit und robbe auf allen Vieren an die wuselnden Wasserkäfer heran, um mich fototechnisch in Position zu bringen und mich ab jetzt möglichst nicht mehr zu bewegen.

Meine dürftige Ausbeute...
...von Bildern...
..der Kreiselkäfer (Dineutus)!










Die Tiere sind nämlich mit zwei Paar extrem scharfen Augen gesegnet; ein Paar scannt die Situation unter Wasser, das andere ist für alles oberhalb des Wasserspiegels zuständig und sobald sich etwas bewegt, egal wo, flitzen die kleinen Insekten noch hektischer umher, als sie es ohnehin schon tun. Eine echte Herausforderung für jeden Fotografen. Und eine Herausforderung für mich, der ich nicht ganz gewachsen bin: spitze Steine bohren sich in mein Fleisch, meine Arme werden vom angestrengten Halten der Kamera allmählich taub - und kaum habe ich ein paar der Wasserderwische im Fokus, bewegt sich mein Zoom. Diese Minibewegung aber genügt: schon wieder stieben die kleinen Hektiker auseinander. Leicht frustriert lege ich den Fotoapparat beiseite, entspanne meine Arme, ignoriere die schmerzenden Bohrsteine und beobachte das Geflitze einfach so. Beruhigend ist das allerdings nicht. Trotzdem harre ich aus, denn ich würde so gerne ein System in dem Gewusel erkennen. Doch auch das gelingt mir nicht wirklich und so gebe ich schließlich auf. Meine kribbelnden Arme reibend und die schmerzenden Glieder streckend, wandere ich weiter im Flussbett umher, mache Jagd auf Libellen, Frösche und Schmetterlinge und luge in jede Aushöhlung am Ufer. Uih, da, ganz hinten, da liegt ein Krallenfrosch am Grund.














Wieder gehe ich zu Boden und bringe mich in Position, doch bevor ich die richtige Lage gefunden habe, poltert es erneut. Hinter mir. Direkt hinter mir! Vorsichtig drehe ich den Kopf und erblicke ein junges Pärchen, das fröhlich stapfend des Weges kommt. Ich sehe die beiden auf mich zusteuern, sie aber sehen mich nicht. Behutsam mache ich mich deshalb bemerkbar, indem ich laut und vernehmlich grüße und mich gleichzeitig hochrapple. Trotz meiner Vorsicht erschrecken die beiden jedoch gehörig, erholen sich aber recht schnell von meinem unerwarteten Auftauchen und wir kommen ins Gepräch. Weiter oben hätten sie einen Mann getroffen, der hätte ihnen erzählt, letztes Jahr hier im Flussbett beinahe mit einer schwarzen Mamba kollidiert zu sein. Ja, das war Heinz! Aufgrund dieser Geschichte hätten sie nun echt Bedenken, den Flusspfad weiter zu gehen, sagen sie. Mei, Schlangen können überall sein, sage ich. Aber macht euch mal keine Sorgen, solche Begegnungen sind echt selten. Die beiden aber sind ziemlich verunsichert. „Dich haben wir ja auch nicht gesehen. Weißt du, das ist unsere erste Afrikareise und alle haben uns gewarnt, wie gefährlich das ist. Wir waren da eher sorglos, aber so ganz ohne ist es wohl doch nicht. Und auch die Entfernungen haben wir unterschätzt. Heute Morgen kamen wir hier an, wollten unbedingt diese Wanderung machen, müssen aber abends in der Sossusvlei Lodge sein, weil das vorgebucht ist. Allmählich stellen wir fest, dass das Programm doch etwas zu straff ist. Wir schaffen das schon, aber eben eher im Vorbeieilen, was schade ist. Übrigens, gehst du jetzt eigentlich auch runter und könntest uns begleiten? Wir müssen nämlich spätestens um 15 Uhr unten sein...!“ Das muss ich, die ich auf Heinz warte, leider verneinen, habe aber größtes Verständnis für die Zeitnöte der beiden - trotz vieler Afrikareisen, trotz vieler Reisen auch in andere Länder, neigen auch wir immer noch dazu, uns etwas zu übernehmen. Man will viel sehen, plant, rechnet, bucht Unterkünfte und stellt dennoch immer wieder fest, dass man zu wenig Zeit eingeplant hat. Während ich nun die beiden dahingehend beruhige und versuche, ihnen die Schlangenbegegnungsangst zu nehmen, stößt Heinz zu uns.



Spinnenjäger-Wespe
(Hemipepsis sp.)
Cyperus sp.










Sogleich befragen ihn die beiden erneut wegen der Mamba-Geschichte, die Heinz natürlich gerne nochmal erzählt - was jedoch nicht zur Beruhigung der beiden beiträgt... Umso erleichterter sind sie aber, als wir ihnen nun unsere Abstiegsabsichten kundtun. Nur zu gerne schließen sie sich an, haben aber wohl schon gemerkt, dass wir nicht die geringste Absicht haben, sie als Schlangendetektoren zu begleiten oder gar um 15 Uhr im Camp zu sein. Wir wollen einfach nur runter, unser Tempo gehen, uns viel Zeit nehmen und den Tag genießen - und die beiden können mit uns gehen, solange ihre Zeit und Geduld das zulassen. Wir setzen uns also in Bewegung und die Zwei folgen unauffällig. Ein paar Stopps und Erkundungsschlenker später allerdings geben sie auf, suchen sich ihren Weg durch das „schlangenverseuchte“ Nauklufttal auf eigene Faust und wir sind wieder alleine. Und sofern keine oberschenkeldicke Python erschienen ist und die zwei jungen Leute einfach so, auf Nimmerwiedersehen, verschlungen hat, scheinen sie wohl auch ohne Problem im Camp angekommen zu sein. Jedenfalls sind auf dem weiteren Weg nach unten keine Sterbenden, keine Leichen, aber auch keine Schlangen zu finden, obwohl wir sehr, sehr, sehr genau auf unsere Umgebung achten. So genau, dass wir nicht mal davor Halt machen, die frisch gekackten Pavianhäufchen unter die Lupe zu nehmen, auf denen sich unzählige, wunderschön bunte Fliegen tummeln…

Schmeissfliege (Calliphoridae)













Ach, ist das herrlich, einen derart entspannten, von der Zeit losgelösten Tag zu verbringen! Herumalbernd, unseren Füßen zwischendrin ein Bad gönnend und die Natur genießend, schrauben wir uns so immer weiter nach unten, bis wir plötzlich vor einem schier unüberwindlichen Gewirr aus Pfahlrohr stehen, das wir auf der letzten Tour auch schon bemerkt hatten - allerdings von der anderen Fluss-Seite aus. Mhm, wie kommen wir da jetzt durch? Müssen wir wieder ein ganzes Stück rauf und anderswo queren? Nein, müssen wir nicht! Bei näherer Inspektion der Pflanzenwand nämlich entdecken wir einen kleinen, aber deutlich vorhandenen Tunnel, gewoben aus den Wurzeln des Pfahlrohrs, der auf die andere Uferseite hinüberführt. Den kannten wir noch nicht, wahrscheinlich, weil er letztes Jahr unter Wasser stand und somit unpassierbar war. Umso erfreuter quetschen wir uns jetzt durch das Wurzelgewirr, ganz wohl ist uns aber trotzdem nicht dabei: man muss leicht gebückt gehen, zahlreiche Spinnennetze durchziehen den Tunnel, diverse lästige Insekten erwachen durch unsere Bewegungen zum Leben - das alles kann man sehen. Und was wir nicht sehen können (und das dürfte einiges sein), wollen wir weder wissen noch aus den Verstecken locken… Nach wenigen Metern jedoch spuckt uns der Tunnel unbeschadet wieder aus und leitet uns sicher auf den Weg auf der anderen Uferseite. Geschafft!

Der Pfahlrohrtunnel
Pytilia melba, m.
Pytilia melba, w.











Fröhlich wandern wir das letzte Stück bis zum Camp unter sonnendurchfluteten Bäumen dahin, als Heinz plötzlich abrupt stehenbleibt und ich, die ich hinter ihm hertrotte, beinahe auflaufe. „Ein Buntastrild, da!“, flüstert er. Uih, ja, da ist er; ein etwa zaunköniggroßer Vogel mit schwarzer, weißgerippelter Brust, roter Gesichtsmaske und olivfarbenen Flügeldecken. Und seine Frau, die wesentlich unscheinbarer ist, hat er auch dabei! Lange beobachten wir die beiden Piepmätze. Man sieht sie häufig in Camps, an aufgestellten Vogeltränken, in der Nähe von Open-air-Bädern, an leckenden Wasserhähnen oder in den Käfigen deutscher Vogelliebhaber - deshalb sind sie also eigentlich nichts Besonderes. In freier Wildbahn jedoch schon, denn hier verhalten sich die Prachtfinken unbeeinflusst von jeglicher menschlichen Präsenz und haben auch ihre natürliche Scheu noch nicht verloren, was die Beobachtung umso spannender macht. Während wir nun total von den beiden Prachtfinken gefesselt sind, nähern sich auch ein paar schwarz-weiß-graue Drosselwürger, die uns wohl gar nicht bemerken. Wir hingegen wissen schön langsam nicht mehr, wohin wir uns zuerst drehen sollen, um nur ja nichts zu verpassen. Tja, man kann auch echten Stress im Busch haben...

Lanitturdus torquatus
Webernester
Das Zeitliche gesegnet...











Dieser „Stress“ löst sich jedoch recht bald in Wohlgefallen auf, als die beiden Buntastrilde pickend ins Gebüsch entschwinden und die Würger die Flucht ergreifen, als sie unserer doch endlich gewahr werden. Beglückt steigen wir die letzten Meter gen Tal, überqueren den seichten Naukluft, bewundern ein formvollendetes Maskenwebernest am Ufer, dessen „Balkon“ eine gelbe Akazienblüte entsprießt und erreichen schließlich unseren Lagerplatz – die Zelte stehen wie eine Eins, kein Pavian ist darauf rumgesprungen und wir sind auch darüber sehr beglückt. Allerdings war der Tag so erlebnisreich, so schön, dass wir das lästige Eingeräume der jungfräulich-leeren Zelte kurzerhand auf später verschieben. Stattdessen holen wir uns jeder, deutliche Prioritäten setzend, ein kühles Bier aus dem Autokühlschrank, schälen unsere Füße aus Socken und Schuhen und genießen vorzeitig sundownernd und fläzend die lichtdurchflutete Einsamkeit unserer Campsite. Danach schaffen wir sogar noch den Zehn-Meter-Aufstieg zu den verwaisten Sanitärgebäuden und waschen uns den Schweiß vom Körper, bevor wir duftend und clean wieder nach unten tappern, wo inzwischen auch Annette und Jochen eingetroffen sind und uns ebenfalls mit einem Bierchen in der Hand empfangen.

Webernest mit Schmuck
Köcherbaum
mit Haftkraft
Cyphostemma sp.

















Gemütlich setzen wir uns zusammen und berichten von unseren großen und kleinen Erlebnissen, die zwar allesamt recht unaufregend waren, dafür aber umso eindringlicher. Und natürlich gesellen sich zu dieser Runde auch all unsere gefiederten Freunde, die wir, in beseelter Geberlaune, erneut mit allerlei Brosamen versorgen, bevor wir uns ans Einräumen der Zelte und die Zubereitung des Abendessens machen. Schnell wird es dunkel, wir dinieren fürstlich, die bettelnden Vögel sind schon lange satt und zufrieden auf ihren Schlafästen, und wir, nicht minder satt und zufrieden, verbringen diesen Abend wohlig schweigend am Lagerfeuer. Alles ist friedlich und still, nur die fernen Geräusche der Nacht, das leise Plätschern des Flusses und das Knistern des Feuers lullen uns samtig ein. Plötzlich aber, zu bereits vorgerückter Stunde, nimmt Heinz aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr: eine Ginsterkatze schleicht in fast greifbarer Nähe um unser Lager! Als sie allerdings bemerkt, dass auch wir sie gesehen haben, verschwindet sie schnell und völlig lautlos in der Dunkelheit. Annette und Jochen, die gerade zu Bett gehen wollten, drehen daraufhin noch eine Runde auf der Uferterrasse, weil sie hoffen, die gefleckte Katze nochmal zu sehen. Die jedoch scheint sich auf Nimmerwiedersehen davon gemacht zu haben. Enttäuscht ziehen sich unsere Freunde in ihr Zelt zurück. Heinz und ich hingegen bleiben noch sitzen - es ist einfach so schön und friedvoll hier, dass wir jeden Moment auskosten wollen, zumindest so lange, bis auch wir müde werden. Noch aber ist es nicht so weit.

Über den Tellerrand sehen...
Ploceus velatus, m.
Kann man DEN Augen
widerstehen?











Entspannt lehnen wir uns also in unseren komfortablen Campingstühlen zurück, schließen die Augen und genießen. Zwischendrin riskieren wir natürlich immer wieder einen Blick, denn nicht alle Geräusche sind sind so eindeutig zuordenbar wie das stetige Wassergluckern, das leise Bäumerauschen, das vielstimmige Froschgequake und das Zirpen der Grillen. Hier knackt ein Ast, dort raschelt das Laub und im Fluss platscht es hin und wieder vernehmlich. All diese Laute haben natürlich einen dazugehörigen Verursacher, den jeweils Betreffenden können wir in der Dunkelheit allerdings meist leider nicht ausmachen. Was wir aber, bei einem unserer gelegentlichen Kontrollblinzler, sehr deutlich sehen können, ist die Ginsterkatze, die sich erneut unbemerkt auf Streichelnähe an uns herangeschlichen hat. Aus einer Entfernung von zirka eineinhalb Metern glänzt uns eine feuchte schwarze Nase an und im Lampenschein leuchtende Augen betrachten uns aufmerksam. So aufmerksam, dass der Katze nicht entgeht, dass wir blinzeln und uns ihrer Gegenwart bewusst sind. Und offenbar fühlt sie sich davon so bedroht, dass sie abermals davonrennt. Diesmal jedoch wählt sie einen Weg nahe des Flussufers, weshalb wir sie noch eine ganze Weile gut sehen können. Immer wieder dreht sie sich um, setzt sich hin und blickt in unsere Richtung.














Und nun erwacht mein Jagdinstinkt: für Menschenverhältnisse leisen Schrittes folge ich der gefleckten Schönheit und bin beinahe stolz, ein paar Meter gutgemacht zu haben, als ich, besser gesagt mein großer Zeh, plötzlich schmerzhafte Bekanntschaft mit einem äußerst harten, feucht-kühlen Gegenstand schließt. Aua! Mir entfährt ein leiser Schmerzensschrei - und die Ginsterkatze ist weg. Dafür tut mein Zeh höllisch weh. Na toll! Fluchend schalte ich meine Stirnlampe ein, um das widerspenstige Hindernis, das wohl schwerlich flüchten wird, in Augenschein zu nehmen. Und nochmal: na toll! Im Zuge meiner Katzenjagd bin ich Menschentrampel tatsächlich über eine gerade mal hühnereigroße Hydnora gestolpert, die sich wohl in den nächsten Tagen zu voller Pracht entfaltet hätte und habe sie dabei ernsthaft beschädigt. Mann! So lange schon wollte eines dieser seltsamen Gewächse sehen, die einem Pilz ähneln, tatsächlich aber zu den Piperales, den pfefferartigen Pflanzen gehören. Und nun habe ich sie kaputt gemacht, ich Trottel! Schimpfend über meine eigene Dummheit und fluchend vor Schmerz humple ich zu Heinz zurück, der gerade seine Selbstschusskamera montiert. Die bringen wir übrigens fast jeden Abend an irgend einem lagernahen Ort an, der uns vielversprechend erscheint, aber noch nie, ich betone NIE, war was drauf! Heute Nacht jedoch sollte es mit dem Teufel zugehen, wenn sie wieder nichts einfängt, oder? Heinz und ich jedenfalls sind uns ganz sicher, diesmal die neugierige Ginsterkatze, die bestimmt zurückkommen wird, in den Kasten zu kriegen. Hoffnungsfroh machen wir also die Kamera scharf, löschen unsere Tischleuchte und gehen müde und zufrieden ins Bett; nun, ich humple eher und bin nicht ganz zufrieden, wohl aber ebenso müde...


Weitere Impressionen des Tages:


Pytilia melba, m.
Traum-Pool
Cyphostemma-Beeren











Junonia hierta, leicht demoliert
Springspinne (Salticidae)
Springspinne (Salticidae)











Trithemis sp.


Trithemis sp.


















Moringa ovalifolia
Hermbstaedtia sp.