Mittwoch, 6. März 2013

16. April 2011, KTP, Polentswa > Sizatswe Pan

Eine ruhige, weitestgehend trockene Nacht liegt hinter uns und, als wir frühmorgens aus den Zelten krabbeln, empfängt uns ein strahlend klarer Tag. Wie frisch gewaschen spannt sich ein gläsern blauer Himmel über die in den ersten Sonnenstrahlen leuchtende Grasebene, auf der sich wieder einige Hartebeests tummeln. Aus dem Baum, unter dem unser Zelt steht, tropft es allerdings immer noch aus dem Geäst und alle Planen nebst sonstigem Equipment sind patschnass vom Gewitterguss des vergangenen Abends. Wir nutzen die Gunst der Stunde und verfrachten das nasse Zeug auf die Sonnenseite unseres Camphügels, damit es durchtrocknen kann, bis wir mit dem Frühstück fertig sind. Als wir gerade die Bodenplane unserer Behausung in die Sonne zerren wollen, bewegt sich etwas im Sand. Ein Skorpion? Nein, diesmal hat sich etwas anderes dort eingenistet, etwas Winziges, das uns in helles Entzücken versetzt: es ist ein noch sehr junger, gerade mal fünf Zentimeter großer Bellgecko. Mei, ist der putzig mit seinem wilden Fleckenmuster, den kleinen, bekrallten Grabebeinchen, dem verhältnismäßig kurzen Schwanz und seinem übergroßen Kopf, der aussieht, als hätte sich eine Kröte mit einem kurzschnäuzigen Krokodil gepaart. Wir sind hin und weg von dem Winzling; vor allen Dingen ich, denn nie hätte ich geglaubt, eines dieser unterirdisch lebenden Reptilien, die des Abends so stimmungsvolle Konzerte geben, jemals zu Gesicht zu bekommen. Nachdem wir den Nachwuchs-Kicherer eine ganze Weile begeistert bestaunt haben, tragen wir ihn schließlich schweren Herzens aus der Gefahrenzone unserer Füße, setzen ihn, fernab unseres Camps, behutsam in den Sand und widmen uns danach dem Frühstück, das wir gemütlich ausdehnen, um unseren Sachen genügend Zeit zum Trocknen zu geben.

Ptenopus garrulus ssp. garrulus
Striga gesnerioides
Solanum linnaeanum










Gegen zehn Uhr dann ist alles so weit getrocknet, gepackt und wir verlassen Polentswa Richtung Norden, wo wir im Swartpan-Gebiet für heute Nacht an der Sizatswe Pan einen Platz reserviert haben. Rund 150 Kilometer liegen nun vor uns und wir sind sehr gespannt, was die Strecke für uns bereit hält. Nun ja, viel ist es zunächst mal nicht. Das Gelände präsentiert sich zwar wesentlich übersichtlicher als gestern, dafür aber ist umso weniger los. Ab und zu ein paar Hartebeests und ferne Springböcke, ein kreisender Greifvogel, das war’s. Das erste erwähnenswerte Lebewesen, das wir nach langen Kilometern erblicken, in greifbarer Nähe, ist ein Mensch – ein recht ausladender noch dazu. Es handelt sich um einen ziemlich voluminösen Südafrikaner, der da am Wegesrand in seinem Auto sitzt. Die gewaltige Wampe hinter das Steuer gezwängt, ein noch gewaltigeres Objektiv vor Augen, starrt er angestrengt auf einen Baum, in dem ein paar Siedelweber umherhüpfen. Als wir grüßend neben ihm anhalten, dreht er sich mühevoll stöhnend zu uns herum, brabbelt etwas Unverständliches in seinen Bart, quält sich zurück in Beobachtungsposition und starrt erneut Richtung Baum. Hui, das ist ja mal eine wortreiche, interessante und aufschlussreiche Begegnung! Und da der umfangreiche Hobby-Ornithologe offenbar nicht geneigt ist, mit uns zu konversieren, verabschieden wir uns freundlich grüßend von dem Mann, der keine weitere Reaktion zeigt und setzen unseren Weg fort. Allerdings ohne herausgefunden zu haben, was genau den gewichtigen Typen so sehr in seinen Bann gezogen hatte. Egal – wir scheinen nichts versäumt zu haben. Wenig später durchqueren wir einen kleinen, trockenen Flusslauf und erspähen erstmals ein paar Pflanzen, die uns betrachtenswert erscheinen. Es sind kleine, niedrige Inseln rötlich-grüner Stängel, die von violetten Blütchen geschmückt werden und uns irgendwie bekannt vorkommen. Na klar, ich erinnere mich: vor zwei Jahren schon hatten wir diese Gewächse gesehen, damals allerdings waren sie blütenlos, vertrocknet und pechschwarz. Bloublom werden sie auf Afrikaans genannt, Striga gesnerioides ist ihr wissenschaftlicher Name und sie sind, trotz ihres harmlosen Aussehens, reine Parasiten, die sich an die Wurzeln anderer Pflanzen andocken und komplett auf deren Kosten ernähren. Es ist interessant, sie mal in blühendem Zustand zu sehen, noch viel interessanter aber ist die Bandbreite der Blütenfarben, die, wie auch im Pflanzenführer beschrieben, von blass bläulich bis dunkelviolett reicht. Doch auch ganz weiße Exemplare sind dabei. Ob das wohl vom jeweiligen Wirt abhängt? Ein paar der weißen Strigas jedenfalls leben ganz offensichtlich von Bitterapfelsträuchern – Nachtschattengewächsen, die nicht ganz ungiftig sind. Leider ist im Pflanzenbuch zu diesem Thema nichts zu finden. Doch es ist, sollten wir noch mehr Strigas auf unserem Wege finden, durchaus etwas, was sich im Auge zu behalten lohnt.

Solanum linnaeanum
Striga gesnerioides
Solanum linnaeanum
Striga gesnerioides















Bei unserer nächsten Sichtung jedoch handelt es sich zunächst um etwas Tierisches; einen stattlichen Fleckenuhu, der bewegungslos am Straßenrand sitzt und uns aus großen gelben Augen entgegenblinzelt. Als wir den Wagen vorsichtig ausrollen lassen und neben dem Vogel zum Halten kommen, ergreift dieser allerdings die Flucht und erhebt sich auf großen Schwingen fast lautlos in die Lüfte. Ach, schade, er war so hübsch und wir hätten ihn gerne länger beobachtet. Enttäuscht fahren wir weiter, werden aber bald von einem Landschafts- und Vegetationswechsel überrascht, der uns mit seinem Blumen- und Insektenreichtum voll und ganz für den entschwundenen Uhu entschädigt. Wir befinden uns in einer dieser typischen, tiefsandigen Senken der Kalahari, die ein ebenso typisches Blühpflanzensortiment beherbergt. Da sind im Wind wippende Hermbstaedtias, die wie rosa Katzenschwänzchen aussehen, violette Erlangeas, magentafarbene Sesamblüten mit burgunderrotem Schlund, wilde Senna, deren Blüten wie eine Ansammlung kleiner gelber Schmetterlinge wirken – um nur einige zu nennen – und auch wieder die parasitären Strigas in allen Farbstellungen. Obwohl es hier weit und breit keine Bitteräpfel gibt, finden wir an vielen Stellen erneut weiße Exemplare. Okay, die Blütenfarbe scheint also nicht in Zusammenhang mit der Wirtspflanze zu stehen, ebenso wenig mit der jeweiligen Bodenbeschaffenheit beziehungsweise dem pH-Wert – wie man es beispielsweise von Hortensien kennt. Das zeigen einträchtig nebeneinander wachsende blau- und weißblütige Pflanzen. Dieser wenig wissenschaftliche Beweis genügt uns im Moment aber vollauf, das Rätsel um die Blütenfarbe der Strigas ad acta zu legen und wenden uns nun zufrieden, auf allen Vieren kriechend, der reichen Insektenwelt zu. Neben flinken Laufkäfern und zahlreichen Blattwanzen entdecken wir einen großen, braunglänzenden Käfer, der sich schwerfällig durch den Sand schleppt. Heinz greift ihm sogleich hilfreich unter die „Arme“, setzt ihn auf seine Hand und nimmt dem Insekt ein Stück seines beschwerlichen Weges ab, indem er ihn aus der Fahrspur trägt. Keine ganz uneigennützige Tat übrigens, denn er möchte den Käfer schlicht und einfach eingehender begutachten. Prinzipiell verstehe ich das gut, neige ich ja auch dazu, alles gerne mit den Fingern zu erfassen, doch bei Insekten hört mein manueller Forscherdrang definitiv auf. Wah, allein die Vorstellung hakenbesetzter Chitinbeine, die sich hartnäckig an meiner Haut festkrallen, genügt, um mir Schauer über den Rücken zu jagen!

Schreckenpaarung
Schreckenpaarung
Tarsocnodes tarsalis










Doch Heinz’ gruselfreier Befingerungsdrang hat seine Vorteile: ich habe nämlich zwei ziemlich große, sich paarende Schrecken entdeckt, denen ich nun mit meiner Kamera auf den Panzer rücke. Entzückt von den beiden miteinander beschäftigten Insekten – so können sie mich wenigstens nicht anspringen – bringe ich mein Objektiv in Position, doch die Turteltäubchen flüchten zielstrebig ins hohe Gras. Verdammt, so wird das nix mit den Erotik-Fotos! Aber da kommt Heinz ins Spiel: flugs greift er sich das Pärchen, setzt es auf seine Hand und ich habe so nicht nur Gelegenheit, ein paar Bilder zu schießen, sondern auch, ganz genau hinzusehen. Pardon, es ist sicher etwas indiskret, aber umso interessanter, vor allen Dingen, weil Romeo und Julia Schreck ja von stattlicher Größe sind. Und da sieht man eben besonders deutlich. Typisch für Kurzfühlerschrecken, sitzt das kleinere Männchen auf der Dame und dockt ein großes Samenpaket (Spermatophore) an deren Geschlechtsöffnung. Das Paket ist von einer gallertartigen Substanz umgeben, welche später vom Weibchen verzehrt wird, um anschließend die ausgepackte Spermatophore in ihren Samenbehältern zu versenken. Dort findet dann auch die Befruchtung der Eier statt. Und wir sind nun gerade Zeugen dieses Samentransfers, der mehrere Stunden dauern kann. Natürlich bekommen wir die Spermatophore nicht zu Gesicht, dafür aber die beiden Genitaldornen, mit denen das Weibchen den Hinterleib des Begatters in Position hält. Eine bombenfeste Verbindung – zumindest für die Dauer der Übergabe – so fest, dass sie sogar heftigeren Sprüngen standhält. Im Moment sind allerdings keine Hüpfereien vonnöten, denn offenbar fühlen sich die Zwei auf Heinz’ Hand ganz wohl und halten brav still, bis ich ihre Kopulation zu meiner Zufriedenheit abgelichtet habe. Danach setzt Schneck die innig Verbundenen sanft ins Gras und wie lassen sie bei ihrem intimen Tun ab sofort diskret alleine.

Indigofera alternans
Erlangea misera
Tribulus zeyheri










Hellauf begeistert von dieser Beobachtung, würde ich gerne noch viel länger in der vor Leben überquellenden Kalaharisenke bleiben, doch ein Blick auf die Uhr zeigt deutlich, dass es wohl besser ist, uns mal wieder auf die Socken zu machen. So also verlassen wir Klein-Eden, tauchen alsbald erneut in eine völlig andere Landschaft ein und schrubben Kilometer. Und es sind hart erarbeitete, ziemlich eintönige Kilometer: auf tiefsandiger Pad wühlen wir uns durch struppiges Buschland, das wie ausgestorben wirkt und auch sonst kaum Reizvolles zu bieten hat. Mann, diese Strecke zieht sich vielleicht! Sogar Heinz, sonst ein Ausbund an Geduld und Ausgeglichenheit, bekommt allmählich schlechte Laune von der endlosen, drögen Fahrerei und auch ich muss feststellen, dass ich diesem Teil meines geliebten KTP wenig abgewinnen kann.

Sizatswe Pan
Oder doch Thupapedi Pan?
Sonnenuntergang










Dann endlich, gen Spätnachmittag, erreichen wir gut durchgerüttelt und schwer gelangweilt Sizatswe Pan – zumindest gehen wir davon aus, dass sie es ist. Ganz sicher sind wir uns allerdings nicht, denn in dieser Gegend wimmelt es vor Pfannen; wie Perlen auf einer Schnur reihen sie sich aneinander und ähneln sich wie ein Ei dem anderen. Und die von uns angesteuerte Campsite, erkennbar an der gemauerten Feuerstelle, ist, entgegen der sonstigen botswanischen Nationalpark-Gepflogenheiten, nicht beschildert. Kein SIZ-01 prangt an dem großen Baum, der das sandige Areal überschattet, das GPS hat keinen Saft mehr und wir keine Lust, noch länger in der Pampa herumzukurven. Und da uns seit dem dicken Hobby-Ornithologen in dieser entlegenen Gegend ohnehin kein weiterer Mensch begegnet ist, gehen wir davon aus, niemandem einen Stellplatz zu klauen. Also errichten wir ohne jede weitere Diskussion unser Lager und lassen uns danach mit letzter Kraft in unsere Stühle sinken. Mhm, mit einem kühlen Bier in der Hand, einer stationären, nicht schaukelnden Sitzgelegenheit unter dem Hintern und einer ansehnlichen Pfanne vor Augen, bessert sich unsere Stimmung schlagartig. So sehr, dass wir sogar noch die Energie aufbringen, einen kleinen Abendausflug zu machen, der uns zur benachbarten Pfanne führt. Diese ist zwar ein bisschen größer, ansonsten aber der unsrigen sehr ähnlich – hübsch anzusehen und wie ausgestorben. Lediglich ein paar, aus dieser Entfernung stecknadelkopfgroße Erdmännchen, tummeln sich in der Pfannenmitte. Aufmerksam sehen die kleinen Wüstenbanditen zu uns herüber, widmen sich jedoch gleich wieder beruhigt ihren Tollereien. Sie scheinen genau zu wissen, dass wir keine Chance haben, näher an sie heranzukommen. Und wir wissen das leider auch… Bedauernd wenden wir den Wagen und begeben uns auf den Rückweg, den wir nur kurz unterbrechen, um von einer kleinen Anhöhe aus der Abendsonne bei ihrem verhältnismäßig flauen Untergang beizuwohnen. Ach ja, konstatieren wir seufzend, man kann eben nicht jeden Tag volles Input-Programm haben, so schön das auch wäre. Und ein bisschen was haben wir ja heute doch gesehen, wenngleich es nicht im Mindesten gegen die Sichtungen der vergangenen Wochen anstinken kann. Unwillkürlich muss ich an Sven und seinen legendären Ausspruch denken, den er auf unserer Reise vor zwei Jahren vom Stapel ließ. Wir wechselten damals von Chobe und Moremi über die Zentralkalahari in den KTP. Als wir über Mabuasehube und den Wilderness Trail in die Tiefen dieser ganz speziellen Wüste eintauchten – und bei jeder für uns interessanten Pflanze anhielten – seufzte der Genervte aus tiefster Seele: er hätte sich ja schon gedacht, dass jetzt der langweilige Teil der Reise begänne. Gut, Sven relativierte sein Vorurteil, indem er gestand, doch das ein oder andere Blümelein ganz interessant zu finden, nichtsdestotrotz hielt sich sein Enthusiasmus auch weiterhin in Grenzen. Und das kann ich ihm im Moment recht gut nachempfinden…




Weitere Impressionen des Tages:

Da fliegt er hin, der Uhu
Xerus inauris
Agama aculeata
Botanikstopp
Coridius sp.
Abendwolken Sizatswe
Schrecke ohne Partner
Ausblick auf Sizatswe
Noch sitzt er...