Dienstag, 16. November 2010

Kurzchillen im Chiemgau 1

07. Oktober 2010

Fast schon hat es Tradition, unser Mädls-Chill-Wochenende; fast, denn heuer fahren wir zum zweiten Mal. Wir, das sind Chrissie, Moni und ich. Nachdem wir letztes Jahr ein paar extrem fröhliche Tage in Südtirol zugebracht hatten, wollten wir auch heuer nicht auf unseren Entspannungs-Ausflug verzichten. Nur wohin? Nicht zu weit weg und nicht zu teuer sollte es sein und den Touristenströmen wollen wir auch aus dem Weg gehen. Moment! Moni und ich hatten vor 5 Jahren ein verlängertes Wochenende im Chiemgau verbracht, weitab vom See, inmitten herrlicher Landschaft, in einer sehr familiären Pension in einem malerischen Dörflein namens Offmering. Somit war die Entscheidung gefallen, die perfekte Location für unsere diesjährigen Chilltage gefunden! Ich kümmerte mich um die Reservierung unseres Pensionszimmers, was nicht ganz so einfach war, denn die schon recht betagte Vermieterin machte am Telefon einen etwas wirren Eindruck: ob ich am nächsten Tag nochmal anrufen könne; sie sei schon im ersten Stock und das Buch läge unten... Am nächsten Tag erwischte ich sie auf Höhe des besagten Buches, sie schrieb sich alle relevanten Daten auf und schloss unser Telefongespräch mit den Worten: „Oiso guad, so machma des. Da wer i na scho do sei. Ah, wenn ned, dann is eppa anda do. Pfia God!“ Soso! Zur Sicherheit rief ich eine Woche vor unserer Abfahrt abermals an, bestätigte die Buchung und bekam wieder zu hören: „Da wer i na scho do sei! Und wenn ned – schbädastns am Omnd kummi wieda. Oiso, pfia God!“ Nun gut, wir werden sehen...

An einem nebeligen Donnerstag Nachmittag geht es endlich los: gegen 15 Uhr verlassen wir München, tuckern gemächlich über die Salzburger Autobahn, fahren bei Rosenheim ab und schaukeln den Rest der Strecke durch zahlreiche, kleine Dörfchen, bis wir schließlich gegen 17 Uhr in Offmering ankommen. Wir parken das Auto im Hinterhof und schon bei der ersten Außen-Inspektion des Hauses wird klar: unsere Pensionswirtin, die Pointner Gisi, ist tatsächlich nicht da. Etwas unentschlossen stehen wir herum, als ein weiteres Auto in den Hof kommt. Ein junger Mann in Arbeitskluft entspringt dem Gefährt, winkt uns kurz zu, läuft zur Hintertür, sperrt diese auf und entschwindet im Haus. Während wir noch rätseln, wer das gewesen sein könnte, sehen wir die Gisi vom gegenüberliegenden Friedhof herabkommen, schwer beladen mit einigen leeren Blumenschalen. In Ermangelung freier Hände wackelt sie freudig grüßend mit dem Kopf. „Ja, do seids ja scho! Jetz war i grad am Friedhof drom und hob ma denkt, do muaß i doch amoi schaun, obs scho do seids. Kummts nur glei mid rei, dann zoag i eich eia Zimma.“ Sprichts, deponiert die Schalen auf der Hausbank und eilt, mit uns im Gefolge, hinein ins Haus, die steile Wendeltreppe nach oben und reißt die Tür von Zimmer 1 auf. Vorsichtig merke ich an, dass wir eigentlich gerne Zimmer 2 gehabt hätten, das mit dem Balkon. „Ja, i woaß scho, aba da wohnt no ebba drin. Aba des wern ma glei ham!“, sagt die Gisi, saust aus dem Zimmer, hinaus auf den Flur und beginnt, an einer Tür zu hämmern, hinter der sich offen hörbar eine in Betrieb befindliche Dusche verbirgt. „Hajo? Hajo!“, schreit sie, „bist du da drin? Hajo, sag!?“ Durch das Rauschen hindurch hört man ein kurzes, heiseres „Ja!“. „Du, Hajo, fahrst du heid no hoam?“ Keine Antwort. Gisi hämmert heftiger und rüttelt an der Klinke. „Fahrst du heid no hoam, Hajo?“ Erneut ist ein heiseres „Ja“ zu vernehmen. „Na is scho guad, Hajo, lass da nur Zeid, Hauptsach, du fahrst heid no hoam!“, meint Gisi zufrieden und erklärt uns, dass der gute Hajo ein Montagearbeiter sei, der übers Wochenende heim nach Sachsen führe und wir derweil gerne den Balkon seines Zimmers benutzen könnten. So hätten wir zwei Fliegen mit einer Klappe: einen Balkon mit Blick auf die Straße zum Draußensitzen und ein ruhiges Schlafgemach zum Hinterhof. Uns soll das recht sein, nur ob der Hajo es so klasse findet, dass drei fremde Damen die nächsten Tage durch sein Zimmer stolpern? Nun ja, die Gisi wird schon wissen, was sie tut!

Etwas amüsiert, aber hochzufrieden winden wir uns die schwindelerregende, linksdrehende Wendeltreppe wieder nach unten, um unser Gepäck zu holen und uns gemütlich einzurichten. Doch im Erdgeschoss angekommen, fallen wir erneut Gisis Fürsorge und auch ihrer Neugier anheim: „Ja, was dean jetzad drei so hübsche, junge Grazien wia ihr in Offmering; do is doch nix los und zum Badn is a scho z’koid?!? Wias es ogruafa habts, hab i ma scho denkt, was machan de de ganze Zeid do. Hoffendlich weads dene ned langweilig. Aber ihr weads scho wissn, warum’s do hea kumma seids. So, und jetzt zoag i eich no, wo da Schlüssl is, fois amoi zuagschbarrd warad und wo de Liachtschoita san.“ Eifrig knipst sie an diversen, in dunklen Winkeln verborgenen Schaltern herum und strahlt mit den der Reihe nach aufleuchtenden Glühbirnen um die Wette. „So, dann wissts des jetzt a, weil ihr kummts ja bestimmt amoi schbada hoam, gei! Obwoi i oiwei no ned woaß, was ihr do so doa woids, wo doch nix los ist...!“ Wir versuchen der Gisi zu erklären, dass genau das „Nix-Los“ es wäre, was wir wollten: Ruhe, kein Trubel, kein Aktions-Zwang, Abhängen, Rumhängen, ein bisschen spazierengehen, gut essen und früh schlafen. Verständnisvoll nickt die Gisi mit dem Kopf, obwohl sie als ausgesprochenes Energiebündel wahrscheinlich noch keine einzige Minute ihres fast achtzigjährigen Lebens abgehangen hat.

Apropos gut essen: als Moni und ich vor 5 Jahren in Offmering waren, gab es hier einen Gasthof, der unglaublich gute Speisen weit jenseits der gutbürgerlichen Landküche kredenzte. Jeden Abend waren wir hier zu Gast und mampften uns mit Begeisterung durch die umfangreiche Speisekarte. Allerdings, das bekamen wir Abend für Abend live mit, kriselte es heftig zwischen Wirt und Wirtin. Da das Paar den Jägerwirt gepachtet hatte, steht nun zu befürchten, dass nach der Trennung der beiden (auch die hatten wir live erlebt), wohl auch der Pächter gewechselt hat. Gisi bestätigt unsere Ahnungen: Na, na, der Schorschi is scho lang nimmer do, der hod si mit seiner Tusnelda zagriagt. Jetzt is do oane ausm Nordn. S’Essn soi recht guad sei, sagn d’Leid, aber ganz schee deirig.“ Na, das wollen wir uns doch mal ansehen! Wir lassen das Gepäck im Auto und spazieren hinauf zum Jägerwirt. Die in einem Glaskasten aushängende Speisekarte klingt nicht schlecht, haut uns aber auch nicht vom Hocker. Wir beschließen, das Lokal von innen zu inspizieren und, damit es nicht so auffällt, gleich einen „Welcomer“ zu uns zu nehmen. Die ehemals schummrige, in einem Stilgemisch aus Gründerzeit und Biedermeier eingerichtete Gaststube ist jetzt hell erleuchtet, mit den üblichen Brauereimöbeln bestückt und wirkt ein bisschen wie der Speisesaal eines Erholungsheimes. An den Fenstern hängen Leinenimitatvorhänge mit Jagdmotiven, die wohl stilvoll wirken sollen, aber in ihrer Unentschiedenheit zwischen Rustikalität und designermäßigem Gestaltungselement seltsam deplatziert scheinen. Die Wände, teilweise in frischem Jägersgrün getüncht, wirken kühl – wie auch die Wirtin, die, obwohl sie sehr höflich und beflissen ist, nicht gerade zu einer heimeligen Gesamtatmosphäre beiträgt.

Dennoch beschließen wir, heute Abend hier essen zu gehen, es wenigstens mal zu probieren; auf dem Rückweg zu unserer Pension allerdings können wir es uns nicht verkneifen, einen kleinen Umweg zur zweiten Wirtschaft vor Ort zu machen und deren aushängende Speisekarte zu studieren. Ok, die Entscheidung fällt leicht: die „Gans“ hat Ruhetag, heute Abend ist also Jägerwirt angesagt, aber wenn der nichts taugt, gehen wir die restlichen Abende in die „Gans“, deren Karte sehr verlockend klingt! Wohlig entspannt und voll informiert kommen wir bei der Gisi an, laden unser Gepäck aus und tragen es hoch in unser Zimmer im zweiten Stock. Oh weia, Moni und ich sind kurzatmig wie alte Weiber... Mit unseren nicht allzu schweren Taschen keuchen wir die steile Wendeltreppe nach oben, lassen uns schnaufend auf die Betten fallen, holen mehrmals rasselnd Luft und beginnen dann, uns medikamentös zu versorgen. Moni spürt seit gestern Abend die eiserne Brustkorbfaust einer aufkeimenden Bronchitis, die mich wiederum schon seit einigen Tagen voll im Griff hat. Rotzend und hustend packen wir unsere Reiseapotheke aus, sprühen, schlucken, schneuzen, schmieren und grinsen uns halb leidend, halb amüsiert durch die pfefferminzigen Hustensaftschwaden an, die mittlerweile durch unser Zimmer wabern. Nur Chrissie hält sich noch wacker, wird aber auch allmählich vom „Nix-Los“-Virus befallen – und so sinken wir erst mal allesamt flach auf unsere Liegestätten darnieder. Mann, ist das schön, sich so hängen zu lassen, ohne jegliche Verpflichtung zu sein! Heute treibt uns nur noch eines – essen. Langsam senkt sich die Dunkelheit auf unsere Dachfenster herab; das diffuse Licht macht uns so schläfrig, dass wir allen Ernstes befürchten einzuschlafen. Bevor das passiert, rappeln wir uns hoch, packen uns warm ein und marschieren zum Jägerwirt hinüber. Die kühle nordische Wirtin lächelt uns wiedererkennend an und versorgt uns mit Speisekarten. Mehr als heute Nachmittag steht jetzt auch nicht drauf zu lesen; so also ist bald für jeden von uns eine Speise gefunden und wir bestellen, wie angeboten, so bodenständige Gerichte wie Holzfällersteak und Saftgulasch, die auf der Karte haute-cuisinemäßig verbal aufgewertet wurden durch Formulierungen wie „an Bratkartoffeln“ und „Madairajus“ (leider a bissi falsch geschrieben). Was wir dann letztendlich serviert bekommen ist recht durchschnittliche Rustikalküche, der Jus outet sich auf unseren Geschmacksknospen als stinknormale Bratensauce, aber weil es ja Jus ist, gibt’s nicht mehr als ein Löffelchen davon. Nein, Frau Jägerswirtin, so werden wir Vier keine Freunde! Dennoch essen wir die „deirigen“ Gerichte brav auf, begleichen unsere Zeche und schleppen uns anschließend ziemlich vollgefressen durch die kühle Nachtluft zurück zu unserer Pension. Im Zimmer angekommen werfen wir uns sofort in unsere Nachtklamotten, Moni und Chrissie präparieren sich zwei heiße Wärmflaschen (eine „Angezogene“ mit kuscheligem Fleece-Überzug und eine „Nackerte“ ohne) und wir plüschen uns wohlig in unsere Betten. Wir sind so müde, dass uns nicht mal das Fernsehprogramm, das uns aus einem Mini-Monitor entgegenflackert, wachhalten kann. Naja, Fussball und Frauentausch sind soo fesselnd eben auch nicht... Gegen 22 Uhr knipsen wir Glotze und Nachttischlampen aus und lassen uns in Morpheus Arme sinken; wie die alten Weiber...

Kurzchillen im Chiemgau 2

08. Oktober 2010

Gestern hatten wir der Gisi einen späten Frühstückstermin aus den Rippen geleiert: 9 Uhr. Richtig spät ist das für uns nicht, aber für eine Frühaufsteherin wie die Gisi wahrscheinlich eine schon recht fortgeschrittene Tagesstunde. Doch unsere Befürchtungen, diesen Termin eventuell zu verschlafen, verflüchtigen sich morgens um 6.30 Uhr auf äußerst unsanfte Weise: aus dem Erdgeschoß dringt lautes Gezeter durch das offene Treppenhaus. Zwischen Gisis keifende Tiraden mischt sich immer wieder eine sonore Männerstimme, defensiv, aber deswegen nicht weniger laut. Nach einer halben Stunde kehrt wieder Ruhe ein, aber nun sind wir wach. Eigentlich bin ich über dieses verfrühte Weckereignis nicht wirklich böse, denn ich habe nicht sonderlich gut geschlafen. Mein Kopf fand keine gemütliche Position auf dem monströsen Federkissen, ohne dieses war es wiederum zu flach und außerdem setzte die warme, trockene Zimmerluft meinen Bronchien arg zu; immer wieder erwachte ich von meinen eigenen Hustenanfällen, wechselte von Schwitzen zu Frieren und die Nacht wollte kein Ende nehmen. Doch jetzt ist sie für uns alle vorüber und wir rappeln uns hoch. Nach einer schichtweisen Morgentoilette – es gibt nur eine Dusche, ein Klo für die ganze Etage und ein Waschbecken pro Zimmer – ziehen wir uns an und wendeln die Treppe nach unten, wo in Gisis an die Küche grenzendem Wohnzimmer schon die Frühstückstafel gedeckt ist. Auf der Eckbank schläft kugelrund eingerollt ein schwarzer Kater, der sich nicht stören läßt, als wir um ihn herum Platz nehmen. Kaum dass wir sitzen, umfängt uns Gisi mit ihrer Fürsorge. Alles, was auf dem Tisch steht, wird erklärt und kommentiert: die Kanne Kaffee, ob die wohl für uns reicht, wie auch die drei Semmeln pro Person, der Honig, das selbstgemachte Erdbeer-Rhabarber-Mamalaad und das Johannisbeer-Scheläh, die Eier, deren Öffnung sie gespannt erwartet, schließlich könnten sie zu hart oder zu weich sein, der Kater namens Burschi, der uns stören könnte, das Chiemgauer Tagblatt, das wir sicher lesen wollten, weil da was über den Pfarrer aus Waging drinstünde usw., usw. Nein, Gisi, ja, Gisi, es ist alles super, wunderbar, perfekt!

Halbwegs beruhigt durch unsere ehrlich gemeinten Versicherungen, wendet sich Gisi der nächsten Baustelle in ihrem übergroßen Herzen zu. Wortreich und bedauernd entschuldigt sie sich für den frühmorgendlichen Streit, der uns so rüde geweckt hatte und liefert die Gründe für die Auseinandersetzung gleich mit: ihr zweiter Mann, der Klausi, sei im Juli gestorben und nach dessen Beisetzung hätte sie die Namenstafel am Grab neu machen lassen. Jetzt steht der Name ihres ersten Mannes ganz oben, der des zweiten darunter, obwohl er nur angeheirateterweise zur Familie gehört hatte, dann kommen die Namen der Eltern des ersten Mannes und ganz unten, wo noch ein Platz frei ist, wird mal Gisis eigener Name hinkommen, „wenns ma amoi d’Schaufe naufhaun“. Diese Namensreihenfolge hatte wohl bei einigen, besonders „engagierten“ Dorfbewohnern Unmut erzeugt, der wiederum an Gisis Sohn Rudi herangetragen worden war. Auch Gisis emsiges Friedhofsgepflanze und Schalengeschleppe schmierte man ihm vorwurfsvoll aufs Brot – das müsse doch nicht die alte Frau machen, dafür wäre die Familie da. Rudi war natürlich ob der ungerechtfertigten Vorwürfe ziemlich konsterniert, informierte seine Mutter und gab ihr zu allem Überfluss auch noch eine Teilschuld. Und da war der Gisi der Kragen geplatzt; heute Morgen und völlig zu recht, wie wir meinen. Wen geht das was an? Sollen die Leute doch vor ihrer eigenen Haustüre kehren. „Ach,“, seufzt die Gisi, „es is scho a Gfrett bei uns aufm Land, des is fuachbar mit de Leid, in was sie de ois eimischn. Dawei geht de des garnix o! Wia i de Nama aufs Dafal schreim lass, des is alloa mei Sach. Und wenn i zehnmoi am Dog Schoin rumdrog, aa. Mei Sohn hat gnua Arwad und wenn i ma was eibuid, kann i ned wartn, bis a endlich Zeid dafür hod. Dann mach i’s hoid seiba! Mei, und ihr kennts ned in Ruah frühstückn, weil i eich den ganzn Schmarrn erzeih. Jetzt loss i eich aber in Ruah essn, jetzt wissts ja ois!“ Sprichts und entschwindet. Einigermaßen erschlagen von den ganzen Informationen, dem endlosen Wortschwall und vor allen Dingen von Gisis rührender Offenheit, speisen wir schweigend weiter, genießen das hausgemachte Mamalaad, das Scheläh und die Gegenwart des leise schnurrenden Burschi.

Kaum sind wir fertig und tragen gerade das Geschirr in die Küche, stürmt Gisi wieder herein und kontrolliert unseren Fressaliendurchsatz. Besorgt muss sie feststellen, dass 3 Semmeln übrig geblieben sind und schwupp, schon legt sie uns Brotzeitbeutel auf den Tisch. „Mei, schmierts eich doch de Semmen, deads a Wurschd und an Kaas drauf, dann habts was zum Mitnehma fürn Dog!“ Das ist lieb gemeint, aber so verfressen sind wir nun auch nicht, dass wir gleich Proviant für unser touristisches Sparprogramm benötigen. Seufzend über unsere Weigerung, setzt Gisi unsere morgige Semmelration auf zwei Stück pro Person herunter und entläßt uns mit herzlichen Wünschen in einen spannenden Tag – nicht ohne abermals zu bezweifeln, ob wir uns hier wirklich in irgendeiner Art und Weise vergnügen könnten. Aber wir können! Nach einem weiteren Besuch in unserem Zimmer, wo wir uns für die herbstlichen Temperaturen rüsten, starten wir zu einem Dorfbummel; hinab zum örtlichen Freibad, das einsam und verlassen im Nebeldunst liegt, hinauf über die Hauptstraße, hinüber zum Friedhof. Ich liebe Friedhöfe, vor allen Dingen die kleinen ländlichen, deren Grabstätten sich eng um die Kirche drängen – und ganz besonders die alten Grabsteine, die oftmals mit sepiafarbenen Portraits der Verstorbenen, gedruckt auf ovale Porzellanplaketten, versehen sind. Ganz nebenbei wollen wir natürlich auch die anstoßerregende Namenstafel begutachten, die unsere Gisi so in den Fokus der Dorfkritik gegerückt hat. Gerade sind wir fündig geworden, als uns eine Frau anspricht: „Suachts ihr eppan? Weil die meistn Leid, de doher kumman, de suachan des Grab vom Allermann. Aba des is ned do, de is am andan Teil vom Friedhof.“ Freundlich grüßen wir, sehen die Dame aber etwas ratlos an, denn der Name Allermann sagt uns so gar nichts. Die Mittfünfzigerin mit ausgebleichten Hennalocken steht barfuß in Birkenstocks – bei frostigen acht Grad – hat ein Fußkettchen um, wirkt recht undörflich, eher etwas ausgeflippt, exaltiert, scheint aber bestens informiert zu sein. „Was, ihr kennts den Allermann ned? Der war doch, na, wia sagt ma, na, Ding halt bei der Ding in Minga. Wega dem kumman an Hauffa Leid.“ Plötzlich hält sie in ihren Erklärungen inne, richtet ihren Blick gen Himmel, wo gerade ein Gänseschwarm in V-Formation seine Bahn zieht und dabei laut schnattert. Inbrünstig faltet die seltsame Dame ihre Hände und flötet andächtig: „Mei, da sans wieda, unsare Gäns, is des schee!“ Was nun folgt, würde man in einem Chat/Forum als „Säuseln aus, markiges Fluchen an“ bezeichnen: in völlig anderer Stimmlage bricht aus dem rotgefärbten Weib etwas hervor, was viel besser zu ihr passt, als das Geflöte: „Kruzifix, jetzt i hab mei Gwahr ned dabei. Do dama scho zwoa ghean!“ Inbrunst off, kommunikativer Infoton an: „Oiso, zum Allermann geht’s do naus, dann grodaus weida, a bissl nüba und nauf und scho seids do. Des kennts garned vafeihn.“ Wir sind heftig beschäftigt, unsere Mundwinkel in Zaum zu halten und nicht lauthals über diesen von Herzen kommenden Fluch zu lachen und entfernen uns deshalb dankbar und dankend in die angegebene Richtung, während uns weiter detaillierteste Wegbeschreibungen hinterher schallen.

Huch, was war denn das jetzt? Kichernd gehen wir das Grab vom Allermann suchen, auch wenn wir nicht wissen, wer das sein soll. Kichernd und lachend, da die Situation ja schon ein bisschen grotesk war: auf der einen Seite beschwert „man“ sich über die Namensreihenfolge auf der Grabtafel, auf der anderen Seite läßt eine seltsame Frau herzhafte Flüche und Wildererphantasien auf geweihter Erde los und keiner schreitet ein; es donnert nicht, es blitzt nicht und auch der Boden tut sich nicht auf...

Dank der präzisen Wegbeschreibung erreichen wir nach kurzem Marsch den anderen Friedhof, offenbar der neuere Teil, und durchstreifen die Grabreihen, jenem ominösen „Ding bei da Ding in Minga“ auf der Spur. Doch wir können Allermanns letzte Ruhestätte nicht finden, dafür fällt uns aber eine seltsame „Grabmode“ ins Auge. Einige der Grabstellen sind nicht bepflanzt, sondern dicht mit weißen Kieselsteinen belegt. Das Ganze sähe extrem lieblos aus, wären diese Steininseln nicht allesamt mit weißen Steinengelchen in diversen liegenden und betenden Positionen geschmückt. Aber auch die petrifizierten Himmelswesen nehmen dieser Art der Grabverzierung nur mühsam, nur ansatzweise ihre, naja, sagen wir mal, nüchterne Ausstrahlung. Der neue Friedhofsteil hat ingesamt viel weniger Charme als der alte und als sich auch der Allermann nicht finden lässt, ist unser Interesse rasch erschöpft und wir spazieren langsam wieder hinunter ins Dorf. Dort entern wir einen von zwei nahe beieinander liegenden Supermärkten der Gruppe „Nah&Gut“ - einer ist näher, der andere ein paar Schritte weiter die Straße hinab; deshalb taufen wir die Läden kurzerhand in „Nah&Fern“ um. Faul wie wir sind, bevorzugen wir natürlich den „Nah“ und erstehen dort Leckereien für einen gemütlichen Sofa- und Kniffelabend, wie wir ihn für heute geplant haben. Prosecco, Aperol, Chips, Schokolade, Pistazien und natürlich ein paar Postkarten – die gehören zu einer derartigen „Fernreise“ einfach dazu.

Schwer beladen kehren wir zur Pension zurück, stellen unsere Einkäufe ab und eilen weiter zum nächsten Laden. Gleich ums Eck nämlich befindet sich ein Nippes- und Schnickschnack-Shop, der nur an zwei Tagen in der Woche für wenige Stunden geöffnet hat. Und heute ist so ein Tag. Eine alte Scheune wurde von zwei Damen liebevoll in ein Paradies voller Dinge, die niemand braucht, verwandelt. Allerdings ist der Tand auch hübsch teuer, so teuer, dass wir nicht mal ansatzweise auf die Idee kommen, hier etwas zu erwerben. Nach einem kurzen Bummel verabschieden wir uns deshalb freundlich und begeben uns mitsamt unseren Knabbereien hinauf in unser Zimmerchen. Es ist schon Mittag, aber immer noch sehr nebelig und recht frisch draußen – so haben wir nicht den leisesten Anflug eines schlechten Gewissens, es uns mitten am Tag auf unseren Betten gemütlich zu machen und eine Lesestunde einzuläuten. Moni und Chrissie allerdings fallen bald die Bücher aus den Händen, sie schlafen ein und aus einem Stündchen werden ein paar mehr. Gegen 18 Uhr, ich bin mit meinem Buch fast durch, erwacht Chrissie schließlich wieder und bald darauf auch Moni. Hunger! So lautet Monis erste Wortmeldung. Da sind wir natürlich sofort dabei! Anziehen, ausgehfein machen und nichts wie ab in die „Gans“! Ich freue mich aufs Essen, aber viel mehr noch auf das Aquarium in der „Gans“, in dem vor 5 Jahren zwei prächtige Hauschen schwammen. Heute Morgen beim Frühstück hatte ich bereits die Gisi interviewt, ob es die beiden urtümlichen Knochenfische wohl noch gäbe. „Ja freilich, des Beckn hams scho oiwei no. Do san die Fiesch gwiss no drin!“ Umso enttäuschter bin ich, als zwar das Riesenaquarium noch da ist, leider aber ohne Hauschen. Ich schnappe mir die Bedienung und frage, wo die Viecher denn abgeblieben seien. Hauschen? Ratlos sieht die Kellnerin mich an. Als ich bekräftigend nicke, plärrt sie in die Küche: „Du, Agnes, ham mir amoi Hauschn ghabt?“ „Freilich, aba scho lang nimma.“ Schon kommt Agnes aus der Küche geschossen. „Mei, de zwoa Fiesch hamma nimma, de ham si einfach nimma woigfuid in dem kloana Beckn drin. Do hob i’s zu meim Freind do, der hod a baar Fieschweiha z’Prien drent, do sans jetzad guad untabracht. Des gfoid eana richtig und de Gloria is scho fast an Metta gwachsn seid dem!“ Es freut mich sehr, dass es den beiden Schönen so gut geht und sie auf niemandes Teller gelandet sind...

Beruhigt danken wir der Agnes und wenden uns dem Studium der Speisekarten zu. Hier in der „Gans“ gibt es eine große Auswahl an Gerichten, sicher dreimal mehr als beim Jägerwirt, sie alle klingen sehr lecker und das, ohne verbal „verfeinert“ worden zu sein. Hier ist nichts AN einer Beilage, sondern ganz normal MIT und die Bratensauce wurde auch nicht niveauheischend zu Jus haute-cuisiniert, sie wird nicht mal erwähnt, dafür aber ist sie in deutlich großzügigerer Menge auf dem Teller zu finden, als bei der Konkurrenz. In rustikaler Umgebung genießen wir ein feines, üppiges Abendessen, das uns in unserer Erholungssucht und gnadenlosen Faulheit tatsächlich an den Rand erneuter Erschöpfung treibt. In wohliger Vorfreude auf unsere Betten begleichen wir die Rechnung, schleppen uns gähnend in die Pension zurück und sinken ermattet auf die fast noch nicht ausgekühlten Betten. Eigentlich wollten wir noch ein paar Runden Kniffel spielen, doch dazu reichen unsere Kräfte heute nicht mehr – nach diesem ereignisreichen, sehr (ent-)spannenden Tag. Um 22 Uhr geht deshalb das Licht aus und wir kuscheln uns ein. Moni und Chrissie mit ihrer „Nackerten“ und „Angezogenen“, ich mit meiner zu einer Nackenrolle geklöppelten Fleecejacke. Mhmm, gute Nacht!

Donnerstag, 7. Januar 2010

Tour-Route Afrika 2009

7. November 09 – Ankunft in Windhoek, Einkäufe, Übernachtung Ondekaremba Farm, Campsite
8. November 09 – Windhoek > Roys Camp nahe Grootfontein
9. November 09 – Roys Camp > Popa Falls Community Camp
10. November 09 – Popa Falls Community Camp, Mahango NP > Camp Kwando nahe Kongola, Mudumu NP
11. bis 12. November 09 – Camp Kwando > Chobe National Park, Ihaha
13. November 09 – Ihaha, Chobe NP > Linyanti
14. November 09 – Linyanti > >Richtung Khwai > Wild campen im Chobe
15. bis 16. November 09 – Aus dem verbotenen Abseits > Moremi GR, 2 Nächte Xakanaxa
17. November 09 – Moremi GR > Maun, Maun Rest Camp
18. November 09 – Maun Rest Camp > Central Kalahari GR, Kori Pan
19. bis 20. November 09 – CKGR, Kori Pan > Piper Pan
21. November 09 – CKGR, Piper Pan > Thakadu Camp, Ghanzi
22. November 09 – Thakadu Camp, Ghanzi > Mabuasehube, Khiding Pan
23. November 09 – Mabuasehube, Khiding Pan > Wilderness Trail, Mosomane Pan
24. November 09 – Wilderness Trail, Mosomane Pan > Wilderness Trail, Nossob
25. November 09 – Nossob > Rooiputs
26. November 09 – Rooiputs via Twee Rivieren > Garas Quivertree Camp nahe Keetmanshoop
27. November 09 – Garas Quivertree Camp > Berseba, Brukkaros Campsite > Hardap Damm
28. November 09 – Hardap Damm > Windhoek, Puccini Guesthouse
29. November 09 – Windhoek, Puccini Guest House > Heimflug

6.-7. November 2009 – Anreise München > Windhoek

Meine 18. Afrikareise steht bevor und wie immer bin ich voller Vorfreude, ganz besonders aber, da nicht nur mein letztjähriger Reisegenosse Jürg aus der Schweiz wieder mit an Bord ist, sondern auch mein Süßer Heinz. Für ihn ist es seine erste Reise auf den schwarzen Kontinent und ich bin schon wahnsinnig gespannt, wie es ihm gefallen wird. Er ist Natur- und Tierfan, liebt die Stille, hat Adleraugen, ist Singvogelspezialist und beherbergt mehr als 300 exotische Pflanzen/Sukkulenten in seinem Haus. Für ein oder zwei Zebras, ein paar Elefanten, so sagte er halb ernst, halb spaßig, könne er auch in den Zoo gehen. Ich bin bereit, seine Kinnlade wieder nach oben zu klappen, wenn die ersten Elefanten live an ihm vorbeimarschieren, er die ersten Giraffen auf offener Wildbahn riechen und sehen kann, ein Bartvogel auf seinem Frühstücksteller landet, ein Bülbül ihn morgens wachzwitschert, er sich zwischen all den Köcherbäumen den Hals ausrenkt und den Blick nicht mehr vom Boden wenden kann, weil da Pflanzen wachsen, die er nur von seiner Fensterbank oder aus Büchern kennt. Zumindest hoffe ich, dass es so oder so ähnlich sein wird.

Gen Vormittag machen wir uns auf den Weg zum Flughafen, wo wir vor dem Check-In Annette und Jochen treffen, die schon auf uns warten. Die Strecken MUC-LHR und LHR-JHB fliegen wir gemeinsam, danach trennen sich unsere Wege kurzfristig. Wir marschieren zum Schalter, weil wir nur ungerne am Automaten einchecken wollen, schließlich soll unser aller Gepäck nach Windhoek durchgehen, auch wenn Annette und Jochen in Johannesburg die Airline wechseln. Am Schalter sitzt eine jüngere Dame mit Hochsteckfrisur, die unheimlich gschaftlig mit dem Kopf wackelt, aber strikt bestreitet, das Gepäck durchchecken zu können – nicht mal bei Heinz und mir, die wir doch alle drei Strecken mit der selben Airline fliegen. Das kann eigentlich nicht sein, aber die Tussi wackelt immer heftiger, je mehr wir nachbohren. Also lassen wir's; laut ihrer Aussage müssen wir schon froh sein, überhaupt zusammenhängende Sitze zu bekommen, noch dazu mit meinem „Spezialwunsch“, doch gerne einen Gangplatz haben zu wollen. Schließlich kriegt der Wackeldackel unsere Sitzwünsche doch noch gebacken und wir, befreit von unserem sperrigen Gepäck, steuern die nächste Cafeteria an, um uns die Zeit bis zum Abflug noch mit Ratschereien und einem Urlaubs-Anfangs-Getränk zu verkürzen.

Bald darauf dürfen wir boarden, der Flug nach London verläuft ereignislos, der kredenzte Snack präsentiert sich wie immer britisch-geschmacklos. Hungrig kommen wir in London an und wollen dort gerne unser Frühstück nachholen. Allzuviel darf man ja von insularischer Gastronomie nicht erwarten, aber wir finden ein Restaurant, das auf einem protzigen Leuchtschild „Great British Food“ verspricht – eigentlich ein Widerspruch in sich. Eine Kellnerin, die mitbekommt, wie ich das Schild fotografiere, muss in britisch-selbstironischer Art schallend lachen. Und ihre Selbstironie ist durchaus nicht fehl am Platze. Das zeigt sich, als wir staubtrockene Burger serviert bekommen, die selbst mit einer großzügigen Portion Ketchup kaum rutschen wollen. Doch was soll's, wir haben keine kulinarischen Höchstleistungen erwartet und der Magen ist gefüllt. Gestärkt marschieren wir in Richtung Abfluggate, um dort festzustellen, dass, obwohl wir im neuen Terminal 5 sind, mal wieder Busfahren angesagt ist – soweit ist es also doch nicht her mit der ausgeklügelten Fluggast-Logistik des neuen Heathrow-Terminals. Nach einigem Rumgekurve kommen wir am Flieger an, klettern an Bord und steuern unsere 4 Plätze ganz im hinteren Bereich der Maschine an. Schräg vor mir sind drei nebeneinander liegende leere Sitze, das Flugzeug füllt sich, nicht aber diese Plätze. Ich lauere – übrigens auch andere Fluggäste – aber, als sich die Tür schließt, bin ich die erste, die dieses Geschenk in Beschlag nimmt. Eigentlich nicht meine Art, aber Anstand bringt einen hier auch nicht weiter. Als kurz nach dem Start die Anschnallzeichen erlöschen, gesellt sich Heinz zu mir; somit haben wir zu zweit drei Sitze und Annette und Jochen gar vier. Der Flug verspricht einigermaßen kommod zu werden, aber der Schlaf will nicht zu mir kommen. Ich tigere immer wieder ganz nach hinten, starre aus dem Fenster, laufe wieder zurück, sehe fast alle anderen Passagiere schlafen. Heinz rüsselt in seine Decke gekuschelt, Annette und Jochen liegen eingerollt auf ihren Sitzen, doch ich kann machen, was ich will – ich kann einfach nicht schlafen. Gegen vier Uhr morgens bin ich fix und alle, die Tränen der Erschöpfung rinnen mir übers Gesicht. Heinz, der gerade wieder aufgewacht ist, läßt mich meinen Kopf auf seinen Schoß betten und innerhalb von Minuten bin ich weg. Bis zum Frühstück schlummere ich durch und fühle mich danach, auch wenn es nur eineinhalb Stunden waren, wie neugeboren. Da kann mich auch das britische Frühstück in Form eines hautlosen Würstchens mit Plastikrührei nicht schockieren – aber ekelig ist es schon.

Bald darauf setzen wir zum Landeanflug an und mein Schneck kann einen ersten Blick auf „meinen“ Kontinent werfen. Was Heinz sofort auffällt, sind die Hochsicherheits-Wohnsiedlungen, die es in allen Preiskategorien gibt – mit und ohne Pools, mit kleinen oder größeren Gärten, mit Garagen oder ohne. Allen gemein ist, dass jeweils eine hohe Mauer das gesamte Wohngebiet umgibt. Ein ungewohnter, irgendwie beklemmender Anblick, aber ansonsten unterscheidet sich der Großraum Johannesburg optisch nicht großartig von anderen Stadtgebieten dieser Erde. Die Landebahn ist zudem noch vertrauterweise nass – es hat wohl gerade geregnet. Durch kühle, frische Luft marschieren wir über die Rollbahn, der Immigration entgegen, die neuerdings ohne ausgefülltes Formular vonstatten geht. Das Gepäck kommt kurz darauf vollzählig an und wir vier machen uns auf die Suche nach einem Check-In-Schalter für unsere Anschlussflüge. Annette und Jochen fliegen SAA, der Schalter ist schnell gefunden, das Gepäck wieder eingecheckt. Heinz und ich müssen zur BA, aber einen Schalter können wir nicht entdecken. Ein Koffermann drängt seine Dienste auf und schiebt, nach kurzer Frage, wohin wir denn flögen, unseren Wagen zielstrebig auf eine Rolltreppe. Eigentlich habe ich wenig Lust auf seine Aufdringlichkeit, also entreiße ich ihm unseren Kuli ein Stockwerk höher wieder. Ah, da hinten, ganz hinten, leuchtet ein BA-Schild! Endlich angekommen, stellt sich heraus, dass man hier nur domestic einchecken kann, aber die nette Schalterdame weiß, wo der internationale BA-Check-In ist – in einem anderen Terminal. Also wandern wir den ganzen Weg wieder zurück, hängen noch ein paar Kilometer dran und werden tatsächlich fündig. Leider hat der Schalter noch nicht offen, wir sollen doch in 2 Stunden wieder kommen. Schicksalsergeben rollern wir unseren Kuli aus dem Gebäude, um eine Rauchpause an der frischen Luft zu machen und uns ein bisschen umzusehen. Es wird immer noch rege gebaut, überall stehen Kräne herum, wuseln die Bauarbeiter. Mittlerweile sieht der Flughafen oder wenigstens das Segment, das wir zu sehen bekommen, wirklich so aus, als könne er bis Juni 2010 fertig werden. Eine stolze Leistung!

Annettes und Jochens Flug geht um einiges früher als unserer, so also verabschieden wir uns bald – wenn auch nur für ein paar Stunden. Heinz und ich treiben uns noch ein wenig herum, bis auch wir endlich unser Gepäck einchecken dürfen. Zum Gate wollen wir noch nicht, aber beim Rumstromern haben wir ein Freiluftrestaurant entdeckt, das wir jetzt zum Zeittotschlagen aufsuchen. Funkelnagelneu ist hier alles, architektonisch sehr modern, auch die schräg nach außen liegenden raumhohen Glasfronten des Restaurants. Allerdings scheinen schon mindesten zwei Leute die sich selbst öffnende Tür nach draußen verfehlt zu haben, denn in Kopfhöhe ist auf beiden Seiten der Tür das Glas kreisförmig gesplittert. Das muss gekracht haben! Heinz und ich kommen unfallfrei nach draußen und lassen uns in feuchter Morgenfrische auf der Terrasse nieder. Heinz ist gleich ganz angetan von den zahlreichen Schwalben, die in halsbrecherischem Flug zwischen den Pfeilern der angrenzenden Tiefgarage durchjagen und von ein paar vorwitzigen Bachstelzen, die auf der Suche nach Krümeln um die Tische wippen. Bei all den Beobachtungen vergeht die Zeit schnell und wir machen uns auf dem Weg zu unserem Gate. Noch einmal fliegen und wir sind endlich da! Beim Warten am Gate treffen wir auch Jürg, der mit einer Maschine aus Zürich gekommen ist. Ach, ist das schön, ihn wiederzusehen! Und es gibt viel zu erzählen, so viel, dass die Zeit bis zum Boarden bei weitem nicht reicht.

Heinz und ich sitzen in einer Dreierreihe, neben mir nimmt ein Schwarzer Platz, der dauernd Selbstgespräche führt und kommunikationssuchend zu mir herüberlugt. Der Knabe macht einen ziemlich irren Eindruck und ich will ihn um keinen Preis an der Backe haben. Jeden Blickkontakt meidend vertiefe ich mich demonstrativ in mein bald serviertes Mittagessen. Ein Nudelsalat ist dabei, der appetitlich aussehend in einem durchsichtigen Plastikschälchen ruht. Das Behältnis ist versiegelt, zum Öffnen muss eine Ecke aus dem Rand gebrochen werden, dann erst kann man den Deckel abheben. Aus den Augenwinkeln beobachte ich belustigt, wie mein seltsamer Nachbar sich vergeblich abmüht, an den Nudelsalat zu kommen, aber das Patent will sich ihm partout nicht erschließen. Wütend schleudert er die Schale wieder auf's Tablett, widmet sich seinem Auflauf, behält aber permanent die anderen Fluggäste im Auge. Und die haben allesamt ihren Nudelsalat schon verzehrt. Murmelnd, schimpfend und brabbelnd macht er sich wieder am Schälchen zu schaffen. Er kann einfach nicht glauben, dass alle anderen das Ding aufbekommen haben, nur er nicht. Aber wieder scheitert er. Vor lauter Frust läßt er sich gleich noch ein zweites Bier servieren, wickelt dann seine Nudeldose in eine Serviette und läßt das Corpus Delicti seines Scheiterns verstohlen in seiner Sitztasche verschwinden. Beim Aussteigen wandert es noch verstohlener in sein Bordgepäck und Heinz und ich amüsieren uns königlich bei der Vorstellung, dass er heute abend bestimmt versucht, das Rätsel mit Hilfe seiner Freunde zu knacken oder aber einfach seine arme Frau damit beauftragt und so tut, als hätte er selbst nie ein Problem damit gehabt.

Rasch sind die Einreiseformalitäten erledigt, das Gepäck ist auch da und Jochen erwartet uns schon in der Ankunftshalle. Bei strahlendem Sonnenschein und 31 Grad überqueren wir den Parkplatz, wo der grüne Landy steht. Wir verstauen das Gepäck und Heinz sieht sich neugierig um. Er traut seinen Augen kaum, als er in der Reihe hinter uns eine silbernen Wagen entdeckt, auf dessen Heck ein Nummernschild mit der Aufschrift „ADOLF-NA“ prangt. Es gibt sie also immer noch, die ewig gestrigen Deutschen Namibias. Mich wundert hier nichts mehr, allenfalls die wenig konsequente Wagenfarbe – braun wäre doch wirklich passender gewesen – aber Heinz staunt nicht schlecht. Es wird Zeit, dass er auch die schönen Seiten des Landes zu sehen bekommt!

Auf der Fahrt zur Ondekaremba Farm eröffnet uns Jochen, dass es einige Probleme mit unserem zweiten Landy, einem Mietwagen von Just done it! gibt. Von zwei Dachzelten wurde lediglich eines abmontiert und an einem Hinterrad sind die Schrauben so rundgenudelt, dass es im Notfall nicht gewechselt werden könnte. Annette und Thommy sind noch in Windhoek beim Verleiher, um diese Dinge beheben zu lassen. Das klingt zunächst zwar nicht erfreulich, aber auch nicht unlösbar. Zunächst.

Kaum kommen wir auf unserer Campsite an, eilt uns schon ein Farmangestellter mit einer Nachricht entgegen. Jochen solle sofort nach Windhoek kommen, es gäbe noch mehr Probleme. Umgehend macht er sich auf den Weg, wir hingegen werden uns in der Zwischenzeit um den Aufbau unseres Lagers und unserer 5 Zelte kümmern. Das aber ist gar nicht so einfach, denn der frühe Nachmittag ist die heißeste Zeit des Tages. Die daraus resultierende Thermik erzeugt einen strammen Wind und nur mit vereinten Kräften gelingt es uns, unsere Stoffhütten aufzustellen. Dabei kommen wir, trotz des Windes, ganz schön in Schwitzen und ich beschließe, mich nach getaner Arbeit endlich in adäquate Klamotten zu werfen. Ich löse den Gurt meiner Tasche und mache eine Entdeckung, die nichts Gutes verheißt: das Schloss fehlt und die Schlitten des Reißverschlusses sind völlig zerstört. Das ist sicher kein Transportschaden, zumal die Schlitten offenbar sorgfältig wieder unter den Gurt geschoben wurden. Beim Öffnen der Tasche bestätigt sich mein Verdacht eines mutwilligen Aufbrechens. Alles wurde offensichtlich durchwühlt und wahllos wieder zurück gestopft. Sorgfältig sichte ich meine Besitztümer und stelle erstaunt fest, dass nichts fehlt – nicht mal meine nagelneuen Turnschuhe und auch nicht meine zwei Medikamentenboxen. Fast nichts! Aus meinem Erste-Hilfe-Pack ist das Fieberthermometer verschwunden und taucht auch in den tieferen Tiefen der Tasche nicht wieder auf. Es war ein digitales Fieberthermometer, kann also nicht entfernt worden sein, weil es Quecksilber enthält, sondern es ist schlicht und einfach geklaut worden. Seltsamer Dieb, seltsame Beute, aber ich bin heilfroh, dass nicht mehr fehlt. Heinz und Jürg kontrollieren sofort ihr eigenes Gepäck – auch hier zeigen sich Spuren, die auf rüde Öffnungsversuche hindeuten, aber der jeweilige Inhalt ist vollzählig. Gott sei Dank!

Nun können wir uns erfreulicheren Dingen widmen und inspizieren die nähere Umgebung. Heinz ist gleich voll in seinem Element, als er einige Webervögel und Granatastrilde im Gebüsch hinter unserer Wasserstelle entdeckt. Die bunten Vögelchen sind recht unscheu und ihre Unbekümmertheit entlockt meinem Schneck etliche begeisterte Quiekser. Bei einer Kurzwanderung rund um die Campsite sichtet er dann auch noch blühende Lilien, von denen er mir aufgeregt berichtet. Und ich bin mindestens genauso aufgeregt wie er, aber auch sehr glücklich, dass Namibia doch so einiges in petto hat und auch preisgibt, was über „Adolf“ hinausgeht – und dass es meinem Schnüff gefällt.





Wie im Flug vergeht die Zeit und gegen 18.45 Uhr setzt die kurze afrikanische Dämmerung ein. Doch noch immer keine Spur, kein Zeichen unserer Mitreisenden. Bei uns macht sich schön langsam der Hunger bemerkbar, also durchforsten wir die Kisten im Lager. Annette war zwar heute schon einkaufen, das wissen wir, ist aber samt ihren Schätzen immer noch in Windhoek. Zwei der drei Kisten sind abgeschlossen, in der dritten finden wir lediglich abgelaufene Brühwürfel und eine Packung noch älterer Kekse. Viel ist das ja nicht... Tatkräftig entfachen wir ein Feuer (die Gasflasche ist leer), machen uns einen Topf mit Wasser heiß und füllen unsere knurrenden Mägen mit dünner Brühe und bröselnden Keksen. Trotz der Frugalität unseres Mahles und der Ungewißheit, wann und in welchen Zustand das zweite Auto mit unseren Mitreisenden hier eintreffen mag, genießen wir das prasselnde Lagerfeuer, die Stille und unsere Gespräche. Mittlerweile ist es 20 Uhr; ab und zu hören wir Motorengeräusche, sehen Scheinwerfer in der Ferne, aber unsere Hoffnung auf die Rückkehr der Restcrew will sich nicht erfüllen.

Todmüde gehen wir schließlich um halb neun zu Bett und hoffen, dass die Probleme mit dem Mietwagen nicht unsere Reisepläne über den Haufen werfen. Kaum haben wir uns gemütlich eingekuschelt, kommen die anderen endlich zurück – mit guten Nachrichten! Nach langem, zähem Ringen mit dem völlig uneinsichtigen und auch wurstigen südafrikanischen Verleiher konnte doch noch alles in Ordnung gebracht werden. Ein engagierter Mechaniker einer benachbarten Werkstatt hatte sich selbstlos ins Zeug gelegt, das zweite Dachzelt abmontiert, die rundgenudelten Schrauben aufgeschweißt, um sie öffnen zu können und alles soweit ins Lot gebracht, dass die Karre unseren Anforderungen weitestgehend entspricht. Der Vermieter selbst allerdings hatte sich schon lange aus dem Staub gemacht, weil seiner Ansicht nach ja alles passte. Prinzipiell ist die Karre nun nach unseren Vorstellungen mit einem Dachgepäckträger, zwei Reserverädern und wechselbaren Reifen ausgestattet, weist aber noch genug Macken auf, die in den folgenden Wochen noch in Erscheinung treten sollen. Der hilfsbereite Mechaniker kennt leider die Nöte der Kunden seines wurstigen Nachbarn und kann dessen Geschäftspolitik ebenso wenig verstehen wie wir.

Doch das Auto ist ja jetzt soweit ok, wir alle sind versammelt und begrüßen uns erleichtert und freudig, bevor wir über Annettes Einkäufe herfallen: bei Käsebrot und Wurst, Restbrühe und kühlem Bier lassen wir uns die ganze Geschichte erzählen, berichten von unseren Erlebnissen und gehen schließlich alle satt, müde und voller Vorfreude auf die nächsten Wochen zu Bett.

8. November 2009 - Ondekaremba Farm > Roys Camp (Grootfontein)

Gegen sieben Uhr wälzen wir uns schön langsam aus den Zelten und halten unsere Nasen in die Morgensonne. Ich habe geschlafen wie ein Stein, aber Heinz hat immer wieder den für ihn ungewohnten Geräuschen einer afrikanischen Nacht gelauscht, die er teilweise nicht zuordnen konnte. Leider bin ich ihm dahingehend auch keine Hilfe, denn ich habe absolut nichts gehört. Auch Sven hatte ein Nacht-Erlebnis: er musste aus dringenden Gründen vor's Zelt und berichtet uns von einem riesenhaften Tier, das im fahlen Mondlicht auf ihn zugestürmt war. Wir haben keine Ahnung, was er das gesehen haben mag, zumal es auf der Farm kein Großwild gibt. Ein paar Minuten später allerdings, als gerade eine Rotte von Warzenschweinen ganz in unserer Nähe vorbeisaust, deutet er wiedererkennend auf den Eber: „Sowas war das!“ Naja, riesenhaft kann man die Schweindln nicht gerade nennen, aber im Dunklen sieht so manches unheimlicher aus als es wirklich ist. Und wenigstens wissen wir jetzt, was genau Sven da erschreckt hatte.

In aller Ruhe genießen wir unser Frühstück, bevor wir zum Einräumen der Autos schreiten. Annette fragt Heinz und mich, ob wir gerne im grünen Landy mitfahren möchten. Im Vorfeld unserer Tour hatte ich mir hin und wieder Gedanken gemacht, wie das wohl mit der Aufteilung laufen würde und, ehrlich gesagt, eher damit gerechnet, dass sie Sven und Patricia fragen würden. Denn die beiden fröhlichen Rheinländer haben unbestritten ein höheres Unterhaltungspotential als Heinz und ich, die gerne mal eine Runde schweigen und genießen. Aber natürlich fahren wir gerne mit Annette und Jochen im Auto und richten uns dort auch gleich mit Sack und Pack wohnlich ein. Besonders ich – die Rücksitztasche vor meinen Knien wird sofort mit allem Notwendigen bestückt, was für mich immer greifbar sein muss: Landkarten, Bestimmungsbücher, Fernglas, Sonnencreme, Sonnenbrille – ich hasse zielloses Suchen und Wühlen, ich gebe es ja zu...

Nach dem Einrichten und Zusammenpacken machen wir noch einen Abstecher zum Farmgebäude, um die Übernachtung zu bezahlen. Auf dem Parkplatz vor den Toren des Farmhauses haben Kap-Borstenhörnchen zahlreiche Bauten gebuddelt, in die sie sich bei unserer Ankunft flugs zurückziehen. Heinz möchte die putzigen Gesellen unbedingt näher sehen und fotografieren. Zu diesem Behufe legt er sich hinter einem Steinhaufen auf die Lauer. Nicht lange und die ersten Hörnchen spitzen neugierig aus ihren Löchern. Aber so richtig fotogen wollen sie sich nicht zeigen, dazu sind sie doch ein bisschen zu scheu. Nicht weiter schlimm, versichere ich meinem Schneck, denn ich kann ihm versprechen, dass wir in der Kalahari ganz sicher noch mehr davon sehen werden.

Wir machen uns auf den Weg – unser heutiges Tagesziel ist Roys Camp in der Nähe von Grootfontein und das sind mehr als satte 500 Kilometer. Eilig durchqueren wir Windhoek City, bis wir auf der Ausfallstraße nach Norden sind und schrubben Meilen. Heinz beobachtet alles sehr aufmerksam und sammelt erste afrikanische Eindrücke, die ihn verständlicherweise noch deutlich europäisch anmuten. Nach zwei Stunden der Fahrerei machen wir ein Päuschen an einem schattigen Rastplatz links der Straße. Heinz’ kundigem Auge fällt sofort der Schattenspender auf: ein Pfefferbaum (Schinus molle), der in Afrika ganz und gar nicht heimisch ist. In seinem Geäst wächst eine weitere Pflanze, die wir als halbparasitäre Afrikanische Mistel (Tapinanthus oleifolius) identifizieren. Die Mistel hat wunderschöne rote Kelchblüten und Heinz’ Augen funkeln begehrlich: vielleicht gibt es ja schon Samen zu ernten, die er zu Hause aussäen kann... Aber nein, schade, soweit ist die Mistel noch nicht. Ohne Beute, aber mit einem Snack im Bauch, entfliehen wir dem dem heftigen, trockenen Wind der Mittagszeit, der einem Sand ins Gesicht bläst, die Haut zu gefühltem Pergament dörren lässt und setzen unseren Weg fort. Für unsere Augen ist die nächsten zwei Stunden nicht viel Abwechslung geboten. Schnurgerade durchdringt die Teerstraße verbuschtes Weideland, häßliche Zäune umgeben karges Farmland. Allein die Machart der Zäune ist ein klein wenig unterhaltsam: mal sind fünf, mal sind sechs oder sieben „Drahtspanner“ zwischen den Zaunstützen angebracht, mal ist es ein schulterhoher Rinderzaun, mal ein doppeltmannshoher Gamezaun. Ich messe auf unserem Meilenzähler mit, rechne Farmgrößen hoch und setze die Gamefarmen für Touristen ins statistische Verhältnis zu Erwerbsbetrieben rein landwirtschaftlicher Art, die offenbar immer weniger werden. Naja, das südliche Afrika erlebt seit vielen Jahren einen zunehmenden touristischen Boom und wenn ich einen Blick auf die ebenso boomenden TV-Afrika-Filmschnulzen werfe, wundert es mich nicht: Afrika ist exotisch in Flora und Fauna, es ist hip und angesagt, der gemeine Schnulzenseher macht keinen Unterschied zwischen Oryx und Okapi, zwischen Aloe arborescens und Aloe zebrina, geschweige denn Aloe dichotoma, dem allseits geschätzten und geliebten Köcherbaum. Und wenn ich namibischer Farmer in agrarischen Nöten wäre, dann würd’ ich vielleicht auch meinen Zaun aufdoppeln und Buntböcke auf meinem Gelände halten, wo sie für den Touri offenbar ohne Widerrede hingehören – nach Afrika. So, wie halt Damhirsche, Rentiere und Elche in Europa zu sehen sind...

Kilometer um Kilometer zieht sich die B1 dahin und sogar Heinz, für den alles neu ist, findet die Fahrt schön langsam recht öde. Gegen 15 Uhr erreichen wir Otjiwarongo, dessen Straßen von blühenden Flammenbäumen gesäumt sind. Das ist eine willkommene Abwechslung und zugleich ein so farbenprächtiger Anblick, dass wir einfach anhalten müssen. Zwischen den Blüten hängen bis zu 50 cm lange Schoten, die Patricias Begehren wecken. Sven nimmt Anlauf, um im Sprung eine Schote abzureißen, aber es fehlen jedes Mal ein Paar Zentimeter. Da tritt Jürg, unser „Längster“ in Aktion und mit einem Riesensatz erhascht er eine Schote für Patricia. Die wenigen Passanten und Autofahrer, die an diesem Sonntagnachmittag unterwegs sind, wunder sich sicher sehr über unser seltsames Verhalten, schließlich sind diese Baumfrüchte für sie etwas alltägliches, nicht aber für uns.
















Nach diesem erfolgreichen Beutezug setzen wir unseren Weg fort – wir müssen uns ein bisschen sputen, denn es liegen erst rund zwei Drittel der heutigen Tagesstrecke hinter uns. Also nehmen wir uns vor, nicht mehr zu stoppen, was bis kurz hinter Grootfontein auch funktioniert. Doch dort schießt plötzlich ein Polizist aus den Büschen und winkt uns mit seiner Kelle an den Fahrbahnrand. Oh, shit, wir waren zu schnell! Streng klärt und der Beamte über unser Vergehen auf, entschuldigt sich aber im selben Atemzug, dass er leider nur noch uns, nicht aber unseren genau so schnellen Vordermann erwischt hat. Das hilft uns jetzt auch nichts: 80 km/h dürfe man hier fahren, wir hatten 93 Sachen draufgehabt, so sagt der Officer. Wird schon stimmen, wenn er das sagt. Doch wir haben weder das 80er Schild gesehen noch können wir das mit der Geschwindigkeit präzise nachvollziehen – unser Tacho nämlich zeigt Meilen an. Wir müssen zahlen, aber immerhin kommen wir glimpflich davon. 100 Nam-Dollar kosten die 13 km/h zuviel, noch zwei mehr, und wir hätten das doppelte löhnen dürfen. Während Jochen brav bezahlt, winkt ein Polizeikollege einen weiteren Fahrer heraus. Der ist über 30 km/h zu schnell gewesen und muss dafür eine Nacht in den Knast. Der arme Kerl, der offenbar auf Business-Fahrt ist, wird ganz blass um seine schwarze Nase, fügt sich aber notgedrungen seinem Schicksal und wir sind heilfroh, dass uns das nicht ereilt hat.

Vorschriftsmäßig bringen wir die letzten Kilometer bis Roys Camp hinter uns, wo wir einen Rasenplatz zugewiesen bekommen. Rasen!!! Irgendwie ein bisschen übertrieben in dieser Trockenheit, aber es fühlt sich gut an. Wir bauen unsere Zelte auf; aus den Augenwinkeln sehe ich, wie wir feindselig von unseren Campnachbarn beäugt werden. Und wenn ich mir unsere Gruppe so ansehe, wird mit auch klar, warum: wir sind zu acht, haben fünf Zelte und sehen wohl nach Lärm aus. Ein ungewohntes Gefühl, so angesehen zu werden, aber ich kann es ein wenig verstehen. Schließlich habe ich ähnlich Gedanken und gerunzelte Brauen, wenn ich einer Overlander-Gruppe ansichtig werde...

Wir sind zwar keine Overlander, lassen uns aber trotzdem gemütlich mit einem verdachtverstärkenden Bierchen auf dem Rasen zu einem Ankunfts-Sundowner nieder, bevor wir Körperpflege und Essensvorbereitungen in Angriff nehmen. Als ich aus der Dusche komme, habe ich das unangenehme Gefühl, fast zu erfrieren. Die Luft ist so trocken, dass das Wasser auf meiner Haut in Sekundenschnelle verdunstet; die entstehende Kälte läßt mich frösteln – bei immer noch mindestens 25 Grad! Auch meine Haare trocknen schneller, als irgend ein Turbofön das leisten könnte und fühlen sich an wie altes Stroh. Bald kommen wir ja in feuchtere Gefilde, tröste ich mich und kehre knistertrocken zu unserer Truppe zurück. Hier wird bereits eifrig gezündelt, geschnibbelt und mariniert. Bald darauf gibt es Abendessen, das wir in geselliger Runde – unter den bösen Blicken unserer Nachbarn – genüßlich einnehmen. Ein Bierchen noch zum Abschluß, dann gehen wir alle, bis auf Sven, Annette und Jochen, gegen 22 Uhr schlafen. Die drei unterhalten sich leise weiter, ansonsten ist alles still. Mann, denke ich mir noch beim Einschlafen, sind wir brav und, liebe Nachbarn, ihr habt umsonst grimmig gekuckt.

9. November 2009 - Roys Camp (Grootfontein) > Popa Falls Community Camp (Divundu)

Das lachende Wiehern von Zebras weckt uns und Heinz murmelt schlaftrunken neben mir: „Das war’s, was ich auf der Ondekaremba Farm gehört habe!“ Dieses Rätsel also wäre gelöst und wir schälen uns voller Tatendrang aus unseren Schlafsäcken. Annette ist schon ein Weilchen wach und hat bereits das Geschirr von gestern Abend gespült. Wir winken uns zu und ich marschiere erst mal Richtung Ablution Block. Dort steht die Nachbarsfrau am Waschbecken, sieht mich verächtlich an und ignoriert meinen Morgengruß. Seltsam! Zurück im Lager, klärt Annette mich auf: die Dame kam sich gestern Abend, 15 Minuten nach unserem Abgang, noch beschweren – über den unerträglichen Lärm, den wir verbreiten würden. Seit 21 Uhr versuchten sie und ihr Mann zu schlafen, würden aber kein Auge zubekommen, weil wir ja unbedingt Party feiern müssten. Annette entschuldigte sich natürlich um des lieben Friedens willen, aber wir blieben weiterhin in Ungnade. Beim morgendlichen Spülen traf Annette dann eine andere Nachbarin und fragte nach, ob wir wirklich so gelärmt hätten. Nein, wir wären extrem leise gewesen, bescheinigte uns die Dame, es gäbe nicht den geringsten Grund zur Beschwerde. Na also! Die beiden Frauen kamen ins Plaudern, tauschten Reiseerlebnisse und weitere Planungen aus und die freundliche Nachbarin warnte Annette angesichts unseres bevorstehenden Chobe-Besuchs. Sie und ihr Mann waren vor einer Woche dort, aber leider sei der Park aufgrund heftiger Regenfälle geschlossen gewesen. Das sind ja tolle Nachrichten! Doch wir werden sehen, schließlich kommen wir erst in zwei Tagen dort an und es kann sich in der Zwischenzeit viel verändert haben – hoffentlich zum Guten.

Nach dem Frühstück packen wir in aller Ruhe zusammen und während Patricia und ich noch rasch die Grillroste schrubben, geht Heinz auf Beutezug. Überall tummeln sich exotische Vögel, die ihn vor Begeisterung strahlen lassen und zudem wachsen auf dem Campgelände auch noch Makalanipalmen (Hyphaene petersiana), die gerade reife Nüsse abwerfen. Mit roten Bäckchen, einem Sack voller Palmnüsse und seligem Grinsen kehrt Heinz zurück und ich freue mich so zu sehen, dass es ihm offenbar richtig gut gefällt und er ornithologisch und botanisch auf seine Kosten kommt. Sorgfältig werden die Kostbarkeiten verstaut und wir machen uns auf den Weg. Heute geht es ins Popa Falls Community Camp nahe Divundu, das ist nicht ganz so weit wie die gestrige Strecke, doch recht abwechslungsreich wird sie wohl auch heute nicht werden.

Und tatsächlich: auf schnurgerader Teerstraße geht es dahin, ich spiele mein altes Farmzaun-Spiel und wir freuen uns über jede Kuh und jeden Esel, der am Fahrbahnrand steht. Und da sind auch noch andere Tiere, riesige „Flugobjekte“, die wie betrunken durch die Luft torkeln und häßliche Flecken machen, wenn sie dummerweise gegen die Windschutzscheibe knallen. Diesem Phänomen gehen wir bei der nächsten Pinkelpause auf den Grund: es sind Pillendreher, die überall auf der Straße sitzen und Herbivoren-Kot zu perfekten Kugeln formen, die sie dann rasch mit den Hinterbeinen in Sicherheit rollern. Wenn man sich den Käfern nähert, nehmen sie einen abwehrend ins Visier, erheben sich mit lautem Gebrumm in die Luft und flüchten. Nicht selten prallen sie einem dabei direkt ans Bein und fallen füßchenrudernd auf den Boden zurück. Nähert sich hingegen ein Auto – viel zu schnell für Wahrnehmung der etwas retardierten Käfer – bleiben sie sitzen und werden meist Opfer der Reifen. Eine ganze Weile beobachten wir die Skarabäen bei ihrem emsigen Treiben. Besonders hübsch sind sie ja nicht, mit ihren kotverklebten, mattbraunen Chitinpanzern und ihrer wenig anmutigen Gestalt. Aber die Leistung, die sie vollbringen ist schon beachtlich. Ihre Mistkugeln sind teilweise dreimal so groß wie sie selbst und auf dem glatten Teer schon schwer zu bewegen. Erreichen sie aber dann endlich die mit trockenem Gras bewachsene Straßenböschung, geht die Knochenarbeit erst richtig los. Doch die Dung Beetles legen sich mit aller Macht ins Zeug und lassen sich nicht beirren.

Um eine schöne Tierbeobachtung reicher, klettern wir wieder in die Autos und fahren weiter. Aber schon nach ein paar Kilometern legt Jochen eine Vollbremsung hin, wendet den Landy und hält neben einem kleinen grünen Chamäleon. Vorsichtig pflückt er es von der Straße, um es in einen sicheren Busch am Straßenrand zu setzen. Doch Moment, erst mal muss es uns Modell stehen, das kleine Echslein mit den flinken Augen. Es ist grasgrün und scheint sich auf Jochens Hand recht wohl zu fühlen. Sven will es ebenfalls einmal halten, aber diesen Wechsel findet das Tierchen offenbar ziemlich stressig – sofort bekommt es schwarze Flecken und flüchtet sich auf Svens Schulter. Auch bei mir will es nicht bleiben, erst als Heinz es nimmt, beruhigt sich der kleine Kerl und färbt sich schnell wieder grün. Ich sehe mir das Chamäleon ganz genau aus der Nähe an, als es ruckelnd ein Greifärmchen nach vorne streckt und mir kurzerhand auf die Nase klettert. Über Brille und die Stirne bahnt es sich zielstrebig seinen Weg in meine Haare, wo es sich sofort verheddert und erneut Stressflecken bekommt. Vorsichtig nestelt Heinz das Tierchen aus meinem Haarwald, was mit empörtem Fauchen quittiert wird und setzt es in einer Pflanze ab, wo es sich beruhigt und mit lebhaft rotierenden Augen vorsichtig zwischen den Blättern hervorlugt. Jetzt, wo es gut getarnt in Sicherheit ist, können wir ja weiterfahren. Eine ganze Weile noch fühle ich den Weg, den es über mein Gesicht genommen hat: es ist, als ob vier winzige Nassrasierer-Köpfchen über meine Haut gefahren wären. Es tut nicht weh, überhaupt nicht, aber es ist ein seltsames Gefühl...

Je weiter wir uns nun Rundu nähern, desto offener wird das Land. Nicht etwa, weil das Buschwerk lichter würde, sondern weil es kaum noch Zäune gibt. Dafür sieht man immer mehr Ansiedlungen, kleine strohgedeckt Rundhütten und auch Menschen – wir kommen schön langsam in den „schwarzen“ Teil Namibias! In Rundu halten wir für einen Einkauf vor dem örtlichen Supermarkt und Heinz bekommt einen ersten Eindruck afrikanischen Treibens: bunt gekleidete Frauen balancieren Waren auf ihren Köpfen, schleppen in Tüchern friedlich schlafende Säuglinge mit sich herum, zerren Kleinkinder hinter sich her. Aus jedem der umliegenden Geschäfte dröhnt Musik oder lautstarke Verkaufsanimation – die Lautsprecher scheppern blechern, machen ihrem Namen alle Ehre. Mit Neugier und gebührendem Respekt fotografiert Heinz in die Runde und saugt alles in sich auf – staunend und vielleicht auch etwas befremdet. Befremdet von unserer Vorsicht; denn wir haben fast automatisch unsere Autofenster hochgekurbelt, die Türen verriegelt und lassen die Landys nicht aus den Augen, obwohl wir keinen Meter davon wegstehen. Befremdet auch von der winzigen Bushman-Frau mit ihrem noch winzigeren Baby auf dem Rücken, die uns mit trüben, hoffnungslosen Augen anblickt und gebetsmühlenartig ihre Bitten um Geld und Essen herunterleiert. Auch mich nimmt so ein Anblick immer wieder mit. Menschen, die seit Urzeiten hier ansäßig sind, über ein unerschöpfliches Wissen über die Pflanzen und Tiere dieser unwirtlichen Klimaregion verfügen, werden entwurzelt, ihres Landes beraubt, verachtet. Und dann sieht man sie hier, in Käffern wie Rundu – verdreckt, in zerlumpten westlichen Klamotten, ohne Hoffnung, innerlich abgestorben. Es ist so bitter, was Menschen anderen antun! Wenn es keine Menschen gäbe, ginge es der Welt sicher besser, denn wir werden nie einen Weg zueinander, geschweige denn zur Natur finden, selbst wenn wir es uns hin und wieder einbilden.












In diesem Sinne setzen wir unseren Weg fort, natürlich ausgestattet mit allem Komfort, den Menschen unseres Kulturkreises für nötig erachten – der Natur entgegen, so wie wir sie halt gerne genießen und erfassen möchten. Wir sind eben auch nur Menschen... Und in meinem Menschsein freue ich mich, dass ich jemanden wie Heinz gefunden habe, mit ihm und anderen unterwegs sein und die Welt erkunden kann. Das eintönige Motorengeräusch brummt mich aus meinen kritischen Gedanken, am Fahrbahnrand drängen sich kleine gelbe Kugeln in mein Blickfeld. Auch die anderen haben sie bemerkt und zunächst gehen wir davon aus, dass hier wohl gerade Tsamma-Melonen ihre Überreife erreicht haben, denn es sind keine grünen Ranken zu entdecken. Doch immer öfter sehen wir jetzt Gefäße, in denen diese Kugeln, zu kleinen Pyramiden getürmt, zum Verkauf dargeboten werden. Bei der nächsten Schüssel halten wir an und sehen uns nach den dazugehörigen Verkäufern um. Schon kommen einige Kinder aus dem Busch geschossen, ihnen folgt in gemächlichen Schritten ein Mann, der unsere Neugier befriedigt. Das seien Baboki – mhm lecker. Er greift sich eine Frucht, öffnet sie mit wenigen gekonnten Messerhieben und lutscht genüßlich augenrollend auf einem Klumpen des wenig appetitlich aussehenden, schmutziggelben, gehirnartigen Fruchtfleisches herum. Mit einem lauten „Plöpp“ spuckt er die Reste dann auf den Boden. Annette kauft ihm kurzentschlossen zwei der angeblich so schmackhaften Früchte ab – wir werden sie als Abenddessert verkosten. Bei der Weiterfahrt versuchen wir, die Früchte botanisch korrekt zuzuordnen. Es ist eindeutig eine Strychnos-Frucht, präzise gesagt Strychnos madagascariensis (Black Monkey Orange). Wir sind alle schon sehr gespannt, wie das Zeug schmeckt, Heinz freut sich auf die Samen und ich mich noch mehr auf die harte Fruchtschale. Das könnte ein nettes Behältnis für ein Teelicht werden!

Doch erst mal sind wieder Kilometer angesagt, bis wir frühnachmittags eine Snackpause an einem staubig-schattigen Rastplatz einlegen. Auch hier liegen zuhauf geköpfte Baboki-Schalen und ausgespuckte Kerne herum – es scheint wirklich eine sehr beliebte Saisonfrucht zu sein. Ein kleiner Pinkel-Ausflug in die nähere Botanik fördert noch mehr Preziosen der Natur zutage: überall sind reife Samen von Zambezi Teak (Baikiaea plurijuga), Wild Teak (Pterocarpus angolensis), False Mopane oder Copalwood (Guibourtia coleosperma) und Manketti Trees (Schinziophyton rautanenii) zu finden. Wir sammeln und bestimmen mit solcher Begeisterung, dass wir kaum zum essen kommen und Heinz’ Sämereienkollektion erneut beträchtlich aufgestockt wird. Halbwegs gestärkt und voll botanischem Enthusiasmus setzen wir unseren Weg auf der glühend heißen, fast schattenlosen Straße in Richtung Popa Falls fort. Schattenlos, ja, doch allmählich türmen sich immer mehr Wolken am Horizont, sehen sehr nach Gewitter aus und lenken unsere Gedanken wieder sorgenvoll dem angeblich gesperrten Chobe NP entgegen. Da müssen wir heute Abend wohl Alternativen erwägen. Kurz darauf passieren wir tatsächlich ein kleines Regengebiet, die Luft riecht frisch und erdig, danach glüht die Sonne wieder ungetrübt vom Himmel und es ist noch heißer als vorher.

Schwitzend, klebend und gut durchmariniert kommen wir gegen 16 Uhr in Divundu an, wo wir ursprünglich in der Mahangu Safari Lodge übernachten wollten, letztendlich aber doch das Popa Falls Community Camp vorzogen, das Annette und Jochen bereits als sehr schön und recht einsam kennengelernt hatten. Dass es einsam und wenig besucht ist, muss nicht verwundern, ist es doch recht schwer zu finden. Weit und breit existiert kein Hinweisschild und wenn die beiden nicht genau wüßten, wo man abbiegen muss, man könnte auch zehnmal an der Abzweigung vorbeifahren und würde sie trotzdem nicht entdecken. Zwischen zwei heruntergekommenen Häusern führen kaum erkennbare Reifenspuren – Straße kann man das nicht nennen – über ein staubiges Feld, vorbei an containerartigen Baracken bis hin zu einem Gelände, das ganz offensichtlich ein Knast ist. Mehr oder weniger schwere Jungs lungern im Schatten spärlicher Bäume gelangweilt herum, spielen bei der Gluthitze Fußball oder hängen neugierig winkend am hohen Stacheldrahtzaun. Spätestens hier würde man wahrscheinlich wieder wenden, aber wir wissen ja, dass es der richtige Weg ist. Eine Weile geht es noch durch dichten Busch, Zweige schrappen am Auto entlang und dann sind wir da. Freundlich werden wir von einem Campangestellten empfangen und dürfen uns eine der 4 Campsites aussuchen. Annette und Jochen wählen Site 3, der ihnen letztes Jahr als der schönste erschien. Und in der Tat, das ist er! Üppige tropische Vegetation beschattet einen großzügigen Platz, es gibt eine überdachte Spül- und Kochzeile, ein platzeigenes Klo- und Duschhäuschen und eine wirklich spatiöse hölzerne Flussterrasse.

Aus allen Poren triefend errichten wir unser Lager und lassen uns dann gemütlich auf unserer Terrasse nieder. Leise raschelt Papyrus im lauen Wind, kleine Schwärme von Blutschnabelwebern ziehen malerisch an noch pittoreskeren Wolken vorbei, der Kavango gluckert, Ibisse krächzen und wir genießen die Zeit bis zum Sonnenuntergang. Auf einmal marschieren Menschen, offensichtlich Touris – im Gänsemarsch über unseren Platz, grüßen recht zurückhaltend und verschwinden auf der anderen Seite im Gebüsch. Ein kurzer Blick durchs Buschwerk auf den Nachbarplatz bringt Aufklärung: es ist eine Reisegruppe, die mit Bushways, einem botswanischen Veranstalter unterwegs ist und offenbar noch eine kurze Wanderung zu den Popa Falls macht. Also keine Overlander, Glück gehabt, aber das hätte hier an diesem Ort auch sehr verwundert. Beruhigt wenden wir uns dem einsetzenden Sonnenuntergang zu, der aber trotz der markanten Wolken recht unspektakulär ausfällt. Dafür beginnen die Frösche mit ihrem Konzert und wir mit der Zubereitung des Abendessens, welches wir uns wenig später in dieser exquisiten Atmosphäre doppelt munden lassen. Und dann geht es der Baboki an den Kragen. Heinz köpft die steinharte Frucht gekonnt mit dem Leatherman und schiebt sich unerschrocken ein paar der fruchtfleischummantelten Kerne in den Mund. „Mhm, lecker!“, mümmelt er zwischen den Kernen hervor und hält uns an, doch auch zu probieren. Etwas zögerlich – das Zeug sieht echt nicht appetitlich aus – kosten wir alle und ich bin wirklich erstaunt, wie gut es schmeckt. Zwar ist das Fruchtfleisch recht faserig und auch spärlich, gibt aber beim Lutschen einen mango-limettenartigen Geschmack ab, sehr saftig und fruchtig.

An den Kernen saugend und knabbernd, nehmen wir endlich das Thema Chobe in Angriff. Annette und Jochen haben sich den ganzen Tag Gedanken über mögliche Alternativrouten gemacht, die Annette uns nun in allen Einzelheiten darlegt. Es gibt einige Möglichkeiten, den Chobe zu umfahren, jede Alternative hat so ihre Vor- und Nachteile, birgt ihre Risiken und Ungewissheiten. Ungewiss ist aber auch nach wie vor, ob der Chobe NP nun gesperrt ist oder nicht. Mensch, wir haben doch einen botswanischen Tourguide als Nachbarn! Warum nicht den erst fragen, bevor wir uns hier die Köpfe heiß diskutieren? Gesagt, getan. Der Guide ist recht erstaunt ob unserer Frage, denn der Chobe ist uneingeschränkt befahrbar und von einer Sperrung in den vergangenen zwei Wochen ist ihm absolut nichts bekannt. Keine Ahnung, welcher Fehlinformation unsere nette Nachbarin da auf den Leim gegangen ist; wir sind jedenfalls heilfroh, dass wir planmäßig weiterfahren können. Entspannt lassen wir den Abend auf der Flussterrasse ausklingen, kriechen dann in unsere Zelte, die allesamt kleine Saunahäuschen sind und marinieren dem nächsten Morgen entgegen.

10. November 2009 - Popa Falls Community Camp > Mahango NP > Camp Kwando nahe Kongola

Früh raus aus den Federn ist heute angesagt, wollen wir doch vor unserer Weiterfahrt noch den nahe gelegenen Mahango NP besuchen. Das Aufstehen fällt mir nicht schwer, vielmehr flüchte ich fast aus dem Zelt, denn die Nacht war unerträglich schwül und alles klebt an mir. Zumindest eine kleine Erfrischungs-Katzenwäsche täte jetzt Not, aber am Waschhaus kommt mir Tommi seufzend entgegen – kein Wasser! Wie auch schon gestern Abend, doch da dachten wir noch, die Pumpe sei über Nacht abgeschaltet worden. Verschwitzt und ungewaschen trinken wir rasch ein wenig Tee und knabbern Kekse, bevor wir aufbrechen. Noch ist der Fahrtwind kühl und erfrischend, doch die Strecke zum Mahango Gate ist kurz und als wir dort ankommen, ist die Sonne schon wieder ganz am Horizont erschienen. Ein neuer, schwül-heißer Tag beginnt und trotz der frühen Stunde ist auf den ersten Kilometern nicht viel los, der Park wirkt wie ausgestorben. Wir biegen zu einer kleinen Lagune ab, an der sich in weiter Ferne zahlreiche Wasservögel tummeln. Eine Paviangruppe hängt geradezu lasziv in einem abgestorbenen Baum herum, nur die Kleinsten turnen schon voller Energie. Eine Weile beobachten wir die Affen bei ihrem wohligen Morgensonnenbad, dann fahren wir auf den Hauptweg zurück.











In ziemlicher Nähe kreisen dort einige Geier, Aasgeruch hängt in der Luft, aber egal welchen Weg wir nehmen, wir kommen der Sache nicht näher. Dafür entdecken wir unzählige Tausendfüßler beachtlicher Größe, die wir uns im Schutz unserer Autos näher ansehen. Schön sind sie, wie braun-schwarze, glänzende Bleistifte, mit sich in Wellen bewegenden, kastanienfarbenen Beinchen. Auch ein Spähtrupp tiefschwarzer Matabele-Ameisen ist schon unterwegs, ihre Chitinpanzer blitzen wie frisch poliert im Morgenlicht. Hinter uns ist inzwischen ein weiteres Auto herangefahren, der Fahrer will wissen, was wir da gesichtet haben. „We are here for birding!“, tut er unsere Millipeden verächtlich ab und fährt mit seiner Truppe ungerührt weiter. Na dann viel Spaß, ihr Scheuklappen-Ornithologen. Ich kann ja spezielle Interessen gut verstehen, aber wenn man derart fixiert ist, entgeht einem doch so einiges. Zum Beispiel der idyllische Seerosenteich, an dessen Ufer ganze Felder winzigen Rainfarns wachsen, sich prachtvolle Schmetterlinge und schillernde Libellen tummeln. Oder die mächtigen Baobabs, die nicht nur Laub tragen, sondern auch in voller Blüte stehen. Über all diese kleinen Beobachtungen verfliegt die Zeit und wir müssen schön langsam wieder Richtung Camp. Auf dem Rückweg zeigen sich auf einmal auch größere Tiere: eine Zebraherde, Pukus, einige Hartebeests und zu Patricias Entzücken auch die ersten Elefanten dieses Urlaubs.












Zufrieden kehren wir in voller Mittagshitze ins Lager zurück. Jetzt eine Dusche, danach ausgiebig Frühstücken und dann weiter! Doch die Dusche geht immer noch nicht… Klebrig füllen wir unsere Mägen und bauen danach ab. Jürg kann’s nicht glauben und testet abermals den Wasserhahn – er läuft! Leider etwas zu spät, denn wir müssen nun wirklich los. Kurz noch die Hände gewaschen, ein Schwapps kühles Wasser ins Gesicht und schon sind wir wieder on the road. Kilometer um Kilometer zieht sich die Strecke durch den menschenleeren östlichen Teil des Caprivi, die Augen haben wenig Abwechslung, nur die sich mehrenden Wolken verändern sich permanent. Nette Schäfchenwolken platten sich auf der Unterseite zunehmend ab, formieren sich zu hoch aufragenden Türmen und zeigen damit deutlich ihr Gewitterpotential. Minütlich wird es bedeckter, die Luft knistert förmlich, aber uns erwischt glücklicherweise nur ein kleiner Ausläufer eines mächtigen Gewitters. Glücklicherweise, denn das Dachfenster des grünen Landys ist undicht und muss erst noch abgeklebt werden. Der kurze Regenschauer dringt nicht ins Auto, bringt aber auch keine Abkühlung, im Gegenteil. Die Straße dampft und dunstet schwülfeuchte Schwaden aus, die uns den Schweiß auf die Stirne treiben.

Obwohl schon seit mindestens einer Stunde Elefanten-Warnschilder am Straßenrand zu sehen sind und sich auch die Droppings der Dickhäuter mehren – erspäht haben wir noch keinen einzigen der Rüsselträger. Doch plötzlich, als wir ein kleines Sumpfgebiet überqueren, da sehen wir sie: zwei Caprivi-Elefanten, die zum Trinken durch hohes Schilf vorsichtig ans Wasser kommen. Begeistert sind die zwei Bullen nicht von uns stoppenden Menschen, aber die Distanz scheint doch groß genug, so dass sie sich schließlich ganz aus dem Schilf wagen. Eine ganze Weile beobachten wir die trinkenden und badenden Elefanten, freuen uns an dem zahlreichen Federvieh, das die Wasseroberfläche der Tümpel und umliegenden Bäume bevölkert: Witwenpfeifgänse, Ibisse, Klaffschnäbel, Jacanas und ein Schreiseeadler, der immer wieder seinen charakteristischen Ruf ertönen läßt. Ein richtiges Paradies ist das hier, direkt an der Straße!

Doch Letztere ruft schon wieder, wir trennen uns von Klein-Eden und erreichen nachmittags Camp Kwando, unser heutiges Nachtquartier. Während Annette eincheckt, vertreiben wir uns die Zeit mit der Beobachtung eines kleinen Wildbienenschwarms, der gerade emsig Waben auf einem Blatt baut. Winzig sind diese Bienchen, aber durch das Zoom erscheinen sie wie großköpfige Aliens. Bald kehrt Annette zurück – angemeldet sind wir, aber leider ist es für die vorgesehene Sundownerfahrt auf dem Kwando schon zu spät. Schade, da haben wir uns wohl vertrödelt! Eine Sonnenaufgangsfahrt morgen Früh ist uns auch nicht vergönnt, denn das campeigene Boot ist bereits verplant. Nun ja, jetzt suchen wir uns erst mal ein Plätzchen für unsere Zelte, dann sehen wir weiter.

Wir biegen vom Parkplatz Richtung Campground und sind nicht wirklich angetan von dem, was wir da sehen: der an sich große, schattige Platz ist rappelvoll und wir finden gerade noch so ein Fleckchen, das für unsere fünf Zelte ausreicht. Doch was soll’s, es ist ja nur für eine Nacht. Unter den beobachtenden Augen zahlreicher Nachbarn befreien wir den Rasengrund von stacheligen Akazienzweigen, errichten unser Lager und möchten dann gerne duschen. Doch Schicht-Showern ist angesagt, denn für all die Menschen hier gibt es nur je zwei Männlein- und zwei Weiblein-duschen und die sind natürlich alle besetzt. Annette und ich beobachten das relativ weit entfernte Waschhaus und stürmen los, als die Damenabteilung zwei frisch gewaschene Frauen ausspuckt. Beim Öffnen der Tür des Reinigungstempels klingt uns geschäftiges Rauschen entgegen: besetzt! Aber jetzt sind wir schon mal da, also warten wir vor Ort. Mann, das dauert! Apropos Mann: aus der durch einen Vorhang abgetrennten Zweierduschkabine tönt eindeutig eine Männerstimme hervor. Aha?! Nach zwanzig langen Minuten endlich wird das Wasser abgestellt, die Herrschaften trocknen, cremen, plaudern angeregt, in aller Seelenruhe, lassen sich Zeit, bis schließlich doch noch der Vorhang aufgeht. Und tatsächlich, eine Frau und ein Mann, die uns frisch geduscht freundlich zunicken. „Hello Ladies“, sage ich, „did you enjoy the Ladies’ shower?“ „Uch, Ladies? Oh, so sorry, we didn’t see a sign.“ Sprechen es und rauschen zur Tür hinaus, auf der deutlich sichtbar ein sehr eindeutiges Schild prangt. Nun aber nix wie unter die Dusche, bevor die nächsten Damen, die sich bereits dem Waschhaus nähern, noch an uns vorbeizischen und wir wieder warten müssen.












Ach, ist das herrlich; endlich nicht mehr kleben! Taufrisch wie der junge Morgen kehren wir zu unserem Platz zurück. Jürg, Tommi, Jochen und Sven genießen den lauen Abend im kleinen Pool gleich nebenan und wir, der Rest der Truppe, machen uns langsam an die Zubereitung des Abendessens – heute gibt es Bobotie, einen südafrikanischen Hackfleisch-Auflauf. Heinz, der gerne kocht und immer offen für neue Gerichte ist, schnibbelt, rührt und brutzelt voller Hingabe. Dass laut Rezept ein ganzes Päckchen Rosinen in die Hackfleischmasse gemengt werden soll, dämpft allerdings seine Vorfreude ein wenig, denn auf Früchte in pikantem Essen steht er so gar nicht. Dennoch tut er, wenn auch sehr skeptisch, was das Rezept sagt und bald wandert der Auflauf im Potije ins Lagerfeuer. Während das Bobotie langsam vor sich hin gart, diskutieren wir in kompletter Runde das Programm für morgen Vormittag. Eigentlich war ja ein Dorfschulbesuch vorgesehen, aber bis auf Jürg und Annette verspürt keiner so rechte Lust darauf. Jochens Vorschlag, doch den nahe gelegenen Mudumu NP statt dessen zu besuchen, wird vom Rest der Truppe begeistert angenommen – der optimale Ausgleich für die entgangene Bootsfahrt! Alle sind zufrieden – und hungrig.

Gerade rechtzeitig ist der Auflauf fertig und wir stürzen uns freudig auf das herrlich duftende Essen. Auch Heinz kostet ganz vorsichtig und ist entgegen seiner Erwartungen über die Maßen angetan; das muss zuhause sofort nachgekocht werden! Genüßlich lassen wir uns die Köstlichkeit schmecken und es könnte der perfekte Abend sein, würden nicht schön langsam die Mücken recht zudringlich. Also gehe zum Zelt, um mein Repellent zu holen, widerwillig, denn eigentlich möchte ich nicht schon wieder etwas Klebriges auf der Haut haben. Ich will gerade den Reißverschluss öffnen, als mir direkt über dem Zelteingang ein kleiner dunkler Fleck auffällt. Bei näherem Hinsehen entpuppt er sich als Spinne, die sich auch gerade ihr Dinner munden lässt. Schlaff hängt eine rötliche Raupe zwischen ihren Kieferzangen, wird bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt. Die Augen der Spinne leuchten im Licht meiner Taschenlampe wie zwei funkelnde Steinchen – sie läßt sich nicht im geringsten bei ihrer Mahlzeit stören. Vorsichtig ziehe ich den Reißverschluss auf, greife mir die Mückenschmiere und gleich noch meine Kamera. Ich rufe die anderen herbei und gemeinsam leuchten wir den geduldigen Achtbeiner so aus, dass jedem von uns ein gutes Foto ohne zu harten Schattenwurf gelingt und ich muss wieder mal feststellen, dass mich solche „Kleinigkeiten“ zunehmend begeistern. Beglückt schicke ich mich an, meine Kamera wieder zu verstauen, als Patricia mich fragt, ob ich eigentlich auch den Frosch in der Damendusche gesehen hätte. Frosch? Nein, ich habe keinen gesehen. Aber kein Wunder, bin ich doch ohne Brille blind wie ein Maulwurf. Ob der wohl noch da ist? Auch Sven ist sofort Feuer und Flamme und wir ziehen zu dritt los.

Patricia und ich checken die Lage im Damenwaschhaus, aus dem uns gerade wieder ein Pärchen entgegenkommt, kamerabewaffnet weisen sie uns auf den Frosch hin. Aha, das hat sich also schon herum gesprochen. Und da sitzt er, ganz hinten im Eck, bräunlich mit sandfarbenen Flecken und roten Beinchen. Auch er läßt sich geduldig ablichten. So, dann können wir ja jetzt wieder zurück gehen. Aber nein, halt, wenn ich schon da bin, dann geh ich gleich noch auf’s Klo. Ich sitze gerade auf dem Topf, Patricia und Sven haben mich für mein Bedürfnis alleine gelassen, als jemand das Waschhaus betritt. Schritte klacken über den Fliesenboden, bleiben vor meiner Tür stehen, gehen wieder zurück. Dann ruft eine Frauenstimme: „No, wait, there’s still somebody in here.“ Ah, kombiniere ich, da will wohl noch jemand den Frosch fotografieren und informiere die Stimme, dass sie ruhig hereinkommen könnten, es würde mich nicht stören. Keine Reaktion, keine Antwort. Komisch. Als ich fertig bin und die Klotüre öffne, sehe ich eine junge Schwarze mit verschränkten Armen vor den Waschbecken stehen. Sie ist extrem auffällig geschminkt, steckt in einem hautengen, knappen Kleidchen und gewagten Plateau-Highheels. Statt meinen Gruß zu erwidern, sieht sie mich nur feindselig an. Vor der Tür warten zwei junge Herren, die keine Kamera dabei haben und auch nicht aussehen, als wollten sie fotografieren. Sie ignorieren ebenfalls meinen Abendgruß. Kaum habe ich das Waschhaus verlassen, stürmen die beiden hinein, die Eingangstüre wird mit einem vernehmlichen Klack von innen verriegelt. Na dann viel Spaß und vergeßt die Kondome nicht!

Zurück am Platz erzähle ich von meinem Erlebnis und auch die anderen finden das ganze reichlich befremdlich. Zumal eine halbe Stunde später die Lady alleine an uns vorbeistöckelt und Richtung Campground-Ausgang verschwindet. Die beiden Herren sind nirgendwo zu sehen. Es geht uns ja nichts an, macht aber den Platz nicht unbedingt sympathischer... Trotzdem oder gerade deswegen lassen wir den Abend noch gemütlich plauschend ausklingen, bevor wir müde in die Federn kriechen und uns von den Fröschen den nahen Kwando in den Schlaf quaken lassen.