Freitag, 31. August 2018

7. Oktober 2015; Kigoma, Jakobsen's Beach > Sitalike, vor den Toren des Katavi NP

Morgenstimmung am See
Gemächlich schälen wir uns aus unseren Schlafsäcken und beginnen den noch jungen Tag mit einem ausführlichen Frühstück. Unser bikender Mitcamper eilt etwas später atemlos an uns vorüber, so etwa beim zweiten Toast, und brabbelt irgendwas von Päckle und abhola und weisch. Viel Glück, mir moined des au so! Nachdem der letzte Bissen geschluckt ist, packen wir unsere Habseligkeiten, wühlen uns aus dem Sand der Campsite und starten los. Rauf nach Kigoma, durch die Stadt hindurch, zurück auf die Hauptstraße Richtung Mbeya und dann, endlich, endlich, dem Katavi entgegen! Auf dem ersten Teilstück ist die Straße noch geteert, wir kommen trotz zahlreicher Schlaglöcher rasch voran, dann aber endet der kommode Belag abrupt. Und zwar genau da, wo wir erneut den Malagarasi überqueren. Ruhig fließt der Fluss auf beachtlicher Breite unter uns dahin, zahlreiche Wasservögel vergnügen sich an seinen Ufern, das Schilf wogt, die Fluten gluckern sanft und wir genießen diesen Anblick, bevor wir die geteerte Brücke hinter uns lassen und in wenig befahrenes Buschland abbiegen. Heute ist wieder Kilometer-Schrubben angesagt, darauf sind wir alle gepolt und schalten deshalb auf Durchzug.


Die Straße hat uns wieder
Einer von gefühlten tausend
Spee-Bumps
Der Malagarasi












Zunächst also wird geschrubbt. Dann aber, irgendwann gen Mittag, durchqueren wir ein Gebiet, das Heinz und mich sofort aus dem Durchzugs-Modus reißt: es ist eine felsige Gegend, eine Landschaft, die ein wenig an die dicht gesäten Kopjies in Zimbabwe erinnert und die an sich schon einiges fürs Auge zu bieten hat. Doch hier, und das ist es, was Heinz und mich so erfreut, wachsen unzählige Sukkulenten. Bereits auf den ersten Kilometern sind wir hingerissen: riesige Euphorbien recken ihre stacheligen Arme gen Himmel. Und wo solche Pflanzen derart üppig gedeihen, sind auch andere ihrer Art zu finden! Stopp! Stopp, so rufen wir an einem besonders verheißungsvollen Hügel, nachdem wir uns schon eine ganze Weile vielsagend angesehen haben.


Sukkulenten-Stopp
Neben buschigen und ...
... baumigen Euphorbien gibt
es auch Blüten:








Securidaca longipedunculata
Leptacinia benguelensis
ssp. pubescens
Cycnium sp.


















Folgsam bremst Jochen den Wagen ab und rangiert ihn an den Straßenrand. Annette parkt hinter uns ein und sieht uns verwundert an. „Was ist los? Pinkelpause?“ „Also, Annette, sieh dich doch mal um, dann weißt du sofort, warum wir hier halten!“ „Ach so, Pflanzen. Hätt ich mir ja denken können. Aber wir haben fei nicht viel Zeit, schließlich müssen wir heute noch nach Sitalike kommen!“ „Ach ja, wir werden das schon schaffen. Doch wir können hier beim besten Willen nicht einfach vorbeifahren, ohne uns näher umzusehen!“ Und schon sind Heinz und ich im felsigen Gelände verschwunden. Oh Mann, was hier alles wächst! Riesige Euphorbien und wundervolle Aloen bevölkern die steinigen Hügel, in jeder Ritze klammert sich ein sukkulenter Schatz fest und wir kommen aus dem Schauen und Erkunden gar nicht mehr raus. Wir klettern in den Felsen umher, die Zeit verfliegt und bald fordert uns Annettes ungeduldiges Rufen zum Abbruch unserer kleinen Exkursion auf. Eine Weile gelingt es uns, das Rufen auszublenden, dann aber geben wir ihm schweren Herzens nach und kehren zu den Autos zurück. „Na endlich! Ich hab doch gesagt, wir haben nicht ewig Zeit!“ Ja, sie hat ja recht, irgendwie, aber so tierisch beeilen müssen wir uns auch nicht! Etwas angesäuert klettern wir wieder in die Autos und tuckern weiter. Sehnsüchtig starren Heinz und ich auf den nächsten Kilometern in die Landschaft, die sich langsam, fast unmerklich, verändert. Das Gelände wird flacher, die Bäume weniger und die Vegetation noch interessanter. So interessant, dass wir es schließlich nicht mehr aushalten. „Jochen, egal, was Annette sagt, aber wir müssen hier nochmal raus!“ Jochen hat kein Problem mit einem weiteren Stopp und tritt in die Bremsen, was seine Gattin natürlich nicht gutheißt. Mit tadelndem Blick sieht sie uns an und schüttelt empört ihren Kopf. „Nicht schon wieder Pflanzen, oder? Nach Sitalike ist es noch ein Stück und in der Dunkelheit fahren wir nicht. Oder sollen wir gleich hier übernachten?“ Nein, natürlich nicht! „Gut, dann macht, was ihr wollt, wir fahren auf jeden Fall weiter. Ihr werdet uns dann schon irgendwann wieder einholen...“


Aloe sp.
Aloe sp.
Euphorbia sp.








Euphorbia sp.
Euphorbia sp.
Leider müssen wir weiter








Senecio sp.
Euphorbia sp.






Annette spricht’s und schwingt sich wieder in ihr Auto, während uns Jochen beruhigend zunickt. „Ne halbe Stunde geht schon. Reicht euch das?“ Wie die Pfeile flitzen wir los und delektieren uns im Eiltempo an dieser fantastischen Flora. Hier dominieren diverse Arten kleinerer Euphorbien, zierliche Aloen bezaubern uns mit ihren stachelgesäumten Blättern, sukkulente Korbblütler recken uns ihre apart gemusterten Triebe entgegen und wir könnten uns sicher mehrere Tage vergnügen, ohne dass uns langweilig würde. Doch die Pflicht ruft, eine Pflicht, die in diesem Falle ja auch nicht gerade unangenehm ist. Deshalb verlassen wir nach der abgemachten halben Stunde unser Sukkulentenparadies, zwar schweren Herzens, aber dennoch glücklich, es gesehen haben zu dürfen. Brav steigen Heinz und ich in den grünen Landy, seufzen schwermütig, dann gibt Jochen Gas und keine halbe Stunde später haben wir Annette wieder eingeholt. „Pinkelpause, oder wie?“, fragen wir süffisant. „Ja, muss eben auch mal sein!“ Na gut, dann entleeren auch wir unsere Blasen und anschließend kann es Non-Stop nach Sitalike weitergehen, versprochen!

Blühender Wurzelparasit ...
... und seine Früchte?
Hornrabe im Wald









Busverkehr
Verkaufsstände in Sitalike
Ja, endlich da!









Mädchen mit Kind
in Sitalike




Wir alle halten unser Versprechen und erreichen so tatsächlich am späten Nachmittag unser Ziel. Sitalike, ein winziges, staubiges Kaff im Westen Tansanias, das nichts Großartiges zu bieten hat. Es liegt direkt an der B8, schwere Lkws rumpeln durch den Ort, der aus ein paar Häuschen, ein paar Shops und einem Büro der Nationalparkverwaltung besteht. Sagte ich eben tatsächlich, es habe nichts Großartiges zu bieten? Falsch! Sitalike liegt an der nördlichen Grenze des Katavi Nationalparks – der, ich erinnere, einer meiner Lebensträume ist. Und der Katuma River, der den Katavi durchquert, fließt auch durch Sitalike. Momentan, wir haben Trockenzeit, fließt der Katuma nicht, er schlammt eher in feuchten Pfützen und trockenen Passagen vor sich hin. Den Nilpferden, die diesen Fluss bewohnen, ist die Nationalparkgrenze egal – nur die verbleibenden Pfützen sind wichtig – und einige davon befinden sich südlich der Brücke, auf der die Durchgangsstraße aus dem Ort herausführt. Und sie befinden sich direkt an den Campgrounds des Riverside Hotels, auf dessen Gelände wir heute übernachten werden. Wir fahren, nachdem wir im Ort noch ein paar Getränke besorgt haben, auf besagte Brücke und sofort ist alle Schwermut über die nur kurz besichtigten Sukkulenten bei mir vergessen: hier, direkt unter mir, liegt ein Flusslauf voll mit Nilpferden! Die grauen, massigen Leiber drängen sich dicht an dicht und ihre runden, glänzenden Rücken sehen aus wie eine regenfeuchte, kopfsteingepflasterte Straße. Herr Poliza, das ist DAS Bild das ich im Kopf hatte! Und nun bin ich noch nicht mal im Nationalpark drin, aber all meine Sehnsüchte haben sich bereits erfüllt! Ich bin völlig hingerissen, geplättet, begeistert, fasziniert, atemlos.

Blick von der Brücke
Unglaublich!
Tierisches Kopfsteinpflaster











Nun, atemlos kann man hier aus zweierlei Gründen werden: erstens verströmen die unzähligen Hippos in ihren Pfützen einen unglaublich strengen Geruch, der einem das Luftholen ein wenig schwer macht. Das aber nehme ich in meiner Begeisterung gar nicht so wahr, denn es ist, zweitens, ein wirklich unfassbarer Anblick, der von einer noch unfassbareren Geräuschkulisse untermalt wird! Meine Freunde sind auch begeistert, doch bei mir reicht der Ausdruck „Begeisterung“ bei weitem nicht aus. Am liebsten würde ich sofort mein Zelt aufschlagen, hier, auf der Brücke! „Barbara, reiß dich los! Die Campsite ist auch direkt am Fluss und du wirst mehr Nilpferde kriegen, als dir vielleicht lieb ist.“ Nur zögerlich gebe ich Annettes und Jochens Worten statt. Doch sie müssen es ja wissen, schließlich waren sie schon mal hier. Also besteigen wir unsere Gefährte und kurven runter zum Camp, das ein paar kleine Bungalows und eine Campsite offeriert. Wir durchqueren eine Toreinfahrt, von der aus man auf ein paar winzige, recht heruntergekommene Gebäude und einen großzügigen Platz blicken kann, der mit spärlichen Grasbewuchs aufwartet und der, sehe ich da recht, von unzähligen Nilpferdhaufen übersät ist! Woah, die Dicken kommen hier raus? Ja! Erst, als wir den eigentlichen Campground erreichen, realisiere ich, wie nahe wir den Tieren heute Nacht sein werden: da ist ein Zaun, der den Namen eigentlich nicht verdient – er besteht aus windschiefen, verfallenen Brettern und ist nicht länger als sechs Meter –, fünf Meter neben diesem „Zaun“ fällt ein steiles Ufer zum Katuma River ab und auch in diesem Flussabschnitt liegen die Hippos Bauch an Bauch, Po an Po, Kopf an Kopf. Links vor uns, auch in greifbarer Nähe, plätschert etwas Wasser in einem tiefen Erdriss herab und dort grunzt es ebenfalls heftig. Ich kann mein Glück kaum fassen – wir sind quasi von Nilpferden umzingelt! „Wo wollen wir unsere Zelte aufbauen?“, fragt Annette. „Am liebsten da unten, neben dem sogenannten Zaun!“, antworte ich wie aus der Pistole geschossen und sehe die anderen erwartungsvoll an. Denen ist es recht, und so lassen wir uns, nach kurzen Anmeldungsformalitäten, an meinem Wunschort nieder. Heinz und ich errichten unser Zelt direkt an diesem wackeligen Holzkonstrukt, Gabi, Annette und Jochen nehmen ein paar Meter Abstand und Erika sorgt sich ohnehin nicht übermäßig, denn sie nächtigt ja im Dachzelt. Perfekt, nun kann der Abend beginnen!

Unser Lager am Katuma
Der „Zaun“, dahinter der Fluss
Blick vom Zaun











Entspannt nehmen wir an unserem Tisch Platz und lassen uns erst mal einen Sundowner schmecken, bevor wir mit den Vorbereitungen fürs Abendessen beginnen, die von erregtem Hippo-Gegrunze begleitet werden. Und deshalb bin ich heute auch nicht ganz bei der Sache. Ich schäle ein paar Zwiebeln, hüpfe aber immer wieder aufgeregt zu unserem Zelt, stütze mich auf den Zaun und beobachte die Hippos, die langsam aber sicher in Dämmerungs-Modus kommen – sie schicken sich an, den Fluss zu verlassen! Selig lächelnd liefere ich die geschälten Zwiebeln bei meinen Freunden ab und beteilige mich fortan – zum ersten Male überhaupt – nicht mehr an den Kocharbeiten. Schließlich muss ich ja kucken! Und es ist ein Anblick ohnegleichen! Ein Nilpferd nach dem anderen hievt sich aus den schlammigen Resttümpeln, grunzt und schnaubt, und stemmt sich anschließend mit kurzen Beinchen, aber erstaunlich gewandt, am gegenüberlegenden Steilufer nach oben, um im spärlichen Grün zu verschwinden. Dann geht die kurze Dämmerung rasch in absolute Dunkelheit über, das Essen ist fertig und wir können fortan nur noch lauschen, nicht aber mehr sehen. Trotz der anschwellenden Geräuschkulisse vergeht keinem von uns der Appetit, wir lassen uns ein würziges Gulasch schmecken, zubereitet mit vom deutschen Metzger eingedostem Fleisch und ungarischer Paprika-Paste und lauschen nebenbei genüsslich den vielsagenden Lauten einer extrem nahen Flusspferd-Population. Ich bin im siebenten Himmel!

Dann schreitet der Abend voran. Die leisen Schritte der Wasserdickhäuter und ihr lautstarkes Geschnorchle kommen plötzlich von mehreren Seiten. Vorsichtig leuchten wir in die Dunkelheit – nun sind sie auch aus der Rinne unterhalb der Campsite geklettert, verlassen den Fluss auf unserer Seite und ziehen rund um uns herum ihre nächtlichen Bahnen! Wie gebannt sitzen wir an unserem Tisch; Hippos hinter uns, vor uns, auf allen Seiten neben uns, es grunzt, es schnorchelt, es tapst, es rupft, es kaut. „Ich wäre ja jetzt müde!“, vermeldet Erika gähnend. „Ne, jetzt noch nicht, warte, bis der Weg frei ist!“ Und so sitzen wir inmitten der grasenden Flusspferde und harren der Dinge, so lange, bis wir uns, einer nach dem anderen, gefahrlos ins Zelt begeben können. Heinz und ich, die unser Zelt der Aufstiegszone der Nilpferde am nächsten aufgeschlagen haben, warten naturgemäß am längsten, bis auch wir uns endlich ins Bett verdrücken können, ohne auf dem Weg dorthin einem missgelaunten, hungrigen Hippo in die Quere zu kommen. Absolut irre – nicht ins Zelt zu kommen, weil eine Flusspferdautobahn vor deinem Schlafzimmer verläuft! Absolut irre...

Mittwoch, 29. August 2018

6. Oktober 2015; The Middle of Nowhere > Kigoma, Jakobsen’s Beach and Guesthouse, Lake Tanganjika


Alles war ruhig heute Nacht, niemand hat sich in unserem Lager zu schaffen gemacht, wir erwachen völlig unbeschadet, haben aber trotzdem nicht die nötige Ruhe, entspannt noch ein paar Minuten länger liegen zu bleiben, denn wir hören Menschen. Menschen, die mit Fahrrädern und zu Fuß an uns vorbeiziehen, auf dem Weg zur (Feld-)Arbeit. Sie alle sehen uns neugierig an, verhalten sich aber eher schüchtern bis zurückhaltend, ziehen den Kopf ein und nicken allenfalls andeutungsweise in unsere Richtung. Niemand kommt und will Geld von uns, niemand fragt nach unserer Genehmigung für eine Übernachtung, niemand kommt uns nahe. Wir werden leicht verwundert, aber dennoch erstaunlich selbstverständlich zur Kenntnis genommen. Erleichtert, dass wir die Nacht unbeschadet überstanden haben und unsere Präsenz so unaufgeregt hingenommen wird, werde ich mutiger: jedem, der des Weges kommt, schmettere ich ein herzliches „Habari asubuhi!“ entgegen - Guten Morgen auf Suaheli. Verdutzte Blicke der Passierenden treffen mich; eine Weiße, die Suaheli spricht! Gott sei Dank jedoch haben es die vorbeiziehenden Menschen eilig und wissen nicht, dass sich meine Sprachkenntnisse damit auch schon fast erschöpfen. Ein tansanisches Grußritual nämlich ist kompliziert und nach dem „Guten Morgen“ wüsste ich schon nicht mehr wirklich weiter. Habari asubuhi heißt wörtlich „Wie ist der Morgen?“ Darauf wird eigentlich eine kurze Antwort nebst Gegenfrage erwartet, zum Beispiel: „Gut. Was macht die Arbeit?“, wiederum gefolgt von einer Antwort und einer Gegenfrage. „Sehr gut. Wie geht es den Kindern?“, und so weiter. Beendet wird der Fragereigen schließlich mit einem abschließenden „Asante. Salama.“, erst dann geht man auseinander oder beginnt das eigentliche Gespräch. Um derartige Grußprozeduren sicher und fließend durchstehen zu können, fehlen mir erstens, ganz ehrlich gesagt, die entsprechenden Worte, und zweitens, noch ehrlicher gesagt, das Verständnis. Warum sollte ich einen wildfremden Menschen nach dem Gang seiner Arbeit fragen, nach dem Befinden seines Ehepartners oder seiner Kinder? Warum sollte ich solche Fragen beantworten, wo ich doch nicht mal einen angetrauten Gatten und erst recht keine Kinder habe? Soll ich etwa lügen? Ja! Lügen werden in einem derartig ritualisierten Blabla hingenommen, denn es sind ja keine Fragen ehrlichen Interesses und man will deshalb auch nicht unbedingt aufrichtige Antworten hören. Frage: „Was macht die Gesundheit?“ Erwartete Antwort ist zumindest ein „Gut!“, auch wenn der Gefragte sichtlich ausgezehrt ist und auf allen Vieren daherkommt. Lediglich einem sehr guten Freund gegenüber darf der Sieche in diesem Ritual zugeben: „Nzuri kidogo – nicht ganz so gut.“ Irgendwie faszinierend, gleichzeitig aber auch völlig bekloppt! Aufgrund dieser, für mich total unergründlichen Verfahrenswege, bin ich sehr froh, dass die Passanten in ihrer morgendlichen Eile und ethnischen Verdutztheit nicht auf solch seltsamen Gepflogenheiten beharren, sondern lediglich meinen Gruß zur Kenntnis nehmen, kurz nicken, etwas murmeln und dann hurtig weitereilen.

Ein Amethyst-Glanzstar ...
... und seine Frau
Brücke über den Malagarasy










Und auch wir eilen weiter, so schnell wie eben möglich, denn schließlich befinden wir uns hier unerlaubterweise auf fremdem Land und möchten außerdem gerne möglichst viel unserer gestern verlorenen Zeit wieder aufholen, um wenigstens noch ein paar geruhsame Stunden an den Gestaden des Tanganjikasees verbringen zu können. Nach einer raschen Packaktion, ein kurzes Frühstück und einige Vogelbeobachtungen inklusive, ötteln wir schließlich zurück auf die B8, die uns in altgewohnter Staubigkeit empfängt und Richtung Süden weiterleitet. Wenig später überqueren wir eine Brücke und blicken auf einen ansehnlichen Fluss hinab. Die Karte gibt Auskunft: es ist der Malagarasi, der zweitgrößte Fluss Tansanias, und der Ort, an dem wir heute übernachtet haben, liegt in minimaler Entfernung zum Nachbarland Burundi – gerade mal zwanzig Kilometer trennten uns von der Grenze zu dem Land, aus dem in den vergangenen Jahren fast eine Million Menschen geflohen sind. Tja, rein lagetechnisch gesehen nicht gerade der beste Platz, um eine Nacht im Zelt zu verbringen... Angesichts dieser Tatsache sind wir nun doppelt froh, dass alles so problemlos gelaufen ist und wir in keine prekäre Situation geraten sind. Und für heute Nacht, sofern das Auto durchhält, haben wir ja ein sicheres Ziel. 

Es staubt wie Hölle
Gefährlich naher Gegenverkehr
Die Fußgänger tun mir leid!











Die Radler auch ...
Langsamer heißt weniger Staub
Bananentransport









Wohlgemut staubwolken wir uns diesem entgegen, immer Richtung Süden, weichen mittlerweile schon fast virtuos dem schlingernden Gegenverkehr aus und erreichen schließlich gen frühen Mittag die Zubringerstraße nach Kigoma, die wunderbarerweise geteert ist. Wenig später, der Verkehr hat schon wieder beträchtlich zugenommen, entern wir die Stadt, in der die deutsche Vergangenheit besonders deutlich zu spüren bzw. zu sehen ist. Diverse Gebäude, unter anderem der Bahnhof und einige andere öffentliche Bauten, sind so offensichtlich kolonialen Ursprungs, dass sie der ansonsten recht afrikanischen Stadt ein ganz eigenes Flair verleihen. Ein Flair, das schwer zu beschreiben ist: einerseits verströmt Kigoma einen Hauch deutscher Solidität, etwas Altmodisch-Heimeliges, andererseits aber fügen sich die Bauwerke so selbstverständlich in das Stadtbild, in das Tagesgeschehen dieses betriebsamen Ortes ein, dass man ihn sich anders gar nicht vorstellen kann. Eigen eben und nur unzureichend in Worte zu fassen. Doch wir haben ohnehin nicht lange Gelegenheit, dieses Ambiente auf uns wirken zu lassen, denn, nachdem wir durch das Zentrum gekurvt sind, biegt eine Stichstraße nach links ab und bringt uns an das Ufer des Tanganjikasees, genauer gesagt in das lange ersehnte Resort namens Jakobsen’s Beach and Guesthouse, das seinen Gästen angeblich einen der schönsten Strandabschnitte dieser Region bietet. Gespannt erledigen wir unsere Formalitäten an der Rezeption, die etwas oberhalb des Sees liegt, und kurven danach hinunter, dorthin, wo die Campingplätze ausgeschildert sind. Auch diese liegen nicht direkt am See, aber immerhin kann man von hier aus schon den Wellenschlag des zweitgrößten Binnengewässers Afrikas vernehmen. Wir suchen uns ein nettes Plätzchen. Eine tiefsandige, ebene Terrasse, eine überdachte Fläche, die Koch-, Grill- und Spülgelegenheit unter ihrem Schatten beherbergt, keine anderen Gäste weit und breit. Ja, das gefällt uns! 

Wir nähern uns Kigoma
Noch in den Vororten
Jetzt mittendrin











Bahnhof von Kigoma
Schwimmreifen und Räder
- eine runde Sache
Feudale Villen am Stadtrand









Doch wir haben uns zu früh gefreut: unsere Autos sind kaum geparkt und wir haben uns gerade mal oberflächlich umgesehen, als auch schon ein Angestellter des Camps herbeieilt und uns vertreibt. Hier nicht, das sei ein reservierter Platz mit Strom und anderem Komfort, für was oder wen auch immer – für ein Wohnmobil jedenfalls ist die Zufahrt definitiv zu unwegsam. Wir hingegen, die wir nur mit Zelten unterwegs seien, müssten weiter drüben unser Lager aufschlagen. Unmissverständlich deutet der Angestellte nach links. Nun gut, wenn es so sein soll... Annette chauffiert ihren Wagen in die angegebene Richtung, Gabi, Erika und Heinz folgen ihr zu Fuß, und alle sind ziemlich schnell verschwunden. Ich tauche soeben aus den Tiefen des unter des Platzes liegenden Buschwerks auf und will ihnen hinterherdackeln, als Jochen seinen Landy anwirft und ebenfalls startet. Leider aber hat er noch den Rückwärtsgang drin und rutscht mir, mit dem Heck voran, durch den losen Sand entgegen. „Scheiße! Barbara, ihr müsst gegenhalten!“ Ich rufe nach den anderen, doch sie sind schon zu weit weg, um mich zu hören. Fuck! Kurzerhand demontiere ich deshalb die Grillstelle des uns verwehrten Platzes und schiebe Ziegelstein um Ziegelstein unter die abgleitenden Hinterreifen. Gute zwei Tonnen Blech mitsamt Inhalt bauen sich bedrohlich über mir auf, Sand rutscht unter mir und den Reifen des Land Rovers weg, ich werde allmählich panisch, doch dann, ich dresche den letzten Stein in den sandigen Abhang, fängt sich der Wagen plötzlich. „Jochen, wir haben Halt. Versuchs jetzt!“ Sanft, aber bestimmt gibt er Gas, die Reifen schrubben Sand auf die Ziegelsteine, das lose Geriesel verdichtet sich kurzzeitig – und mit einem kurzen Knirschen hebt sich der Landy aus der Vertiefung. Puh, Gott sei Dank! Erleichtert dackle ich Jochen und seinem Auto hinterher, bis wir schließlich unbeschadet die uns zugewiesene Campsite erreichen, wo die anderen bereits ungeduldig auf uns warten. „Na, da seid ihr ja endlich! Was habt ihr denn so lange gemacht?“ „Ach nix, nur die Grillstelle umgeschichtet...!“

„Unser“ Strand ...
... ist wirklich schön!
Badenixe Heinz












Alles müssen sie ja auch nicht wissen, vor allen Dingen jetzt, wo wir endlich mal eine Weile zur Ruhe kommen können, wenn auch kürzer als geplant. Jochen sieht mich dankbar an und geht erleichtert zum Erholungsprogramm über. Ich hingegen messe dem Ausgespanne am See nicht so viel Bedeutung bei wie meine Mitreisenden. Ein See, Wellen, Strand, Nichtstun. Schön, aber nicht interessant. Dafür muss ich nicht nach Afrika fliegen und ein paar der kostbarsten Tage des Jahres opfern, um am Ufer eines Gewässers rumzusitzen. Möchte ich das tun, dann fahre ich an den Starnberger See, den Ammersee oder den Thanninger Weiher. Die sind alle eine halbe Stunde von meinem Wohnort entfernt, das Wasser schwappt und die Umgebung ist auch schön. Okay, die Nummer mit der Lichtmaschine hätte ich jetzt auch nicht unbedingt gebraucht, aber nun, da alles wieder gut zu sein scheint, möchte ich diese Erfahrung nicht missen und bin fast froh, sie gegen anderthalb fade Tage am Strande des Tanganjikasees getauscht zu haben. Ein halber Tag Badepause, das geht, das ist verkraftbar. Aber wenn ich meine Freunde sehe, dann will ich mich auch gar nicht mehr beschweren: sie werfen alle Klamotten von sich, springen in mitgebrachte Badedresses, anschließend in die kühlen Fluten des Lake Tanganjika und freuen sich wie die Kinder. Ich platziere mich indessen in einem Bambus-Liegestuhl am Ufer des Sees, bohre meine Zehen in den warmen Sand, sehne mich nach dem Katavi und delektiere mich zur Überbrückung dieser Sehnsucht am Genuss meiner Reisebegleiter. Es sei ihnen gegönnt!

Chillen in seiner Reinform
Blaue Stunde am See
Malerischer Sonnenuntergang










Doch irgendwann finden auch deren Badefreuden ein Ende und wir wandern wieder auf unsere Campsite, um uns wichtigeren Dingen zu widmen. Duschen, Wäsche waschen, Equipment ordnen, Abendessen zubereiten und die Zutaten hierfür vor zudringlichen Meerkatzen schützen. Ein gemächlicher Spätnachmittag gleitet an uns vorüber. Diese Ruhe wird nur durch einen Mitcamper gestört, der sein Zelt auf dem selben Platz errichtet hat und bei unserer Ankunft offenbar noch unterwegs gewesen war. Nun kehrt er zurück und wir erfahren, in epischer Breite, wie lange er schon hier ist und warum und was er heute erledigt hat und wo und überhaupt. Nicht falsch verstehen: der junge Stuttgarter ist echt ein netter Kerl. Er ist mit seiner BMW-Tourenmaschine unterwegs, seit längerem schon, hat Afrika durchquert und wollte eigentlich bereits zuhause sein, doch ein Stein, der seiner Bremsscheibe einen Schlag versetzte, bereitete der Tour ein vorläufiges Ende. Nun wartet er seit Wochen auf ein Ersatzteil, um seine Route fortsetzen und in Kapstadt beenden zu können. Ich bewundere seinen Mut, eine derartige Reise durch den ganzen Kontinent alleine in Angriff genommen zu haben, ich bedauere seine Zwangspause, aber, so leid es mir tut, ich kann mir sein überausführliches, schwäbelndes Gesülze über technische Probleme nicht anhören. Es ist ja immer nett und informativ, sich mit anderen Leuten, Reisenden wie auch Einheimischen, zu unterhalten, aber was zu viel ist, ist zu viel! Wenn er wenigstens von Erlebnissen auf der bereits absolvierten Strecke erzählen würde. Doch nein! Musch, weisch, hasch, brauchsch, Bremsscheib, Stoi, Päckle, warta, repariera, schbinnsch, da brauchsch nix mehr... Wie eine Gebetslitanei leiert er sein Steinschlagunglück wieder und wieder herunter, gestützt durch sein Fachwissen – weil er ja bei Porsche arbeitet, weisch?! Wir alle klinken uns aus, allein Jochen klebt förmlich an den Lippen des labernden Bikers und erhofft sich wohl fachmännische Ratschläge bezüglich unserer eigenen Probleme. Doch er hofft vergeblich, denn ein Land Rover ist eben kein Porsche, eine angeschlagene Lichtmaschine erst recht keine durch einen Steinschlag demolierte Bremsscheibe und ein Auto kein Bike. Und ein hochbegabter Schwätzer schlägt ohnehin jeden, der einem derartigen Redeschwall nicht viel entgegenzusetzen hat, verschdehsch?! Schließlich streicht auch Jochen die Segel und reiht sich wieder in unsere traute Abendrunde ein, die wir essend, trinkend und genießend zu späterer Stunde genüsslich beenden und uns dann wohlig in unseren Zelten verstauen. Guads Nächtle!