Dienstag, 27. Januar 2015

1. April 2013, CKGR, Sunday Pan > Gweta, Planet Baobab

Frühmorgens schälen wir uns aus den Schlafsäcken - wir wollten ja mit den Hühnern aufstehen; leider aber haben diese ihren Schlafbaum schon verlassen und nehmen, ohne einen Abschiedsgruß hinterlassen zu haben, ihr Frühstück in den Weiten des Buschs ein. So lassen auch wir uns an unserem Tisch nieder und stärken uns für die bevorstehende, lange Fahrt nach Gweta, die wir heute noch zu absolvieren haben. Nach dem Morgenmahl packen wir mal wieder unsere Siebensachen und alles geht, wie immer, seinen gewohnten Gang. Nur ein Gang ist neu: zu unserem Erstaunen nämlich entdecken wir unter Heinz’ und meinem Zelt einen Buddelgraben, etwa anderthalbhalb Meter lang, der auf meiner Liegeseite von den Füßen auf ungefähre Pohöhe hochführt. Was das wohl für ein Tier war und, vor allen Dingen, wann hat es dieses Werk geschaffen? Gehört oder gespürt habe ich es jedenfalls nicht. Doch es muss mächtig am Schaufeln gewesen sein, das ominöse Wesen; davon zeugt ein mächtiger Sandwall am Rande unseres Zelts. Und wahrscheinlich war es eher ein nachtaktives Tier. Mal wieder staune ich über meinen Bombenschlaf, und wir alle über das, was so um uns herum passiert, ohne dass wir es bemerken...

Ominöser Gang
Meister Oryx
Bruder Gnu














Die Tiere müssen manchmal offenbar eine bestimmte Größe haben, damit wir Menschen sie sehen. So wie die beiden Giraffen, die wir bald nach Verlassen unseres Camps am pan-eigenen Wasserloch antreffen. Die Langhälse schicken sich gerade zum Trinken an, unterbrechen aber ihr Vorhaben, da sie sich von unserer Ankunft gestört fühlen. Mißtrauisch werden wir beäugt, nach einer Weile jedoch für harmlos befunden und die umständlichen Verrenkungen beginnen von Neuem. Zentimeter für Zentimeter werden hierfür die beiden Vorderbeine immer weiter gespreizt, bis der Hals zum Wasser gebeugt werden kann - permanentes, aufmerksames Sichern ist dabei natürlich oberste Pflicht. Und obwohl wir schon oft trinkende Giraffen sehen konnten, ist solch ein Anblick doch immer wieder schön, zumal ich mir nie eine leise Erleichterung verkneifen kann, wenn ich Zeuge des Erfolgs dieser oft recht zeitraubenden Trinkvorbereitungen bin. Unseren beiden Langhälsen sind allerdings nur wenige, kleine Schlucke vergönnt, denn nebenan geraten sich zwei Oryxböcke in die Haare und schrecken mit ihren Kampfeshandlungen sowohl die zwei Giraffen hoch, als auch ein friedlich im Wasser stehendes Gnu. Sofort gerät Hektik in die vormals so friedliche Szene, die noch verstärkt wird, als zwei weitere Autos an der Tränke eintreffen. Die Giraffen galoppieren in dem für sie typischen, schaukelnden Laufschritt vom Wasserloch weg und verstecken sich hinter ein paar Bäumen, das Gnu flüchtet Hals über Kopf und die beiden Spießböcke sind davon so irritiert, dass sie ihrerseits nun ebenfalls Gas geben.

Friede, Freude, Eierkuchen...
...am Wasserloch
Man will trinken










So bleibt den Neuankömmlingen nur der Blick auf die sich entfernenden Kehrseiten dreier Antilopen und das daraufhin zurückbleibende Kräuseln der verlassenen Wasseroberfläche. Zur Entschädigung jedoch werden sie umgehend von Annette en detail in unser Löwenabenteuer eingeweiht. Ein Verhalten, das unter Safariisten übrigens weit verbreitet ist: nach einer kurzen Begrüßung und einem abtastenden Woher-Wohin werden sofort und gerne die Großwilderlebnisse miteinander geteilt, meist nach dem fast unverhohlen Motto „Meiner ist größer als Deiner!“. In gewisser Weise ähneln Safaritouristen darin Jägern oder Anglern, deren Erlebnis-Berichte vergleichbare Ziele verfolgen und zudem meist noch extensiv ausgeschmückt werden. Allen drei Spezies aber ist eines gemein: es spricht der Stolz aus ihnen und je einzigartiger die Sichtung war, desto neidischer sind die anderen. Der Neid der Neuankömmlinge ist uns in diesem Falle auch gewiss, vor allem, weil die Löwen auf Nimmerwiedersehen von der Campsite verschwunden sind und somit jede Hoffnung auf eine Wiederholung der Sichtung vergebens ist. Heinz und ich halten uns aus dem Gespräch heraus, denn wir sind weder mit Stolz erfüllt, noch können wir den Drang nachvollziehen, sich über Großwilderlebnisse austauschen zu müssen, an deren Interessenspitze stets Großkatzen stehen. Wir könnten zur Abwechslung ja über unseren Perlhuhnnachmittag berichten, meint Heinz grinsend, als wir beide auf allen Vieren durchs Gebüsch krabbeln und einen Rotbrustwürger belauern...

1. Vorschnuppern
2. Grääätschen
3. Trinken










Naja, dass das wohl niemanden so wirklich interessieren dürfte, ist uns durchaus klar und auch, dass wir in dieser Hinsicht etwas untypisch sind. Doch jeder nach seiner Façon, nicht wahr? Nach einem kurzen Pläuschchen verabschieden wir uns wieder, wünschen den anderen noch viel Safariglück und setzen unseren Weg fort, der uns über weite Strecken durch das Gebiet führt, das Annette und Jochen auf ihrem gestrigen Gamedrive bereits recht ergebnislos erkundet hatten. Auch heute sind nur wenige Tiere unterwegs, dafür aber breitet eine stetig wechselnde Vegetation ihr Füllhorn über uns aus, darunter viele Pflanzen, die wir noch nie zuvor gesehen haben. Allzulange jedoch können wir heute nicht botanisieren, denn die Strecke bis Gweta ist noch eine lange. Gen Mittag schließlich erreichen wir, nach ewigem Geöttel durch den Busch, die Gravel Road, die zum östlichen Ausgang des CKGR, Matswere Gate, führt und kommen nun schneller voran - die Pad ist in recht gutem Zustand und links und rechts von hohem Gestrüpp gesäumt, sodass wir nicht mehr ständig von neuen Pflanzensichtungen abgelenkt werden. Nur ein Erlebnis erregt zwischendurch noch unsere Aufmerksamkeit: auf halber Strecke zum Gate steht plötzlich die Fahrspur unter Wasser! Ursache ist eine defekte Wasserleitung, aus der munter sprudelnd das kostbare Nass herausdrückt und nun sinnfrei in der näheren Umgebung versickert. Als wir am Gate ankommen, melden wir das den zuständigen Rangern, ernten jedoch nur ein desinteressiertes Achselzucken. „Kann schon sein...“, meint der Beamte hinter der Theke mit einem müden Augenaufschlag. Auch mit unserer Frage nach den erkrankten Löwen locken wir niemandem hinter dem Ofen hervor. „Jaja, das haben schon mehrere Touristen gemeldet. Aber keine Ahnung, was denen fehlt.“ Von Tuberkulose oder FIV hat der gute Mann offenbar noch nie etwas gehört. „Die sterben halt, wie wir alle auch...“ Leicht irritiert lassen wir das dröge Parkpersonal hinter uns. Das nicht vorhandene Engagement, das wir soeben kennenlernen durften, stimmt nicht eben optimistisch, vielleicht aber hatten wir auch nur mit den falschen Personen zu tun, beruhigen wir uns. Auch bei uns zuhause gibt es bekanntermaßen solche Sesselpupser, die mit blickdichten Scheuklappen ausgestattet sind und sich stets in engen Zuständigkeitsbereichen bewegen, während andere schon lange tatkräftig in Aktion getreten sind. Und engagiertere Leute als die beiden Schlaftabletten am Gate gibt es bestimmt auch hier; das zumindest wünschen wir dem Central Kalahari Game Reserve und allen anderen Parks von Herzen!

Unbekannt
Dipcadi sp.
Heliotropium sp.










Nachdenklich fahren wir weiter, schunkeln durch staubiges, von Fahrspuren zerfressenes Grasland und treffen schließlich bei dem wenig einladenden Örtchen Rakops auf die Teerstraße, die sich an der Westgrenze der Makgadigadi Pans, am Boteti River entlang, nach Norden schlängelt. Nach etwa 100 Kilometern ruhiger Fahrt wenden wir uns bei Motopi nach rechts, durchqueren den Korridor zwischen dem Makgadigadi Pans und dem Nxai Pan Nationalpark und kommen gen Nachmittag endlich in Gweta an. Etwas außerhalb der Ortschaft, ein riesiges Erdferkel aus Beton fungiert als unübersehbarer Wegweiser, biegen wir schließlich abermals rechts ab und checken kurz darauf in unserem heutigen Nachtquartier ein, dem Planet Baobab Camp. Es macht seinem Namen alle Ehre: auf dem gesamten Gelände wachsen zahllose, teilweise sehr stattliche Affenbrotbäume, die zwar in weiten Teilen Botswanas zu finden sind, hier aber in besonders großer Dichte auftreten. Während Annette nun die Formalitäten erledigt, sammeln Heinz und ich sogleich einige der samtigen Baobabschoten, die sich hervorragend als Dekomaterial verwenden lassen und deren Kerne von einem leckeren, säuerlich schmeckenden Pulver umgeben sind. Begeistert lutschend und mit vollen Backen suchen wir uns nach erfolgtem Einchecken eine Campsite, wo wir unser Lager errichten und uns anschließend eine Pause unter dem Schattendach gönnen. Puh, das war heute wieder ein langer und anstrengender Fahrtag! Umso willkommener ist uns natürlich eine erfrischende Dusche, die wir uns alle in dem nett gestalteten Sanitärhäuschen zuteil werden lassen.

Baobab im Camp
Die urige Bar
Ein Castle in Ehren...










Nach vier duschfreien Tagen fühlen wir uns nun wir neugeboren und zu weiteren Schandtaten bereit. Diese jedoch beschränken sich lediglich auf eine entspannte Zubereitung des Abendessens nebst dessen Einnahme und einen anschließenden Gang zur urigen Bar des Camps, wo wir uns in rustikal mit Kuhfell bezogene Loungesessel plumpsen lassen und einen Tagesabschlussdrink zu uns nehmen. Ein Gefühl wohliger Faulheit greift nach uns, die Bar und ihre Gestaltung lädt eigentlich freundlich zum Verweilen ein. Nur leider sind wir so verwöhnt von den vergangenen Wochen der Ruhe und Stille, dass uns die laute Musik bald in die Flucht schlägt. Und nicht nur die: auch die kratzigen Borsten der von vielen Touristenhintern abgenutzten Kuhfelle, die sich recht unangenehm in unsere Oberschenkel bohren, lassen bei uns Vieren nicht die ersehnte Gemütlichkeit aufkommen. So tappern wir nach nur einem Drink zurück zu unserem Lager und genießen die dortige Musikfreiheit - und bald auch unsere kuscheligen Schlafsäcke.


Weitere Impressionen des Tages:

Borstenhörnchen
Oenanthe pileata











Heinz auf der Lauer
Laniarius atrococcineus













Tankstelle bei Gweta










Was schaut die da so?
Was knipst er denn?
Die da!
Radnetzspinne

Mittwoch, 21. Januar 2015

31. März 2013, Sunday Pan, Ruhetag

Unser erster Gedanke beim Aufwachen gilt den Großkatzen, die nicht weit von uns eine hoffentlich friedvolle Nacht hinter sich bringen konnten. Konnten sie? Noch vor dem Frühstück wollen wir das jetzt überprüfen und machen uns deshalb sofort auf den Weg zu Platz Drei. Dort angekommen, fahren wir langsam die kurze Einfahrt hinein, tastend, um sofort umzukehren, sobald wir die Tiere sehen. Doch wir sehen nichts. Keine Löwinnen, kein sterbendes Männchen. Verlassen liegt die Site vor uns, die Sterbekuhle ist deutlich zu erkennen, allein der Todkranke ist nicht mehr da! Was ist hier passiert? Waren die Südafrikaner doch noch mal da? Erzürnt inspizieren wir die aktuellen Reifenspuren. Gerade zücke ich meine Kamera, um vergleichen zu können, als uns deutliche Pfotenabdrücke ins Auge fallen, die die nach wie vor unveränderten Reifenspuren überlagern und eine lebhafte Geschichte erzählen: im Laufe der Nacht hat ein Leopard den Platz besucht und die drei Löwen überrascht. Die beiden Weibchen waren sofort zur Stelle, brachten ihren sterbenden Clanherrn irgendwie auf die Beine und dirigierten ihn auf den Weg zum Nachbarplatz. Dort, zwischen den beiden Sites, verschwinden die schleifenden Spuren des Löwenmannes und seiner Damen in der Nachhut plötzlich im Busch, die Tatzenabdrücke des Leoparden folgen. Was ab da geschehen sein mag, entzieht sich unserer Kenntnis. Alles, was wir noch zu Gesicht bekommen, sind die Pfotenspuren des Leoparden, die zweihundert Meter später erneut kurz die Pad kreuzen, wieder im Dickicht verschwinden - auf Nimmerwiedersehen. Der Ausgang dieses nächtlichen Geschehens wird also auf ewig ein ungelöstes Rätsel für uns bleiben, wir können nur mutmaßen. Was wir nun aber definitiv wissen - und das beruhigt uns ungemein: Menschen waren hier nicht mehr im Spiel, dem Himmel sei Dank! Stattdessen hat es der Leopard geschafft, Bewegung in den sterbenden Löwen zu bringen – auch wenn das kaum vorstellbar ist. Dennoch - die Spuren lügen nicht - ist es geschehen, und wir hoffen nun, dass das Tier nach dieser schier unglaublichen Anstrengung endlich in Frieden sterben darf oder gar schon tot ist. Ein tröstlicher Gedanke!

Hoodia sp.
Und wieder machen wir uns nun, wie gestern Abend auch, auf den Weg rund um die Sunday Pan. Heute sind wir zwar bei der Sache, nicht so abgelenkt und voll konzentriert. Trotzdem ist das Ergebnis unserer morgendlichen Pirschfahrt nahezu das selbe - nämlich NIX. Einziger Unterschied: eine Hoodia am Eingang zur Pfanne. Die hatten wir gestern tatsächlich übersehen... Nö, Leute, lasst uns lieber erst mal frühstücken und dann können wir weiter sehen. Alle sind einverstanden. So kehren wir auf unseren Platz zurück und lassen uns zum Morgenmahl nieder. Offenbar nicht unbemerkt. Plötzlich umringen uns nämlich über dreißig Perlhühner. Ohne jegliche Scheu nähern sich die Hühnervögel, sie betteln aber nicht und sind auch nicht aufdringlich; sie sind einfach nur da und beobachten uns aufmerksam - sechs Erwachsene und dreißig Jungtiere. Heinz und ich sind entzückt über den Besuch der putzigen Vögel mit den getupften Federn und den blau-roten Köpfen. Besonders angetan haben es uns aber die Youngsters, die bereits das Federkleid der Erwachsenen tragen, auf dem bräunlichen Kopf jedoch allesamt noch einen schmalen, sehr kecken Streifen ihrer Kükenfedern haben - wie ein kleiner Irokesen-Kamm. Sind die süß! Jochen hingegen gibt sich völlig unbeeindruckt von den Hühnern, die für ihn, aufgrund ihrer Häufigkeit, wohl zum ornithologischen Standardprogramm zählen. Ungerührt verzehrt er ein Brot und schlürft nebenbei genüsslich seinen Kaffee, ohne die Perlhühner auch nur eines Blickes zu würdigen. Annette jedoch lässt das Federvieh keinen Augenblick aus den Augen, Interesse oder gar Zuneigung spielen dabei allerdings keine Rolle. Im Gegenteil. Annette fühlt sich sichtlich unwohl und versucht immer wieder, die Vögel am Näherkommen zu hindern. „Kusch! Weg! Geht bloß weg!“, ruft sie ein ums andere Mal, wedelt dabei abwehrend mit den Händen. Heinz und ich sehen uns erstaunt an. Unsere Freundin scheint tatsächlich Angst vor den harmlosen Tieren zu haben! So kennen wir sie ja noch gar nicht!

Die Hühnerschar rückt an
Ich bin begeistert!
Heinz nicht weniger










Etwas amüsiert beobachten wir ihre hilflosen Fernhalteversuche, wobei ich fast schon ein schlechtes Gewissen habe. Denn aus eigener Erfahrung weiß ich nur zu gut, wie es ist, eine unerklärliche Furcht vor bestimmten Tieren zu empfinden, die viele andere Menschen so gar nicht nachvollziehen können. Und man selbst kann es auch nicht erklären, wenigstens nicht so richtig plausibel. Nun habe ich aber den Vorteil, dass meine Schreckobjekte, nämlich bestimmte Krabbeltiere, bei vielen Leuten Ängste auslösen, und befinde mich deshalb in verständnisvoller Gesellschaft. Doch Angst vor Federvieh? Da dürfte die Gruppe mitleidender Personen wesentlich kleiner sein. Das ist wohl auch Annette bewusst, denn sie beherrscht sich wacker. Als jedoch eines der Junghühner (ein besonders mutiges mit einer schrägstehenden Feder auf der Brust) zum flatternden Sprung auf unsere Tischplatte ansetzt, ist es um ihre Beherrschung geschehen. Entsetzt springt sie auf, schlägt wild um sich und beschimpft die unschuldige Hühnerschar: „Geht weg! Ihr habt hier nix zu suchen! Ich jag’ euch alle fort, wenn ihr uns nicht endlich in Ruhe lasst. Jochen, mach doch was!“ Jochen zuckt die Schultern, verweigert aber den Heldendienst. Heinz und ich können uns nun leider auch nicht mehr beherrschen. Die Vorstellung, dass Annette schimpfend hinter den Hühnchen her rennt, erheitert uns derart, dass wir vor Lachen fast in Tränen ausbrechen. Annette findet das verständlicherweise weniger erheiternd und verteidigt sich: „Lacht ihr nur! Aber die gehören nicht auf den Tisch! Die verwüsten doch alles. Und habt ihr die Krallen gesehen? Die sind richtig gefährlich!“ Heinz und ich brechen aufgrund dieser Erklärung nun vollends zusammen und auch Jochens Mundwinkel zucken mittlerweile verdächtig. „Ach, ihr versteht das einfach nicht!“, schimpft Annette und räumt beleidigt den Frühstückstisch ab - um unser unkaputtbares Plastikgeschirr aus der Gefahrenzone zu bringen.

Nur langsam beruhigen wir uns alle und beraten dann über den weiteren Tagesplan, umringt von 36 sehr braven Perlhühnern. Die Sonne glüht schon wieder vom Himmel, unsere gefiederten Besucher legen sich im Schatten unseres Autos, des Tisches und der Zelte ab und selbst Annette sieht nun kaum noch Grund zur Flucht. Wir einigen uns deshalb einstimmig auf eine ausgedehnte Ruhephase, die wir gemeinsam im hühnerverseuchten Camp bei Tee, Lektüre und Entspannung verbringen wollen. Am frühen Nachmittag dann, so besprechen wir, könnten wir zu einem ausgedehnten Gamedrive aufbrechen und erkunden, ob es anderswo mehr Wild zu sehen gibt. So machen wir das! Zufrieden und relaxed verteilen wir uns im Schatten und genießen die nun folgenden Musestunden. Annette und Jochen lesen, Heinz und ich hingegen, den wenigen Schatten mit den schlafenden Perlhühnern teilend, erfreuen uns einfach so, ohne Hilfsmittel, beobachten die Vögel, unterhalten uns leise, um nur ja die pennenden Tiere nicht zu stören und fühlen uns dabei so angekommen, so entspannt, wie selten zuvor in diesem Urlaub. „Schneck, ich mag heut’ nimmer auf Gamedrive gehen. Ich finde das so schön hier, mit all den Huhnis!“, flüstere ich. „Ja, genau das find’ ich auch“!, wispert Heinz zurück. „Also bleiben wir!?“„Jaaah!“ Gebongt.

Inmitten der Hühnchen
Schattensuche
Schatten gefunden!










Stunden später, die Hitze hat ihren Höhepunkt erreicht, machen sich unsere Freunde bereit für den geplanten Gamedrive. Heinz und ich müssen uns nun zu unserem Entschluss bekennen. Wir haben ja kein Problem damit, hier zu bleiben, im Gegenteil, befürchten aber, dass uns uns unsere Freunde nicht alleine lassen wollen - schließlich sind noch immer irgendwo Löwen in der Nähe. „Euch ist schon klar, dass ihr dann ohne Auto seid? Und ihr habt die Löwen nicht vergessen, oder?“, folgt prompt der erwartete Einwand. „Klar! Aber die Perlis sind ja da, die passen schon auf uns auf. Und für den Ernstfall gibt es auch noch zwei Zelte.“ „Wie ihr wollt.“ Uih, das ging unerwartet diskussionslos, super!

Also machen sich unsere Freunde alleine zu ihrem Gamedrive auf, entführen uns das Auto, und wir beide bleiben inmitten unserer Hühnerschar zurück, die immer noch entspannt schläft. Der sich entfernende Wagen und der damit flötengegangene Schatten bringt zwar etwas Unruhe unter die Vögel, doch schnell kehrt der stille Friede wieder zurück. „Meinst wirklich, die Hühner warnen uns, wenn Gefahr im Verzug ist?“ „Ne. Die machen eher den Eindruck, sie würden sich, was das betrifft, auf uns verlassen...“ Tja, nun wäre das auch geklärt. Egal! Egal, denn wir sind im Glück - allein auf weiter Flur, umgeben von zutraulichen Perlhühnern, die im Schlaf leise vor sich hin glucksen und ihre Entspanntheit voll und ganz auf uns übertragen.

Ach, bin ich müde!
Sooooo müde...
Seufz...










Die Zeit schreitet voran, die Sonne neigt sich Schritt für Schritt und die Temperatur wird allmählich erträglicher. Das spüren auch die Perlhühner - sie werden langsam etwas munterer – zumindest ein paar von ihnen. Heinz ebenfalls: er schreitet zur Tat, greift sich unsere Axt und beginnt, eine umgestürzte Akazie am Rande des Platzes zu Feuerholz zu verarbeiten. Ich bleibe sitzen und lausche stattdessen der anschwellenden Unterhaltung der Hühner. Bis dato kannte ich die Vögel nur als laut kreischende, blechern trompetende Individuen, deren „Gesang“ echt keine Freude aufkommen lässt. Doch heute findet wirkliche, total entspannte Kommunikation unter den Perlis statt: Didöh, dieeehdööh, diiehhiedö. Da gibt es fragende, feststellende, antwortende, zögerliche, wie aus der Pistole geschossene Didöhs, leise, lautere, bestimmte und unsichere.

Der kleine Frechdachs
Vorbereitung zu Attacke
Ist der nicht süß?!?










Ach Mensch, Heinz ist nicht da, er kann es nicht hören. Und so bekommt er meine persönlichen Highlights auch nicht mit: das neugierige Junghuhn mit der quergestellten Brustfeder ist aus seinem Schlafkoma erwacht und sofort wieder auf Forscherkurs. Ich stehe gerade am Gaskocher und mache neues Teewasser heiss, als das erkundungsfreudige Tier zum Anflug auf meinem Kopf ansetzt. Oh Gott, diese gefährlichen Krallen... Ganz sanft landet das Gichala auf meinem Schädel, krallt sich haltsuchend, aber schmerzfrei in meine Kopfhaut und stellt fest, dass es ihm hier oben zu wackelig ist. „Schneck!“, kiekse ich, „Kuck doch mal!“ Heinz reagiert nicht. Und schon ist das Huhn wieder auf dem Boden. Schade. So gerne hätte ich ein Foto davon gehabt... Na ja, was nicht ist, ist nicht. Zur Entschädigung brühe ich mir einen Tee auf und lasse mich in einen der Campingstühle sinken. Kaum niedergelassen, bin ich erneut im Fokus des vorwitzigen Junghuhns: es baut sich neben mir auf, denkt kurz nach und landet schließlich mit einem gezielten Flatterer auf meinem Schoß. Ah, warm, weich und gemütlich - scheint das Tier zu denken. Es lässt sich nieder, zieht die Nickhaut vor seine Augen und in ermännchenartigem Tempo sinkt sein Schnabel auf meinen rechten Oberschenkel. „Schneck! Schneck? Heheinzzzz!“ Doch wieder bin ich alleine mit meinem einzigartigen Erlebnis, Heinz hört mich nicht. Das Hühnchen aber ist da, auf meinem Schoß und es pennt weg. Sachte streichle ich über sein Gefieder und strahle bis über beide Ohren. Dann fühle ich plötzlich ein Zucken - wie bei Heinz, wenn er am Einschlafen ist - es durchfährt den gesamten Körper meines Gastschläfers – das Gickel erwacht, erschrickt vor seinem eigenen Mut, flüchtet daraufhin laut zeternd von meinem Schoß, landet auf sicherem Boden und sieht mich von dort erstaunt an.

Vom Munde abgespart:
die Füllung der Tränke
Der Chef passt auf










„Na, du kleiner Frechdachs! Jetzt bist erschrocken, gell?“, flöte ich den vorwitzigen Perlhuhn-Youngster an. „Dieeedöh!“, flötet dieser verständiger Miene zurück, pickt sich in einer Übersprungshandlung unter dem Flügel und wackelt leise glucksend zu seinen Altersgenossen. Meine Güte, war das jetzt anrührend! Begeistert eile ich zu Heinz und erzähle ihm von meinen Erlebnissen. „Ach, Mensch, und ich hab’s nicht gesehen!“, bedauert Schneck und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Aber weißt was? Ich mag jetzt nimmer, hab genug Holz gehackt. Jetzt komm ich zu euch und trink erst mal einen Tee. Vielleicht kommt das Huhni ja wieder.“ Gemeinsam ziehen wir unseren Tisch in den Schatten und lassen uns gespannt nieder. Doch der Frechdachs hat wohl alles erforscht, was ihm erforschenswert schien. Er liegt schon wieder im Schatten unseres Zeltes und schläft sich in die nächste Komaphase. Die pennenden Hühner sind übrigens wirklich ein Anblick für Götter! Würde jetzt ein Fremder auf den Platz kommen, würde er sicher denken, wir hätten die meisten der Hühner getötet, so, wie sie hier rumfläzen. So etwas habe ich ehrlich noch nie gesehen; in meiner Vorstellung und bisherigen Erfahrung setzen sich Hühnervögel zum Schlafen auf einen Ast oder scharren sich eine Kuhle, in der sie sich dann niederlassen. Aufrecht sitzend. Unsere Federtiere hingegen lassen sich einfach umfallen, strecken Beine und Flügel von sich, versenken teilweise den Schnabel bis zur Wurzel im Sand und sehen dabei aus wie hingemeuchelt, wie gestorben. Heinz und ich amüsieren uns sehr über die Schar dieser „Hühnerleichen“. Doch plötzlich, einer der Erwachsenen hat offenbar ein Aufbruchs-Didöh geflötet, recken und strecken sich die ehemals schlaffen Körper, die Federn werden kurz in Form geschüttelt und, so schnell können wir fast nicht schauen, sind die Tiere aufgeregt gacksend im Gebüsch verschwunden. Ach meia, schade, es war so nett mit den Perlhühnern! Aber die haben jetzt wohl Wichtigeres zu tun, als uns zu beglücken...

Andere wollen auch trinken,
trauen sich aber nicht.
Nicht mal die Größeren!










Seufzend bleiben wir beide zurück, schleppen das gehackte Holz zur Feuerstelle und vergraben uns anschließend in Lektüre und Kartenmaterial. Noch einen Tee? Ach nee, wir müssen ja mit unserem Wasser etwas haushalten, meinte Annette noch beim Wegfahren. Es ist schon ziemlich knapp, muss aber noch für den ganzen morgigen Tag reichen. Also kein Tee. Aber eine Vogeltränke wird der Tank schon noch hergeben, oder? Klar! Flugs füllen wir die Pizzaform und lassen uns wieder nieder, um die herbeieilenden Klein-Vögel beim Baden und Trinken zu beobachten. Mit Begeisterung wird die Schale genutzt und wir erfreuen uns an dem regen Treiben, als sich plötzlich das hohe Gras hinter dem Vogelbad auffällig bewegt. Scheiße, die Löwen! Doch nein, es ist lediglich der Chefhahn unserer Hühnertruppe, der da gerade durch die Halme späht. Sobald er uns erblickt hat, wackelt er begeistert mit dem Kopf, gackst vernehmlich und bricht mitsamt seiner Großfamilie durchs Gras. Sekunden später sind sie allesamt wieder zu unseren Füßen versammelt, didöhen sich und uns vertraulich an und es ist, als wären sie nie fort gewesen. „Hast du das grade gesehen? Der Hahn hat geschaut, ob wir noch da sind! Und der hat sich richtig gefreut!“ Das ist doch die ein oder andere Wasserspende wert! Flugs füllen wir die Pizzaform. 36 Hühner stürzen sich drauf und innerhalb von Sekunden ist das Wasser weg. Viermal noch wiederholen wir das Spiel, viermal flippen die Perlhühner völlig aus; dann beenden wir den Segen, denn wir müssen ja haushalten... Als der Wassernachschub nun ausbleibt, legen sich die Perlhühner, nach kurzer Wartephase, kurzerhand wieder schlafen. Und eines lässt sich gleich in der Pizzaform umfallen! Heinz und ich brechen völlig ab vor Freude über die Anhänglichkeit der bezaubernden Vögel. Didöh! Sie lassen sich durch nichts aus der Fassung bringen, durch wirklich gar nichts: eine Weile später nämlich, es ist schon gegen halb sechs und wir erwarten die baldige Ankunft unserer Freunde, beschließt Heinz, seinen perfekt errichteten Scheiterhaufen zu entzünden. Es britzelt und knistert vernehmlich, als er ein Streichholz an das Gras und die Rindenreste an dessen Basis hält, Sekunden später züngeln Flammen an den dünneren Ästen nach oben und nach einem plötzlichen „Fump“ brennt kurz darauf der ganze Riesenhaufen. Meterhoch schlagen die Flammen in den Himmel und wir sind ob der Heftigkeit es Feuers zunächst etwas erschrocken. Die Hühner hingegen kümmert das Kleininferno nicht im geringsten. Unglaublich! Unglaublich ist allerdings auch, dass unser zierliches Lagerfeuer sogleich einige Rotschnabeltokos anlockt, die wohl an einen Buschbrand glaubten und hofften, ein paar fliehende Insekten zu erhaschen... Doch sooo schlimm ist es nun auch wieder nicht.

Jetzt ist die Chance da!
Auch für die Kleinen
Heinz macht Brennholz










So kommt es, dass wir, als Jochen und Annette von ihrem Gamedrive zurückkehren, noch immer inmitten unserer Hühnerschar sitzen, ergänzt durch ein paar enttäuschte Tokos. Unsere Freunde sind zwar sichtlich erleichtert, dass wir nicht den Löwen anheim gefallen sind, das lodernde Feuer wird von Jochen allerdings mit einem recht tadelnden Stirnrunzeln zu Kenntnis genommen und Annettes Erleichterung ein wenig von der andauernden Präsenz der Perlhühner überschattet. „Die sind ja immer noch da! Habt ihr die etwa angefüttert?“ Mitnichten! „Die lieben uns einfach nur und fühlen sich sauwohl.“ Aufgeregt erzählen wir von unseren Erlebnissen mit den vertrauensseligen Tieren, merken jedoch deutlich, dass unsere Begeisterung auf wenig Verständnis stößt. Jochen freut sich immerhin über unser Glücksgefühl, aber Annette versteht die Welt nicht mehr, als ich ihr von den Landeanflügen des frechen Vogeljünglings berichte. „Wie konntest du das zulassen? Und dir ist wirklich nichts passiert?“, fragt sie ungläubig. Nein, ich bin völlig unversehrt, doch mir, uns ist dennoch etwas passiert, etwas Einzigartiges widerfahren: Heinz und ich haben heute einen unglaublich zauberhaften Tag verbracht, so zauberhaft, dass wir uns noch in vielen Jahren, mit einem Lächeln auf den Lippen, daran zurück erinnern werden!

Wenn Glück aus den Augen leuchtet
Jochen wird schon nervös
Huhn auf dem Schlafbaum










Der ausgedehnte Gamedrive unserer Freunde hingegen war weniger beglückend: eine ferne Giraffe, ein paar Springböcke, das war's. Ansonsten nur gähnende Leere und bohrende Hitze. Nun senken sich allerdings allmählich wohltuendere Temperaturen auf uns herab, die Dämmerung setzt ein und wir genießen unseren Feierabend bei einem kühlen Bier. Die Perlhühner verschwinden mit einem Male in der untergehenden Sonne - zu Heinz' und meinem Bedauern - und wir nehmen unsere Essenszubereitung in Angriff. Heinz' Scheiterhaufen brennt langsam zur Bilderbuchglut herunter und Jochen pariert deshalb schon mal das Fleisch. Wir anderen putzen und schnibbeln gerade Gemüse und bereiten Salat zu, als es erneut verdächtig im Gras raschelt. Und wieder zucken wir kurz zusammen - es könnten ja die Löwendamen sein. Doch es beehren uns, ein drittes Mal an diesem Tag, die Perlhühner! Schnurstracks steuern sie auf den Baum zu, unter dem wir unseren Tisch platziert haben, nehmen Anlauf, und flattern allesamt zum Schlafen, mit viel Winderzeugung und Lärm, in die Äste des Baums hoch, um sich zur Ruhe zu betten. Heinz und ich grinsen wie Honigkuchenpferde, Annette hingegen zieht den Kopf ein wenig ein und meint nur: „Was habt ihr nur mit denen angestellt? Die lieben ja euch wirklich...“ Scheint so. Denn der erwählte Schlafbaum ist, aufgrund unseres Scheinwerfers und des brutzelnden Feuers, eigentlich wenig einladend. Und es scheint auch nicht das angestammte Übernachtungs-Gehölz zu sein. Die Perlhühner, diesen Eindruck macht es, haben uns also tatsächlich erwählt. Tja, schön für Heinz und mich (sehr schön sogar!), weniger erbauend für Annette. Doch auch Jochen beginnt nun zu rebellieren: ebenfalls unter dem Baum steht nämlich unser nigelnagelneues Gazebo aus feinstem, vollimprägniertem Canvas. Und die Hühner haben auch im Schlafe eine rege Darmtätigkeit zu vermelden, deren Ergebnisse jeweils ein lautes, sattes Pfllltsch erzeugen, sobald sie auf dem straff gespannten Gazebo-Dach landen... „Die blöden Hühner scheißen das ganze Gazebo voll!“, zetert Jochen. „Mei, lass sie doch. Das fällt bei der Trockenheit morgen Früh spurenlos wieder ab!“ Jochen grummelt eine Weile, dann aber kann er es nicht mehr ertragen. Zornig zerrt er das Canvas-Zelt aus der Gefahrenzone, plumpst danach wieder in seinen Stuhl und sieht uns strafend an – quasi, als wären Heinz und ich persönlich für die Anwesenheit der kackenden Hühner verantwortlich.

Ameisenjungfer
Hübsche Mantis
Spinnenbesuch im Baum











Na ja, irgendwie sind wir das wohl auch. Aber selbst, wenn unsere Mittäterschaft uns offensichtlich etwas negativ ausgelegt wird, so ist uns beiden das kackegal - im wahrsten Sinne des Wortes. Denn, das stellen Heinz und ich nach einem gemütlichen Grillabend mit baldigem Zu-Bett-Gehens-Ende unisono fest: DAS war heute der mit Abstand schönste, denkwürdigste und innigste Tag unseres diesjährigen Urlaubs. Fast müsste man sagen: der „einzigartigste“ Tag, sofern Herr Duden diese doppelt gemoppelte Steigerung zulassen würde. Tut er aber nicht - er hat eben noch nie einen entspannten Tag mit zutraulichen Perlhühnern verbracht!


Weitere Impressionen des Tages:

Jugendliches Huhn
Am Trinkschüsselchen
Tot?










Verstorben im Schatten...
Das Warten zerrt an den Federn
Käferbesuch










Schlafendes Huhn
Ameisenjungfer
Ameisenjungfer