„Rrrrrht!“, macht der Reißverschluss, ich erwache und sehe gerade noch Heinz’ entzückendes Popöchen aus dem Zelt verschwinden. Was heißt sehen; ich erahne es eher, denn es ist fast noch dunkel. Schlaftrunken klemme ich mir meine Brille auf die Nase, kämpfe mich aus dem warmen Schlafsack und folge dem heftig hustenden Heinz hinaus in die kühle Morgenluft. Er montiert schon die Kamera vom Baum und sieht mich achselzuckend an: nix drauf. „Ich hab’ aber auch die ganze Nacht nichts gehört,“, krächzt er mit belegter Stimme, „vielleicht hab’ ich alle Viecher mit meinem Gehuste verbellt.“ Ach, Schneck, du armer Schnuffel, wenn ich dir nur helfen könnte! Während Heinz keuchend die Kamera verstaut, werfe ich den Gaskocher an und mache Teewasser heiß, mehr Gutes kann ich im Moment leider nicht tun. Bald darauf summt der Kessel, aber bevor wir uns am Tisch niederlassen und unseren Tee trinken können, müssen wir erst mal ein Schlachtfeld beseitigen. Alles ist übersät mit Insektenleichen – auch unsere Ameisenjungfer hat das Zeitliche gesegnet, hält aber nach wie vor den Rest ihrer Beute in den Klauen; ein schöner Tod. In stillem Gedenken schlürfen wir unseren Tee und sinnieren aneinander gekuschelt in den heraufdämmernden Morgen hinein. „Du Schneck, du weißt schon, dass wir heute wandern gehen wollten, oder?“ „H-hm.“ „Meinst, du schaffst das? Wir müssen fei ned mitgehen, wenn es dir zu anstrengend ist. Dann bleiben wir hier und machen uns einen gemütlichen Tag im Lager.“ „M-mh, ich möchte schon gerne gehen.“ „Aber du sagst Stopp, wenn es dir zuviel wird, ja?!“ „M-hm, es wird schon gehen.“ Tapferer Schneck! Aber ich werde ihn heute nicht aus den Augen lassen; Männer überschätzen sich ja gerne mal, was die Tapferkeit anbelangt...
Auch Annette und Jochen, die mittlerweile aus ihrem Zelt gekrabbelt sind und sich ihren Morgenkaffee eingeschenkt haben, sehen Heinz ein wenig besorgt an. „Das geht schon, die Tour dauert ja ned so lang.“, hustet Schneck. Nein, eine richtig lange Wanderung ist es nicht – eineinhalb Stunden werden auf unserer Karte für den Waterkloof Trail angegeben. Diese Zeitangabe trifft aber wohl eher nur zu, wenn man straff durchgeht, was für uns völlig undenkbar ist. Nicht, weil Heinz kränkelt, sondern weil wir uns gut genug kennen: wir halten bei jeder Kleinigkeit und brauchen für alles mindestens doppelt so lange wie der von Reiseführern angenommene Durchschnitts-Tourist. Doch umso besser; je mehr Zeit wir uns lassen, desto schonender ist es für den angeschlagenen Heinz.
1) Unser Lager am Naukluft River; 2) Anoplocnemus curvipes; 3) Opfer der Klebhirse; 4) Colotis regina
Nach einem ausgiebigen Frühstück, zu dem Schneck wieder reichlich Grippemittel schluckt, packen wir unsere Tagesrucksäcke und machen uns schließlich auf den Weg. Aber welchen Pfad nehmen wir nun, den linken oder den rechten? Der krakelige Plan, den wir am Gate erhalten haben, gibt darüber leider keine eindeutige Auskunft. Eine Beschilderung ist auch nicht vorhanden, so also haben wir die freie Auswahl. Ok, dann erst mal links! Nach ein paar hundert Metern allerdings zeigt sich deutlich, dass das die falsche Entscheidung war, denn der Weg führt, zunehmend schattenlos, in weitem Bogen weg vom Fluss. Jochen kehrt um, will nach einem Wegweiser suchen, Annette spurtet ihm nach und auch wir wenden unsere Schritte, traben den beiden langsam hinterher. Doch plötzlich bleibt Heinz stehen, nestelt seine Kamera aus dem Rucksack und beginnt am Rande der Wiese etwas zu knipsen. Neugierig beäuge ich sein Motiv: eine total abgenagte, stängelige Pflanze!? Uih, nein, da sitzt was drauf! Ein blattwanzenähnliches, dunkelbraun-schwarzes Insekt von kurioser Gestalt hängt kopfüber am Stiel und mampft genüßlich an einem kleinen Seitentrieb herum. Es ist zirka vier Zentimeter groß, hat wunderschöne, wie kostbares Holz gemaserte Deckflügel und Hinterbeine, die, geschwungen wie eine geschweifte Klammer, markant vom Körper abstehen. Ein tolles, wirklich extrem „formschönes“ Tier, das uns beiden aber völlig unbekannt ist. Auch unser Insektenbuch hilft uns nicht weiter, doch das Insekt ist so auffällig: es muss zu bestimmen sein. Und tatsächlich, eine gründliche Internet-Recherche – als wir schon lange wieder zuhause sind – lässt mich fündig werden: es ist eine Blattwanze mit dem bezeichnenden Namen „Anoplocnemus curvipes“. Trotz seiner hübschen Gestalt jedoch ist das Kurvenbein ein eher unbeliebter Zeitgenosse, denn es tritt gerne scharenweise auf, ist sehr gefräßig und vergeht sich mit Vorliebe an des Farmers und Gärtners liebevoll gezogener Grünpflanzenernte. Wozu das Insekt allerdings mit diesen akkoladenartigen Hinterbeinen ausgestattet ist, finde ich nicht heraus. Naja, es wird schon was mit Partnersuche und Beeindruckung der holden Weiblichkeit zu tun haben – wie letztendlich vieles im Leben. Und irgendwie haben die geschwungenen Beine ja sogar entfernte Ähnlichkeit mit den durchtrainierten Oberarmen adonishafter Muckibudenbesucher...

1) Papilio demodocus; 2) Junonia hierta; 3) Carabidae sp.; 4) das neophytische Pfahlrohr

1) dümpelnder Frosch; 2) Carabidae sp.; 3) Potamonautes sp.; 4) Gespinstmotten-Raupe

1) Codon royenii; 2) Sarcostemma viminale; 3) Heinz am Objekt der Begierde (Cyphostemma sp.); 4) Euphorbia mauritanica
Heinz hingegen interessieren die Adler im Moment herzlich wenig, denn er hat diverse Pflanzen entdeckt, die sein Sukkulenten-Liebhaber-Herz höher schlagen lassen. Direkt neben dem Weg zum Beispiel spitzen ein paar Sansevierien aus dem dichten Gras. Das sind grün gemaserte, in meinen Augen nicht besonders hübsche, ledrige Stängel, die in den 50er- und 60er-Jahren bei uns zulande Hochkonjunktur als anspruchslose Zimmerpflanzen hatten. Der sogenannte Bogenhanf fristet auch heutzutage noch ein, im wahrsten Sinne des Wortes, Nischendasein auf den Fensterbrettern nikotin- und teergeschwängerter Trinkstuben, erlebt aber erstaunlicherweise seit einiger Zeit eine Renaissance als grünes Dekoelement in einrichtungsbewußten Haushalten. Zu lächerlichen Zöpfen geflochten und ihrer ohnehin nicht gerade eindrucksvollen Würde beraubt, ist die Sansevieria cylindrica momentan DER floristische Verkaufsschlager – ein unterkühltes Accessoire für stylish-nüchterne Wohnzimmer – nicht weniger und leider auch nicht mehr.

1) Marsch im Flussbett; 2) Trithemis sp. auf Sarcostemma ;-) ; 3) Blick in die Naukluftberge
„Schau mal, wie schön die Euphorbie blüht!“, sage ich zu ihm, stolz, dass ich auch mal etwas entdeckt habe. Leider ernte ich nur einen leicht empörten Blick. Das sei eine Sarcostemma, Sarcostemma viminale, um genau zu sein, eine Angehörige der Asclepiadoidae und somit verwandt mit Hoodia, Stapelia und Co., mit Euphorbien hätte das nichts, aber auch gar nichts zu tun. „Schau, das ist eine Euphorbie!“, sagt Heinz und deutet auf einen weiteren, ebenfalls besenartigen Busch, der zwei Meter neben meiner „Nicht-Euphorbie“ steht. „Die hat ganz andere Blüten, siehst?“ Ja, ich sehe, aber so richtig erschließt sich mir die ganze Systematik dennoch nicht. Vor einigen Jahren, ich gestehe, hätte ich eine Euphorbie wie die „virosa“ ohne mit der Wimper zu zucken schlichtweg als Kaktus bezeichnet – ein schwerer, fast krimineller botanischer Fehltritt. Das passiert mir heute natürlich nicht mehr - mit rotierenden Gehirnzellen habe ich mittlerweile sogar verinnerlicht, dass Euphorbien auch nicht zwangsweise wie Kakteen aussehen müssen, sondern ganz unterschiedliche Erscheinungsformen haben. Dass aber diese beiden milchenden Steckerlbüsche, trotz unterschiedlicher Blüten, nicht verwandt sein sollen, will mir nicht in den Kopf. „Ach Schneck, das ist doch ganz einfach! Sarcostemma gehört zu den Asclepiadaceae, den Schwalbenwurzgewächsen. Das war mal eine eigenständige Pflanzenfamilie, heutzutage aber wird sie als Unterfamilie namens Asclepiadoidae innerhalb der Apocynaceae, also der Hundsgiftgewächse, behandelt. Somit ist Sarcostemma nicht nur mit den Aasblumen verwandt, sondern auch mit Adenium und Pachypodium und sogar mit Oleander und Immergrün. Die Familie der Euphorbiaceae hingegen, also die der Wolfsmilchgewächse, teilt sich in die Gattungen Monadenium, Synadenium, Pedilanthus, Jatropha und Euphorbia. Bekannte Vertreter der Gattung Euphorbia sind Weihnachtsstern und Christusdorn und auch die Walzen-Wolfsmilch, die ich dir letzten Herbst für den Garten geschenkt habe. Also zwei völlig verschiedene Paar Schuhe!“ Ohweia, Familie, Gattung, Hundsgift, Wolfsmilch, Asclepiadoidae, Asclepiadaceae, Apocynaceae - da soll man nicht durcheinanderkommen! In der Theorie klingt es ja noch recht einleuchtend, aber wenn ich mir die zwei Steckerlbüsche so ansehe... Doch diese Thematik, so beschließe ich, werde ich mir zuhause in Ruhe zu Gemüte führen, denn jetzt benötige ich all meine verfügbaren Aufnahmekapazitäten für die unglaubliche Flut von Eindrücken, die weiter auf uns einstürmt.

1) Gyrinus sp.; 2) Moospölsterchen; 3) Ansammlung von Gespinstmotten-Raupen
Und natürlich hat er recht – die heftig schnatternden Unzertrennlichen da oben in den Felsen haben ein gedeckt grünes Federkleid, geziert von einer lachsfarbenen Brust, leuchtend blauen Oberschwanzdecken, die unter den Flügeln hervorblitzen und leukoplastfarbenen Schnäbeln, mit denen sie sich liebevoll gegenseitig beknabbern; es sind also eindeutig Rosenköpfchen. Es herrscht reges Treiben in der von Brutnischen gespickten Wand, wenngleich, das sieht man deutlich, die Aktivität der munteren Papageien ein wenig unter der Präsenz der kreisenden Adler leidet. Dennoch ist es höchst unterhaltsam, sie zu beobachten – aber auch anstrengend, denn die Sonne hat fast schon ihren Zenith erreicht, wirft dunkle Schatten und blendet gleichzeitig. Zudem ragt die Felswand steil vor uns auf und zwingt unsere Köpfe in einen, auf Dauer schmerzhaften, 90-Grad-Winkel. So also renken wir nach einer Weile unsere Halswirbelsäulen knackend wieder ein und folgen weiter dem Pfad, der bald einen deutlichen Rechtsknick macht und uns, nach einigen felsigen Serpentinen, zum letzten flachen Absatz der Wanderung führt. Dieses Mini-Plateau ist ein kleines Paradies: aus einer engen, moosbewachsenen Schlucht sprudelt das glasklare Wasser des Naukluft in mehrere gumpenartige Becken, die in allen Grün- und Türkistönen schimmern. Auf der diamantglitzernden Wasseroberfläche wuseln Heerscharen von Taumelkäfern (Gyrinus sp.) herum, die, einem riesigen Vogelschwarm ähnlich, in einem fast homogenen Verbund ständig ihre Richtung ändern. Zuerst hatten wir die quirligen Wesen ja für Wasserläufer gehalten, aber bei genauerer Betrachtung fiel uns das Fehlen der charakteristischen, langen Beine auf und auch ihr Bewegungsmuster ist ein völlig anderes. Da war mal wieder Recherche angesagt, die Interessantes zutage brachte: auf englisch werden die Insekten völlig zurecht Whirligig Beetles (Kreiselkäfer) genannt, die, im Verhältnis zu ihrer Körpergröße, die schnellsten aller Wasserinsekten sind und zudem noch zwei Paar Augen besitzen – ein Paar für Überwasser und eines für Unterwasser. Mit Letzterem sehen die kleinen Derwische sicher auch zum Grunde der Pools, wo graugrüne Krallenfrösche (Xenopus laevis) an den Felsen hängen; wir hingegen können diese leider nur erahnen, weil die hektischen Taumelkäfer viel zu viel Unruhe in den Oberflächenspiegel bringen. Dafür aber scheinen sich die Frösche erfolgreich vermehrt zu haben: an den Randzonen der Gumpen wimmelt es vor graubraunen Kaulquappen, die mit ihrer beachtlichen Größe von sicher sechs Zentimetern nur von ebenso stattlichen Müttern stammen können – Krallenfroschweibchen werden bis zu dreizehn Zentimeter groß.
1) Pilze; 2) Riesenquappe; 3) Urothemis sp. 4) es geht steil bergauf; 5) Spodoptera Exempta
Völlig unbeeindruckt von den amphibischen Riesen unter ihnen schwirren zahlreiche Libellen auf Beutezug über die Gumpen – ihre Geschwindigkeit und die leuchtenden Farben lassen sie in unseren Augen wie babyblaue und feuerwehrrote Pfeile erscheinen. Doch in ihrem Jagdfieber finden die bunten Schönheiten kaum eine Sekunde Zeit, sich mal fotogen niederzusetzen und sich genauer betrachten zu lassen. Und auch die Süßwasserkrabben, die einträchtig neben den Krallenfröschen am Grund liegen, geben uns keine Chance. Sobald ein Schatten aufs Wasser fällt, sind sie verschwunden, hinterlassen nur kurz eine kleine, schlammige Wolke. Aber das macht nichts, denn dieses Fleckchen Erde ist so paradiesisch, dass wir es auch ohne willige Fotoobjekte in vollen Zügen genießen – und es sich zudem in seiner überwältigenden Gesamtwirkung ohnehin nicht zufriedenstellend ablichten lässt. Am Rande eines kleinen Nebenpools ragen die Wurzeln eines mächtigen, schattenspendenden Baumes einladend aus dem Erdreich und da lassen wir uns nun deshalb für eine gemütliche Wirkungs- und Beobachtungspause nieder, bevor wir schließlich doch zum „Gipfelspurt“ aufbrechen.


1) Klippspringer; 2) Blick auf den Traumpool; 3) Jamesbrittenia sp.
Schwupp, schon bin ich drüben und erfahre stante pede, weswegen ich so aufgeregt herbeigewunken wurde: in der Felswand hinter dem Pool stehen vier Klippspringer und sehen neugierig auf uns herab. Sie scheinen mitten im Fellwechsel zu sein, denn ihr brauner Pelz ist arg zerzaust, strubbelig und recht unansehnlich. Das aber tut unserer Freude an ihrer Präsenz keinen Abbruch und, da die Tiere offenbar wenig Angst vor uns haben und es am Pool so wahnsinnig schön ist, beschließen wir, uns hier niederzulassen. Annette und Jochen fackeln nicht lange, werfen sich in ihre Badeklamotten und anschließend in die eiskalten Fluten des tiefen Beckens, Heinz und ich hingegen begnügen uns, zipperleinbedingt, mit einem erfrischenden Fußbad. Danach beginnen wir, unter den wachsamen Augen der Klippspringer, die Umgebung zu erkunden, die ein Füllhorn voll kleiner Schönheiten für uns bereit hält. Oberhalb unseres Pools liegt, verborgen durch einen mächtigen Felsklotz, eine weitere, noch viel schönere Gumpe, an deren erdiger Uferseite sich eine ganze Schar von Ammern niedergelassen hat, um vom mineralhaltigen Boden zu fressen. Bunte Schmetterlinge flattern in der Gischtzone des kleinen Wasserfalls auf und ab, lassen sich immer wieder kurz nieder und rüsseln die Feuchtigkeit von den Steinen. In einigen Felsritzen, in denen sich etwas Humus gebildet hat, haben sich blühende Jamesbrittenia-Pölsterchen angesiedelt und werden rege von gefährlich aussehenden, aber völlig harmlosen Schwebfliegen besucht. Am meisten aber freue ich mich über die zahlreichen Libellen, die hier herumschwirren und mir, wenn ich mich ganz still halte, endlich Gelegenheit geben, ihre leuchtenden Farben, die filigranen Flügel und die schillernden Facettenaugen ausgiebig zu bewundern.
1) Urothemis sp.; 2) Am Pool; 3) Moraea polystachia
Über eine Stunde genießen wir die Magie dieses Ortes, lassen uns von der Schönheit der Natur in den Bann ziehen und von all diesen Details fesseln, bevor wir uns wieder auf den Weg machen – allerdings nicht zusammen. Annette und Jochen wollen unbedingt weiter hinauf, sind neugierig, was es da oben noch zu sehen gibt. Heinz und ich hingegen entscheiden uns für den Abstieg ins Tal, möchten lieber all das bereits Gesehene noch einmal genauer unter die Lupe nehmen – und natürlich auch unser angeschlagenes Wohlbefinden nicht überstrapazieren. So also klettern Annette und Jochen den steilen Pfad, der sich im rechten Winkel vom Wasser entfernt, nach oben, während wir beide gemächlich abwärts wandern. Bald aber müssen wir feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, den Rückweg wiederzufinden. Sind wir vorhin hier über den Naukluft oder doch weiter unten, wo genau sind wir abgebogen? Das kommt davon, wenn man den anderen immer nur hinterherdackelt, die Augen permanent in der Botanik, ohne auf die Route zu achten. Doch wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen, finden schließlich doch die richtige Furt, den richtigen Abzweig, bringen die steilen Passagen unfallfrei hinter uns und sind bald darauf wieder bei den Krallenfrosch-Pools angelangt. Ab hier nehmen wir uns viel Zeit, Schmetterlinge zu beobachten, die blauen Blüten der Zwiebelgewächse (Moraea polystachia), die wir beim Aufstieg schon erspäht hatten, genauer zu inspizieren und auch ein paar gelb blühende, distelige Pflanzen (Hircipium gazanoides) entgehen nicht unserer Aufmerksamkeit. Und bevor wir uns versehen, sind wir auch schon wieder ganz unten angelangt, dort, wo die lästige Klebhirse den Weg überwuchert.


Das mag vielleicht ein wenig schadenfroh oder gar gefühllos klingen, doch von derartigen Empfindungen bin ich wirklich meilenweit entfernt. Mir geht es eher wie der zutiefst erleichterten Frau eines allzu sorglosen Hobby-Elektrikers, den ein Stromschlag soeben unsanft auf den Hosenboden geworfen hat, ohne ihm weiteren Schaden zuzufügen und die nun hofft, dass ihr Liebster etwas daraus gelernt hat und in Zukunft vorsichtiger sein wird. Fast muss ich ein bisschen schmunzeln, als Heinz sich einen langen Stock sucht und damit auf unserem weiteren Weg jeden Schritt vor sich abklopft – liebevoll schmunzeln, wie die Frau des Elektrikers es tun würde, drehte ihr Süßer fortan alle Sicherungen heraus, bevor er einen Lichtschalter betätigt...
Eine Weile noch traben wir das Flussbett des Schreckens entlang, bis es schließlich zu eng und somit zu nass wird, dann kämpfen wir uns eine recht übersichtliche Böschung nach oben und stehen bald darauf auf einer kiesigen Fahrspur. Zwar wissen wir nicht ganz genau, wo wir sind, aber wir werden unser Camp schon finden. Heinz jedenfalls ist in erster Linie froh, dass das Gelände nun wieder überschaubarer ist und wirft befreit seinen Stock in hohem Bogen von sich. Knapp einen Kilometer später treffen wir erneut auf den Naukluft und zwar exakt an der Stelle, die wir gestern mit dem Auto passiert hatten. Glücklicherweise ist das Wasser dort nicht allzu tief, sodass wir relativ trockenen Fußes ans andere Ufer gelangen und uns freuen, dass wir nun nur noch wenige Meter bis zum Camp haben. Doch das ersehnte, kühle Rückkehrgetränk muss erst mal warten, denn ein ganz besonderes Schauspiel läßt uns fasziniert innehalten: ein wunderschönes, dottergelbes Maskenwebermännchen buhlt um die Gunst eines wesentlich unscheinbareren Weibchens, indem es zwitschernd und flügelschlagend die Vorzüge seines kugelförmigen Grasnestes anpreist. Immer wieder pickt der erregte Galan an einem herausstehenden Grashalm herum, zurrt einen lockeren Knoten fester, hängt sich kopfunter an seinen Neubau, gerade so, als wollte er dessen besondere Stabilität demonstrieren, schlüpft hinein, flattert wieder heraus und zirpt die holde Interessentin verführerisch an. Die graubraune Vogeldame hingegen ist kritisch und nur schwer zu überzeugen – zentimeterweise nähert sie sich dem Werbenden, beäugt prüfend das Nest, dreht ihr Köpfchen hin und her, entfernt sich ein paar demonstrative Millimeter, um gleich darauf unauffällig dichter an das Nest heran zu hüpfen. Das Männchen fühlt sich durch dieses Verhalten zu Höchstleistungen angespornt, die auch endlich, nach zähem Ringen, ihre Wirkung tun.
1-4) Unser Maskenweber
Die Auserwählte flattert gerade beherzt zum Nesteingang, als just in diesem entscheidenden Augenblick ein Konkurrent auf der Bildfläche erscheint. Aggressiv attackiert er unseren Beinahe-Bräutigam, der völlig überrascht, aber nicht minder aggressiv den unerwünschten Störenfried angreift. Ein schnelles Gefecht, zwei gelbe Federbälle, die kurzfristig zu einem einzelnen verschmelzen, sich wieder trennen und alles ist vorbei – der Eindringling wurde in die Flucht geschlagen, aber, es darf nicht wahr sein, auch das Weibchen ist weg! So kurz vor dem Ziel und dann das; unser um sein momentanes Lebensziel betrogenes Männchen dreht fassungslos am Rad, ist kurz vorm Durchdrehen und wir entfernen uns rücksichtsvoll, lassen ihn in seinem Elend alleine – nicht ohne ihm mitfühlend die allerbesten Zukunftswünsche zuzuflüstern.
Froh und glücklich, dass wir beide diese anstrengende Balzphase lange schon hinter uns gelassen und uns gefunden haben, gehen wir Hand in Hand hinunter zum Lager, reißen uns die Stiefel von den Füßen und sinken erst mal mit einer kühlen Cola in unsere Campingstühle. Uh, das zischt! Nach einer kleinen, wohltuenden Regenerationspause mit synchronem Löcher-in-die-Luft-starren und ausgestreckten Beinen schreiten wir luftig besandalter Füße zum Wieder-Einrichten unseres Zeltes, das wir heute Morgen, auf Anraten des Gate-Rangers, pavian-verwüstungssicher ausgeräumt hatten. „Macht es leer und lasst es offen stehen.“, legte er uns ans Herz. „Wenn die Mistviecher sehen, dass nichts zu holen ist, ist das Ganze uninteressant und sie lassen das Zelt in Ruhe.“ Unsere Behausung ist unversehrt – also war das wohl ein guter Tipp oder die Affen waren gar nicht da; Spuren sind jedenfalls nicht zu sehen. Egal; das Zelt ist schnell wieder wohnlich gemacht und wir begeben uns anschließend unter die Dusche, spülen das Salz der Anstrengung und den Angstschweiß von der Haut, um gleich danach wieder ermattet, aber duftend in unseren Stühlen zu versinken. Kurz darauf kehren auch Annette und Jochen von ihrer Höhenexkursion zurück und aus ihren sparsamen Erzählungen schließen wir, dass wir nichts verpasst haben – im Gegensatz zu ihnen!

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