





Hier gibt es ein richtiges Dorf mit fast allem Drum und Dran. Viele runde Strohhütten, Lehmhütten, Vorratsbehälter, Menschen, die neugierig über einen, die Zufahrt säumenden Binsenzaun lugen. Ich rätsle immer wieder, wovon so viele Menschen in einer solchen Umgebung, in einer derartigen Abgelegenheit leben. Ja, da sind mit Sicherheit Felder, die wir nicht sehen können, da werden auch Männer auf die Jagd gehen, wahrscheinlich verbotenerweise, aber kaufen kann man hier nahezu nichts. Vielleicht gerade noch Zucker, Salz, Mehl und Bohnen. In die Schule? Gibt es eine hier, an diesem sehr abgelegenen Ort? Wenn nicht, dann wird auch kein Kind eine besuchen. Zu weit und beschwerlich ist der Weg nach Mpika in die eine Richtung, zu weit und beschwerlich der Weg nach Mfuwe in die andere. So oft schon bin ich in Afrika unterwegs gewesen, habe viel gesehen und gelernt. Dass ein Vergleich mit unserer europäischen Infrastruktur müßig ist, es ganz und gar andere Versorgungsmöglichkeiten als Rewe, Migros und Hofer gibt, sind Basics, dass ein afrikanisches „Entlegen“ so gar nichts mit einem europäischen gemein hat auch. Aber hier, in Chifungwe, gibt es zwei beachtliche Barrieren: das steile, hohe Escarpment nach oben, den Nationalpark nach unten.
Ein einziges Mal in meinem Reiseleben habe ich einen Menschen, Böldi, kennengelernt, der jetzt und auf der Stelle mitten ins Dorf gelatscht wäre – Hallo hier und Hallo da – der genau diese Fragen gestellt hätte, mit fast Null englisch, mit Händen und Füßen, aber auch mit keinerlei Hemmungen. Böldi wäre einfach losmarschiert und hätte gefragt; und niemand hat ihm jemals eine solche Aktion übel genommen. Leider (ein bisschen auch: Gott Sei Dank) bin ich kein Böldi, also und genau deshalb vielleicht wird mir die Existenzgrundlage Chifungwes bis auf weiteres ein Rätsel bleiben. Allerdings haben wir auch nicht die Zeit, die gesamte Infrastruktur Chifungwes auszuloten, denn schon kommt ein Ranger herbeigesprungen und öffnet für uns die Pforten seines wohl selten besuchten Nationalpark-Büros. Freudig füllt er alle erforderlichen Formulare aus hält nebenbei ein nettes Pläuschchen mit uns.
Während wir so entspannt die Formalitäten hinter uns bringen, erspähe ich auf des Officers Tisch eine Handvoll extrem hübscher, dunkelbraun-oranger Samen. Auf meiner ersten Afrikareise (1990) hatte ich mir eine Kette, die ich noch heute ab und zu trage, gekauft, die aus genau diesen Samen gemacht ist. Meine Baumschoten-Leidenschaft allerdings ist erst vor einigen Jahren erwacht, deshalb habe ich auch nie nach dem Namen dieser Preziosen der Natur geforscht. Jetzt aber – auf meine neugierige Frage hin - drückt mir der Ranger sofort strahlend einen dieser Samen als Geschenk in die Hand und zieht mich zu weiteren Erklärungen vor die Tür. Da, dieser mächtige Baum neben seinem Office, das sei ein Pod Mahogany, eine Afzelia quanzensis und der trüge diese wunderschönen „Lucky Beans“ in großen, harten Schoten. Eifrig sucht er den Boden ab, kann aber keine Samen mehr finden. In ungefähr 5 Metern Höhe entdeckt er eine halb geöffnete Schote und durch das Fernglas kann man die kleinen, leuchtend orangen „Deckel“ der dunkelbraunen Samenkapseln sehen. Auch wenn das leider keine geeignete Erntehöhe ist und ich mich mit der einzelnen Lucky Bean begnügen muss, freue ich mich sehr darüber, was neues dazu gelernt zu haben, scanne den Baum auf's Genaueste, um einen Blick dafür zu bekommen. Wer weiß, ob wir nicht noch ein paar solcher Exemplare zu Gesicht kriegen und dann muss ich bereit sein…

Die Arbeiter stürzen sich ins kühle Wasser, schwimmen zu uns herüber und wollen wissen, ob sie gute Arbeit geleistet hätten. Das haben sie: sie freuen sich über das Lob und wir uns über ihre perfekte Leistung! Ohne ihre Arbeit wären wir zu dieser Jahreszeit, zur jetzigen Wassersituation niemals durch diesen Fluss gekommen. Und aufgrund ihrer und ihrer Kollegen Mühen präsentiert sich die berüchtigte 05 für uns als „Easy Way“. Diese Komplimente nehmen die Jungs gerne entgegen und machen mit doppelter Energie weiter. Wir nutzen unsere vorhandenen Pferdestärken und setzen unseren Weg fort. Bald darauf holpern wir durch ein Flussbett, das gerade noch eifrig mit Binsen ausgelegt wird, ein Flussbett, das weder in unserem Reiseführer noch in unseren Detailkarten vermerkt war. Dank der Binsen aber ist es kein Problem.




Mittlerweile ist es allerdings schon wieder kurz nach 17 Uhr und uns bleibt nicht mehr viel Zeit, nach weiterem Wild Ausschau zu halten. Bei rapide schwindendem Tageslicht erreichen wir endlich das Mfuwe Gate, so dass wir in letzter, legaler Sekunde den Nationalpark verlassen. Als wir im Wildlife Camp ankommen ist es bereits dunkel. Wir stellen das Auto auf dem Parkplatz ab, Annette meldet uns im Büro an, Jürg versucht den letzten Millimeter untergehender Sonne zu fotografieren und ich amüsiere mich derweil über eine Pavianhorde, die mit mehreren Meerkatzen in wilden Streit verwickelt ist. Die kleinen grauen Affen sind völlig respektlos und gehen ohne Furcht auf die viel größeren Paviane los, die sich laut schreiend und schimpfend in die höheren Äste der Bäume flüchten. Als wäre nichts gewesen, überqueren die Meerkatzen das andere Ende des Parkplatzes und verschwinden mit leicht selbstzufriedener Attitüde in der Dunkelheit.
Nach einer kurzweiligen halben Stunde hat Annette die Formaliäten hinter sich gebracht und wir können zur Campsite aufbrechen. Der Platz ist relativ beengt und gut gefüllt. Natürlich sind alle Plätze an der Uferkante besetzt und da ein guter Teil des Restgeländes von eifrigen Rasensprinklern zum Sumpfgebiet gewässert wurde, bleibt uns nicht viel anderes, als mit einem Stellplatz an der zentralen Geschirr-Wasch-Stelle vorlieb zu nehmen. Aber zumindest ist der angrenzende, für Overlander reservierte Platz nicht belegt... Wir errichten unsere Zelte und die Buschküche, zaubern ein eiliges Abendessen, denn zu kochtechnischen Höchstleistungen sieht sich heute keiner von uns in der Stimmung. Nach dem Abwasch, den wir praktischerweise gleich neben unserem Lager erledigen können, lassen wir uns genüßlich mit einem Bierchen in der Hand in unsere Campingstühle zurück fallen. Gerade rechtzeitig, denn das „Fernseh-Programm“ beginnt!
Ein Stück hinter unseren Zelten ertönt alsbald ein sehr vertrautes Geräusch, nämlich rupfendes Schmatzen. Und es dauert nicht lange, da taucht das dazugehörige Hippo im Lichtkegel einer Laterne auf. In aller Seelenruhe watschelt es im Zickzack das hintere Campingareal ab, um nur ja kein Hälmchen zu übersehen. Wir arrangieren unsere Stühle vorsichtshalber in günstiger Rückzugsposition, das Hippo könnte schließlich auf die Idee kommen, auch noch vom satten Grün unserer Sumpfwiese zu kosten – und dann wäre die gesundheitschondende Fernsehdistanz deutlich unterschritten. Aber das Nilpferd ist, zumindest was dessen Vorspeise betrifft, ein sehr genügsames und verschwindet nach trockengrasigen Hors d'Oeuvre zufrieden schmatzend in der Dunkelheit.
Minuten später müssen wir unsere TV-Sessel drehen, denn direkt hinter dem Waschhaus erscheint ein Elefant, der geräuschvoll die belaubten Schattenspender des Campingplatzes aberntet. All die Camper, die am Uferrand logieren, ziehen sich zurück, denn der Elefant kommt ihnen bedenklich nahe – wir hingegen haben den Logenplatz! Von dort aus können wir gleich darauf beobachten, wie ein älterer Herr, frisch geduscht und mit seinem Waschtäschchen unter dem Arm, ohne zu schauen aus dem Waschhaus stürmt, auf dessen Vorplatz sich mittlerweile der Elefant gütlich tut. Keine drei Meter sind die beiden auseinander und es ist schwer zu sagen, wer mehr erschrickt: der Kulturbeutelträger, der Ele oder die Zuschauer. Der Dickhäuter läßt ein durchdringendes, warnendes Trompeten vom Stapel, flappt drohend mit den Ohren, der Mann springt mit einem einzigen Rückwärtssatz in das schützende Waschhaus und wir wagen erst wieder normal zu atmen, als der Elefant sich irritiert zurückzieht. Der Duscher allerdings traut sich erst nach so langer Zeit wieder aus dem Waschhaus, dass man fast vermuten könnte, er hätte seinen Reinigungsakt aufgrund akuter Darmentleerung von neuem beginnen müssen... Verstehen würde ich das, denn die Situation hätte wirklich böse ausgehen können und zeigt einmal mehr, dass man direkt in der Wildnis ist. Auch, wenn es da eine Bar, Licht, Duschen und viele Menschen gibt. Wir, mit unserem ganzen Zivilisations-Kram nebst Ansprüchen sind zu Gast in der Natur, doch eben jener Komfort gaukelt uns manchmal vor, es wäre umgekehrt.
Vor vielen Jahren war ich schon einmal im Südluangwa NP, hatte ihn als immens tierreich und relativ wenig besucht im Gedächtnis. So anders hatte der heutige Tag diesen Park und das Camp präsentiert, doch das gerade erlebte Abendprogramm versöhnt mich wieder und voller Vorfreude auf die nächsten Tage schlüpfe ich in meinen Schlafsack, begleitet vom lauten Schnauben und Schnorcheln der Hippos im Fluss.
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