Donnerstag, 7. Januar 2010

26. November 2009- Rooiputs > Twee Rivieren > Garas Quivertree Camp, Keetmanshoop

Die Löwen, deren Gebrüll wir gestern Abend beim Einschlafen gehört hatten, sind uns nachts nicht besuchen gekommen, dafür aber sagt uns heute Morgen Jan Hallo. Er ist Südafrikaner und hat sich zu Forschungszwecken häuslich in Rooiputs eingerichtet. Bereits gestern stellte er sich uns kurz vor, hauptsächlich um uns vor den Löwen zu warnen: es seien zwei männliche Tiere, Brüder, schon recht betagt und einer der beiden sei verletzt. Das war gut zu wissen. Normalerweise ist ein nächtlicher Löwenbesuch zwar kein Problem, doch wenn ein Tier durch eine Verletzung geschwächt und hungrig ist, kann so eine Begegnung schon mal recht unangenehm werden. Aber Gott sei Dank ist dieser Fall ja nicht eingetreten. Vor lauter Löwen und nettem Geplauder mit Jan hatte ich allerdings gestern Abend die Gelegenheit verpasst, diesen Vor-Ort-Fachmann nach unseren lachenden Freunden zu befragen, was ich jetzt nachhole. Er weiß sofort, was ich meine und wirft seinen Laptop an, um seine Erklärungen mit einem „Fahndungsfoto“ zu untermalen. Die mysteriösen Kichertiere sind Bellgeckos (Ptenopus garrulus; Barking Gecko), sehen ein bisschen aus wie eine in die Länge gezogene Kröte mit übergroßem Kopf und stumpeligem Schwanz und hausen in 30 bis 40 Zentimeter tiefen, spiralförmigen Bauten im Sand. Ihr schadenfrohes Gelächter dient der akustischen Sicherung ihrer zirka 1 Quadratmeter kleinen Territorien und natürlich der Becircung der holden Weiblichkeit. Auch uns haben die kleinen Reptilien, die sich einfach nicht zeigen wollten, damit erfolgreich betört und wir sind glücklich, nun endlich zu wissen, wessen „Hehehehe“ wir da verfallen sind.











Stundenlang könnten wir mit Jan noch Fachgespräche führen, aber die Zeit drängt; so also verabschieden wir uns, brechen das Lager ab und sind bald darauf abreisebereit. Kurzfristig packt mich die Wehmut, als wir von unserem Hügel herunter rollen, denn mit Verlassen dieser letzten „wilden“ Station, dem bevorstehenden Eintauchen in die Zivilisation, ist der Urlaub als solcher für mich, zumindest gefühlsmäßig, vorbei. Meine Freude also hält sich in Grenzen, zumal wir heute mal wieder richtig Strecke vor uns haben: knapp 400 Kilometer sind es bis Keetmanshoop, wo wir das Garas Quivertree Camp ansteuern wollen. Doch allein die Aussicht, dass Heinz in einigen Stunden vor unzähligen, leibhaftigen Köcherbäumen stehen wird, läßt meine leichte Trauer rasch verfliegen. Bevor es aber so weit ist, müssen wir erst mal Meilen schrubben und das machen wir extrem bravourös – indem wir uns dummerweise, aber freiwillig, gleich noch 85 Zusatzkilometer aufhalsen: am Fuße des Hügels müssten wir jetzt eigentlich links abbiegen, doch an der Abzweigung steht ein Gesperrt-Schild. Auch gestern Abend, als wir vom Nossob Highway nach Rooiputs abbogen, prangte dort ein ähnliches, das aber Rooiputs-Gästen die Durchfahrt ausdrücklich gestattete. Dieser Zusatz jedoch fehlt hier. Etwas verunsichert bleiben wir stehen, diskutieren, was wir tun sollen und entscheiden schließlich sicherheitshalber, die viel längere Strecke über Kij Kij und Auchterloni nach Twee Rivieren zu nehmen – völlig unnötigerweise, wie sich später herausstellen wird.











Aber es geschieht ja nichts, ohne nicht auch gute Seiten zu haben. Da wäre zum Beispiel das Löwenrudel, das unweit unseres Camps faul im Schatten liegt. Die Tiere sind relativ weit weg, aber immerhin... Kurz darauf sehen wir noch ein paar Erdmännchen, auch nicht wirklich in Streichelnähe, doch sie machen allerliebste Abschieds-Männchen, nur für uns. Bald danach erreichen wir Kij Kij, wo unsere Exklusiv-Straße wieder auf den Highway abzweigt und sehen dort erneut Löwen. Diese allerdings werden von derart vielen Autos belagert, dass wir uns gar nicht mehr die Mühe machen, anzuhalten. Kilometer um Kilometer kurven wir durch die roten Dünen, deren Farben sich permanent ändern. Mal scheinen sie orangerot, mal rostfarben, mal mehr, mal weniger intensiv – je nach Sonnenstand, Blickwinkel und Eisenoxidgehalt. Nur eines haben sie gemeinsam: sie lassen sich in ihrer ganzen Pracht fotografisch nicht wirklich zufriedenstellend einfangen, dazu sie sind einfach zu nahe vor unserer Nase. Dafür aber bieten sie prima Versteckmöglichkeiten für all die Tiere, die hier zuhause sind. Bis auf ein paar Tele-Oryxe, Gnus, Red Hartebeests und einen flüchtenden Sekretär nämlich bekommen wir kaum noch Wildlife zu Gesicht. Ein kleines Highlight immerhin ist die Boophane am Wegesrand, die zweite in diesem Urlaub. Im Gegensatz zu unserem Erstfund steht sie zwar nicht in Blüte, entzückt uns dafür aber mit einem makellosen, welligen Blattfächer. Ein wenig später, auf der Höhe von Auchterloni, ragt ein steiler Sandwall zu unserer Rechten auf, aus dessen Flanken etwas leuchtet, was Heinz in Erregung versetzt; er hat einen tausendprozentigen Blick für sukkulente Gewächse und die über den ganzen Hang verstreuten Blütennester der Wüstenrosen (Adenium oleifolium; Desert Rose) sofort erspäht. Wir stoppen und schwärmen aus, unter völliger Missachtung des Aussteigeverbotes – doch das müssen wir uns aus der Nähe ansehen. Zu Dutzenden blühen die zierlichen Pflanzen hier und jedes der Büschel aus zartgrünen, lanzettförmigen Blättern trägt Blüten in einem anderen Farbton – von Weiß über Zartrosé bis hin zu Tiefpink. Heinz, und nicht nur er, ist begeistert, seine Wangen glühen mit den dunkelsten der Blüten um die Wette. Ausgiebig bewundern und genießen wir die Pracht, bevor wir unentdeckt und ungetadelt wieder in die Autos steigen.











Bereits ein, zwei Kilometer weiter entdecken wir den noch recht frischen Kadaver einer Oryx, der verlassen und aufgebläht in der Vormittagssonne liegt. Das wiederum erweckt Jochens und Annettes Jagdtrieb, doch unsere Suche nach dem Jäger, die uns auf einen steilen Felsenkamm nach links lenkt, direkt hinauf zum Auchterloni-Steinhüttchen, führt zu keinem Ergebnis. Wir geben bald auf und schlagen uns, ohne weitere Ereignisse, die letzten 40 Kilometer durch die Dünen, bis wir schließlich in Twee Rivieren ankommen. Dieses durchorganisierte Riesencamp ist ein Albtraum, es wirkt steril, unpersönlich und alles hat hier seinen quadratisch-praktischen Platz: die Tankstelle, die reihenhausähnlichen Bungalowanlagen, die Schattendächer auf dem zentralen Parkplatz, der Pool, der Shop. Ein Ort, der mir Gänsehaut verursacht, für andere aber wohl eher eine Art gepflegter Wohnstätte inmitten der gefährlichen Natur darstellt, für manche vielleicht sogar das ultimative Abenteuer. Trotz des Gruselfaktors, den das Camp für mich und meine Reisegenossen hat – wir müssen hier ein paar Vorräte auffüllen. Und das geht wunderbar: der Shop ist wohlsortiert und bietet alles, was das Herz begehrt – sogar Briefmarken. Mit rautenförmigen Glitzer-Stamps formvollendet und geschmackvoll frankiert, können wir nun endlich unsere in Maun gekauften und in der Zentralkalahari geschriebenen Postkarten der örtlichen Mailbox anvertrauen, in der Hoffnung, sie alle mögen ihren Zielort erreichen.

Neu bestückt mit diversen Leckereien und post-erleichtert verlassen wir das Camp Richtung Grenzstation, wobei wir die Abzweigung hinauf nach Rooiputs passieren. Das dort im Sand steckende Schild führt uns die Unnötigkeit unseres 85-Kilometer-Umwegs schwarz auf weiß vor Augen – als Rooiputs-Gäste hätten wir völlig legal die kürzere Strecke befahren dürfen... Doch was soll’s, es bringt nichts, sich zu zürnen, wenngleich uns der Umweg wertvolle Zeit gekostet hat, die uns heute Abend ärgerlicherweise fehlen wird. Dessen sind wir uns jetzt aber noch nicht bewusst und steuern deshalb ungetrübter Laune das Grenzgebäude an, das extrem neu aussieht. Polierte Steinstufen führen uns direkt ins geräumige Herz dieses klimatisierten Formalitäten-Tempels, in dessen Heiligen Hallen den wartenden Touristen ein Flatscreen mit Naturfilmen zu unterhalten versucht. Doch außer uns ist hier niemand und warten müssen wir auch nicht, nur ein kleines Formular ausfüllen, nach dessen Begutachtung der botswanische Grenzbeamte ohne zu zögern einen Ausreisestempel in unseren Pässen platziert. Eine 180-Grad-Wende und 10 Schritte bringen uns zum gegenüberliegenden Südafrika-Desk, wo wir nach Angabe unseres Auto-Kennzeichens ebenso problemlos die Einreisegenehmigungen erhalten. Das ging ja mal schnell! Ein gestrenger Officer wirft noch einen kurzen Blick in das Innere unserer Autos, bemängelt meine stattliche Adlerfeder, die ich auf dem Wilderness Trail aufgesammelt hatte und befiehlt mir, sie hier zu lassen. Bevor ich auch nur „Ja“ sagen kann, hat er sich schon wieder umgedreht und ist verschwunden. So also bleibt sie, wo sie ist und samt der illegalen Feder passieren wir das Grenztor, das sich quietschfrei hinter uns schließt.

Ein paar Meter noch ruckeln wir über Gravel, dann haben wir allerfeinsten Teer unter den Reifen. Die nächsten 160 Kilometer sind somit zwar holperfrei, aber auch recht eintönig, nur ab und zu lockern rote Dünen das Bild auf. Zur Entschädigung kommen wir schnell voran und erreichen nach knapp zwei Stunden den nächsten Grenzposten – Rietfontein. Mit einem Piep des Scanners werden wir anstandslos aus Südafrika entlassen und entern alsbald das benachbarte namibische Grenzgebäude. Hier ist nix mit Piep und Scanner, hier wird noch per Hand gearbeitet. Allerdings bringen die namibischen Grenzer zuerst in aller Ruhe ihre Partie Pool Billard zu Ende, bevor sie sich endlich bequemen, uns einreisen zu lassen. So etwas wie „Dienstaufsichtsbeschwerde“ scheint man hier nicht zu kennen, zumindest nicht wegen einer mutwilligen Verzögerung von Amtshandlungen aus privaten, vergnügungstechnischen Gründen. Aber verständlich ist das durchaus, denn bis auf die paar abfertigungsgeilen Touris pro Tag tut sich hier offensichtlich sonst nicht viel – und irgendwie muss die Zeit ja rumgebracht werden. Wie leicht verschieben sich so beim Versuch, der tödlichen Langeweile zu entkommen, die Prioritäten – Rietfontein wirkt wie das klassische Epizentrum lebensbedrohlicher Monotonie, ein Ort in The Middle of Dusty Nowhere, ein Kaff, in dem ich nicht mal tot über dem Zaun hängen möchte.

Muss ich ja Gott sei Dank auch nicht, wir alle nicht. Was wir aber müssen und das unbedingt, um unsere Einreise perfekt zu machen – so instruieren uns die gelangweilten Beamten – ist die Tätigung des Erwerbs einer Bestätigung zum Nachweis der Bezahlung der namibischen Cross Boarder Charge, auch Road Tax genannt. Aha! Hier? Nein, wo denken wir denn hin!?! Dafür gibt es eine extra Außenstelle, die zur Entlastung unterbeschäftigter Bällchenbeweger der Abteilung „Immigration“ in einem 35 Kilometer entfernten Supermarkt/Restaurant(!) eingerichtet wurde. Alles klar! Delegieren, outsourcen, ressortspezifischer Workflow unter akribischer Vermeidung persönlicher Involvierung zum Wohle der eigenen Füße und Eier, die ja regelmäßig gekrault und geschaukelt werden wollen. Kommt mir irgendwie verdammt bekannt vor; hier amüsiert mich das, zuhause jedoch nicht im Mindesten...











Aroab übrigens heißt der Ort, in dem sich die genannte Außenstelle befindet, ein ebenfalls recht trostloses Kuhdorf, das wir über eine staubige Straße erreichen und sofort bei Ankunft von ebenso staubigen Jungs umringt werden. Annette, Jochen und Tommi verschwinden zu Behufe des Erwerbs besagter Bestätigung in den Tiefen eines heruntergekommenen Gebäudes, der Rest der Truppe hingegen ist inzwischen mit der Bewachung unseres Habs und Guts betraut. Wir haben zunächst alle Hände voll zu tun, diverse Wertgegenstände vor der Umeignung zu bewahren, doch die potentiell langfingerigen Knaben merken bald, dass uns ihre Tricks und Ablenkungsmanöver durchaus bekannt sind. Daraufhin verlegen sie sich auf verbale Geldmittelbeschaffung, indem sie uns allerlei Geschichten auftischen, die uns wohl so mitleidig stimmen sollen, dass wir freiwillig größere Spenden an den Mann, oder besser gesagt, an den Knaben bringen. Als auch das nicht funktioniert, kommt eine recht entspannte, interessante Unterhaltung zustande: Hansi, der Wortführer mit der Ed-Hardy-Strickmütze, berichtet uns vom öden Alltag in Aroab, über dessen Grenzen noch keiner der Jungs hinausgekommen ist. Sie alle sprechen Englisch, Afrikaans und mehrere einheimische Sprachen, klagt er, ihre Förderung in der Schule aber, die ohnehin schon minimal sei, hänge zudem noch von der Stammeszugehörigkeit der jeweiligen Lehrkraft ab. Er, der Namastämmige, hätte zum Beispiel derzeit einen Ovambo-Lehrer, der ihn und seine Stammesgenossen links liegen ließe und sich nur um die Ovambo-Schüler kümmere. Angesichts von lediglich sieben Pflichtschuljahren ist das echt bitter. Noch schlimmer aber ist, dass die Kinder nur unregelmäßig zur Schule gehen können, da sie zuhause eingespannt werden, was den Lehrer wiederum wenig kümmert, sofern es sich dabei um Nama-Schüler handelt. Und zuhause sei auch nicht alles eitel Sonnenschein, berichtet Hansi weiter und tippt sich dabei auf eine tiefe Narbe unterhalb seines Auges. Die hätte ihm seine angetrunkene Mutter beigebracht, als sie ihm für ein Vergehen seiner jüngeren Schwester kurzerhand eine Bierflasche überbriet. Ob all das nun hundertprozentig der Wahrheit entspricht, können wir nicht beurteilen, aber völlig frei erfunden ist es sicher auch nicht. So plaudern wir eine ganze Weile und die Buben freuen sich, dass wir zuhören, Fragen stellen und auch etwas von uns erzählen. Zum Abschied dann wünschen sich die drei Jungs ein Gemeinschaftsfoto und dass wir sie in guter Erinnerung behalten sollen; bescheidene Wünsche, verglichen mit den anfänglichen Forderungen...











Gegen halb vier verlassen wir Aroab, setzen unseren immer noch langen Weg fort, passieren eine Stunde darauf eine malerische Musterdüne, stoppen aber erst eine weitere halbe Stunde später, um eine Pinkelpause zu machen und uns die Beine zu vertreten. Auf einmal quiekt Patricia ganz aufgeregt: sie hatte gerade etwas im Fußraum der „Meerkat“ gesucht, als sich dort ein flinker Schatten bewegte und unter Svens Fototasche verschwand. Vorsichtig, man kann ja nie wissen, entfernt Jochen die Tasche – und zum Vorschein kommt ein Gecko, der uns erschreckt anstarrt. Uihuihuih, den kleinen blinden Passagier haben wir wohl unwissentlich, aber dennoch illegalerweise aus dem KTP „entfernt“; wenn das der gestrenge Grenzofficer wüßte! Jochen fängt das Tierchen mit einer leeren Crackerschachtel ein, in der es so lange bleiben muss, bis wir einen geeigneten Ort für seine Freilassung gefunden haben; hier, direkt neben der Straße wollen wir das Reptil nicht aussetzen. Nunmehr zu neunt, machen wir uns wieder auf den Weg; die Zeit läuft schneller, als unsere Autos das können. So ist es bereits halb sechs, als wir die ersten Köcherbäume zu Gesicht bekommen. Letzteres, aber auch die immer tiefer stehende Sonne, zaubern ein Leuchten in Heinz Gesicht.





















Mein Blick hingegen wandert sorgenvoll zu den Zeigern meiner Armbanduhr, die sich unerbittlich voran bewegen. Die goldene Stunde, die schönste Lichtphase des Tages, hat bereits eingesetzt und wir sind noch nicht mal in Keetmanshoop, wo wir zu allem Überfluss schon wieder einkaufen müssen. Kurz nach 18 Uhr endlich kommen die ersten Häuser in Sicht und wir steuern eilig den nächstgelegenen, uns bekannten Supermarkt an, aber der hat gerade seine Pforten geschlossen. So also dringen wir weiter ins Zentrum der kleinen Wüstenstadt vor, haben dabei Gelegenheit, über die Straßen gespannte, weihnachtliche Leuchtdeko zu bewundern, bis wir schließlich doch noch einen Laden finden, im dem die benötigten Dinge erworben werden können. Annette und Jochen tätigen so rasch wie möglich den Einkauf, während wir draußen warten. Scheiße; ein paar Kilometer entfernt leuchten gerade die Köcherbäume im schönsten Abend-Foto-Licht und wir stehen hier doof herum. Die gefühlten Kohlen unter meinem Hintern glühen immer heißer und ich kann meine Ungeduld, gepaart mit Unmut, kaum noch zügeln, als Annette und Jochen schwer bepackt schon wieder aus dem Laden geflitzt kommen. Schnell stopfen wir das Zeug ins Auto, winden uns aus der Stadt und geben ordentlich Gas. 18.37 Uhr – der Zaun des Garas Quivertree Camps taucht links neben uns auf; 18.49 Uhr – wir durchfahren das Tor; 18.53 Uhr – wir sind endlich da! Jürg, ansonsten die Contenance in Person, verschwindet wortlos und eiligen Schrittes, umgeben von einer greifbaren Wolke hilflosen Zorns, auf der Stelle mit seiner Kamera im Gewirr der markanten Felsbrocken und Köcherbäume. Heinz hingegen nähert sich fast ungläubig der ersten Baum-Aloe – ihm ist das Licht ziemlich egal – umarmt deren Stamm und drückt völlig überwältigt sein Gesicht an die sonnenwarme Rinde. Dann taucht auch er, wie ferngesteuert und glücklich staunend, in den Aloenhain ab. Ich könnte heulen, heulen vor Wut, denn die goldene geht gerade abrupt in die blaue Stunde über und die Köcherbäume verlieren sekündlich an Plastizität – es ist doch unser einziger Abend hier! Aber die Chance ist leider vorbei. Resigniert krame ich meine Kamera aus dem Auto, schnappe mir ein Bier und gehe einfach los, hinein in die Dämmerung.
























Je weiter ich mich von unserem Lager entferne, desto deutlicher merke ich, wie ich entspanne und mir wird mit einem Schlag bewußt, dass es nicht wirklich nur das verpasste Fotolicht ist, das mir so zusetzt. Vielmehr ist es die aus den Fugen geratene Gruppenbalance, die mich sein nunmehr zwei Wochen Schritt für Schritt, Tag für Tag, mehr aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Irgendwie erleichtert ob dieser Erkenntnis, die so banal ist, wie sie banaler nicht sein könnte, beginne ich mich gerade erneut zu ärgern. Über mich selbst, über meine Unfähigkeit, mich solchen Vibrations nicht so ohne weiteres entziehen zu können. In Gedanken versunken, stoße ich plötzlich beinahe mit Heinz zusammen und fühle mich fast wie ein Eindringling in seine spürbare Versunkenheit, Ergriffenheit, die ich deutlich in seinem Gesicht ablesen kann. Aber er nimmt mich einfach in seine Arme, umfängt mich mit seiner Freude und Gelassenheit und alles fühlt sich wieder gut an. Gemeinsam wandern wir zwischen den Felsblöcken umher, saugen die Abendstimmung in uns auf und werden zu guter Letzt doch noch belohnt: von einem grandiosen Sonnenuntergang mit glühenden Wolken, in die die Silhouetten der Köcherbäume wie Scherenschnitt hineinragen. Dann senkt sich ganz schnell völlige Dunkelheit über den Aloenwald und wir tasten uns zurück zum Lager.











Das Abendessen ist schon fast fertig, als wir tierischen Besuch bekommen: es ist ein großer Rottweilermischling, der uns da freundlich wedelnd begrüßt. Der Wächter des Camps geht von einem zum anderen, bis er schließlich bei Heinz hängenbleibt und ihm wohlig-vertrauensvoll seinen großen Kopf auf den Oberschenkel legt. Kurz darauf taucht ein rotgetigerter Kater auf und ich gehe im Geiste bereits in Deckung vor dem zu erwartenden Hund-und-Katz-Streit, aber das ist völlig unnötig. Liebevoll reibt sich die Mieze am Wauwau, wird von diesem ganzkörpertechnisch abgeschlabbert und nimmt dann Platz; natürlich ebenfalls neben Heinz, der heute seine Portion, genötigt von schmelzenden Blicken, mit unseren Gästen teilen darf. Dann, als kein Nachschub mehr zu erwarten ist, verkrümeln sich die beiden wieder, wir räumen das schmutzige Geschirr ins Auto und gönnen uns einen spülfreien Abend. So recht allerdings will keine Stimmung aufkommen, weshalb Heinz und ich uns ziemlich bald mit einem Bier in unsere vier „Wände“ zurückziehen. Bei offenem Zelteingang genießen wir den Blick auf den Nachthimmel, das Sternenzelt und die Schattenrisse der Köcherbäume. Morgen, so beschließen wir, wollen wir ganz früh aufstehen, noch vor Sonnenaufgang, um ja nichts vom Spiel des Lichts zu verpassen – und um gründlich Ausschau nach Aloen-Samen zu halten...

27. November 2009 - Garas Quivertree Camp, Keetmanshoop > Brukkaros Krater > Hardap Damm

Viertel nach fünf, der Wecker piept, es ist noch dunkel und wir schälen uns aus den Federn. Auch Jürg ist schon auf den Beinen und gemeinsam erwarten wir den Sonnenaufgang inmitten der Köcherbäume, die noch ganz eindimensional in der heraufsteigenden Dämmerung stehen. Dann lugen erste Sonnenstrahlen über den Horizont, küssen zuerst die Wolken, danach die Stämme und zuletzt auch die Kronen der Aloen – für ein paar Minuten haben wir gelbe „Stunde“ – und schon wird das Licht grell. In den wenigen Augenblicken warmer Morgenbeleuchtung wirkt die ganze Umgebung wie in Gold getaucht, die Schattenwürfe jeder Unebenheit laden zum Anfassen ein, sind so plastisch, dass man von ihrer Tiefe fast aufgesogen wird. Dann, Wimpernschläge später, als hätte man starke Scheinwerfer zugeschaltet, ist alles vorüber. Dafür aber sieht man besser: Heinz knipst seine Adleräuglein an und geht auf die Suche nach weiteren Sukkulenten und natürlich Köcherbaumsamen. Es ist schön, so in der friedvollen Stille des Morgens über die noch kühlen Felsblöcke zu klettern und sich dem Entdeckerdrang hinzugeben, der hier ohne Unterlass befriedigt wird. Aus jeder Ritze wächst etwas anderes, Eidechsen rascheln, noch ein wenig steif, zwischen den Felsen umher und tarnfarbene Grashüpfer wagen die ersten Sprünge des Tages.











Mit ein paar gelungenen Fotos güldener Köcherbäume, Bildern von noch zu bestimmenden Sukkulenten und einer Handvoll Samen, an deren Keimfähigkeit wir allerdings starke Zweifel haben, kehren wir nach zwei höchst kurzweiligen Stunden ins Lager zurück. Dort empfangen uns unsere gerade erwachten Mitreisenden, ein zum Kuscheln aufgelegter Camphund und der rote Kater, der angestrengt in eine Anhäufung runder Felsbrocken starrt, exakt die, in die wir gestern unseren kleinen blinden Passagier, den Gecko, entlassen hatten. Doch ein liebevoller Tadel von Heinz genügt und der getigerte Jäger trollt sich in Richtung Frühstückstisch – dort liegt eine mögliche Beute schließlich schon sichtbar bereit. Auch wir versammeln uns um die Tafel und lassen uns die gestern gekauften Köstlichkeiten, die uns das schönste Licht gekostet haben, gemütlich schmecken. Danach geht es, ebenso gemütlich, ans Zusammenpacken, denn die heutige Tagesstrecke zum Brukkaros Krater beträgt gerade mal 120 Kilometer.











Gegen 10 Uhr machen wir uns auf den Weg, rollen auf geteerter Pad dahin, bis wir, schon aus weiter Ferne, den Brukkaros auf uns zukommen sehen. Wir sind fast dankbar, dass unsere Augen nun wieder Halt gefunden haben, denn ansonsten ist das Land eben wie ein Brett und auch recht eintönig. Und kaum haben wir Sicht auf den Krater, setzt ein Phänomen ein, das ich sonst nur vom Bergsteigen kenne: je früher man den Gipfel sehen kann, desto mehr zieht sich der Weg gefühlsmäßig in die Länge. So ist es auch hier und die Kilometer schleppen sich dahin, bis wir schließlich Tses erreichen, wo eine Staubstraße links von der Teerpad zum Krater führt. Zunächst aber biegen wir rechts ab, nach Tses hinein, denn wir müssen schon wieder einkaufen. Jetzt, wo wir alle naslang Gelegenheit haben, Vorräte aufzufüllen, hamstern und haushalten wir nicht mehr, was wiederum ein rasantes Schrumpfen unserer Softdrink-Reserven zur Folge hat. Doch Tses ist ein Minikaff, nur mit Müh und Not finden wir einen Laden, der Cola im Sortiment hat und kaufen diesen leer.











Dann endlich geht es Richtung Krater. Wir überqueren den Fish River, der hier so pfützig und unspektakulär aussieht, dass man ihm nie und nimmer den grandiosen Canyon im Süden Namibias zutrauen würde. Vereinzelte Lachen stehen in einem Sandbett, das sich an einem recht niedrigen Flussufer entlang schlängelt, Algen schlabbern in den Tümpeln und der Himmel spiegelt sich im trüben Nass. Das Amüsanteste an dieser Stelle ist definitiv das Schild, das die Überquerung des Flusses ankündigt. „Fish“ steht da geschrieben, untermalt von zwei blauen Wellen. Und wo Fisch drauf steht, wird wohl auch Fisch drin sein; nur ob der schmeckt...

40 staubige Kilometer später erreichen wir Berseba, eine Straße zweigt nach rechts zum Brukkaros ab, die uns bald darauf zum Gate der Community Area bringt. Das Tor erhebt sich in beeindruckender Größe vor der noch beeindruckenderen Größe der Flanken des Kraters. Wie ein himmlischer Pfad scheint die rötliche Staubstraße in unergründliche Höhen zu führen und ich freue mich so, endlich da hinauf zu kommen. Am Gate empfängt uns ein Community-Angestellter, der uns herzlich willkommen heißt und genau über die örtlichen Gegebenheiten aufklärt. Es gäbe zwei Campsites; eine tiefer gelegene, die man auch mit einem 2x4 erreichen könne und eine weiter oben, für die ein 4x4 vonnöten sei. Beide Plätze hätten Facilities wie Schattenhäuschen und Toilette, allein Wasser gäbe es nicht. Na toll! Nicht, dass wir das nicht geahnt hätten, aber leider sind unsere Wassertanks seit Rooiputs leer und in Keetmanshoop haben wir im Zivilisationsrausch nicht ans Auffüllen gedacht. Wir brauchen also Wasser. Kein Problem, sagt der Gateman, und beschreibt uns genau, wo wir auftanken können – nämlich unten in Berseba. Okay, so viel Wasser brauchen wir ja nun wirklich nicht für die eine Nacht, dass gleich beide Autos zur H2O-Tanke müssen, eines genügt. Wir bezahlen alle anfallenden Eintritts- und Übernachtungsgebühren, schicken die „Meerkat“ gen Krater voraus, um den schönsten Platz auszuwählen und machen uns selbst auf den Rückweg nach Berseba. Wie beschrieben fahren wir an der Kreuzung zur Hauptstraße rechts, an der gelben Kirche vorbei, dann links, rechts und nochmal rechts und schon stehen wir vor der Town Hall, zu deutsch Rathaus, wo sich eine Wasserstelle befinden soll. Höflich fragen wir in der Amtsstube, ob und wenn ja, wo wir denn zapfen dürften. Freundlich und hilfsbereit zeigt man uns einen Wasserhahn im Vorgarten des Gebäudes, neben dem Jochen nun den Landy parkt. Mit einem mitgebrachten Schlauch überbrücken wir die Distanz zum gewindelosen Wasserspender und lassen es laufen. Viel Druck allerdings ist nicht auf der Leitung; es dauert eine ganze Weile, bis eine spritzende Fontäne kundtut, dass der Tank voll ist. Schnell schrauben wir den Deckel zu, packen unseren Schlauch ein, bedanken uns herzlich für die Freigiebigkeit, die man uns kostenlos zuteil werden ließ und endlich, endlich, steht jetzt auch unserem Brukkarosbesuch nichts mehr im Weg.











Eine Viertelstunde später passieren wir das mittlerweile verwaiste Gate und holpern die erste Etappe nach oben. Das angeblich 2x4-befahrbare Wegstück zur unteren Campsite ist zwar nicht sehr steil, könnte aber aufgrund des recht felsigen, rauen Untergrunds einen normalen Pkw durchaus an seine Leistungsgrenze bringen. Uns jedoch kümmert das nicht, vielmehr sind wir gespannt, welchen Platz unsere Reisegenossen wohl ausgesucht haben mögen. Auf der ersten Campsite sind sie nicht; also geht es weiter und die Straße wird deutlich steiler und anspruchsvoller. Mit teilweise ausgeprägter Schräglage ackern wir um enge Kurven, über scharfkantige Felsbrocken, vorbei an einigen Abgründen, bis wir schließlich auf der zweiten Campsite ankommen, wo wir von Jürg, Tommi, Patricia und Sven empfangen werden – leider nicht besonders begeistert. Der mangelnde Enthusiasmus der Vier liegt nicht in unserer Ankunft begründet; Ursache ist die eher sehr rustikale Ausstattung des Camps, die Kargheit der Umgebung und das Bewußtsein, weitaus zivilisiertere Übernachtungsmöglichkeiten in relativ greifbarer Nähe zu haben. Zugegeben, dieser Ort hat im üblichen Sinne nicht viel zu bieten: der Campground ist abschüssig und felsig, in der lange nicht mehr benutzten Schüssel des Plumsklos sitzen ein Gecko und eine recht ansehnliche Spinne, hinter uns ragen schroffe Felsen auf, zu unseren Füßen streckt sich eine schier unendliche Ebene dahin, ein paar schwarz-weiße Vögel rasen im Sturzflug über uns hinweg, der Krater wirft harte Schatten – sonst ist hier nichts. Aber gerade darauf hatte ich mich eigentlich gefreut... Aber ich bin nicht alleine, wir sind zu acht, und jeder hat das Recht, seine Wünsche kundzutun. Ein vorsichtiger Meinungsaustausch führt zu einem Ergebnis, mit dem jeder von uns leben kann: wir nehmen uns Zeit, die Umgebung zu erkunden, zu wandern, zu dösen, zu schauen, jeder wie er will, dann werden wir weiterfahren, heute noch, und das Camp am Hardap Damm ansteuern.











Heinz, Jürg, Jochen, Annette und Tommi rüsten sich zu einer Wanderung hinauf auf den Kraterrand, Patricia und Sven hingegen wollen auf der Campsite bleiben. Auch ich möchte mich gerne in Bewegung setzen, etwas sehen, den Inselberg erwandern – und vor allen Dingen alleine sein. Dieser Drang ist gerade so übermächtig, dass ich sogar Heinz, wenn auch etwas traurig, mit den anderen gerne auf Tour gehen lasse. Ich ziehe mich mit einem Bestimmungsbuch auf den Hang über der Campsite zurück, warte ab, bis die Wanderer losgezogen und in den Serpentinen des schmalen Wanderpfads verschwunden sind. Dann gehe auch ich los, hinein in ein sonnendurchglühtes Tal, an dessen schroffen Hängen einzelne Aloen wachsen und in dem sich das Getschilpe der Sturzflug-Vögel hundertfach bricht. Weiter und weiter zieht es mich hinauf, bis ich schließlich an eine Stelle komme, die so unwegsam, so steil ist, dass ich mir selbst – nur mit Sandalen an den Füßen – Einhalt gebiete. Ein paar Meter klettere ich wieder zurück, zu einem Felsen, auf dem ich mich niederlassen kann. Einladend leuchtet mir das natürliche Sitzpodest entgegen, ich setze mich, aber der Stein ist wie eine Ofenplatte, so heiß, dass ich es kaum aushalte. Von einer Backe auf die andere wippend, kühle ich meinen Hocker geduldig herunter und genieße dann, mit einer angenehm temperierten Sitzheizung unter mir, den grandiosen Ausblick, die Einsamkeit, die Stille.





















Irgendwann, inmitten dieser kontemplativen Phase, sehe ich hoch über mir ein paar sich bewegende Punkte, ein Jauchzer schallt durch das Tal und ich bedaure fast ein bisschen, nicht auch dort oben zu sein. Aber jetzt den ganzen Weg zurück gehen, Schuhe wechseln, um anschließend wieder rauf zu latschen? Nein, beschließe ich, da bleibe ich lieber, wo ich bin und gebe mich so der Magie des Brukkaros hin. Nahezu magisch sind auch die Flugkünste der kleinen schwarz-weißen Bergsteinschmätzer, die in atemberaubenden Manövern durch die Lüfte kurven. Sie sind gerne in geselligen Grüppchen unterwegs und lassen sich zwischendurch immer wieder auf den Felsen nieder, um sich lautstark anzutschilpen. Und je länger ich hier sitze, desto unbesorgter trauen sie sich in meine Nähe. Gerade haben sich ein paar der geschwätzigen Vögel einige Meter neben mir versammelt, als sie vor irgend etwas erschrecken, hektisch hochflattern und geschlossen auf die andere Seite des Tales flüchten. Sekunden später biegen Heinz und seine Wandergenossen ums Eck und sind ganz erstaunt, mich hier vorzufinden – alleine und in Sandalen... Gemeinsam machen wir uns auf den Rückweg und ich lasse mir von den Erlebnissen der Wandertour berichten, die sich nur marginal von meinen eigenen unterscheiden: friedvolle Stille, wundervolle Landschaft, artistische Steinschmätzer, keine weiteren Sukkulenten, auch nicht oben am Kraterrand. Aber der Ausflug zum Brukkaros hat sich trotzdem oder gerade deswegen mehr als gelohnt. Jetzt, mit dieser Erfahrung im Gepäck, können wir diesen Berg leichteren Herzens verlassen.

Drei Stunden nach unserer Ankunft steigen wir wieder in die Autos und fahren den steilen Weg nach unten. Die Zelte auf dem Dach der „Meerkat“ kullern dabei von einer Seite auf die andere und wir versuchen, den vor uns Fahrenden das Problem zu signalisieren. In letzter Minute, als sich das erste Zelt gerade selbständig machen will, um auf Nimmerwiedersehen im Abgrund zu verschwinden, bemerken die Vier ihre lose Fracht und halten an – am steilsten Stück der Strecke. Sven klettert aufs Dach und bemüht sich nach Kräften, in dieser Schräglage die Sachen wieder zu vertäuen. Das aber ist gar nicht so einfach, denn der Dachträger ist auf einer Seite gebrochen, so stellt sich heraus, und somit in sich nicht mehr wirklich stabil. Das Auto offenbart uns mit diesem Schaden seine hoffentlich letzte Schwachstelle; bis Windhoek werden wir es wohl noch schaffen. Der Vermieter allerdings wird sich freuen, wenn wir ihm die marode Karre wieder bringen; aber egal, mit dem Knaben haben wir ohnehin noch eine Rechnung offen und das eine oder andere Hühnchen zu rupfen.

Unbeschadet und ohne Verlust eines Ausrüstungsgegenstandes erreichen wir die Ebene am Fuße des Brukkkaros und bald darauf auch die geteerte B1. Dort stellt sich dann eine Gewissensfrage: es sind rund 150 Kilometer bis Mariental, kurz vor dem Hardap Damm, die Tanknadel des grünen Landy steht auf Reserve und es gibt unterwegs genau zwei Tankstellen; ob die allerdings geöffnet haben, ist mehr als fraglich. In Tses, gleich hier um die Ecke, wäre auch eine, doch Jochen hat keine Lust, schon wieder in das Kaff zu fahren, geht lieber das Risiko ein, trocken zu laufen – schließlich gäbe es ja auch noch den fast vollen Tank der „Meerkat“, tut er mit einem Augenzwinkern kund. Wo er recht hat, hat er recht. No risk, no fun – diese Haltung stößt nun nicht gerade bei allen auf Verständnis, doch mir ist die Entscheidung ziemlich egal, an diesem vorletzten Tag unserer Reise, mitten in der Zivilisation. Und wenn wir heute nicht mehr zum Damm kommen sollten, dann finde ich das auch nicht schlimm, denn meine Vorfreude auf diesen Recreation-Moloch, den ich bereits vor 20 Jahren als Zwischenstation besucht hatte und damals schon nicht mochte, hält sich in Grenzen. Ungetankt machen wir uns nun dorthin auf den Weg, die erste Tanke in Asab hat geschlossen, die zweite liegt acht Kilometer links der B1 und dort lassen wir sie auch liegen – doch unser Restpfützchen Diesel bringt uns tatsächlich brav nach Mariental, wo uns mindestens zehn luxusmäßige Tanksäulen erwarten. Hier herrscht Hochbetrieb, aber nach fünf Minuten des Wartens ergattern wir eine freie Zapfsäule, machen voll und erreichen bald darauf das Gate zum Hardap Dam Recreation Ressort. Eine wohlgenährte, bestens gelaunte Pfortendame erledigt rasch den nötigen Papier- und Finanzkram mit uns, drückt uns einen Lageplan in die Hand und entläßt uns in die schier unendlichen Weiten dieses Erholungsparks.











Wir fahren eine ganze Weile, bis wir die riesige Staumauer erreichen, hinter der sich Namibias größter künstlicher See auftut, dessen Uferverlauf wir nun über Kilometer folgen. Auf saftig grünen Wiesen, die täglich bewässert werden, tummeln sich Klippschliefer, die uns fies angrinsen, wir passieren das Restaurant- und Tagungsgebäude, das wie eine futuristische Bienenwabe – aus 70er-Jahre-Sicht – über dem Stausee thront und stoßen schließlich auf eine Camp Area. Diese wird umfriedet von lieblosen Reihenbungalows, einer zwanghaft rustikalen Steinmauer und, quasi als Krönung, einem Braai-Gelände mit unglaublich häßlichen, gemauerten Tischen und Bänken, die den Charme eines sozialistischen Biergartens verströmen. Allein die Vorstellung, sich hier, an diesem Ort, in der Hochsaison aufhalten zu müssen, wenn alle Bunglows, der Campground und die Grillstationen voll belegt sind, treibt mir den Angstschweiß auf die Stirne. Doch außer uns ist hier niemand, was die ganze Sache auf fast perverse Weise schon wieder ein wenig genußvoll macht. Klingt das eventuell alles so, als würde ich klagen, meckern, kritisieren? Nein, es ist alles okay; auch die stinkende Kackwurst, die sicher seit mehreren Tagen in der Schüssel der ersten Toilettenkabine, die ich aufsuche, herumdümpelt, stört mich überhaupt nicht; ich setze mich einfach auf den nächsten Topf. Und es macht mir gar nichts aus, dass mittlerweile ein Gewitter aufzieht, dessen vorauseilende Winde mich fast von der Brille wehen und für Minuten die Beleuchtung des Waschgebäudes außer Gefecht setzen. Wohlgelaunt taste ich mich durch die Dunkelheit nach draußen und werde dort von Heinz’ nahezu unerschütterlicher Begeisterung empfangen.

Er hat in der Zwischenzeit einen blühenden Leberwurstbaum entdeckt, dessen riesige, auberginenfarbene Blüten im eigentümlichen Licht des herannahenden Gewitters förmlich leuchten. Im Geäst eines Baumes am Rande der Campsite gibt es zudem ein Nest voll mit jungen Graubülbüls, die ihren regelmäßig mit Futter heranfliegenden Eltern begierig ihre weit aufgesperrten Schnäbel entgegenrecken. Besorgt um das Wohl der Kleinen, blickt Heinz immer wieder zum bläulich-schwarzen Himmel, der auch uns etwas beunruhigt. Schließlich ist das heute unsere letzte Nacht in Zelten und es wäre mehr als unpraktisch, würden diese jetzt nochmal richtig nass. So also verschieben wir den Aufbau und widmen uns zuerst der Essenszubereitung. Vorsichtshalber ziehen wir uns dazu unter das Vordach eines der Bungalows zurück; eine weise Entscheidung, denn während unseres letzten, selbst gekochten Abendmahls kommt tatsächlich ein ergiebiger Schauer vom Himmel. Doch bald verziehen sich Regen und Wolken, Sterne werden sichtbar und nach getaner Spülarbeit können wir unsere Zelte auf nahezu wieder trockenem Boden errichten. Wir schleppen unser Equipment hinunter auf die Rasenfläche, säubern die Terrasse, gönnen uns noch ein Bierchen und begeben uns dann zur finalen Open-Air-Nachtruhe.

28. November 2009 - Hardap Damm > Windhoek, Puccini Guest House

Früh am Morgen erwachen wir in Zelten, die über Nacht glücklicherweise keinen weiteren Schauer abbekommen haben und versammeln uns zum Frühstück. Während des Essens besprechen wir den heutigen Tagesablauf, den sich jeder ein bisschen anders vorstellt. Annette und Jochen würden gerne den kleinen, angrenzenden Game Park besuchen, dessen Eintrittspreis in den Übernachtungsgebühren inkludiert ist, Patricia, Sven, Jürg und Tommi hingegen wollen so schnell wie möglich los, um nach der Ankunft in Windhoek die Zeit noch für ein ausgiebiges Shopping nutzen zu können. Heinz und ich sind etwas unentschlossen – weder eine Pirschfahrt im Hardap Game Park noch ein Souvenir-Marathon können uns wirklich reizen. Wir alle merken deutlich, dass die Luft ziemlich raus ist. Über drei Wochen lang hatten wir Wildnis pur, Tiere satt, eine wunderschöne und spannende Zeit voller Erlebnisse und unzähliger Eindrücke, die irgendwie nicht mehr zu toppen sind. Zur gemütlichen Andenkenjagden hingegen gab es leider wenig Gelegenheiten, weshalb ich gut verstehen kann, dass dahingehend noch einige Wünsche offen sind – und da nehme ich mich selbst nicht aus. Außerdem ist heute unser letzter Tag; morgen müssen wir die „Meerkat“ zurückgeben, der grüne Landy kommt in seine Garage auf der Ondekaremba Farm und es ist noch einiges zu ordnen, zu sortieren, zu säubern und zu packen. Hier, auf dem Campgelände des Hardap Ressorts haben wir einen Wasseranschluss und, vor allen Dingen, viel Platz, was im Hof des Puccini Guest House sicher nicht der Fall ist.

Aus diesen Erkenntnissen heraus ist schnell eine Entscheidung getroffen: der Besuch des Hardap Reserves wird gestrichen, jeder säubert und packt das jeweilige Zelt, das ihm in den vergangenen Wochen Schutz und Rückzugsmöglichkeit geboten hat, danach trennen sich unsere Wege für die nächsten Stunden. Patricia, Sven, Jürg und Tommi brechen nach Windhoek auf, während Annette, Jochen, Heinz und ich in aller Ruhe den Rest aufräumen und den grünen Landy weitestgehend garagenfertig machen, bevor auch wir den 240 Kilometer langen Weg in die namibische Hauptstadt antreten. Die Strecke ist rasch heruntergespult und gen Mittag laufen wir in den Großraum der Stadt ein. Dabei passieren wir den kleinen Holzschnitzermarkt in der Nähe des Eros-Flughafens, der direkt neben der Straße liegt und halten dort an. Viel ist hier nicht los – ein Regenschauer vor nicht allzu langer Zeit hat wohl alle Käufer vertrieben – ein paar der Stände sind sogar noch mit Planen verhangen, in deren Vertiefungen nun das Wasser steht. Doch bereitwillig decken die Marktleute ihre Schätze auf und wir schlendern genüßlich über das touristenfreie Souvenir-Paradies. Jetzt bin ich schon so oft in Afrika gewesen, habe fast jedes Mal etwas Hübsches mitgebracht und bin mit den Jahren natürlich immer selektiver geworden. Mittlerweile kaufe ich sehr zurückhaltend, die Kapazitäten meiner Wohnung sind ja auch begrenzt; das Stück muss, zumindest in meinen Augen, etwas ganz Besonderes sein, es muss mich extrem ansprechen – und das meine ich wörtlich. Trotz aller Zurückhaltung, es scheint wie verhext, habe ich dennoch auf jeder Reise eine Kleinigkeit gefunden und so ist es auch diesmal.

Das dicke Hippo da hinten, es spricht nicht, es schreit mich förmlich an, ist aber beileibe keine Kleinigkeit. Der Regen hat reichlich Sand an seinem unförmigen Körper hochspritzen lassen, auf seinem Rücken und der breiten Nase haften je ein Spritzer weißen Vogelkots und ich nähere mich verzückt der tonnenförmigen Holzkreatur. Es ist Liebe auf den ersten Blick, die aber ernüchternd ins Trudeln gerät, als ich den Minikoloss probehalber anhebe. Bah, ist das Teil schwer! Sofort stürzt ein Verkäufer auf mich zu, der es mir gerne für einen durchaus diskutablen Preis überlassen würde. Nein, wehre ich dankend ab, das ist viel zu schwer, wie soll ich das nach Hause transportieren!? Hilfreich und verkaufstüchtig präsentiert mir der Standbesitzer noch weitere Hippos, allesamt kleiner, viel leichter, hochglanzpoliert, doch ohne den eigenartigen Charme des roh bearbeiteten Schwergewichts. Nein, vielen Dank, beharre ich, wohl wissend, dass ich dem Eisenholztönnchen wahrscheinlich nicht widerstehen werde können. Deshalb muss zuerst die Lage peilen und schauen, was Heinz so treibt, der am Nachbarstand mit einer Maske in sprechende Beziehung getreten ist. Nicht, dass wir zum Schluss das Aufnahmevermögen unseres Gepäcks total sprengen und nebenbei noch das Maximalgewicht erheblich überschreiten... Doch nein, das auserwählte Stück meines Liebsten ist nur knapp 70 Zentimeter lang, ganz schmal und ganz, ganz leicht: ein Gesicht aus hellem Holz, mit schwarzem Käppchen, schläfrigen Augen, aristokratischer Nase, spitzem Kinn und sichtbarer Zungenspitze, die keck aus schmalen Lippen ragt. Na, die beiden Stücke sollten wir wohl im Gepäck untergebracht bekommen...

Gemeinsam schreiten wir zur Tat, begeben uns in die Verhandlungsphase, was nur möglich ist, da uns Annette freundlicherweise die Vorab-Finanzierung zusagt – wir beide nämlich haben nicht einen NAM-Dollar in der Tasche. Umso mehr strengen wir uns beim Handeln an und nach zähem Ringen erzielen wir schließlich einen sehr akzeptablen Nimm-Zwei-Rabatt-Preis: statt der ursprünglich geforderten 900 NAM-Dollar zahlen wir nur noch 500 – für 10 Kilogramm Nilpferd und 66 Zentimeter Gesicht! Die beiden verwandten, befreundeten, verschwägerten oder sonst wie verbandelten Händler packen uns freudig das jeweilige Souvenir in Zeitungspapier und wir nehmen die Pakete mindestens ebenso freudig entgegen. „Wie heißt er denn?“, frage ich meinen Schnitzer und strahle ihn und das Hippo, das mich deutlich in die Knie gehen lässt, erwartungsvoll an. „Das ist ein NILPFERD!“, entgegnet der, fassungslos ob meiner unglaublichen, zoologischen Bildungslücke. „Ja, klar, ein Nilpferd, aber es muss doch einen Namen haben!“ „Ach so, ja, natürlich“, erwidert der Verkäufer, erleichtert, dass er sein Produkt nicht einer völlig Schwachsinnigen in die Hand gedrückt hat, „das ist Jacob!“ Sein Kumpel deutet daraufhin geistesgegenwärtig auf Heinz’ Maske und meint: „Und das ist Manuel!“ So soll es denn sein! Hoch erfreut machen wir uns nach einer herzlichen Verabschiedung von den spontanen Namensgebern wieder auf den Weg, zusammen mit unseren zwei umfangreichen Täuflingen, die wir erst morgen endgültig verstauen werden müssen. Gott sei Dank, denn mit jedem Kilometer, den wir uns weiter vom Markt entfernen, scheinen Jacob und Manuel größer und schwerer zu werden. Man verschätzt sich einfach leicht, wann immer man Dinge auf größerer Fläche präsentiert sieht. Wenn ich da an mein Tingatinga denke, das ich an einem weiten Strand der sansibarischen Ostküste erstanden habe – das sah dort bei weitem nicht so groß aus, wie es wirklich war; nämlich 2 Meter auf 1,20 Meter. Aber auch das habe ich heil nach Hause gebracht und ein schönes Plätzchen dafür gefunden...











Bald darauf kommen wir mitsamt unseren Schätzen beim Puccini Guest House an, läuten am Tor und werden eingelassen. Mit Müh und Not finden wir auf dem engen, zugeparkten Hof einen Platz fürs Auto und quetschen uns heraus. Wie gut, dass wir heute Morgen schon einen Großteil unseres Equipments gepackt haben; das wäre hier ein ziemlicher Akt geworden. Eine freundliche Dame heißt uns willkommen, zeigt uns unsere Zimmer, die klein, aber nett und sauber sind und wir lassen uns sofort aufs Bett fallen – zum ersten Mal nach drei Wochen. Das fühlt sich gut an, so gut, dass wir eigentlich gar nicht mehr aufstehen wollen, aber erst Mal müssen wir unsere Habseligkeiten aus dem Auto holen. Man glaubt gar nicht, wo überall man im Laufe dreier Wochen Sachen deponiert: Schuhe unter dem Autositz, diverse Fundstücke in der Vordersitztasche und im Gepäcknetz, eine Jacke hier, ein Handtuch dort. Sorgfältig suchen wir alle möglichen Stauräume ab und schleppen schließlich unsere Besitztümer in unser Zimmer, wo wir beschließen, das sei jetzt erst Mal genug der Anstrengung gewesen. Wir machen uns kurz frisch und begeben uns dann auf die schattige Terrasse im Innenhof der Pension, deren gemütliche Sofas zu einem faulen Nachmittag einladen. Bald gesellen sich auch Jochen und Annette zu uns. Gemeinsam lassen wir Momente der Reise revue passieren, beobachten die zahlreichen Vögel im Garten und vertreiben uns mit kühlen Getränken und anregenden Gesprächen die Zeit bis zum Abendessen, das wir heute zur Feier des Tages in der ehemaligen Kaiserkrone, jetzt „The Gourmet“, einnehmen wollen. Gegen 17 Uhr treffen unsere vom Shoppen erschöpften Mitreisenden ein, voll bepackt mit Souvenirs, die sie uns stolz präsentieren. Hübsche Sachen haben sie da erstanden, aber, so denke ich mir insgeheim, Jacob und Manuel sind durch nichts zu schlagen! Doch das ist eine reine Geschmacksfrage und über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.





















Auch nicht über den Geschmack des Essens, das wir im Gourmet kredenzt bekommen, in welchem wir eine Stunde später zu Fuß einlaufen. Der kleine Spaziergang durch das weihnachtlich dekorierte Windhoek lässt seltsame Gefühle bezüglich der bevorstehenden Heimreise aufkommen, die aber im Innenhof des Restaurants – Draußensitzen bei lauen Temperaturen – gleich wieder in der Versenkung verschwinden. Ausgiebig genießen wir unseren letzten, gemeinsamen Abend bei opulentem und sehr schmackhaftem Essen, bevor wir uns gelöster Stimmung und mit prall gefüllten Bäuchen durch das nächtliche Windhoek wieder zum Puccini Guest House schleppen. Und jetzt ins Bett, ach, wie herrlich!

29. November 2009 - Windhoek, Puccini Guest House > München

Die letzte Nacht auf afrikanischem Boden – für dieses Jahr – ist vorbei. Wir erwachen ziemlich früh, denn durch unser geöffnetes Fenster dringt ungewohnter Verkehrslärm, Menschenstimmen vermischen sich mit Geschirrgeklapper und auf dem Flur vor unserem Zimmer klacken Absätze über den Steinboden. Wir beenden den Kampf mit den ebenso ungewohnten, wenn auch göttlichen Betten, den Laken und Kissen, ziehen uns an und tappern in den Frühstücksraum, wo schon ein üppiges Buffet und unsere Mitreisenden auf uns warten. Die Tische sind leider recht klein, so dass wir uns separieren müssen, um das ganze Aufgebot an Schüsselchen, Tellerchen, Tassen und Gläsern unterbringen zu können. Mampfend genießen wir all die leckeren Dinge, die hier angeboten werden – nicht, dass wir in den letzten Wochen gedarbt hätten, im Gegenteil, aber bestimmte Lebensmittel, wie zum Beispiel frische Milch, sind eben nicht so safarigeeignet. Zufrieden lecken wir uns nach der Schlemmerstunde die letzten Brösel aus den Mundwinkeln und sind eigentlich fertig, als Heinz sich doch noch ein kleines Schnittchen Brot holt. Im Prinzip ist er pappsatt, aber auf unserem Tisch steht ein Glas, dessen rehbrauner Inhalt es ihm die ganze Zeit schon angetan hat. „Marmite“ liest man auf dem Etikett, „extra beefy“ in kleinen Lettern unter dem Markennamen – ein Produkt, das Heinz völlig unbekannt ist und das will er jetzt testen. Er ist allem Neuen gegenüber sehr aufgeschlossen und probiert deshalb auch gerne ihm unbekannte, „landestypische“ Lebensmittel. Entsetzt starre ich ihn an, als er nach dem Glas greift, es aufschraubt, sein Messer in das klebrige Zeug tunkt und ich realisiere, was er da vorhat. „Nein, Schneck, das ist nicht dein Ernst!? Das schmeckt grauenvoll, tu’s bitte nicht!“ Doch seelenruhig und völlig unbeeindruckt streicht er das ekelige Gebräu auf sein Schnittchen, beißt gespannt hinein und verzieht augenblicklich das Gesicht. Zweimal noch kaut er gequält, dann spuckt er den widerlichen Brei würgend in eine Serviette. Er tut mir so leid, denn zu gut noch kann ich mich an meinen ersten und auch letzten Kontakt mit diesem abartigen Aufstrich erinnern, dessen Geschmack für die meisten Menschen nahezu unerträglich ist – und der Nachgeschmack heftet sich derart penetrant auf die Geschmacksknospen, dass man ihn ewig nicht mehr los wird. Fast wie stark verwesendes Fleisch, dessen Odeur sich in den Nasenhärchen festzukrallen scheint... Doch über Geschmack muss man, wie schon gesagt, nicht streiten, zumal es ja offenbar auch genügend Liebhaber dieser perversen Schmiere gibt.

Nun, schaler Nachgeschmack hin oder her, wir müssen uns jetzt einer Sache widmen, die uns auch nicht gerade Begeisterungsstürme entlockt: packen. Schon der erste Blick in meine 140-Liter-Reisetasche und auf die Klamottenhaufen, die das Bett fast unter sich begraben, genügt, um festzustellen, dass ich Jacob wohl im Handgepäck nach Hause bringen muss. Also gut. Schwitzend schlichten und stopfen wir, was das Zeug hält, werfen alles ansatzweise Entbehrliche aus unseren Bordrucksäcken, bis schließlich auch die letzte Kleinigkeit untergebracht ist – bis auf Jacob... Dann kommt der entscheidende Moment, in dem das rau geschnitzte Hippo kopfüber in meinen 40-Liter-Deuter rutschen soll. Doch Jacob sperrt sich, der Kopf ist zwar drin, aber danach ist Schluss. Ich zerre ihn wieder heraus und probiere es andersherum. Fehlanzeige! Etwas ratlos steht ich vor meinem neuen, gewichtigen Freund und lasse meinen Blick sinnierend über seine runden Pobacken schweifen, als mir die rettende Idee kommt: vom Umfang her würde er schon reinpassen, allein an Gleitfähigkeit fehlt es ihm. Kurzerhand klaube ich meinen durchgenudelten Türkenkoffer, praktisches Nachtgepäck für’s Zelt, wieder aus dem Abfalleimer, umhülle Jacob mit der glatten Kunstfaser und siehe da – es macht flupp und das Holzdickerchen ist bis zur Nasenspitze verstaut. Mein Bordgepäck wiegt jetzt freilich ungefähr 13 Kilogramm, aber wenn ich mir den Rucksack jedesmal locker-flockig über die Schulter hänge, wann immer wir kritischen Airline-Personal-Kontakt haben und ich ihn ohne Ächzen und Stöhnen in den Overhead Locker gehievt kriege, ist Jacob so gut wie daheim! Übrigens – bevor jetzt ein entrüsteter Aufschrei durch die Leserschaft geht: ich erwerbe besagte strapazierfähige, rutschfreudige Gepäckstücke immer in einem benachbarten türkischen Laden. Bei meinem ersten Kauf deutete ich auf die Kunstfaserdinger im Regal und meinte, um niemandem auf den Schlips zu treten: „Sowas da, bitte.“ „Ah, willst du Türkenkoffer!“, entgegnete der Verkäufer mit Migrationshintergrund und reichte mir das Gewünschte...

Erleichtert schleppen wir unsere Gepäckstücke aus dem Zimmer, hinaus auf den Hof, hin zu den Autos. Doch offenbar haben auch unsere Mitreisenden Probleme mit der Unterbringung ihrer zahlreichen Souvenirs, denn bis auf Annette und Jochen ist noch niemand in Sicht. Heinz und ich verstauen unser Zeug im Auto, lassen uns danach wartenderweise auf den Steinen, die die Beete im Eingangsbereich des Guest House umfrieden, nieder und genießen die Sonne, solange wir noch hier, auf der südlichen Halbkugel und im Freien sein können. Nach geraumer Weile trudeln nacheinander auch die anderen ein und wir schreiten gemeinsam zur Rezeption, um unsere Rechnungen zu begleichen. Als ich mich von meiner Sitzgelegenheit erhebe, höre ich ein vernehmliches „Ratsch“: der scharfkantige Stein hat einen glatten, zirka 10 Zentimeter langen Schnitt in meinen Hosenboden geschlitzt. Na super, das muss ausgerechnet jetzt passieren! Mein halber Hintern spitzt durch den Riß und wenn ich nichts dagegen unternehme, hängt er, noch bevor wir in Johannesburg sind, ganz heraus. Entnervt zerre ich meine Reisetasche wieder aus dem Auto, knibble den zerstörten Reißverschluss auf und krame das Textilklebeband aus meiner mobilen Reisewerkstatt, die glücklicherweise ganz oben liegt. Alle Nagelscheren, Messer und sonstigen Schneidwerkzeuge sind im Gegensatz dazu natürlich unerreichbar; so also marschiere ich in die Küche unserer Herberge, aus der ich lautes Klappern höre. Eine nette Angestellte hilft mir mit einer Schere aus, aber das Ding ist derart stumpf, dass man damit partout nicht schneiden kann. Mit vereinten Kräften säbeln wir schließlich mit einem nicht minder stumpfen Messer zwei ausreichend große Stücke aus dem Klebeband, millimeterweise, und ich verschwinde mit den fransigen, klebrigen Teilen auf der Toilette, um den Schaden zu gut wie möglich in den Griff zu bekommen. Das weitere Reißen des Stoffes ist nach dem beidseitigen Aufbringen des Bandes zwar gestoppt, dafür aber klebt die Innenseite meiner Hose an der Pobacke, die Außenseite auf jeder genutzten Sitzfläche und ich trage einen deutlich sichtbaren, schwarzen Streifen quer über die linke Hälfte meines Allerwertesten. Schick ist was anderes, aber was soll’s; Hauptsache, ich stehe nicht irgendwann ohne Hose da...

Derart instandgesetzt erreichen wir eine Stunde später den Flughafen, laden all unser Gepäck aus, Jochen bringt den grünen Landy in seine Garage auf der Ondekaremba Farm zurück, Tommi retourniert die „Meerkat“ mitsamt einer Liste aller Beanstandungen, während wir, der Rest der Truppe, uns gemütlich an den betonierten Tischen im Außenbereich des Flughafens niederlassen. Hier können wir noch trefflich sitzen, die lauen Temperaturen genießen und über Neuankömmlinge lästern, die sich allesamt blasshäutig und aufgeregt, geführt von safaribehosten Guides, in enge Kleinbusse schlichten. Doch je länger wir herumhocken, desto mehr bewölkt sich der Himmel, bis es schließlich sogar noch zu nieseln beginnt. Gerade ist wieder eine neue Reisegruppe mit all ihrem Gepäck und den großen Erwartungen aus dem Flughafengebäude gekommen; ungläubig und geradezu fassungslos richten sich die Augen der Newsters gen Himmel – und sie tun mir fast leid ob dieses feuchten Empfangs. Doch vielleicht weint der Himmel ja wegen uns, weil wir wieder nach Hause müssen? Eine schöne Vorstellung, aber da ist wohl eher ein sentimentaler Wunsch Vater dieses tröstlichen Gedankens...

Dann ist die Stunde unseres Abschieds gekommen; nach einem letzten wehmütigen Blick auf den wolkenverhangenen Himmel, der doch so schön blau sein kann, wenn er nur will, treten wir unsere lange Heimreise an. Station um Station schleuse ich Jacob unauffällig durch die Kontrollen, hieve ihn mit scheinbar unangestrengtem Lächeln in die jeweilige Gepäckablage und alles geht glatt – bis wir in London durch den Transit-Security-Check müssen. Ich lege meinen Rucksack auf das Förderband, durchschreite piepsfrei den Metalldetektor und warte, bis das Röntgen meinen Jacob wieder ausspuckt. Doch plötzlich stoppt das Band, der Sicherheitsfuzzi starrt ratlos auf den Monitor, winkt einige Kollegen herbei, dann glotzen sie zu fünft, gestikulieren und diskutieren. Das Band setzt sich wieder in Gang, doch noch bevor mein grüner Deuter wieder aus dem Dunkel des Durchleuchtungskastens auftaucht, weiß ich, dass ich auspacken werde müssen. So ist es auch: „Please open your luggage, Madam!“ Mein Erklärungsversuch, es handle sich doch nur um eine harmlose Nilpferd-Schnitzerei, fruchtet nicht – also zerre ich den türkenkofferummantelten Jacob aus seinem engen Gefängnis und will gerade den Reißverschluss der Kunststofftasche öffnen, um das Dickerchen völlig freizulegen, als der Beamte abwinkt, sich das Paket greift und es erneut durch das Röntgen schiebt. Wieder wird zu fünft geschaut, dann nicken alle und ich erhalte meinen Schatz mit den Worten „quite heavy“ und einem strafenden Stirnrunzeln zurück. Wie gut, dass der Sicherheitstoni gewichtstechnisch nicht zu melden hat! Unschuldig schulterzuckend lasse ich Jacob in mein Bordsäcklein gleiten und verabschiede mich freundlich lächelnd von dem kritischen Beamten. Geschafft!

Eine Stunde später kämpfen wir uns bei strömendem Regen die Gangway zu unserem München-Zubringer nach oben, das laufende Triebwerk presst uns das Wasser waagrecht in die Ohren, mit verkniffenen Gesichtern passieren wir eine professionell zähnefletschende Stewardess und weitere zwei Stunden später landen wir in München. Die Heimat hat uns wieder; Heinz, mich und zwei neue Mitbürger namens Jacob und Manuel.

Es war ein wunderschöner Urlaub, aus dem wir viel mitgebracht haben – und damit meine ich nicht nur materielle Dinge, sondern in erster Linie etwas viel Wertvolleres: neue Erfahrungen, unzählige Eindrücke und das wohlige Gefühl, dass wir beide uns, nach einer 16-monatigen Wochenendbeziehung, noch viel näher gekommen sind. Und wie ein Symbol unserer wachsenden Beziehung stehen auch Heinz’ mitgebrachte Sämereien mittlerweile als kleine Pflänzchen in vollem Grün...