Donnerstag, 7. Januar 2010

28. November 2009 - Hardap Damm > Windhoek, Puccini Guest House

Früh am Morgen erwachen wir in Zelten, die über Nacht glücklicherweise keinen weiteren Schauer abbekommen haben und versammeln uns zum Frühstück. Während des Essens besprechen wir den heutigen Tagesablauf, den sich jeder ein bisschen anders vorstellt. Annette und Jochen würden gerne den kleinen, angrenzenden Game Park besuchen, dessen Eintrittspreis in den Übernachtungsgebühren inkludiert ist, Patricia, Sven, Jürg und Tommi hingegen wollen so schnell wie möglich los, um nach der Ankunft in Windhoek die Zeit noch für ein ausgiebiges Shopping nutzen zu können. Heinz und ich sind etwas unentschlossen – weder eine Pirschfahrt im Hardap Game Park noch ein Souvenir-Marathon können uns wirklich reizen. Wir alle merken deutlich, dass die Luft ziemlich raus ist. Über drei Wochen lang hatten wir Wildnis pur, Tiere satt, eine wunderschöne und spannende Zeit voller Erlebnisse und unzähliger Eindrücke, die irgendwie nicht mehr zu toppen sind. Zur gemütlichen Andenkenjagden hingegen gab es leider wenig Gelegenheiten, weshalb ich gut verstehen kann, dass dahingehend noch einige Wünsche offen sind – und da nehme ich mich selbst nicht aus. Außerdem ist heute unser letzter Tag; morgen müssen wir die „Meerkat“ zurückgeben, der grüne Landy kommt in seine Garage auf der Ondekaremba Farm und es ist noch einiges zu ordnen, zu sortieren, zu säubern und zu packen. Hier, auf dem Campgelände des Hardap Ressorts haben wir einen Wasseranschluss und, vor allen Dingen, viel Platz, was im Hof des Puccini Guest House sicher nicht der Fall ist.

Aus diesen Erkenntnissen heraus ist schnell eine Entscheidung getroffen: der Besuch des Hardap Reserves wird gestrichen, jeder säubert und packt das jeweilige Zelt, das ihm in den vergangenen Wochen Schutz und Rückzugsmöglichkeit geboten hat, danach trennen sich unsere Wege für die nächsten Stunden. Patricia, Sven, Jürg und Tommi brechen nach Windhoek auf, während Annette, Jochen, Heinz und ich in aller Ruhe den Rest aufräumen und den grünen Landy weitestgehend garagenfertig machen, bevor auch wir den 240 Kilometer langen Weg in die namibische Hauptstadt antreten. Die Strecke ist rasch heruntergespult und gen Mittag laufen wir in den Großraum der Stadt ein. Dabei passieren wir den kleinen Holzschnitzermarkt in der Nähe des Eros-Flughafens, der direkt neben der Straße liegt und halten dort an. Viel ist hier nicht los – ein Regenschauer vor nicht allzu langer Zeit hat wohl alle Käufer vertrieben – ein paar der Stände sind sogar noch mit Planen verhangen, in deren Vertiefungen nun das Wasser steht. Doch bereitwillig decken die Marktleute ihre Schätze auf und wir schlendern genüßlich über das touristenfreie Souvenir-Paradies. Jetzt bin ich schon so oft in Afrika gewesen, habe fast jedes Mal etwas Hübsches mitgebracht und bin mit den Jahren natürlich immer selektiver geworden. Mittlerweile kaufe ich sehr zurückhaltend, die Kapazitäten meiner Wohnung sind ja auch begrenzt; das Stück muss, zumindest in meinen Augen, etwas ganz Besonderes sein, es muss mich extrem ansprechen – und das meine ich wörtlich. Trotz aller Zurückhaltung, es scheint wie verhext, habe ich dennoch auf jeder Reise eine Kleinigkeit gefunden und so ist es auch diesmal.

Das dicke Hippo da hinten, es spricht nicht, es schreit mich förmlich an, ist aber beileibe keine Kleinigkeit. Der Regen hat reichlich Sand an seinem unförmigen Körper hochspritzen lassen, auf seinem Rücken und der breiten Nase haften je ein Spritzer weißen Vogelkots und ich nähere mich verzückt der tonnenförmigen Holzkreatur. Es ist Liebe auf den ersten Blick, die aber ernüchternd ins Trudeln gerät, als ich den Minikoloss probehalber anhebe. Bah, ist das Teil schwer! Sofort stürzt ein Verkäufer auf mich zu, der es mir gerne für einen durchaus diskutablen Preis überlassen würde. Nein, wehre ich dankend ab, das ist viel zu schwer, wie soll ich das nach Hause transportieren!? Hilfreich und verkaufstüchtig präsentiert mir der Standbesitzer noch weitere Hippos, allesamt kleiner, viel leichter, hochglanzpoliert, doch ohne den eigenartigen Charme des roh bearbeiteten Schwergewichts. Nein, vielen Dank, beharre ich, wohl wissend, dass ich dem Eisenholztönnchen wahrscheinlich nicht widerstehen werde können. Deshalb muss zuerst die Lage peilen und schauen, was Heinz so treibt, der am Nachbarstand mit einer Maske in sprechende Beziehung getreten ist. Nicht, dass wir zum Schluss das Aufnahmevermögen unseres Gepäcks total sprengen und nebenbei noch das Maximalgewicht erheblich überschreiten... Doch nein, das auserwählte Stück meines Liebsten ist nur knapp 70 Zentimeter lang, ganz schmal und ganz, ganz leicht: ein Gesicht aus hellem Holz, mit schwarzem Käppchen, schläfrigen Augen, aristokratischer Nase, spitzem Kinn und sichtbarer Zungenspitze, die keck aus schmalen Lippen ragt. Na, die beiden Stücke sollten wir wohl im Gepäck untergebracht bekommen...

Gemeinsam schreiten wir zur Tat, begeben uns in die Verhandlungsphase, was nur möglich ist, da uns Annette freundlicherweise die Vorab-Finanzierung zusagt – wir beide nämlich haben nicht einen NAM-Dollar in der Tasche. Umso mehr strengen wir uns beim Handeln an und nach zähem Ringen erzielen wir schließlich einen sehr akzeptablen Nimm-Zwei-Rabatt-Preis: statt der ursprünglich geforderten 900 NAM-Dollar zahlen wir nur noch 500 – für 10 Kilogramm Nilpferd und 66 Zentimeter Gesicht! Die beiden verwandten, befreundeten, verschwägerten oder sonst wie verbandelten Händler packen uns freudig das jeweilige Souvenir in Zeitungspapier und wir nehmen die Pakete mindestens ebenso freudig entgegen. „Wie heißt er denn?“, frage ich meinen Schnitzer und strahle ihn und das Hippo, das mich deutlich in die Knie gehen lässt, erwartungsvoll an. „Das ist ein NILPFERD!“, entgegnet der, fassungslos ob meiner unglaublichen, zoologischen Bildungslücke. „Ja, klar, ein Nilpferd, aber es muss doch einen Namen haben!“ „Ach so, ja, natürlich“, erwidert der Verkäufer, erleichtert, dass er sein Produkt nicht einer völlig Schwachsinnigen in die Hand gedrückt hat, „das ist Jacob!“ Sein Kumpel deutet daraufhin geistesgegenwärtig auf Heinz’ Maske und meint: „Und das ist Manuel!“ So soll es denn sein! Hoch erfreut machen wir uns nach einer herzlichen Verabschiedung von den spontanen Namensgebern wieder auf den Weg, zusammen mit unseren zwei umfangreichen Täuflingen, die wir erst morgen endgültig verstauen werden müssen. Gott sei Dank, denn mit jedem Kilometer, den wir uns weiter vom Markt entfernen, scheinen Jacob und Manuel größer und schwerer zu werden. Man verschätzt sich einfach leicht, wann immer man Dinge auf größerer Fläche präsentiert sieht. Wenn ich da an mein Tingatinga denke, das ich an einem weiten Strand der sansibarischen Ostküste erstanden habe – das sah dort bei weitem nicht so groß aus, wie es wirklich war; nämlich 2 Meter auf 1,20 Meter. Aber auch das habe ich heil nach Hause gebracht und ein schönes Plätzchen dafür gefunden...











Bald darauf kommen wir mitsamt unseren Schätzen beim Puccini Guest House an, läuten am Tor und werden eingelassen. Mit Müh und Not finden wir auf dem engen, zugeparkten Hof einen Platz fürs Auto und quetschen uns heraus. Wie gut, dass wir heute Morgen schon einen Großteil unseres Equipments gepackt haben; das wäre hier ein ziemlicher Akt geworden. Eine freundliche Dame heißt uns willkommen, zeigt uns unsere Zimmer, die klein, aber nett und sauber sind und wir lassen uns sofort aufs Bett fallen – zum ersten Mal nach drei Wochen. Das fühlt sich gut an, so gut, dass wir eigentlich gar nicht mehr aufstehen wollen, aber erst Mal müssen wir unsere Habseligkeiten aus dem Auto holen. Man glaubt gar nicht, wo überall man im Laufe dreier Wochen Sachen deponiert: Schuhe unter dem Autositz, diverse Fundstücke in der Vordersitztasche und im Gepäcknetz, eine Jacke hier, ein Handtuch dort. Sorgfältig suchen wir alle möglichen Stauräume ab und schleppen schließlich unsere Besitztümer in unser Zimmer, wo wir beschließen, das sei jetzt erst Mal genug der Anstrengung gewesen. Wir machen uns kurz frisch und begeben uns dann auf die schattige Terrasse im Innenhof der Pension, deren gemütliche Sofas zu einem faulen Nachmittag einladen. Bald gesellen sich auch Jochen und Annette zu uns. Gemeinsam lassen wir Momente der Reise revue passieren, beobachten die zahlreichen Vögel im Garten und vertreiben uns mit kühlen Getränken und anregenden Gesprächen die Zeit bis zum Abendessen, das wir heute zur Feier des Tages in der ehemaligen Kaiserkrone, jetzt „The Gourmet“, einnehmen wollen. Gegen 17 Uhr treffen unsere vom Shoppen erschöpften Mitreisenden ein, voll bepackt mit Souvenirs, die sie uns stolz präsentieren. Hübsche Sachen haben sie da erstanden, aber, so denke ich mir insgeheim, Jacob und Manuel sind durch nichts zu schlagen! Doch das ist eine reine Geschmacksfrage und über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.





















Auch nicht über den Geschmack des Essens, das wir im Gourmet kredenzt bekommen, in welchem wir eine Stunde später zu Fuß einlaufen. Der kleine Spaziergang durch das weihnachtlich dekorierte Windhoek lässt seltsame Gefühle bezüglich der bevorstehenden Heimreise aufkommen, die aber im Innenhof des Restaurants – Draußensitzen bei lauen Temperaturen – gleich wieder in der Versenkung verschwinden. Ausgiebig genießen wir unseren letzten, gemeinsamen Abend bei opulentem und sehr schmackhaftem Essen, bevor wir uns gelöster Stimmung und mit prall gefüllten Bäuchen durch das nächtliche Windhoek wieder zum Puccini Guest House schleppen. Und jetzt ins Bett, ach, wie herrlich!

29. November 2009 - Windhoek, Puccini Guest House > München

Die letzte Nacht auf afrikanischem Boden – für dieses Jahr – ist vorbei. Wir erwachen ziemlich früh, denn durch unser geöffnetes Fenster dringt ungewohnter Verkehrslärm, Menschenstimmen vermischen sich mit Geschirrgeklapper und auf dem Flur vor unserem Zimmer klacken Absätze über den Steinboden. Wir beenden den Kampf mit den ebenso ungewohnten, wenn auch göttlichen Betten, den Laken und Kissen, ziehen uns an und tappern in den Frühstücksraum, wo schon ein üppiges Buffet und unsere Mitreisenden auf uns warten. Die Tische sind leider recht klein, so dass wir uns separieren müssen, um das ganze Aufgebot an Schüsselchen, Tellerchen, Tassen und Gläsern unterbringen zu können. Mampfend genießen wir all die leckeren Dinge, die hier angeboten werden – nicht, dass wir in den letzten Wochen gedarbt hätten, im Gegenteil, aber bestimmte Lebensmittel, wie zum Beispiel frische Milch, sind eben nicht so safarigeeignet. Zufrieden lecken wir uns nach der Schlemmerstunde die letzten Brösel aus den Mundwinkeln und sind eigentlich fertig, als Heinz sich doch noch ein kleines Schnittchen Brot holt. Im Prinzip ist er pappsatt, aber auf unserem Tisch steht ein Glas, dessen rehbrauner Inhalt es ihm die ganze Zeit schon angetan hat. „Marmite“ liest man auf dem Etikett, „extra beefy“ in kleinen Lettern unter dem Markennamen – ein Produkt, das Heinz völlig unbekannt ist und das will er jetzt testen. Er ist allem Neuen gegenüber sehr aufgeschlossen und probiert deshalb auch gerne ihm unbekannte, „landestypische“ Lebensmittel. Entsetzt starre ich ihn an, als er nach dem Glas greift, es aufschraubt, sein Messer in das klebrige Zeug tunkt und ich realisiere, was er da vorhat. „Nein, Schneck, das ist nicht dein Ernst!? Das schmeckt grauenvoll, tu’s bitte nicht!“ Doch seelenruhig und völlig unbeeindruckt streicht er das ekelige Gebräu auf sein Schnittchen, beißt gespannt hinein und verzieht augenblicklich das Gesicht. Zweimal noch kaut er gequält, dann spuckt er den widerlichen Brei würgend in eine Serviette. Er tut mir so leid, denn zu gut noch kann ich mich an meinen ersten und auch letzten Kontakt mit diesem abartigen Aufstrich erinnern, dessen Geschmack für die meisten Menschen nahezu unerträglich ist – und der Nachgeschmack heftet sich derart penetrant auf die Geschmacksknospen, dass man ihn ewig nicht mehr los wird. Fast wie stark verwesendes Fleisch, dessen Odeur sich in den Nasenhärchen festzukrallen scheint... Doch über Geschmack muss man, wie schon gesagt, nicht streiten, zumal es ja offenbar auch genügend Liebhaber dieser perversen Schmiere gibt.

Nun, schaler Nachgeschmack hin oder her, wir müssen uns jetzt einer Sache widmen, die uns auch nicht gerade Begeisterungsstürme entlockt: packen. Schon der erste Blick in meine 140-Liter-Reisetasche und auf die Klamottenhaufen, die das Bett fast unter sich begraben, genügt, um festzustellen, dass ich Jacob wohl im Handgepäck nach Hause bringen muss. Also gut. Schwitzend schlichten und stopfen wir, was das Zeug hält, werfen alles ansatzweise Entbehrliche aus unseren Bordrucksäcken, bis schließlich auch die letzte Kleinigkeit untergebracht ist – bis auf Jacob... Dann kommt der entscheidende Moment, in dem das rau geschnitzte Hippo kopfüber in meinen 40-Liter-Deuter rutschen soll. Doch Jacob sperrt sich, der Kopf ist zwar drin, aber danach ist Schluss. Ich zerre ihn wieder heraus und probiere es andersherum. Fehlanzeige! Etwas ratlos steht ich vor meinem neuen, gewichtigen Freund und lasse meinen Blick sinnierend über seine runden Pobacken schweifen, als mir die rettende Idee kommt: vom Umfang her würde er schon reinpassen, allein an Gleitfähigkeit fehlt es ihm. Kurzerhand klaube ich meinen durchgenudelten Türkenkoffer, praktisches Nachtgepäck für’s Zelt, wieder aus dem Abfalleimer, umhülle Jacob mit der glatten Kunstfaser und siehe da – es macht flupp und das Holzdickerchen ist bis zur Nasenspitze verstaut. Mein Bordgepäck wiegt jetzt freilich ungefähr 13 Kilogramm, aber wenn ich mir den Rucksack jedesmal locker-flockig über die Schulter hänge, wann immer wir kritischen Airline-Personal-Kontakt haben und ich ihn ohne Ächzen und Stöhnen in den Overhead Locker gehievt kriege, ist Jacob so gut wie daheim! Übrigens – bevor jetzt ein entrüsteter Aufschrei durch die Leserschaft geht: ich erwerbe besagte strapazierfähige, rutschfreudige Gepäckstücke immer in einem benachbarten türkischen Laden. Bei meinem ersten Kauf deutete ich auf die Kunstfaserdinger im Regal und meinte, um niemandem auf den Schlips zu treten: „Sowas da, bitte.“ „Ah, willst du Türkenkoffer!“, entgegnete der Verkäufer mit Migrationshintergrund und reichte mir das Gewünschte...

Erleichtert schleppen wir unsere Gepäckstücke aus dem Zimmer, hinaus auf den Hof, hin zu den Autos. Doch offenbar haben auch unsere Mitreisenden Probleme mit der Unterbringung ihrer zahlreichen Souvenirs, denn bis auf Annette und Jochen ist noch niemand in Sicht. Heinz und ich verstauen unser Zeug im Auto, lassen uns danach wartenderweise auf den Steinen, die die Beete im Eingangsbereich des Guest House umfrieden, nieder und genießen die Sonne, solange wir noch hier, auf der südlichen Halbkugel und im Freien sein können. Nach geraumer Weile trudeln nacheinander auch die anderen ein und wir schreiten gemeinsam zur Rezeption, um unsere Rechnungen zu begleichen. Als ich mich von meiner Sitzgelegenheit erhebe, höre ich ein vernehmliches „Ratsch“: der scharfkantige Stein hat einen glatten, zirka 10 Zentimeter langen Schnitt in meinen Hosenboden geschlitzt. Na super, das muss ausgerechnet jetzt passieren! Mein halber Hintern spitzt durch den Riß und wenn ich nichts dagegen unternehme, hängt er, noch bevor wir in Johannesburg sind, ganz heraus. Entnervt zerre ich meine Reisetasche wieder aus dem Auto, knibble den zerstörten Reißverschluss auf und krame das Textilklebeband aus meiner mobilen Reisewerkstatt, die glücklicherweise ganz oben liegt. Alle Nagelscheren, Messer und sonstigen Schneidwerkzeuge sind im Gegensatz dazu natürlich unerreichbar; so also marschiere ich in die Küche unserer Herberge, aus der ich lautes Klappern höre. Eine nette Angestellte hilft mir mit einer Schere aus, aber das Ding ist derart stumpf, dass man damit partout nicht schneiden kann. Mit vereinten Kräften säbeln wir schließlich mit einem nicht minder stumpfen Messer zwei ausreichend große Stücke aus dem Klebeband, millimeterweise, und ich verschwinde mit den fransigen, klebrigen Teilen auf der Toilette, um den Schaden zu gut wie möglich in den Griff zu bekommen. Das weitere Reißen des Stoffes ist nach dem beidseitigen Aufbringen des Bandes zwar gestoppt, dafür aber klebt die Innenseite meiner Hose an der Pobacke, die Außenseite auf jeder genutzten Sitzfläche und ich trage einen deutlich sichtbaren, schwarzen Streifen quer über die linke Hälfte meines Allerwertesten. Schick ist was anderes, aber was soll’s; Hauptsache, ich stehe nicht irgendwann ohne Hose da...

Derart instandgesetzt erreichen wir eine Stunde später den Flughafen, laden all unser Gepäck aus, Jochen bringt den grünen Landy in seine Garage auf der Ondekaremba Farm zurück, Tommi retourniert die „Meerkat“ mitsamt einer Liste aller Beanstandungen, während wir, der Rest der Truppe, uns gemütlich an den betonierten Tischen im Außenbereich des Flughafens niederlassen. Hier können wir noch trefflich sitzen, die lauen Temperaturen genießen und über Neuankömmlinge lästern, die sich allesamt blasshäutig und aufgeregt, geführt von safaribehosten Guides, in enge Kleinbusse schlichten. Doch je länger wir herumhocken, desto mehr bewölkt sich der Himmel, bis es schließlich sogar noch zu nieseln beginnt. Gerade ist wieder eine neue Reisegruppe mit all ihrem Gepäck und den großen Erwartungen aus dem Flughafengebäude gekommen; ungläubig und geradezu fassungslos richten sich die Augen der Newsters gen Himmel – und sie tun mir fast leid ob dieses feuchten Empfangs. Doch vielleicht weint der Himmel ja wegen uns, weil wir wieder nach Hause müssen? Eine schöne Vorstellung, aber da ist wohl eher ein sentimentaler Wunsch Vater dieses tröstlichen Gedankens...

Dann ist die Stunde unseres Abschieds gekommen; nach einem letzten wehmütigen Blick auf den wolkenverhangenen Himmel, der doch so schön blau sein kann, wenn er nur will, treten wir unsere lange Heimreise an. Station um Station schleuse ich Jacob unauffällig durch die Kontrollen, hieve ihn mit scheinbar unangestrengtem Lächeln in die jeweilige Gepäckablage und alles geht glatt – bis wir in London durch den Transit-Security-Check müssen. Ich lege meinen Rucksack auf das Förderband, durchschreite piepsfrei den Metalldetektor und warte, bis das Röntgen meinen Jacob wieder ausspuckt. Doch plötzlich stoppt das Band, der Sicherheitsfuzzi starrt ratlos auf den Monitor, winkt einige Kollegen herbei, dann glotzen sie zu fünft, gestikulieren und diskutieren. Das Band setzt sich wieder in Gang, doch noch bevor mein grüner Deuter wieder aus dem Dunkel des Durchleuchtungskastens auftaucht, weiß ich, dass ich auspacken werde müssen. So ist es auch: „Please open your luggage, Madam!“ Mein Erklärungsversuch, es handle sich doch nur um eine harmlose Nilpferd-Schnitzerei, fruchtet nicht – also zerre ich den türkenkofferummantelten Jacob aus seinem engen Gefängnis und will gerade den Reißverschluss der Kunststofftasche öffnen, um das Dickerchen völlig freizulegen, als der Beamte abwinkt, sich das Paket greift und es erneut durch das Röntgen schiebt. Wieder wird zu fünft geschaut, dann nicken alle und ich erhalte meinen Schatz mit den Worten „quite heavy“ und einem strafenden Stirnrunzeln zurück. Wie gut, dass der Sicherheitstoni gewichtstechnisch nicht zu melden hat! Unschuldig schulterzuckend lasse ich Jacob in mein Bordsäcklein gleiten und verabschiede mich freundlich lächelnd von dem kritischen Beamten. Geschafft!

Eine Stunde später kämpfen wir uns bei strömendem Regen die Gangway zu unserem München-Zubringer nach oben, das laufende Triebwerk presst uns das Wasser waagrecht in die Ohren, mit verkniffenen Gesichtern passieren wir eine professionell zähnefletschende Stewardess und weitere zwei Stunden später landen wir in München. Die Heimat hat uns wieder; Heinz, mich und zwei neue Mitbürger namens Jacob und Manuel.

Es war ein wunderschöner Urlaub, aus dem wir viel mitgebracht haben – und damit meine ich nicht nur materielle Dinge, sondern in erster Linie etwas viel Wertvolleres: neue Erfahrungen, unzählige Eindrücke und das wohlige Gefühl, dass wir beide uns, nach einer 16-monatigen Wochenendbeziehung, noch viel näher gekommen sind. Und wie ein Symbol unserer wachsenden Beziehung stehen auch Heinz’ mitgebrachte Sämereien mittlerweile als kleine Pflänzchen in vollem Grün...

Freitag, 30. Oktober 2009

Kurzchillen in Südtirol 3

Samstag, 3. Oktober 2009

Ach, welch wohlig Nachtruh liegt hinter mir, gestützt von meiner getunten Gartenliege, umfangen von Daunen, die sich noch immer da befinden, wo sie gestern Abend beim Schlafengehen auch waren. OK, ich will nicht übertreiben: ich habe gut geschlafen, Punkt. Immerhin! Geweckt werde ich vom Gekruschle Monis, die schon ihre Schilddrüsentablette geschluckt hat und nun mit den Hufen scharrt, weil sie sich schon so auf’s Frühstück freut. Gemächlich schäle ich mich aus dem Bett – das Bad ist ohnehin gerade besetzt – und freue mich auf einen neuen Tag. Chrissie kommt kurz darauf frisch geduscht aus dem Bad, ich übernehme die nächste Schicht und Moni flitzt schon mal los. Herrjeh, das ist ja schon fast Stress hier! Nach meiner Morgentoilette werfe ich mich in meine Klamotten und nun schreiten auch Chrissie und ich hinab in den Frühstücksraum. Moni mampft schon eifrig und unsere Mitgäste sitzen heute auch noch plauschend an ihrem Tisch. Unser „Guten Morgen“ schallt in den Raum und wird höflich, aber irgendwie recht distanziert erwidert. Wir sind offenbar noch nicht in den Inner Circle der Innergatter Gästevolez vorgedrungen. Während wir die von Anneliese übrigens ganz hervorragend bestückte Kaffeetafel kahlessen, werden wir Zeugen typischer Frühstücksraum-Blabla-Gespräche, bei denen sofort die Besserwisser- und Vielschwafler-Hierarchien klar werden. Unsere Augenbrauen wandern mal rauf, mal runter, die Mundwinkel zucken immer wieder verdächtig, aber alles in allem benehmen wir uns vorbildlich: wir lästern nicht, wir flüstern nicht und versinken auch nicht unter dem Tisch vor Lachen. Nein, man kann uns definitiv nichts vorwerfen. Trotzdem scheinen die „Normal-Gäscht“ unsere Andersartigkeit zu wittern und bald verlassen sie mit einem knappen „Scheena Dog no“ die Frühstücksstube. Wir hingegen zelebrieren die erste Mahlzeit des Tages in aller Ausführlichkeit: mit der Tasse auf den Balkon, wieder rein, ein neues Semmelchen streichen und noch ein Tässchen mit Aussicht genießen...

Zwischendrin muss ich mal kurz auf’s Zimmer hoch und begegne auf dem Rückweg einer der Gäschtinnen, die voll gerüstet mit Wadlstrümpf, Bundhose und kariertem Multifunktionshemd aus ihrem Zimmer gestapft kommt. „Ah,“ sag ich, betont leutselig „wo geht’s denn heut hinauf?“ „Wir machen heute den Dingskogel über’n Blasteig gleich droben beim Sowiesoabzweig. Nix großes, nur ein paar Stunden.“, tönt die Gäschtin. „Und wo geht’s ihr heut rauf?“ „Wir gehen nicht,“ provoziere ich sie, „wir fahren lieber. Wir sind zum Chillen da, gehen das Ganze gemütlich an und wollen eigentlich nur ein paar Tage entspannt rumhängen.“ Mit einem sehr zitronigen Lächeln wünscht sie uns viel Spaß beim – äh – Rumhängen und trampelt die Treppe hinunter, nicht ohne noch ein vernehmliches „Tstststs“ von sich zu geben. Werden wir haben, gute Frau, aber apropos Zitrone, erst mal müssen wir die Vertretungs-Annelies ausquetschen, wo sich gut rumhängen lässt. Kurz vor dem Einschlafen hatten wir gestern abend noch die Idee geboren, den heutigen Tag auf einer richtigen Alm verbringen zu wollen und zwar auf einer, die mit dem Auto zu erreichen ist. Auch Anneliese findet unsere Frage sichtlich eigenartig, gibt uns aber bereitwillig Tipps. Es gibt eine Alm auf unserer, der Ostseite des Tals, zu der man keinen Meter zu Fuß gehen muss und eine auf der Westseite, die eine Viertelstunde leichten Fußmarsches erfordert. Ganz eben ginge es da hin, sagt Anneliese, ein Kind der Steilhänge Südtirols...

Bei noch ein paar Tassen Tee und Kaffee erwägen wir die Vor- und Nachteile der Empfehlungen, können uns aber nicht letztendlich entscheiden. So beschließen wir, erst mal talwärts zu fahren und von dort aus die Sonnensituation der beiden Talseiten in Augenschein zu nehmen. Außerdem hatten wir noch die dekadente Idee, eine Flasche Prosecco zum Begießen unseres Mädls-Wochenendes zu erstehen. Aber zunächst müssen wir das Auto vom Parkplatz bekommen. Als wir gestern Abend aus Meran zurückkamen, wehte ein sehr starker Wind, der den Walnussbaum derart beutelte, dass ein wahrer Regen von Nüssen auf Chrissies Auto niederzugehen drohte. So wurden wir gebeten, das Auto nach unserem Dorfbesuch besser auf Annelieses Parkplatz abzustellen, der sich noch weiter unten befindet. Die Ausparkerei auf dem engen und steilen Hofgelände ist gar nicht so einfach, vor allen Dingen mit einem Heckantrieb. Der Motor jault, die Reifen drehen hilfesuchend auf dem unebenen, kiesigen Untergrund, aber nach mehrmaligem Rangieren, dem beliebten Kupplung-Gas-Handbremsen-Spaß, sind wir aus der Hofeinfahrt raus und juckeln runter ins Tal. Im Supermarkt erwerben wir eine Flasche Prickelwasser und begutachten den Sonnenstand. Der Osthang liegt noch völlig im Schatten, die Wiesen und Wälder der Westseite hingegen präsentieren sich schon in schmeichelndem Sonnenlicht. Somit ist unsere Entscheidung gefallen und wir steuern den Naserhof an, der knapp vierhundert Höhenmeter über dem Talboden liegt. Eine sehr schmale, kurvenreiche Straße windet sich durch Wald und Weiden, vorbei an einsamen Berghöfen, hinauf, der Sonne entgegen. Der Teer geht in Schotter über und bald darauf erreichen wir einen winzigen Parkplatz, von dem aus wir uns nun zu Fuß auf den Weg machen. Eben, hat sie gesagt, die Anneliese! Doch hier ist nichts eben: langsam, aber stetig zieht sich der Forstweg bergauf. Wir amüsieren uns schnaufend über die unterschiedlichen Interpretationen des Wortes „eben“ und deren noch unterschiedlichere lokale Bedeutungen. Aber klar, wenn man an einem Ort aufwächst, wo die Wiese hinter dem Haus wie eine senkrechte grüne Wand vor einem aufragt, dann ist dieser Weg in der Tat vergleichsweise eben. Doch tatsächlich, nach der vorhergesagten Viertelstunde erreichen wir den Naserhof. Vielleicht sind wir doch nicht so unsportlich oder die gute Anneliese hat vorab gleich ein paar Schlaffiminuten draufgerechnet. Egal. Nicht ganz so egal: ein paar Autos auf dem hofeigenen Parkplatz zeigen deutlich, dass wir auch weiterfahren hätten können. Doch was soll’s, wir sind ja jetzt da. Ein hübscher Berghof aus dunkelbraunem Holz, mit üppigen Blumen vor den Fenstern und Hirschgeweihen unter dem Giebel drückt sich in einen waldigen Hang, eine sonnige Terrasse, an deren Rand etliche Liegestühle platziert sind, empfängt uns. Schnurstracks steuern wir, mit der Pulle unter dem Arm, auf die Liegen zu und machen es uns gemütlich. Herrlich, von hier aus kann man bis Meran sehen, den Blick schweifen lassen und im wahrsten Sinne des Wortes herumhängen.












Hier oben merke ich zum ersten Mal richtig, wie sehr mich die Enge des Tals einschnürt, bedrückt. Gut, gestern waren wir in Meran, da ist das Tal auch luftiger und weiter, aber der Blick wird trotzdem durch Häuser und die umliegenden Berge gestoppt. Jetzt sieht man den Horizont! Blinzelnd behalte ich diesen im Auge, kuschle mich in meine sonnengeküßte Liege und atme befreit durch. Alle drei liegen wir da wie die Flundern und genießen die Sonne, die Weite, die Ruhe. Moni hievt sich nach einer Weile wieder aus der Liege, weil sie auf die Toilette muss. Höflich fragt sie den Wirt, „ob man denn hier auch auf’s Klo gehen könne.“ „Ja,“ entgegnet dieser finster und mißgelaunt, „auf’s Klo gehen kann man bei uns auch!“ Trotz Monis eiligem Versprechen, wir würden schon noch was bestellen, wird der Knabe nicht freundlicher. Was haben wir jetzt schon wieder falsch gemacht? Zugegeben, der Naserhof ist keine klassische Alm, die von einer „Zenzi“ betrieben wird, sondern ein durchaus gastronomischer Betrieb, ein klassisches Geheimtipps-Ausflugsziel, eine rustikale Jausenstation. Geld wird hier durch Gäste-Umsatz gemacht. So weit, so gut. WIR sind mit einer mitgebrachten Prosecco-Pulle unter dem Arm zielstrebig über die Terrasse gelatscht, haben geradezu invasorisch drei Liegen in Beschlag genommen, machen keinerlei konsumtechnische Anstalten und wollen dann auch noch die Sanitäranlagen mit mitgebrachtem, fremderworbenem Urin entweihen. Nicht die korrekte, feine englische Art und sicher ein Grund, unfreundlich zu reagieren. Oder war es eher Monis Frage? Da kommen drei Stadttussen, die sich hier breitmachen und auch noch blöd fragen, ob man denn dieserorts auf ein Klo gehen könne. Im Klartext übersetzt, interpretiert: „Da, wo wir herkommen, gibt es ja sowas wie Toiletten. Obwohl wir vermuten, dass man bei euch eher hinter den nächsten Busch bieselt, fragen wir doch mal sicherheitshalber an.“ Vielleicht hat der Wirt es auch so verstanden... Wir hingegen meinten es weder so noch so! Trotzdem haben wir hier offenbar erst mal verschissen. Um bei der Fäkalsprache zu bleiben: der Typ schaut uns mit dem Arsch nicht mehr an. Und da wir hier sowieso nur „rumhängen“ und sonst nichts zu tun haben, machen wir es uns zur Tages-Aufgabe, die Sache wieder geradezubiegen, nicht ohne unser eigen Wohl in den Vordergrund zu stellen. So also dösen wir weiter provokant in unseren Liegen, Moni klettert ein bisschen hinter der Hütte umher, Chrissie besucht ein Pony, das unterhalb der Terrasse auf einer tischtennisplattengroßen, ebenen Fläche steht und sie zur Begrüßung ziegenartig anmeckert, anstatt zu wiehern und ich inspiziere die Hofumgebung. Schließlich finden wir bei unseren Liegen wieder zusammen und haben Durst.












Unsere Prosecco-Pulle haben wir nach dem Grantel-Anfall des Wirtes gleich mal verschwinden lassen; diese nun zu öffnen, wäre die blanke Provokation. Deshalb schreiten wir aus praktischen Gründen zur von Moni bereits versprochenen Bestellung. Und ich, die „Diplomatie-Königin“ schlechthin bin die Auserwählte, den Miesgelaunten um diese Dienstleistung bitten zu dürfen. Ohne viel Schleimerei und schmeichelnden Federlesens ordere ich bestimmten aber höflichen Tones die Getränke: „Entschuldigung, könnten wir bitte drei Radler haben?“ Da ist alles drin; kein aktives Fordern, sondern defensives Bitten nebst Flehen um Gnade, ein Anflug weiblichen Zweifelns durch den Konjunktiv und, vor allen Dingen, keine direkte Anrede. Obwohl es in der Bergwelt eher üblich ist, sich zu duzen, wage ich selbiges in dieser zarten Annäherungsphase nicht, aber auch ein „Sie“ scheint mir nicht geeignet, zu viel Distanz zu erzeugen. Der Wirt grunzt bestätigend und ich schäme mich fast für meine berechnenden Worte; aber sie scheinen ihre Wirkung zu tun, denn kurz darauf bekommen wir unsere Radler ohne großes Murren direkt an die Liegen serviert. Die Übergabe ist ein wenig ruppig und er meidet jeglichen Blickkontakt. „Mei, danke, ist das ein Service“, bedanke ich mich und nach diesem ersten „Sieg“ fallen wir chillsüchtig und mit neu erworbener Rumhäng-Berechtigung wieder in unsere Liegen zurück. Mit fortschreitender Tageszeit laufen immer mehr Gäste auf dem Naserhof ein: eine Wandergruppe, die ihre recht früh beendete Tagestour hier feucht, sehr feucht, ausklingen läßt – Bauarbeiter, die in abartiger Geschwindigkeit von der sicher 150 Höhenmeter unter uns liegenden Baustelle den steilen Hang heraufgegemst kommen – ein ziemlich betagtes Ehepaar mit Walking-Stöcken, das alle Anwesenden bereitwillig und mit krächzender Stimme informiert, sie wären „von ganz unten“ losmarschiert – ein nicht ganz so betagtes Paar; sie sehr füllig mit erbärmlich dick angelaufenen Krautstampferbeinen in Kompressionsstrümpfen, der dazugehörige Gatte ist die Hälfte von ihr und superagil. Sie trinkt Schnäpse, er nippt an einer Apfelschorle.

Und mit all diesen erwähnten, aber auch den anderen, hier nicht belästerten Gästen plauscht unser Wirt bereitwillig im Rahmen seiner Plauderfähigkeiten – nur nicht mit uns. Aber warte, wir kochen dich schon noch weich, du Zwiderwurz! Bevor wir jedoch zur nächsten Sympathie-Gewinnungs-Phase (SGP) schreiten, lauschen wir interessiert. Da wird über das Wetter gesprochen, das für diese Jahreszeit wohl außergewöhnlich warm ist: normalerweise könne man dieserzeit nicht im T-Shirt hier rumlaufen. Merkst was, Wirt? Wenn Engel reisen... Doch was bei allen Gesprächsthemen auffällt ist, dass sich zeitlich vergleichend unterhalten wird: letztes Jahr, wie immer, war ja meistens anders, ihr wißt ja aus den Jahren davor, servus, bis nächstes Jahr, ja, nächstes Mal aber nicht im Oktober, sondern schon im August, usw. Mein Gott, das sind allesamt Stammgäste, Wiederkehrer! Und wir, die absoluten Neulinge, liegen hier einfach untätig und genießend herum! Es wird Zeit für Phase II! Genug haben wir gelauscht und unverschämterweise die Sonne nebst Aussicht genossen, jetzt haben wir Hunger. Wir nehmen mit unseren geleerten Radlerhumpen an einem der Terrassentische Platz, wälzen die Speisekarte und harren geduldig der Erhörung unserer Wünsche durch den Wirt. Der hat uns genau gesehen, tut aber geflissentlich so, als hätte er das nicht. Nach einer Viertelstunde des Wartens saust er demonstrativ mit abgewendetem Blick an unserem Tisch vorbei, doch gnadenlos wir er von uns angesprochen: „Entschuldigung, dürften wir bitte was bestellen?“ (Auf bayrisch klingt das alles viel netter, sympathischer; aber das schreibt sich originalgetreu nur schwerlich und verstehen werden es auch nur die wenigsten.) Er nickt kurz, rauscht an uns vorbei, verschwindet, taucht wieder auf, nimmt einen Umweg über einen anderen Tisch, plauscht, landet schließlich doch bei uns. Holla die Waldfee! Schon hat er unsere Bestellung aufgenommen und kaum fünf Minuten später haben wir das Gewünschte auf dem Tisch, sogar Chrissies Sonderwunsch – Hauswurst mit Brot statt Kartoffelsalat. Wir alle drei übrigens haben Hauswurst geordert; diese ist beachtlich feststoffig, feuerrot und ohne emulgierenden Senf nicht ganz so magenfreundlich. Der Senf übrigens ist aus München, wie wir: ein erneutes Merkst-was, Wirt? Der Kartoffelsalat hingegen ist perfekt: speckige Erdäpfel, ein gerüttelt Maß an Salz-Zucker-Essig-Dressing, kleine rote Paprikaschnirpsel und ein Topping aus almgarteneigenem Schnittlauch! Mein Lob für den Salat – SGP II – wird beim Abservieren genervt schnaubend abgetan. Doch wir haben dich, du Wirt! Bevor wir allerdings zur Königsdisziplin – SPG III – schreiten, lassen wir uns, die Wurst verdauend, wieder in unsere Liegestühle zurückfallen und die genießen die letzten Sonnenstrahlen.












Viel zu schnell wandert der wärmende Planet in hohem Bogen über den Himmel, gerade noch stand der zentrale Sonnenkreis voll vor dem blauen Hintergrund – Minuten später wird der äußere Strahlenradius bereits von den Westgipfeln des Passeiertals angeschnitten und es wird merklich kühler. Bereits unsere Fleecejacken über der Brust zusammenraffend, werden wir Zeugen eines weiteren, sehr interessanten Plausches: „Oh mei,“ beklagt sich der Wirt bei einer größeren Gästeschar „jetzt geht die schwere Zeit los, wenn das Törggelen anfängt. Da kommen auch noch abends Gäste!“ Unvorstellbar, unzumutbar! Gäste, die eine typisch südtirolerische, jahreszeitabhängige Brotzeitkomposition erfahren, genießen und bezahlen wollen, erdreisten sich, das erst abends, als Ausklang des Tages in Anspruch zu nehmen! Unser Mitgefühl ist beim armen Wirt, dennoch müssen wir ihn jetzt auch noch mit unserem ureigensten Anliegen behelligen: wir möchten gerne zahlen, bevor die Sonne weg ist und wir noch mehr hören müssen. SGP III nicht aus den Augen verlierend, bitte ich den leidgeprüften Gastronomen um Begleichung unserer Außenstände. Und? „Trinken die Damen no a Schnapsei?“ (Auch er vermeidet die direkte Anrede...) Jawohl, SGP III vollzogen, pares inter pares, wir sind an Bord – zumindest an der Reling der Stammgäste angelangt! Prost! Großzügig wird der spendable Gastwirt entlohnt und wir begeben uns auf den „weiten“ Weg zu unserer Karosse, nicht ohne nochmal das Pony zu besuchen. Der arme Vierbeiner freut sich unbändig über unseren Besuch und gibt Laut: das kleine Pferdchen meckert wie eine Ziege; es scheint nicht unter seinesgleichen aufgewachsen zu sein! Oh, armes Kleines! Das Pony hat einen beachtlichen Unterbiss, seine ebene Standfläche ist winzig, ohne Bewuchs, links, rechts, dahinter geht es steil bergab und alles fressbar Grüne ist Ampfer.












Wir verabschieden uns von dem bemitleidenswerten Steilwand-Geschöpf (Hufe und Skelett-Stand waren erstaunlicherweise OK, laut Moni) und traben zu unserem Auto. Fast „eben“ geht’s hinunter, wir steigen ein und poltern die Schotterpiste talwärts. Kurz vor der Mündung auf die geteerte Straße werden wir von einem Pkw ausgebremst, der übervorsichtig die ganzen restlichen Höhenmeter vor uns hereiert. Und wer sitzt drin? Das recht betagte Ehepaar, das angeblich von „ganz unten“ hochmarschiert ist und sich dafür bewundern ließ. Wie auch immer, Hut ab, aber wenn’s danach geht, sind wir heute auch erst mal runter, rüber und dann von ganz unten wieder rauf! Und jetzt umgekehrt: ganz runter, rüber und wieder rauf zum Innergatterhof, besinnen, wärmer anziehen, wieder runter, essen gehen. Die Wahl im Ort ist begrenzt und wir wagen uns bequemlichkeitshalber erneut in die Braugaststätte mit der Anmach-Gasse. Letztere bleibt uns heute erspart, denn in der Gaststube, die rechts vor der Pfeif-Meile abgeht, ist heute noch ein Tisch für uns zu finden. Wir speisen fürstlich, nahezu unbehelligt von jeglichem Gassenvolk, allein der Barfüßer strebt, heute in Socken und Schuhen, hinter der Bar hervor und erkundigt sich, ob es mir heute wärmer wäre. Ja, das ist es, allein schon meine Nase glüht vor Sonnenbrand, so sehr, dass ich gefühlt eine mittlere Kleinstadt damit beheizen könnte! Abgespeist und angebrannt kehren wir auf den Innergatterhof zurück, Frau PP ist auch wieder von ihrem Familientreffen da, freut sich, dass dem so ist, der Hof noch steht und wir gut Sonne abbekommen haben. Wir freuen uns auch: über den wunderbaren Tag in der Sonne, die Weite unserer Blicke, die hemmungslosen Lästereien, die wir unzensiert zelebrieren durften. Darüber, dass wir einfach nur wir sein konnten, nichts tun mussten, keine Pflichten hatten und vielleicht auch ein paar Sorgen gedanklich von der Sonne, dem Wohlgefühl beim wirklichen Rumhängen und einem kniggetechnischen Sorgenkind namens Wirt, verlagern bzw. umschichten lassen konnten. Schee war’s heut wieder, unglaublich schee, entspannend, wohltuend! Und der Prosecco ist halt jetzt noch fällig, als Betthupferl...

Freitag, 23. Oktober 2009

Kurzchillen in Südtirol 2

Freitag, 2. Oktober 2009
Meran

Noch nie, ich schwöre, noch NIE habe ich in einem Bett gelegen und mir den Morgen herbei gesehnt. Heute Nacht ist das erste Mal. Die Matratze viel zu weich, das Kissen mehrfach zu groß und außerdem ist da noch der nächtliche Kampf mit dem Leintuch und der darunter liegenden Wolldecke, die sich bei jedem Umdrehen unter mir zu einer zunehmend härteren Wurst rollen. Die Arme aus dem Bett – zu kalt, die Arme wieder unter die Decke – zu warm. Gen Morgen sind dann im Zuge der ganzen Rumwälzerei alle Daunen der Zudecke am Fußende versammelt und obenrum, auch mit Armen unter der Decke, hält die Kälte eines unbeheizten Zimmers in einer Oktobernacht bei mir Einzug. Mehrmals bin ich versucht aufzustehen und das verdammte Bett auseinanderzunehmen. Doch ich will die Mädls nicht stören, die friedlich vor sich hinschnarchen und hin und wieder auch im Schlaf sprechen.

Endlich wird es langsam hell im Zimmer und im Ehebett rappelt, raschelt, knistert, schnauft es – Moni und Chrissie sind wohl auch wach geworden. Die Mädls tappern nacheinander schlaftrunken ins Bad, während ich mit Wonne die schreckliche Liegestatt in ihre Einzelteile zerlege. Kein Wunder, dass ich darin versunken bin! Das Untergestell ist das einer besseren Gartenliege und darauf thronen zwei zammgflackte Matratzen mit null Spannkraft. Eine davon wandert sofort in die Nische hinter meinem bettlichen Kopfende und wenn ich mir noch ein Spannbetttuch bei Frau PP besorgen kann, sieht die Sache sicher schon viel besser aus.

Frisch geduscht und voller Tatendrang schreiten wir in den Frühstücksraum hinunter, wo uns schon eine reich gedeckte Tafel empfängt. Jedes Zimmer hat hier seinen eigenen Tisch – wir scheinen mal wieder die wahren Spätaufsteher zu sein, denn alle anderen Tafeln sind schon abserviert bzw. die Rosenheimer Gäste räumen im Moment unseres Eintretens in die Stube ihr Tischlein gerade selbst ab. Aha!? Wir setzen uns erst mal und eine gut gelaunte Frau PP versorgt uns mit Kaffee, Tee und – auf unsere Tourifragen hin – auch mit Informationen, wo wir was unternehmen könnten. Dass wir mit Wandern so gar nix am Hut haben, kann sie zunächst gar nicht fassen, wartet dann aber professionell mit dem Vorschlag auf, wir könnten doch nach Meran fahren, da wäre heute Markt. Mit dem Auto hin, einen ebenen Stadtbummel machen – genau das Richtige für uns Faulschnecken! Frau Pirpamer liefert uns noch eine präzise Beschreibung, wo man in der großen Stadt Meran am besten parkt. Dann gestehe ich ihr meine Schlafmisere, worüber sie sich königlich amüsiert, vor allen Dingen über meinen Kampf mit der Leintuch-Wolldecken-Wurst. Ich finde es eigentlich nicht so lustig – doch böse sein kann ich ihr auch nicht, so fröhlich, wie sie kichert. Und sie verspricht mir, gleich nachher ein Spannbetttuch auf mein nächliches Unterlagenmonster aufzuziehen. Juhu! Gemütlich frühstücken wir zu Ende, fügen uns den Sitten des Hauses und tragen brav unser Geschirr selbst in die Küche.

Auf dem Küchendiwan liegt wohlig eine Karthäusermieze, bei der Moni sofort hängenbleibt. Chrissie erledigt derweil die Anmeldeformalitäten und wir ratschen ein wenig mit unserer herzigen Wirtin. Witwe sei sie seit kurzem, nach dem Tod ihres Mannes wurde weitestgehend die Viehwirtschaft aufgegeben, die Tochter Anneliese hätte den Stall für Pferde umgebaut und verdiene nun ein Zubrot mit Einstellpferden. Den Grund, warum sie selbst heute Morgen Lockenwickler auf dem Kopf trägt, erklärt sie uns auch: Morgen früh müssten wir mit ihrer Tochter vorlieb nehmen, denn sie sei auf einem Verwandtschaftstreffen im Ötztal. Verwandtschaft vom Mann, fügt sie erklärend hinzu. Sie sei ja seit seinem Tod kaum noch aus dem Haus, unter Leute gegangen, aber das Leben müsse weitergehen und dieses Treffen wäre eine schöne Gelegenheit. Große Lust hätte sie trotzdem nicht, aber, tiefer Seufzer, sie müsse ja mal wieder unter Menschen. Richtig wohl ist ihr bei dem Gedanken, ihre „Gäscht“ ihrer Tochter anzuvertrauen offenbar nicht, aber wir versichern ihr, wir würden es schon überleben und Anneliese mache ihren Job sicher ganz hervorragend. Wir sind so oder so in guten Händen, aber Frau Pirpamers Herzlichkeit und rührende Offenheit ist ganz besonders sympathisch. Nur zögernd beenden wir unseren Plausch, Moni bugsiert schweren Herzens die Kuschelmieze von ihrem Schoß und wir gehen rauf in unser Zimmer, um uns optisch für Meran zu präparieren.

Stadtfein besteigen wir das Auto und Chrissie kutschiert uns, nach dem wir glücklich von unserem steilen Parkplatz losgekommen sind, ins 16 km entfernte Meran. Kilometer für Kilometer verändert sich die Landschaft, das Tal weitet sich. St. Martin ist ein richtiges Alpendorf, aber je tiefer wir Richtung Stadt hinunterkommen, desto mediterraner wird der Baustil der Häuser. Apfelplantagen mit verlockend rotbäckigen Früchten säumen die Straße, die Erntezeit scheint in vollem Gange, denn überall sieht man Pflücker und mit Obstkisten beladene Minitraktoren. Bald kommen wir in Meran an und finden, dank Frau PPs exakter Wegbeschreibung auch sofort das zentrale Parkhaus. Ganz in der untersten Etage ergattern wir einen der 28 Restplätze, schrauben uns über eine Treppe vier Stockwerke wieder nach oben und sind gleich mitten in der Stadt. Schön ist es hier. Die Sonne scheint, prachtvolle Häuser strahlen Mittelmeerflair aus (obwohl sie nicht rostig sind...), Palmen stehen in vielen Gärten. Wir bummeln eine Straße leicht bergauf und landen auf einem Kirchplatz, auf dem zwei Marktstände ein kunterbuntes, kulinarisches Sortiment darbieten. Auch, wenn das ja noch nicht der eigentliche Markt sein kann, verlockt mich das Angebot zum sofortigen Kauf von vier Päckchen Teigwaren in ausgefallener Form und Färbung: eine Tüte gestreifter Farfalle, die wie Bonbons aussehen als Geburtstagsgeschenk für meine Kollegin Beate, bunte Herzerlnudeln für mein Schneckerl Heinz, 50 cm lange „Schwiegermutterzungen“ für mich und nochmal Farfalle in perfekten deutschlandfarbenen Streifen. Letztere sind ein kleiner Seitenhieb für Heinz, der bald Geburtstag hat und der sich, weil er weiß, dass er mich damit necken kann, einen Südwester-Hut für unseren bevorstehenden Afrika-Urlaub gekauft hat. Wenn schon deutsch-kolonial, denke ich mir boshaft grinsend, dann schon richtig! Moni spendiert uns allen samtig schimmernde, saftige Riesenpfirsiche und anschließend machen wir noch einen Abstecher in die Kirche. Hinter der Eingangstüre sitzt ein devot grüßender Bettler, der auf finanzielle Zuwendungen der Kirchenbesucher hofft. „Buon giorno“, tönt es unablässig aus seinem Mund, doch die christliche Spendierfreude scheint sich bei den zahlreich durch die Tür strömenden Kirchenbesichtigern in Grenzen zu halten. Auch wir zeigen uns knickerig, allein Moni investiert ins Heil, allerdings nicht beim Bettler. Sie stiftet zwei Kerzen, eine für ihre Tochter Pia und eine für ihren neuen Zahnarzt, der, nach langer Suche, sich bereits beim Erstbesuch als „Da-geh-ich-gerne-hin-Doktor“ herausgestellt hat. Ein guter Dentist ist sicher eine Kerze wert!












Danach entfliehen wir Frostbeulen der Kühle der wunderschönen Kirche und fragen uns nach dem Weg zum eigentlichen Markt durch. „Uh“, sagt meine Nudelverkäuferin (für meinen Einkauf kann sie uns als Gegenleistung schon mal sagen, wo die Konkurrenz zu finden ist), „das ist ganz schön weit, mindestens eine Viertelstunde zu Fuß!“ Es würde aber auch ein Bus fahren. Viertelstunde! Pah! Nein, beschließen wir Supersportler, wir gehen zu Fuß. Der Weg führt vorbei an prächtigen Villen, die von mächtigen Platanenbäumen beschattet werden. Zwischen den Villen stehen immer wieder, wie überall in europäischen Städten, 70-er-Jahre Bausünden von abgrundtiefer Häßlichkeit. Gnädig werfen die Platanen ihre Schatten über die abscheulichen Wohnkästen. Mir ist es immer wieder ein Rätsel, wie man für so etwas jemals eine Baugenehmigung bekommen konnte!

Nach 10 Minuten des Fußmarsches, wir befinden uns schon lange in einer Gegend, gehen in eine Richtung, in der wir den Markt nie vermutet hätten, passieren wir eine hübsche Villa, in der ein Dr. Vögele seine Praxis hat. Der Name und eine Hintergrundgeschichte, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte, erzeugen bei uns Heiterkeitsausbrüche von einer Albernheit, die man normalerweise nur 14-Jährigen zutraut. Auf jeden Fall wird das Schild fotografisch festgehalten; Passanten sehen uns verwundert an – zu recht – aber es ist einfach zu witzig und so schön, mal wieder richtig albern zu sein! Kichernd setzen wir unseren Weg fort, vorbei am Bahnhof und kurz darauf sind wir am Markt angelangt. Betörende Düfte umschmeicheln unsere Nasen: Käsesorten aller Farben, Formen und Konsistenzen aus ganz Italien, Würste, Speck und Geräuchertes, Obst und Gemüse, Backwerk und Süßkram, soweit das Auge reicht! Wir schlendern erst mal nur mit den Augen genießend durch das verlockende Angebot. Erst wollen wir den ganzen Markt sichten und dann zuschlagen. An die Fressalienmeile schließt sich die Lederabteilung an. Gürtel, Jacken, Taschen, Geldbeutel. Geldbeutel! Schon lange suche ich einen neuen, denn mein alter löst sich schön langsam in seine Bestandteile auf, obwohl ich ihn schon mehrfach geflickt habe. Ich liebe meine alte rote Börse und – da bin ich ganz eigen – die neue muss sowohl in der Farbe als auch bei der Inneneinteilung mit der alten übereinstimmen. Seit zwei Jahren suche ich bereits und noch nie konnte ein Teil meinen Anforderungen entsprechen. Ein bisschen lustlos, weil ich nicht an einen Erfolg glaube, stöbere ich bei zwei Händlern: natürlich Fehlanzeige. Dann halt nicht! Da fällt mir im Weiterschlendern etwas Rotes ins Auge, es schreit mich förmlich an. Wie vom Magneten angezogen steuere ich darauf zu, öffne das rufende Portemonnaie, ein Strahlen geht über mein Gesicht und 30 Sekunden später ist es mein. Die Verkäuferin ist mindestens ebenso überrascht wie ich; sie, weil ich nicht gehandelt habe (aber über 20 Euro für echtes Leder kann man sich nicht beschweren) und ich, weil ich tatsächlich fündig geworden bin. Das kostbare Stück wandert zu meinen Nudeln und ich bin glücklich.

Auf den nächsten Metern ändert sich das Sortiment erneut und wir sind bei den Textilien angelangt. Von kitschigen Dirndln über rustikale Strickjacken, Altdamen-Blusen und windigen Fähnchen gibt es hier alles. Die richtige „Abteilung“ zum Stöbern und Lästern. Doch komisch: der ein oder andere Standlbesitzer zeigt seltsame Räumaktivitäten. Die werden doch nicht schon schließen?!? Minuten später bestätigt sich unser bis dato vager Verdacht, als wir das Gespräch zweier Marktleute mitbekommen. Hier ist um 13.30 Uhr Zapfenstreich. Verdammt, es ist schon 12.45 Uhr und wir wollen doch noch Köstlichkeiten einmarkten! Also beschleunigen wir unseren Schritt, bis wir bald darauf das hintere Ende des riesigen Marktes erreichen, drehen um und gehen auf der anderen Seite der Standlgasse wieder Richtung Fressalien. Moni macht noch einen kurzen Abstecher in die Tiefen eines bereits im Abbau begriffenen Textilstandes und greift nach einem kuschelig aussehenden Nachthemd, das sich beim Entfalten als zirkuszeltgroßer Erotikkiller herausstellt. Stirnrunzelnd will sie es gerade wieder beiseite legen, als der geschäftstüchtige Verkäufer bereits anhebt, sie über die Vorteile dieses wunderbaren Kleidungsstücks zu informieren. Entweder ist der Mann blind, oder sein Verkaufsinstinkt führt ihn über Leichen... Wir flüchten weiter zum nächsten Stand, wo Moni doch noch ein Kleidungsstück ersteht, das um Welten besser zu ihr passt als das Oma-Nachthemd von vorhin: ein hübsches zweifarbiges T-Shirt mit allerlei Applikations- und Bändchen-Raffinessen, das ihre Mutter, so Moni, sicher kurz und bündig als „Hadern“ bezeichnen würde. Also nix wie den Hadern in die Tüte gepackt und weiter zu den kulinarischen Köstlichkeiten.

Die Fressalienhändler haben es noch nicht ganz so eilig mit dem Aufräumen und wir können uns in aller Ruhe noch mit Schinken, Speck und Käse eindecken, natürlich nicht, ohne vor dem Kauf immer auf ein Probierstückerl zu bestehen. Schön langsam reicht es uns dann auch mit unserem Einkaufsbummel und mit mehr oder weniger schwer beladenen Taschen machen wir uns zurück auf den Weg Richtung Innenstadt. Und Durst haben wir! Lange ist kein Lokal in Sicht, aber schließlich, kurz vor dem Erreichen des Stadtkerns, werden wir doch noch fündig: eine, naja, nicht gerade gemütliche Pizzeria, wo man draußen sitzen kann und sicher nicht zum Essensverzehr gezwungen wird. Ächzend lassen wir uns nieder und genießen das kühle Bier, das uns ein semifreundlicher Kellner kredenzt. Der Lärm der Freiheitsstraße in unserem Rücken macht es manchmal fast unmöglich, sich zu unterhalten. Doch wir lassen uns weder den Gerstensaft noch den Tag vermiesen und trinken in Ruhe aus. Als wir zahlen wollen, bemerken wir, dass außer uns keine Gäste mehr da sind, die Tür der Pizzeria geschlossen und die Kellner selbst am essen sind. Nur unwillig folgt der bei der Nahrungsaufnahme gestörte Ober unserem Ansinnen, doch bitte bezahlen zu wollen, aber mei, dann hätte er halt vorher kassieren sollen.












Wir packen unsere Errungenschaften und stürzen uns, nachdem wir einen Stadtplan studiert haben, der keine sehenswerten Punkte mehr aufwies, wieder in unsere Tiefgarage und fahren zurück zum Innergatterhof. Dort angekommen, wirft sich Moni in ihren „Hadern“ und wir stürmen zum Gästebalkon auf der Westseite des Hauses, um noch die letzten Sonnenstrahlen auszukosten. Chrissie und Moni lesen blinzelnd, ich schreibe meine Postkarten und, kaum ist es 17.30 Uhr, verschwindet die Sonne hinter den gegenüberliegenden Bergen und es wird saukalt. Fröstelnd flüchten wir in unser Zimmer, mümmeln uns in kuschelige Jacken und Chrissie schenkt auf dem Balkon schon mal großzügig Bailoni zum Aufwärmen in die Likörgläser. Moni allerdings stolpert beim Betreten des Balkons über ein Tischbein, alle drei Gläser fallen um, rollen vom Tisch und zerschellen auf dem mit Kunstrasen gepolsterten Boden. Was für eine klebrige Sauerei! Wir versuchen, den ärgsten Schaden zu begrenzen, wischen, waschen, tupfen, aber es klebt wie Affenscheiße – vor allen Dingen der Boden. Das können wir leider auch nicht ändern, aber besonders schade ist's halt um den guten Marillenlikör... Moni holt aus dem Frühstückszimmer neue Stamperl und wir kommen doch noch zu unserem Likörchen. Wie in der Opernloge, wenngleich einer klebrigen, sitzen wir da und beobachten den Bruder von Frau PP beim abendlichen Schafefüttern, inspizieren genau die vorbeifahrenden Autos, die sich die steile Bergstraße hinter dem Haus nach oben schrauben. Wir müssen unbedingt noch erkunden, wo die Straße genau hingeht! Aber heute nicht mehr, denn schön langsam rührt sich der Hunger bei uns und wir beschließen, diesmal die Braugaststätte an der Hauptstraße zu besuchen. Eine halbe Stunde später sind wir da und werden von einem etwas befremdlichen Eingangsbereich empfangen. Nach der Eingangstüre geht es rechts in einen Gastraum, in dem aber schon alle Tische besetzt ist. Also müssen wir vorbei an der zentralen Bar, der gegenüber sich mehrere Sitzgelegenheiten befinden – alle mit Blickrichtung auf die Bar. An der Bar und auf diesen Sitzgelegenheiten haben sich einheimische Burschen unterschiedlicher Alterstufen platziert, deren größtes Vergnügen es zu sein scheint, passierende Touristinnen zu begaffen. Und da müssen wir jetzt durch. Es wird lauthals kommentiert und gepfiffen, einigen fallen fast die Augen aus dem Kopf und ein Barfüßiger(!) in kurzen Hosen bietet sich nur zu gerne an, mich zu wärmen, als ich in meine Fleecejacke gehüllt an ihm vorbeirausche. Komisches Lokal!

Doch wenigstens die Speisekarte sieht normal aus und auch die Kellnerin ist nur freundlich. Wir nehmen ein leckeres Mahl zu uns und Moni versucht anschließend, ihre Postkarten zu schreiben. So recht will ihr nichts einfallen und wir ziehen sie deswegen ein bisschen auf. Damit sie in Ruhe schreiben kann, stellen wir ihr die Speisekarte wie einen Paravent auf, aber trotzdem will's mit der Konzentration nicht so richtig klappen. Na gut, beschließen Chrissie und ich, gehen wir halt für ne Weile vor die Tür, machen ein Rauchpäuschen. Ungeschoren schaffen wir Burschenpassage, beim Rausgehen, doch auf dem Rückweg hat man schon auf uns gewartet. Wieder wird gejohlt und gepfiffen und mein Barfüßer versucht sogar seine Wärmversuche in die Tat umzusetzen, indem er mir dreist an den Hintern fasst. In jüngeren Jahren hätte ich ihm wahrscheinlich eine geschallert, aber heutzutage weiß ich, dass es besser ist so zu tun, als hätte man es gar nicht bemerkt. Ein wenig befremdlich allerdings finde ich es schon, schließlich sind wir hier in einem angesehenen Haus und nicht in der versifften Dorfkneipe. Dennoch hat sich unser Opfer gelohnt, denn als wir wieder beim Tisch sind, hat Moni ihre Urlaubspost vollendet. Gemütlich trinken wir noch aus, flitzen geschwinde durch die Anmachgasse, zahlen an der Zentralkasse und fahren mit vollen Bäuchen wieder rauf zu unserem Hof. Auf dem Balkon ist es recht frisch, im Zimmer auch und so kuscheln wir uns kurzerhand unter unsere warmen Daunendecken, um noch ein bisschen zu lesen. Meine Matratze ist tatsächlich mit einem Spannbetttuch bezogen und mein vorsichtiger Liege- und Wendeversuch fühlt sich vielversprechend an! Gute Nacht, du geruhsamer Chill-Tag, der du doch so ereignisreich gewesen bist!

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Kurzchillen in Südtirol

Donnerstag, 1. Oktober 2009
München > San Martino in Passiria

Meine langjährige Freundin Moni, ihre Freundin Chrissie und ich haben vor ein paar Wochen beschlossen, ein verlängertes Mädls-Chill-Wochenende einzulegen. Chrissie hat sich um die Unterkunft gekümmert und heute geht es los – nach Südtirol. Moni holt mich ab, wir fahren zu Chrissie, laden das Gepäck in ihren BMW um und machen uns auf den Weg. Bei den Klängen von Simply Red und diesigem Wetter tuckern wir die Salzburger Autobahn entlang, voller Vorfreude auf die kommenden Tage. Die elende Baustelle vor dem Inntaldreieck ist leider noch nicht weitergewandert und wir stehen im Stau. Nur langsam tasten wir uns zur Ausfahrt auf die Innsbrucker Autobahn vor, danach geht es wieder zügig weiter. Kurz vor der Grenze nach Österreich müssen wir an einer Raststätte Halt machen, denn schließlich brauchen wir noch ein Bickerl. Zuerst aber mal ab auf's Klo. Ich bin ja schon seit Ewigkeiten auf keinem Autobahnklo mehr gewesen und staune nicht schlecht, dass hier völlig neue Sitten herrschen. Man muss 50 Cent zahlen, kriegt dafür ein Ticket, darf durch die Schranke und landet schließlich auf einem Picobello-Örtchen mit automatischem Brillenputzgerät, Lichtschrankenwasserhähnen und Sensorhandtuchspendern. Das 50-Cent-Ticket kann man dann, sofern man etwas konsumiert, wieder zu Geld machen. Schlaue Strategie! Wer völlig überteuerte Getränke oder sonstigen Kram kauft, darf kostenlos biesln, die Nur-Biesler löhnen. Allerdings wird das Struller-Billet nicht auf's Bickerl angerechnet... Da wir aber ein Frühstück nachzuholen haben, können auch wir unsere Toiletten-Belege sinnvoll reinvestieren.

Gestärkt bringen wir unser Bickerl vorschriftsmäßig an der Frontscheibe des Autos an und tauchen ab nach Österreich, immer am Inn entlang, rauf auf den Brenner. Sobald man Österreich verläßt und italienischen Boden unter den Reifen hat, verändern auch die ehemals silbrigen Leitplanken ihre Farbe: sie sind rostig. Warum? Geradezu philosophische Gedankengänge bescheren uns schließlich die Lösung für diese nicht zu übersehende Tatsache. Nein, die Italiener sind nicht gschlampert oder wurstig, im Gegenteil. In jedem Dekogeschäft, auf jeder Gartenmesse kann man mannigfaltigen Zierrat in mediterraner Optik erstehen, um seiner Wohnung oder dem vorgelagerten Grün das erträumte südliche Flair zu verpassen. Und 90 Prozent des Atmosphäre erzeugenden Tands sind rostig. Und wenn's nicht von selber rostet, wird’s halt so angemalt. Die Leitplanken also empfangen uns nördliche Gäste gleich mit einer gehörigen Portion Südlichkeit – Urlaubsfeeling ab Grenzübertritt. Wenn das mal nicht touristischer Wohlfühlservice ist! Um das erleben zu dürfen, zahlt man doch auch gerne 8 Euro Maut. In Sterzing, sprich Vipiteno (wir wollen das Italo-Flair ja beibehalten), verlassen wir die Dolce-Vita-Planken und kreiseln uns für 1,10 Euro Maut um das 6000-Einwohner-Kaff in Richtung Jaufen-Pass, Verzeihung, in Richtung Passo di Monte Giovo. In engen Tornantes (Kehren) windet sich ein schmales Sträßlein aus dem Valle Isarco (Eisacktal) den Berg hinauf. Begegnen sich zwei Autos, quetschen sich beide Fahrzeuge an den äußersten Fahrbahnrand, um aneinander vorbei zu kommen. Moni erzählt, dass sie mit ihrem Freund Helmut den Pass im März diesen Jahres schon mal überquert hatte, auf dem Weg zu einem romantischen Wochenende in Venedig. Die Straße war schneefrei, doch zu beiden Seiten der Fahrbahn türmten sich noch die Hinterlassenschaften des Winters. Plötzlich hatten die beiden einen keuchenden Kieslaster vor sich und, wie Männer halt so sind, gab Helmut Gas und überholte den Lkw, ohne sehen zu können, ob wohl Gegenverkehr kommt. Moni erstarrte in ihrem Beifahrersitz und bemerkte nach geglücktem Überholmanöver nur trocken in seine Richtung: „Du hast ja wohl völlig den Arsch offen!“ Auf italienisch hätte das sicher charmanter geklungen... Helmut war völlig schockiert ob der rüden Bemerkung und murmelte die nächsten Serpentinen immer wieder fassungslos vor sich hin. Aber er ist nicht der einzige Popo-aperto, wie wir feststellen. Immer wieder überholen uns motorisierte Biker im Fahrspaß-Delirium an völlig unübersichtlichen Stellen und sogar wir überholen mehrfach: Eigenleistungs-Biker, sprich Radler, die sich den Berg mit hochroten Köpfen und sehnigen Wadln hochquälen. Letztere werden von uns ganz unsportlich in die Arsch-Offen-Kategorie 2 eingeschubladet, auch wenn wir insgeheim den Hut vor dieser Leistung ziehen.













1150 Höhenmeter schrauben wir uns rauf, das rußende Wohnmobil, das seit geraumer Zeit aus dem letzten Loch pfeifend vor uns herkeucht, macht auf den letzten Metern schlapp und wir passieren unbehindert den höchsten Punkt des Passes, lassen die Konsumstation verachtungsvoll links liegen und halten erst ein paar Kilometer weiter unten an einer kleinen Parkbucht. Argwöhnisch hatten wir die ganze Zeit schon das Außenthermometer auf dem Tacho beobachtet: es sank von 22,5 Grad in Sterzing auf jetzt 12 Grad und wir machen uns auf ordentlich Gänsehaut gefasst. Doch es fühlt sich gut an! Frische Luft, Windstille, Sonne, ein paar spärliche Blümchen, ein abschüssiges Bankerl und ein grandioser Ausblick auf die diesigen Südtiroler Berge. Zeit für die ersten Fotos. Jeweils zu zweit quetschen wir uns auf die Bank und versuchen, den Schein unberührter, nur von einer Passstraße zerschnittenen Bergwelt zu wahren, indem wir das Baustellenschild hinter uns geschickt aus dem Bild bannen. Das „Assessorat für öffentlich Arbeiten“, so steht da geschrieben, überholt die Steinschlag- und Lawinenverbauungen. Ich lese laut vor - völlig fasziniert vom Grammatik-Fehler in der Amtsbezeichnung (sorry, Berufskrankheit...), verhasple ich mich und aus dem Steinschlag wird ein Schleimschlag. Das erste Wort, das uns auf ewig an diese Tage erinnern wird, ist geboren. Ach, albern sein ist so schön! Kichernd steigen wir wieder ins Auto und juckeln den Jaufen talwärts. Wir sind schon wieder ziemlich weit unten, als wir in der gefühlten Kehre 289 an einem rammelvollen Parkplatz vorbei kommen. Sekunden später sehen wir den Grund für diese Rastlust: in einer haarnadeligen Tornante hat sich ein Gastwirt niedergelassen, der sein Etablissement sinnigerweise „Kurfenwirt“ getauft hat. Ja, Kurfenwirt mit F, mit einem besonders ausladenden noch dazu! Sicher eine südtirolesische Sprach-Besonderheit... Mich würde ja brennend interessieren, wie viele Menschen den „Virt“ schon auf das orthografische Malheur hingewiesen haben, warum auch der Schildermacher nix gesagt hat oder ob das Wort mit „F“ vielleicht doch eine Dialekt-Eigenheit darstellt. Doch so kurz vor dem Ziel, es ist schon nach 16 Uhr, halten wir uns nicht mit Sprachforschung auf.












Wenig später haben wir das Valle di Passiria erreicht, lassen den ersten Ort, Sankt Leonhard hinter uns und steuern auf Sankt Martin zu. „Sie passieren das Ortsschild, folgen für 313 Meter der Jaufenstraße, dann biegen Sie links in die Jaufenstraße ab, folgen ihr für weitere 898 Meter, dann scharf links und Sie haben ihr Ziel in der Jaufenstraße erreicht.“ So steht es auf dem Ausdruck des Routenplaners geschrieben. Wir passieren das Ortsschild, biegen kurz darauf links ab und landen mitten im Industriegebiet. Also nochmal. Wieder raus auf die Hauptstraße und bei der nächsten Gelegenheit nach links. Innergatterhof steht da auf einem kleinen Schild. Ja, da wollen wir hin! Auffi auf'n Berg, scharf links und schon sind wir da. In weißen Lettern prangt der Name unseres gebuchten Gastgeberhofes auf einer wettergegerbten Holzverkleidung unter dem Giebel des malerischen Hauses, halb verdeckt von einer üppig wuchernden Clematis, umrankt von roten Geranien, gelben Pantoffelblumen, blauen Männertreu und weißen Margeriten. Vorsichtig lenkt Chrissie das Auto die schmale Hofeinfahrt hinunter und parkt es auf einem freien, eben betonierten Stellplatz unter einer Pergola. Wir steigen aus und sehen tausend Sachen auf einmal: Die Pergola wird von Kiwipflanzen schattierend berankt, die schon üppig Früchte tragen, es gibt mindestens 5 Katzen auf dem Hof und ein Stallgebäude, aus dem uns mehrere Haflinger erwartungsvoll entgegenblicken. Oberhalb des Hofes bimmeln Schafe auf der Weide, neben uns fallen Nüsse vom Walnussbaum, Hühner scharren zufrieden in sandigen Kuhlen des ungepflasterten Stallvorplatzes, es gibt noch andere Gäste – laut Autokennzeichen aus Reutlingen und Traunstein. Immer noch schauend, touristisch staunend, bewegen wir uns wie ferngesteuert auf die Eingangstüre des Hofes zu. Diese öffnet sich und eine junge blonde Frau, die sich uns sofort händeschüttelnd als Annelies vorstellt, begrüßt uns herzlich. Wir stellen uns unsererseits vor und werden informiert, dass ja die Mama für die „Gäscht“ zuständig wär. Die Mama wird herbeigerufen und begrüßt uns nicht minder herzlich. Sofort zeigt sie uns unser Zimmer, den Frühstücksraum, klärt uns über die Absperrsitten der Haustür auf und bittet uns bedauernd, unseren ebenen Parkplatz zu räumen, denn hier gäbe es ältere Parkrechte. Fröhlich laden wir unser Gepäck aus, knuffen hier eine Mieze, drücken dort eine Kiwi, Chrissie parkt das Auto unter dem Walnussbaum und wir beziehen unser Zimmer. Gemütlich ist es, mit einem Balkon, der zur Bergseite zeigt, einem En-suite-Bad-WC, einem Doppel- und einem Beistellbett. Wir lassen unser Gepäck fallen und versammeln uns als erstes auf dem Balkon. Chrissie packt drei Kristall-Stamperl und eine Monsterflasche Bailoni aus. Ein Prosit auf unseren Südtiroler Chillout! Steil ragt eine Schafweide hinter unserem Balkon auf, darüber türmen sich meterhohe Fichten, die gerade noch einen Blick auf ein Ecklein Himmel freigeben, eine graue Jungmieze jagt imaginäre Mäuse über einem stillgelegten Brotbackofen, eine Walnuss fällt scheppernd auf Chrissies BMW herab und wir sind angekommen!












Bei der Bettenaufteilung sind wir uns nach dem Bailoni schnell einig, Moni und Chrissie nehmen das Ehebett, ich die Beistellliege im Eck, ausgepackt wird später, jetzt müssen wir erst mal inspizieren und eruieren. Wir suchen die Mama, um zu erfragen, wann es denn Frühstück gäbe. Uuhh, von acht bis halb zehn! Uuha, verdammt früh, aber wir werden es schon hinkriegen. Was wir nicht hingekriegt haben, bis jetzt, ist, uns den Familiennamen der Hofbewohner zu merken. Bierbamer, Pribacher, Pirnpamer oder so? Einmal hat die Mama sich vorgestellt, einmal hat Moni nachgefragt – wir können doch nicht nochmal fragen! Eine Inspektion der näheren Umgebung löst unser Problem. Nebenan im Stallgebäude, ganz frisch renoviert, lugen ein paar Haflinger aus ihrer Box und jede Boxentür ist mit einem Schild gekennzeichnet. Auf der ersten Box links sagt das Schild: Annelies Pirpamer. Also, geht doch! Moni, die eingefleischte Pferdefrau stromert im Stall und dahinter herum, Chrissie, eigentlich nicht weniger eingefleischte Pferdefrau und ich beobachten die Mutterschafe nebst unterschiedlich alten Lämmlein auf der Wiese unter dem Hof. Da ist ein Einzellamm, das gerne in höchsten Bocksprüngen einem Huhn hinterher jagt und vier ganz wackelige kleine, die so unsicher auf ihren knubbeligen Beinchen stehen, dass sie immer wieder umfallen. Ach, ist das schön!

Die Mama Pirpamer, deren Namen wir immer wieder gebetsmühlenartig vor uns hermurmeln, um ihn nie mehr wieder zu vergessen, tritt mit einer Gießkanne bewaffnet vor ihren Hof und beginnt, ihre üppigen Blumen und den Gemüsegarten zu gießen. Wir hinterher. Wir benehmen uns, als hätten wir noch nie einen Gemüsegarten gesehen, noch nie Feigenbäume(!), noch nie Buschbohnen. Mama PP, wie wir sie mittlerweile in Gedanken nennen, lächelt uns gießenderweise an und meint: „Ah, seid ihr schon am Spionieren?“ Gleich aber dreht sie sich wieder um, denn ihre Aufmerksamkeit wird abgelenkt von zwei älteren Herren, die die schmale Teerstraße hinter dem Haus emporkommen. Einer geht stoisch voran und winkt, der andere schreit immer „hoh, hoh“ und folgt in 30 Metern Abstand. Das Hoh-hoh klingt nach Viehtrieb, Kühen, die abends von der Weide nachhause gebracht werden, aber es ist keinerlei Tier zu sehen. „Hoh, hoh“, ruft der hintere. Mama PP winkt zurück und wendet sich wieder zu uns um. „Das ist mein Bruder“ meint sie erklärend, „und der andere hört sehr schlecht!“ Sagt's und kichert. Mei, ist das sympathisch hier! Der Bruder und der Hoh erreichen den Hof, begrüßen uns und werden von Mama PP ins Haus gebeten. Vorher gibt sie uns noch einen Abendtipp: „Was habt ihr denn heut’ noch vor? Ihr wollt sicher Spaß haben. Da ist ein Konzert am Platzl im Ort, geht doch da hin, da ist es sicher lustig!“

Naja, erst mal sind wir hungrig und Chrissie rangiert den heckgetriebenen BMW wieder unter dem Nussbaum hervor, um uns ins Dorf zu kutschieren. Groß ist es ja nicht und wir landen trotzdem, aber eher zufällig, direkt am Platzl. Alles, was wir brauchen ist hier. Ein Parkplatz, ein Supermarkt, eine Wirtschaft, ein paar Geschäfte zum Alibi-Bummeln. Letzteres machen wir zuerst und schlendern ungefähr 50 Meter eine Kopfsteinpflastergasse entlang. Uih, ein Postkartenladen. Nix wie rein und kaufen. Was du heute kannst besorgen... Postkarten gibt es genug, nur Briefmarken sind Mangelware. Moni hat zwei Karten gekauft und bekommt die letzten Marken, ich hab sechs Karten und die Ladeninhaberin ist untröstlich: keine Marken mehr. Sie sei allein im Laden, der Mann unterwegs, aber er käme gleich wieder und dann besorge sie mir neue Marken. Naja, wart' ma halt, wir haben ja Zeit. Nervös lugt die Gattin des absenten Ladenaufpassers immer wieder um's Eck. Nein, er kommt nicht. „Immer, wenn man die Männer braucht, sind sie nicht da!“ entschuldigt sie sich. „Wo gibt es denn die Marken?“ frage ich. Kann ja nicht weit sein, wenn sie verspricht, so schnell wieder da zu sein, sobald der Streungatte wieder da wäre. „Ah, gleich da vorne im Supermarkt, ist nicht weit.“ Nicht nur nicht weit, nein, sondern so nahe, dass ich den Eingang von hier aus sehen kann. Mein Vorschlag, mir selbst meine Marken dort zu holen und mein Angebot, ihr auch noch ein paar mitzubringen, bringt sie richtig in Verlegenheit. Völlig konfus und peinlich berührt lehnt sie mein Angebot ab, bietet mir noch an, ich könne ja später nochmal kommen, dann hätte sie die Marken für mich. Ich kapier’ schön langsam gar nichts mehr; nur das, dass die Leute hier extrem zuvorkommend, freundlich und auf Touris geprägt sind. Und obwohl alle Welt zum Wandern hier ist, erspart man dem Gast jeden überflüssigen Schritt, ohne nachzudenken, dass derjenige im Endeffekt ja, in diesem Falle, 2x 50 Meter zu latschen hätte. Ich versichere der Ladeninhaberin, dass es kein Problem sei, mir die Marken selbst zu besorgen, bedanke mich ganz herzlich bei ihr und wir drei Mädls nehmen Kurs zurück auf den Supermarkt. Eine kurze Inspektionsrunde informiert uns über das Sortiment und schon habe ich, zurück an der Kasse, meine Marken erstanden. Danach nochmal fünf Schritte und wir sitzen im Gasthaus Lamm, dem Mitterwirt.

Eine gemütliche Holzstube umfängt uns, eine Speisekarte mit ausgesuchten Gerichten wird kredenzt und wir sind happy. Chrissie wählt „canederli“ auf Salat. Canederli, welch schönes Wort! Wir sind hier in Südtirol, also auf italienischem Staatsgebiet. Doch wenn man die Kultur, die Landschaft, die Leute hier sieht, versteht man, warum sie nicht zu Italien gehören (wollen). Canederli ist eine sprachliche Konzession an die Zweisprachigkeit der Gegend und bedeutet nichts anderes als „Knödel“, die es in Südtirol in allen möglichen Geschmacksrichtungen, Wärme- und Bratgraden gibt. Canederli! Chrissie bekommt ihre Canederli auf Salat, ich einen Hirschrücken mit gebratenen Canederli und Moni hausgemachte Bergheu-Nudeln mit Graukäse. Fast alles sehr lecker, doch Moni scheint experimentelle Küche bestellt zu haben, denn die Nudeln schmecken, als wäre das Bergheu nebst Kuhfladen und Mutterboden in die Nudeln eingearbeitet worden. Sandig, fad; auch der Graukäse, der auf Geheiß des freundlichen Kellners heftig untergearbeitet wurde, macht's nicht wirklich schmackhafter. Aber satt sind wir danach, auch Moni. Mit gefüllten Canederli-Friedhöfen fällt uns dann auch Mama PPs Konzertvorschlag wieder ein und wir sehen uns draußen vor der Wirtschaft, am Platzl um. Konzert? Das einzige, was wir entdecken, ist eine Kirche nebst Plakat an deren Mauer: Konzert, heute, in der Kirche. Aber die Mama hatte doch gemeint, wir suchen Spaß, wollten es lustig haben. Kirchenkonzert? Egal, wir sind jetzt, um kurz vor neun, eh so bettschwer, dass wir es gerade noch hinauf auf den Innergatterhof, hinein in unser Zimmer, hinaus auf den Balkon, auf einen weiteren Bailoni schaffen. Da sitzen wir nun und alles ist still. Auf einmal hören wir eine Schafglocke: bim-bim-bim-bim-(...)-bimmm-bimmmm-bimmmmm-bimm. Monoton, beharrlich, lange. So lange kann kein Schaf auf diesem steilen Hang auf drei Beinen stehen und sich mit dem vierten kratzen. Da muss ein Bock sein, der für neue Lämmlein sorgt... Grinsend gehen wir zu Bett, 21.15 Uhr. Ein bisschen noch lesen und dann schlafen. So denk ich mir, wenn auch mit leichtem Stirnrunzeln, als ich bis zur Nasenspitze in der Matratze meines Beistellbettes versinke...

Mittwoch, 25. März 2009

Nur noch ein paar Mal schlafen!

Fast nichts ist schöner als schlafen, aber in diesem Falle verkürzt es mir lediglich die Wartezeit. Die Wartezeit, bis mein erstes gedrucktes Buch über meine 2008er-Tour bei mir eintrifft. Vorgestern endlich hatte ich die Layout- und Reinzeichnungsphase abgeschlossen, die ausgewählten Bilder nach Fogra 39L von RGB in CMYK gewandelt, erneut verknüpft, ein Druck-PDF geschrieben und das Machwerk zum Drucker meiner Wahl hochgeladen. Stolze 164 Seiten wird das Buch dick mit matt-kaschiertem Hardcover, 150-Gramm-Bilderdruck-Papier im Innenteil, auf dem an die 350 Fotos zu sehen sein werden. Auflage? Naja, 3 Stück... Ein Exemplar für meinen Freund, eines für meine Eltern, eines für mich. Und all das, damit ich nicht immer den Computer anwerfen muss, wenn ich mir Urlaubsbilder ansehen möchte. Trotz aller Digitalität bin ich halt immer noch eine Analoge! Und so ungefähr soll das Buch mal aussehen:


Dienstag, 24. März 2009

Tourplan Namibia-Botswana 2009

Im November 2009 geht es erneut auf Tour, diesmal zu acht und mit zwei Autos. Je mehr Beteiligte, desto mehr Wünsche sind unter einen Hut zu bringen, aber da wir uns alle kennen (mehr oder weniger), haben Annette und Joachim eine Route ersonnen, die mit Sicherheit allen gerecht wird. Wir alle, das sind Annette und Joachim, Annettes Bruder Tommi, Patricia und Sven, Jürg, mein Freund Heinz und ich.

Wie immer bin ich voller Vorfreude, ganz besonders aber, da nicht nur unser letztjähriger Reisegenosse Jürg aus der Schweiz wieder mit an Bord ist, sondern auch mein Süßer. Für ihn ist es seine erste Reise auf den schwarzen Kontinent und ich bin schon wahnsinnig gespannt, wie es ihm gefallen wird. Er ist Natur- und Tierfan, liebt die Stille, hat Adleraugen, ist Singvogelspezialist und beherbergt mehr als 300 exotische Pflanzen/Sukkulenten in seinem Haus. Für ein oder zwei Zebras, ein paar Elefanten, so sagt er halb ernst, halb spaßig, könne er auch in den Zoo gehen. Ich bin bereit, seine Kinnlade wieder nach oben zu klappen, wenn die ersten Elefanten live an ihm vorbeimarschieren, er die ersten Zebras auf offener Wildbahn riechen und sehen kann, ein Halsbandbartvogel auf seinem Frühstücksteller landet, ein Graubülbül ihn morgens wachzwitschert, er sich zwischen all den Köcherbäumen den Hals ausrenkt und den Blick nicht mehr vom Boden wenden kann, weil da etwas wächst, was er nur von seiner Fensterbank oder aus Büchern kennt.

7. November 09 - Ankunft in Windhoek, Einkäufe, Übernachtung Ondekaremba Farm, Campsite
8. November 09 - Roys Camp nahe Grootfontein
9. November 09 - Mahangu Safari Lodge nahe der Popa Falls
10. November 09 - Camp Kwando nahe Kongola, Sundowner-Bootsfahrt auf dem Kwando, Besuch einer Dorfschule
11. bis 12. November 09 - Chobe National Park, Ihaha
13. November 09 - Chobe NP > Linyanti
14. November 09 - Linyanti > Khwai Community Camp
15. bis 16. November 09 - Khwai Community Camp > Moremi GR, 2 Nächte Xakanaxa
17. November 09 - Moremi GR > Maun, Maun Rest Camp
18. November 09 - Maun > Central Kalahari GR, Kori Camp
19. bis 20. November 09 - CKGR, Kori Camp > Piper Pan
21. November 09 - CKGR, Piper Pan > Kalahari Rest nahe Kang
22. November 09 - Kalahari Rest > Mabuasehube, Khiding Pan
23. November 09 - Mabuasehube, Khiding Pan > Wilderness Trail, Mosomane Pan
24. November 09 - Wilderness Trail, Mosomane Pan > Wilderness Trail, Nossob
25. November 09 - Nossob > Twee Rivieren, Rooiputs
26. November 09 - Twee Rivieren, Rooiputs > Köcherbaumwald
27. November 09 - Köcherbaumwald > Berseba, Brukkaros Campsite
28. November 09 - Berseba, Wandern, Sukkulenten suchen > Windhoek, Ondekaremba Farm
29. November 09 - Windhoek > Heimflug