Donnerstag, 7. März 2019

11. Oktober 2015; ICC Guesthouse, geplanter Abflug nach Deutschland via Dar Es Salaam

Viele hundert Kilometer haben wir gestern runtergeschrubbt, viel gesehen, ein wenig gelitten – und waren rechtschaffen müde. Da kam ein richtiges Bett mit Kissen, Decke und Leintüchern, ein Zimmer mit Toilette und Dusche natürlich wie gerufen. Nach dem Abendessen und kurzem Geplauder genossen wir diesen Komfort in vollen Zügen, begaben uns frisch gewaschen und duftend in leicht durchgelegene Betten und erwachen heute, zu etwas späterer Stunde als in den letzten Wochen, ausgeruht und hungrig. Zum Frühstück treffen wir uns im Restaurant, lassen uns schmecken, was das Buffet zu bieten hat und verbringen dann den Tag, wie es uns gefällt – oder auch nicht. Jochen hechtet nach Mbeya Town, um die, von unserem Outback-Fundi so bravourös reparierte Lichtmaschine gegen eine nagelneue austauschen zu lassen. Eine Aufgabe, die etwas Zeit und Geduld erfordert, aber unvermeidlich ist, denn Annette und Jochen werden nach unserer Abreise noch weitere vier Monate durch Afrika touren; eine fabrikneue, passende Lichtmaschine lässt sie dieses Vorhaben natürlich mit einem besseren Gefühl angehen, als die notdürftig reparierte es je schaffen würde. Annette kümmert sich derweil um Ordnung in den Papieren, die für die folgenden Monate erforderlich sein werden, wäscht das erstaunlich kleine Kontingent an Wäsche, das sie und Jochen für ihren monatelangen Afrika-Aufenthalt mit sich führen, sortiert das Equipment und reinigt die Autos vom Staub und Schlamm der vergangenen Wochen. Wir hingegen, die wir ja heute Abend abreisen werden, verdümpeln den Tag in halbherzigem Nichtstun. Uns ein bisschen umsehen, das Game View Hotel des ICC, das auf dem selben Gelände liegt, aber scheinbar kaum gebucht ist, in Augenschein nehmen, kurze Freundschaft mit einem neugierigen Straußenpaar in einem Gehege neben dem Hotel schließen, etwas essen, etwas trinken, packen, nochmal duschen – und schon ist es Zeit für unsere Fahrt zum Flughafen. Da Jochen noch immer in Sachen Lichtmaschine unterwegs ist und somit ohnehin nur ein Auto zur Verfügung steht, bringt uns Annette dorthin. Wir drücken uns, umarmen uns, wünschen den beiden viel Glück und freuen uns aufs nächste Jahr, in dem wir, zumindest Heinz, Erika und ich, erneut mit unseren beiden Freunden in Afrika unterwegs sein werden. Dann ist es so weit: wir stehen mit Sack und Pack am Flughafen, Annette winkt uns ein letztes Mal zu, verschwindet gen Mbeya – und wir in den seichten Tiefen des Airports.

Ach, ist ja schnuckelig hier! In beinahe familiärer Atmosphäre checken wir ein, geben unser Gepäck auf und machen es uns anschließend in einem der zwei Gates bequem, die eher einer kolonialen Großraumbar ähneln, denn einer Abflughalle. Gemütlich sitzen wir um einen Tisch, versorgt mit einem kühlen Getränk, und harren unseres Aufrufs. Ein Blick auf die Uhr verheißt ihn zeitnah. Also gehe ich vorsichtshalber nochmal aufs Klo. Während ich gerade meine Hose wieder nach oben ziehe und meine Hände wasche, höre ich eine für mich unverständliche Durchsage, allgemeines Stühlerücken und wildes Stimmengemurmel. Ah, der Aufruf zum Boarding! Die sind ja hier pünklich wie die Maurer, freue ich mich noch, als ich mein Papierhandtuch in den Eimer werfe und die Toilettentür öffne. Doch weit gefehlt! Die Lautsprecherstimme hat soeben verkündet, dass unser Flug nicht stattfindet, da es auf der unbeleuchteten Landebahn Mbeyas bereits zu dunkel für die Landung unseres Zubringers nach Dar sei, dass man dies sehr bedaure und alle Fluggäste bitte, sich ins Nebengebäude zu begeben, wo alle nötigen Formalitäten abgewickelt würden. Neeee, oder? Unbeleuchtete Landebahn??? Wo gibt’s denn sowas? Doch nicht hier, auf einem nigelnagelneuen Flughafen, der erst Ende 2012 eröffnet wurde!

Nun ja, wir werden wohl nie erfahren, ob wirklich keine Beleuchtung vorhanden ist, ob sie nur kaputt ist, oder ob etwas anderes hinter der Absage unseres Fluges steckt – und es würde ohnehin nichts an der Tatsache ändern, dass wir unseren Anschlussflug in Dar Es Salaam nun nicht erreichen werden. Shit! Verärgert drängen wir aus dem Abfertigungsgebäude und nehmen, wie angewiesen, Kurs auf den Nebentrakt, vor dem sich bereits eine lange Schlange gebildet hat. Brav reihen wir uns ein und stauen uns im Zeitlupentempo zu dem Büro, in dem angeblich die Formalitäten erledigt werden sollen. Meine Güte, das dauert! Und „kuschelig“ ist es zudem, denn auch jetzt, am frühen Abend, sind die Temperaturen noch beachtlich. Erschwerend kommthinzu , dass die vorwiegend einheimischen Passagiere, die mit uns in der Schlange stehen, eine deutlich andere Vorstellung von Individualdistanz haben, als wir das tun. Von vorne wärmt mich zum Beispiel das ausladende Gesäß einer veritablen Mama Afrika, von hinten die durchgeschwitzte Plauze eines älteren Anzugträgers und zu meiner Rechten reibt eine beleibte Dame ihren Busen aufgeregt hibbelnd an meinem Oberarm. Herrschaft, das nervt! Endlich, ich fühle mich für den Rest meiner Tage genug bekuschelt, landen wir im Büro, in dem drei Flughafenangestellte vor einem verdächtig dicken Buch sitzen und dort die Namen aller Passagiere hineinkrakeln. „Flugtickets!“, werden wir aufgefordert. Wir reichen den Herrschaften die gewünschten Dokumente. Aha, Mrs Schneider, Barbara – das geht gerade noch und mein Name beziehungsweise Vorname wird in die jeweils korrekte Spalte eingetragen. Bei Erika, die einen Umlaut im Familiennamen beherbergt, wird es schon schwieriger und bei Gabi, Doppelname mit Umlaut, geht dann gar nichts mehr. Einer diktiert, einer schreibt, der Dritte liest mit, dennoch landet der Vorname in der Familiennamens-Spalte und umgekehrt. Gabis Einspruch wird unwirsch ignoriert, unsere mehrmalige Nachfrage, ob das jetzt alles sei und wie es denn weiterginge, verständnislos kopfschüttelnd abgewürgt, und dann komplimentiert man uns aus dem Büro – finished! Super, wir wurden nun mit Bleistift in eine nichtssagende Liste eingetragen, man hat keine Details über unseren Anschlussflug notiert und auch keine Kontaktdaten. Und wann wir wie aus Mbeya wegkommen sollen, wissen wir auch nicht.

Etwas ratlos versammeln wir uns vor dem Flughafengebäude und besprechen soeben unser weiteres Vorgehen, als ein älterer weißer Herr auf uns zustürmt, uns bittet, auf sein Gepäck aufzupassen – er müsse dringend die Toilette aufsuchen –  und dann wie der Blitz im Abfertigungsgebäude verschwindet. Wir blicken ihm gerade noch verdattert hinterher, als wir plötzlich sein erregtes, mit einer starken Kolonial-Attitüde behaftetes Geschrei vernehmen. In blasiertem British-English beschimpft er einen uniformierten Schwarzen: Unverschämtheit, so was wäre bei uns undenkbar, Schadenersatz, verklagen, Bananenrepublik, primitiv. Das und Schlimmeres wirft er dem armen Mann an den Kopf, der dennoch redlich bemüht ist, dem Erbosten nach Kräften beizustehen. Doch dieser ist mit der erbrachten Leistung nicht zufrieden, lässt den Flughafenbediensteten einfach stehen und stürmt schließlich schnaubend in einen dunklen Seitengang der Abfertigungshalle. „Den schnapp ich mir!“, rufe ich und sause in die Halle. Natürlich meine ich nicht den arroganten Weißen (obwohl ich mir auch den gerne zur Brust nehmen würde), sondern den offenbar sehr hilfsbereiten Flughafenbeamten. Und der scheint tatsächlich, wenn auch nicht sofort, ein Volltreffer zu sein: ich schildere ihm unser Problem, er setzt alle Hebel in Bewegung, unseren Anschlussflug umzubuchen, scheitert aber, denn trotz aller Connections, die er spielen lässt, kann er das fehlende Transportabkommen zwischen FastJet Airlines und der Emirates, die uns von Dar nach München bringen soll, leider nicht herbeitelefonieren. Doch immerhin kann er uns sagen, dass wir morgen Vormittag auf einen Ersatzflug gebucht sind und erkundigt sich auch noch, wo wir die Nacht zu verbringen gedenken. Es gingen zwei Shuttle-Busse in die Stadt, alle Passagiere würden dort kostenlos in Hotels untergebracht. Ich danke ihm überschwänglich, tue aber kund, dass wir unsere Freunde im ICC kontaktieren und dort auch übernachten würden. Dann informiere ich meine Reisegenossen, wir rufen Annette an, die völlig überrascht ist, uns aber sofort abholen will, und harren der Dinge – immer noch das Gepäck des kolonialen Typen in unser Obhut habend. „Wenn der nicht bald kommt, dann müssen wir es in die Halle rollen und seinem Schicksal überlassen.“ Zwanzig Minuten später biegt Annette auf den Parkplatz und wir wollen gerade die Reisetasche des Briten ins Gebäude verfrachten, als auch dieser wieder auftaucht. „Unfassbar! Alle unfähig. Typisch Afrika!“. Er reißt seine Tasche an sich, stürmt aus dem Gebäude, dreht sich nochmal kurz um und ruft uns zu: „Viel Glück!“. Bitte, gerne geschehen!

Kurz darauf kommen wir erneut im ICC an, laden unser Gepäck aus, beziehen unsere alten Zimmer und treffen uns anschließend im Restaurant, um Annette und Jochen Bericht zu erstatten, etwas zu essen und schließlich unseren Rückflug bei der Emirates umzubuchen. Wir haben gerade über deren Frankfurter Zentralniederlassung alles in trockene Tücher gebracht, als ein Mann an unserem Tisch auftaucht. „Hello, good evening. You remember me?“ Oh ja! Diesmal funktioniert sogar meine hirneigene Gesichtserkennungssoftware – es ist der hilfreiche Herr vom Flughafen. „Es tut mir so leid, aber auch der Vormittagsflug wurde gestrichen. Sie sind nun auf morgen Abend gebucht, selbe Zeit wie heute, das jedoch ganz sicher. Ich wollte Ihnen diese Nachricht persönlich überbringen, Ihnen sagen, dass ich dafür gesorgt habe, dass Sie ein Shuttle zum Flughafen bringen wird und mich für die Unannehmlichkeiten vielmals entschuldigen. Einen schönen Abend wünsche ich, trotz allem.“ Er nickt höflich und wendet sich zum Gehen. „Halt, stopp! Vielen, vielen Dank. Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr …?! Nehmen Sie doch bitte Platz und trinken Sie noch etwas mit uns!“ „Idrissa, mein Name ist Omar Idrissa. Vielen Dank für die Einladung, aber ich muss noch nach Mbalizi, dort wohne ich, und morgen wieder früh raus. Gute Nacht also und bis morgen. Sicher!“, zwinkert er uns zu und verschwindet in der Dunkelheit. Wir sind völlig geplättet. Da kommt dieser Mann, nimmt einen gehörigen Umweg auf sich, nur um uns über unsere erneute Verspätung zu informieren, organisiert uns einen Zubringer und entschuldigt sich auch noch, obwohl ihn der Brite am Flughafen so herablassend behandelt hatte. Ja, gut, wir haben mit dem arroganten Insel-Indianer nichts zu schaffen, aber auch wir sind weiß. Und eine derartige Gemeinsamkeit reicht in vielen Fällen schon aus, um über einen Kamm geschoren zu werden. Nicht aber in diesem Fall. Danke, Herr Idrissa, danke dafür, kommen Sie sicher nach Hause und schlafen Sie gut!

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