Donnerstag, 21. November 2013

12. März 2013, Kapstadt: Ou Kaapse Weg, Pinguine, Shoppen (Teil 2)


Also nehmen wir schweren Herzens Abschied von diesem wunderbaren, unterhaltsamen Ausflugsziel, quetschen uns in die nächste abfahrende Gondel und genießen die Talfahrt, bevor wir das nächste Ziel ansteuern. Wir umrunden den Bergstock in nordwestlicher Richtung und biegen auf den Ou Kaapse Weg ein, der uns ohne rollenden Berufsverkehr heute endlich die ersehnte Chance bietet, hier mal anzuhalten. Bei einem besonders üppigen Metalasia-Busch stoppen wir, steigen aus, stürzen uns ins Gestrüpp und saugen die würzige Luft, die ganz typisch für die Fynbos-Vegetation ist, in unsere Lungen. Meine Güte, ist das schön hier! Leise wogen die weißen Blüten der Astern-Gewächse im sanften Wind, Insekten summen geschäftig umher und in der Ferne glitzert das Meer. Eigentlich wollten wir ja nun das Gelände etwas genauer erkunden, müssen aber feststellen, dass die Vegetation so dicht, der Bodenbewuchs so unübersichtlich ist, dass wir davon ablassen und einfach nur die Luft und den einzigartigen Ausblick genießen. Und Fynbos hatten wir heute ja schon im Überfluss - obwohl man davon nie genug bekommen kann. 

Stopp auf den Ou Kaapse Weg
Metalasia muricata
Metalasia muricata







So also klettern wir nach einer halben Stunde wieder ins Auto und kurven weiter, den Pinguinen entgegen, auf die sich Annette ganz besonders gefreut hatte. Ich hingegen stehe diesem Tagespunkt etwas zwiespältig gegenüber. Einerseits freue auch ich mich darauf, die befrackten Vögel nach fast zwanzig Jahren wieder mal besuchen zu dürfen, andererseits kann ich mich noch gut an damals erinnern. Da gab es noch keine Zäune, keine Holzstege, keine Aussichtsplattformen, die Pinguine bevölkerten den Strand und man konnte sich ohne Einschränkung zwischen ihnen bewegen. Wir saßen im Sand, stundenlang, und genossen die Gegenwart der putzigen Tiere, die uns bald nicht mehr beachteten. Heute, so habe ich gelesen, ist das alles ganz anders. Der geneigte Besucher darf Eintritt bezahlen, sich aber im Gegenzug nur auf extra dafür errichteten Holzstegen bewegen, fernab der Pinguine und der von mir erlebten Zweisamkeit mit den Tieren. Natürlich habe ich vollstes Verständnis für derartige Maßnahmen, die bei den heutigen Besucheranstürmen allein dem Schutz der Vögel gelten, dennoch kann ich mich noch immer nicht ganz damit befreunden, mein geliebtes Kap so verändert vorzufinden, so überlaufen, so touristisch.

Andrang am Strand
Andrang auf der Plattform
Tja, willkommen in Boulders!







Doch das ist der Lauf der Dinge und ich tröste mich damit, es anders, einsamer gesehen haben zu dürfen. Also werfe ich diese Gedanken an früher von mir und erfreue mich stattdessen an den strahlenden Gesichtern Annettes und Heinz’, als wir am recht vollen Parkplatz das Auto verlassen, den Weg zum Strand entlanggehen und, bald nach Durchschreiten des Kassenbereichs, die ersten Frackträger sehen. Nun ja, das mit dem Strahlen, das ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz so einfach, denn, als wir den Schutz des Strandgestrüpps verlassen, weht uns eine derart stramme Brise entgegen, dass wir uns nach Sekunden bereits wie sandgestrahlt fühlen und heftig blinzeln müssen. Das sieht zwar nun wahrscheinlich ziemlich pessimistisch und verkniffen aus, entspricht aber nicht unserem wahren Empfinden. Auch meinem nicht! Die Pinguine nämlich sind so putzig, dass nicht mal der Zaun, die volle Besucherplattform meinem Genuss, sie wiederzusehen, einen Abbruch tun kann. Gottle, wie unbeholfen sie da rumwatscheln, wie gewandt sie sich hingegen im Wasser bewegen, wie die Nässe an ihren Federn abperlt, wie sie sich aufpumpen, um anschließend ihre kakophonischen Eselstrompeter ertönen zu lassen, wie unwiderstehlich plüschig ihre Sprösslinge aussehen! Ein bisschen gewöhnungsbedürftig allerdings ist der Umgang der erwachsenen Pinguine mit genau diesen flauschigen Jungtieren: sobald sie im Entdeckerdrang ihr elterliches Nest verlassen und ihren erwachsenen Nachbarn in die Quere kommen, gehen diese gnadenlos auf die Jungen los. Sie zwicken, sie kneifen, sie hacken, sie piesacken, so lange, bis das Fremdkind den eigenen Dunstkreis verlassen hat. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf eventuell entstehende Verletzungen.

Auch hier bläst der Wind!
Zärtliches Schnäbeln
Nachbarschaftsgekeife







Annettes Mutterherz ist zutiefst empört über diese Kindsmisshandlungen, Heinz und ich hingegen sehen das Ganze etwas gelassener, pragmatischer - schließlich kommt keiner der kleinen Wuschels wirklich ernsthaft zu Schaden und ein bisschen Erziehung hat auch noch keinem geschadet; vor allen Dingen, wenn einem eine Zukunft in einer dicht besiedelten Kolonie bevorsteht... Und dicht gedrängt leben die Tiere in Boulders, diesem einen, kleinen Strandabschnitt. Um die dreitausend sollen es sein, Nachkommen eines einzigen, einsamen Pinguin-Pärchens, das man erstmals 1983 hier vorfand. Ganz glauben kann ich das jedoch nicht, das mit dem einzelnen Vogelpaar, denn in diesem Falle hätte der zur Verfügung stehende Minimal-Genpool wohl bald zum Niedergang der Boulders-Familie geführt. Doch wie dem auch sei, wie auch immer diese Kolonie entstanden sein mag, unter offensichtlichen Erbkrankheiten oder Behinderungen, Merkmal der Inzucht, leiden die hier ansässigen Vögel sicher nicht. Auch benehmen sie sich ganz normal, soweit wir Laien das beurteilen können, und gehen lebhaft ihren täglichen Aufgaben und Pflichten nach. Diese bestehen unter anderem aus Futtersuche, Brutpflege, Reviergrenzenbehauptung, Nestverteidigung, lautstarker Partnersuche und natürlich dem Erhalt des Fortbestandes. 

Gewandt im Wasser
Unbeholfen an Land
Balance ist alles!







Und besonders den beiden letztgenannten Tätigkeiten gehen sie mit besonderer Inbrunst nach, wie wir auf unserem Rundgang immer wieder amüsiert feststellen dürfen... Es ist echt herzig, wie sich die etwa 60-70 Zentimeter großen Pinguine in Positur werfen, zu pumpen beginnen, ihren Kopf in den Nacken legen und dann markerschütternde, recht eselsartige Schreie vom Stapel lassen. Noch putziger jedoch ist ihre Paarung: zwei rundliche Körper, die sich nur mit Mühe aufeinander halten können und dabei angestrengt ihre kurzschwänzigen Popöchen gegeneinander pressen. Das sieht so sehr nach schweißtreibender Schwerstarbeit, nach kaum zu bewältigendem Balanceakt aus, dass man fast helfen möchte. Aber natürlich schaffen die Tiere es gut ohne unsere Hilfe, so, wie sie es seit Jahrtausenden ohne den Menschen geschafft haben.

Produkte des Balanceakts
Mein Haus...
... mein Auto!







Der Mensch hingegen, und das erleben wir auf dem Rückweg zum Parkplatz, wird mit der Gegenwart der Pinguine nicht in allen Fällen ohne Hilfe fertig: die Unterstützung einer extra ins Leben gerufenen Pinguin-Sheriff-Truppe wird von den Anwohnern von Boulders Beach zunehmend in Anspruch genommen, um aus dem Strandreservat ausgebüchste Tiere wieder einzufangen. Diese nämlich gehen gerne mal im Ort auf Wanderschaft, graben sich unter Zäunen und Hecken durch, besuchen offenstehende Häuser, stören die Ruhe mit ihrem durchdringenden Geschrei, verschandeln die gepflegten Straßen des Strandörtchens mit ihren Fäkalien und fühlen sich im Kanalsystem besonders wohl. Ob dieses Verhaltens werden sie mittlerweile von so manchem menschlichen Einwohner als Plage angesehen, eine Plage, der man gerne gründlich Herr werden würde. Doch die vom Aussterben bedrohten Pinguine stehen unter strengem Artenschutz und mehr, als die Vögel aus Häusern und Gärten zu vertreiben oder, eben in letzter Not, die Sheriffs zu rufen, ist den armen, geplagten Boulderanern deshalb nicht gestattet. Und das ist gut so, wenngleich ich die hier ansässigen Menschen auch ein bisschen verstehen kann. Für uns hingegen ist der Anblick watschelnder Frackträger, die aus Kanalrohren kommen, auf die Straße kacken, unter Autos verschwinden und Hecken mit ihren Buddelarbeiten zum Wackeln bringen, allenfalls etwas seltsam, grotesk und befremdlich. Allerdings sind derlei Konflikte zwischen Mensch und Natur auch bei uns zuhause nicht unbekannt, obschon weniger exotisch, doch meist ziehen da die Tiere den Kürzeren... Hier jedoch kümmert man sich hingebungsvoll um die befiederten Störenfriede und die Sheriffs haben an manchen Tagen alle Hände voll zu tun, die Ausreißer in Tragekartons wieder in ihr Reservat zurück zu bringen.

Blick auf Boulders "City"
Lycium ferocissimum
Sterna bergii







Und wir, nachdem wir uns hier ausgiebig umgesehen haben, sollten jetzt auch mal den Rückweg zu unserem Domizil antreten, natürlich nicht ohne den von mir gewünschten Schlenker in die Klamotten-Boutique gemacht zu haben. Zurück am Parkplatz, der sich übrigens mittlerweile beträchtlich geleert hat (auch die zahlreichen Andenkenverkäufer haben schon gepackt), zücke ich einen Stadtplan von Simon's Town und lotse uns zum Geschäft. Fünf Minuten später sind wir auch schon da, im Waterfront Centre, stürmen das Enkosi Africa und werden von einer freundlichen Dame, die den Laden gerade schließen wollte, trotzdem herzlich begrüßt. Ob sie uns helfen könne, fragt sie und ist ganz gerührt, als ich ihr von meinem Anliegen erzähle: wir seien aus Deutschland, berichte ich ihr, ich hätte ihr Geschäft im Internet ausfindig gemacht, und, weil sie die Einzige auf unserer ganzen Route sei, die Hooligan Kids führe, seien wir jetzt hier. Sofort zeigt die Lady mir den Ständer mit den Kinderklamotten, bedauert jedoch wortreich, dass dies nur noch Reste der Sommerkollektion wären; die Wintersachen seien noch nicht eingetroffen. Nicht wirklich schlimm, denn ich finde trotzdem ein süßes Kleidchen und ein lustiges T-Shirt für meine kleine Patentochter und bin ganz glücklich. Während ich anschließend, mit meiner Beute in den Armen, den Rest des Ladens inspiziere, kommen die Ladeninhaberin und ich ins Gespräch. Sie interessiert sich sehr für unsere Route, geht aber offenbar davon aus, dass wir uns ausschließlich in der näheren Umgebung Kapstadts herumtreiben wollen. Na ja, die Garden Route und den Krüger Nationalpark hat sie, um korrekt zu sein, auch noch im Programm. Umso größer werden ihre Augen, als ich ihr unsere geplante Strecke schildere. Knersvlakte? Skilpad Flower Reserve? Richtersveld? Nie gehört, wo ist denn das? Bei Botswana und Zimbabwe steigt sie dann endgültig aus und schüttelt nur noch ungläubig den Kopf. Die genannten Orte seien ihr zum größten Teil gänzlich unbekannt, gesteht sie mir, und ruft nun bei mir ungläubiges Kopfschütteln hervor. Wie kann man nur in einer solch wundervollen Gegend, einem so phantastischen Land wohnen und so gut wie nichts davon gesehen haben?! Gut, auch ich habe in Europa viele Orte noch nie besucht, doch wenigstens habe ich schon mal davon gehört und eine gewisse Vorstellung, wo das ist und wie es dort aussieht. Die freundliche Dame hingegen ist noch nie so richtig im eigenen Land herumgekommen, so bekennt sie etwas verschämt, und hätte sich auch nie besonders dafür interessiert. Meine Schwärmereien allerdings haben sie jetzt doch neugierig gemacht. „Vielleicht sollte ich doch mal ein wenig umherreisen!“, meint sie, schränkt aber sofort ein: „Heuer nicht mehr, denn nun kommt der schreckliche Herbst, dann der fürchterliche Winter und da ist es so kalt, dass ich am liebsten zuhause bleibe!“. Mhm, ich glaube ja fast, ihre bis dato nicht vorhandene Reiselust ist nicht wirklich jahreszeitenabhängig, sondern hat eher andere Gründe. Die jedoch gehen mich nun beileibe nichts an und es muss ja auch nicht jeder viel, gerne und oft in der Welt umherfahren…

Während ich shoppe...
... genießen die anderen...
... den Yachthafen







Ich hingegen habe, dank meiner Reiselust, in rund drei Wochen den High Tea in Vic Falls bestem Hotel vor mir, bin aber klamottentechnisch ziemlich unpassend ausgerüstet. Rasch frage ich deshalb die sesshafte Lady um Rat und werde sofort liebevoll beraten. Zehn Minuten später verlasse ich die Boutique, um ein paar Kinderklamotten, einen Batik-Kaftan und eine neue Bekannte reicher. „Barbara, bis nächstes Jahr! Dann erzähle ich dir, ob ich es tatsächlich geschafft habe, mir etwas von unserem schönen Land anzusehen. Es war toll, dich kennengelernt zu haben!“ Mal schauen, ob die Dame dann etwas zu berichten hat und – ob sie sich überhaupt an mich erinnert. Egal! Es war auf jeden Fall ein sehr nettes Einkaufserlebnis und ich bin hoch beglückt über die schnuffigen Kindersachen. Ob ich den Kaftan allerdings wirklich noch in Afrika tragen werde, entscheide ich besser erst, wenn es so weit ist. Ich stehe nämlich nicht so sehr auf Touristen, die sich in vermeintlich landestypische Kleidungsstücke werfen, genauso wenig, wie ich Norddeutsche in Dirndl und Lederhosen amüsant finde… Das jedoch ist wieder ein anderes Thema.

Nach einer herzlichen Verabschiedung verlasse ich also nun, mit zwei Plastiktüten beladen, das Geschäft und steuere flinken Schrittes auf den Parkplatz, wo meine Freunde schon ungeduldig auf mich warten und endlich, hungrig wie sie sind, zu unserem Bungalow zurückkehren wollen. Da kommen wir dann auch an, eine Viertelstunde später, klettern wieder über die Holzbalustrade, hadern erneut mit dem mittlerweile strammen Abendwind und beschließen den heutigen Abend genau wie den gestrigen: im leidlich warmen Inneren unserer Behausung, ohne Grillerfolge und mit frühem Zubettgehen.


 Weitere Impressionen des Tages:

Larus dominicanus
Sandgestrahlte Idylle
Anlanden und aufstehen





Hübsches Kerlchen
Vor der Wohnungstür
Postkoitale Zweisamkeit





Unter der Gartenhecke
Grabwespe
Metalasia muricata




Gefiederpflege
In seinem Element
Kleiner Flauschi
Großer Schnuffi

Keine Kommentare: