Freitag, 31. August 2018

7. Oktober 2015; Kigoma, Jakobsen's Beach > Sitalike, vor den Toren des Katavi NP

Morgenstimmung am See
Gemächlich schälen wir uns aus unseren Schlafsäcken und beginnen den noch jungen Tag mit einem ausführlichen Frühstück. Unser bikender Mitcamper eilt etwas später atemlos an uns vorüber, so etwa beim zweiten Toast, und brabbelt irgendwas von Päckle und abhola und weisch. Viel Glück, mir moined des au so! Nachdem der letzte Bissen geschluckt ist, packen wir unsere Habseligkeiten, wühlen uns aus dem Sand der Campsite und starten los. Rauf nach Kigoma, durch die Stadt hindurch, zurück auf die Hauptstraße Richtung Mbeya und dann, endlich, endlich, dem Katavi entgegen! Auf dem ersten Teilstück ist die Straße noch geteert, wir kommen trotz zahlreicher Schlaglöcher rasch voran, dann aber endet der kommode Belag abrupt. Und zwar genau da, wo wir erneut den Malagarasi überqueren. Ruhig fließt der Fluss auf beachtlicher Breite unter uns dahin, zahlreiche Wasservögel vergnügen sich an seinen Ufern, das Schilf wogt, die Fluten gluckern sanft und wir genießen diesen Anblick, bevor wir die geteerte Brücke hinter uns lassen und in wenig befahrenes Buschland abbiegen. Heute ist wieder Kilometer-Schrubben angesagt, darauf sind wir alle gepolt und schalten deshalb auf Durchzug.


Die Straße hat uns wieder
Einer von gefühlten tausend
Spee-Bumps
Der Malagarasi












Zunächst also wird geschrubbt. Dann aber, irgendwann gen Mittag, durchqueren wir ein Gebiet, das Heinz und mich sofort aus dem Durchzugs-Modus reißt: es ist eine felsige Gegend, eine Landschaft, die ein wenig an die dicht gesäten Kopjies in Zimbabwe erinnert und die an sich schon einiges fürs Auge zu bieten hat. Doch hier, und das ist es, was Heinz und mich so erfreut, wachsen unzählige Sukkulenten. Bereits auf den ersten Kilometern sind wir hingerissen: riesige Euphorbien recken ihre stacheligen Arme gen Himmel. Und wo solche Pflanzen derart üppig gedeihen, sind auch andere ihrer Art zu finden! Stopp! Stopp, so rufen wir an einem besonders verheißungsvollen Hügel, nachdem wir uns schon eine ganze Weile vielsagend angesehen haben.


Sukkulenten-Stopp
Neben buschigen und ...
... baumigen Euphorbien gibt
es auch Blüten:








Securidaca longipedunculata
Leptacinia benguelensis
ssp. pubescens
Cycnium sp.


















Folgsam bremst Jochen den Wagen ab und rangiert ihn an den Straßenrand. Annette parkt hinter uns ein und sieht uns verwundert an. „Was ist los? Pinkelpause?“ „Also, Annette, sieh dich doch mal um, dann weißt du sofort, warum wir hier halten!“ „Ach so, Pflanzen. Hätt ich mir ja denken können. Aber wir haben fei nicht viel Zeit, schließlich müssen wir heute noch nach Sitalike kommen!“ „Ach ja, wir werden das schon schaffen. Doch wir können hier beim besten Willen nicht einfach vorbeifahren, ohne uns näher umzusehen!“ Und schon sind Heinz und ich im felsigen Gelände verschwunden. Oh Mann, was hier alles wächst! Riesige Euphorbien und wundervolle Aloen bevölkern die steinigen Hügel, in jeder Ritze klammert sich ein sukkulenter Schatz fest und wir kommen aus dem Schauen und Erkunden gar nicht mehr raus. Wir klettern in den Felsen umher, die Zeit verfliegt und bald fordert uns Annettes ungeduldiges Rufen zum Abbruch unserer kleinen Exkursion auf. Eine Weile gelingt es uns, das Rufen auszublenden, dann aber geben wir ihm schweren Herzens nach und kehren zu den Autos zurück. „Na endlich! Ich hab doch gesagt, wir haben nicht ewig Zeit!“ Ja, sie hat ja recht, irgendwie, aber so tierisch beeilen müssen wir uns auch nicht! Etwas angesäuert klettern wir wieder in die Autos und tuckern weiter. Sehnsüchtig starren Heinz und ich auf den nächsten Kilometern in die Landschaft, die sich langsam, fast unmerklich, verändert. Das Gelände wird flacher, die Bäume weniger und die Vegetation noch interessanter. So interessant, dass wir es schließlich nicht mehr aushalten. „Jochen, egal, was Annette sagt, aber wir müssen hier nochmal raus!“ Jochen hat kein Problem mit einem weiteren Stopp und tritt in die Bremsen, was seine Gattin natürlich nicht gutheißt. Mit tadelndem Blick sieht sie uns an und schüttelt empört ihren Kopf. „Nicht schon wieder Pflanzen, oder? Nach Sitalike ist es noch ein Stück und in der Dunkelheit fahren wir nicht. Oder sollen wir gleich hier übernachten?“ Nein, natürlich nicht! „Gut, dann macht, was ihr wollt, wir fahren auf jeden Fall weiter. Ihr werdet uns dann schon irgendwann wieder einholen...“


Aloe sp.
Aloe sp.
Euphorbia sp.








Euphorbia sp.
Euphorbia sp.
Leider müssen wir weiter








Senecio sp.
Euphorbia sp.






Annette spricht’s und schwingt sich wieder in ihr Auto, während uns Jochen beruhigend zunickt. „Ne halbe Stunde geht schon. Reicht euch das?“ Wie die Pfeile flitzen wir los und delektieren uns im Eiltempo an dieser fantastischen Flora. Hier dominieren diverse Arten kleinerer Euphorbien, zierliche Aloen bezaubern uns mit ihren stachelgesäumten Blättern, sukkulente Korbblütler recken uns ihre apart gemusterten Triebe entgegen und wir könnten uns sicher mehrere Tage vergnügen, ohne dass uns langweilig würde. Doch die Pflicht ruft, eine Pflicht, die in diesem Falle ja auch nicht gerade unangenehm ist. Deshalb verlassen wir nach der abgemachten halben Stunde unser Sukkulentenparadies, zwar schweren Herzens, aber dennoch glücklich, es gesehen haben zu dürfen. Brav steigen Heinz und ich in den grünen Landy, seufzen schwermütig, dann gibt Jochen Gas und keine halbe Stunde später haben wir Annette wieder eingeholt. „Pinkelpause, oder wie?“, fragen wir süffisant. „Ja, muss eben auch mal sein!“ Na gut, dann entleeren auch wir unsere Blasen und anschließend kann es Non-Stop nach Sitalike weitergehen, versprochen!

Blühender Wurzelparasit ...
... und seine Früchte?
Hornrabe im Wald









Busverkehr
Verkaufsstände in Sitalike
Ja, endlich da!









Mädchen mit Kind
in Sitalike




Wir alle halten unser Versprechen und erreichen so tatsächlich am späten Nachmittag unser Ziel. Sitalike, ein winziges, staubiges Kaff im Westen Tansanias, das nichts Großartiges zu bieten hat. Es liegt direkt an der B8, schwere Lkws rumpeln durch den Ort, der aus ein paar Häuschen, ein paar Shops und einem Büro der Nationalparkverwaltung besteht. Sagte ich eben tatsächlich, es habe nichts Großartiges zu bieten? Falsch! Sitalike liegt an der nördlichen Grenze des Katavi Nationalparks – der, ich erinnere, einer meiner Lebensträume ist. Und der Katuma River, der den Katavi durchquert, fließt auch durch Sitalike. Momentan, wir haben Trockenzeit, fließt der Katuma nicht, er schlammt eher in feuchten Pfützen und trockenen Passagen vor sich hin. Den Nilpferden, die diesen Fluss bewohnen, ist die Nationalparkgrenze egal – nur die verbleibenden Pfützen sind wichtig – und einige davon befinden sich südlich der Brücke, auf der die Durchgangsstraße aus dem Ort herausführt. Und sie befinden sich direkt an den Campgrounds des Riverside Hotels, auf dessen Gelände wir heute übernachten werden. Wir fahren, nachdem wir im Ort noch ein paar Getränke besorgt haben, auf besagte Brücke und sofort ist alle Schwermut über die nur kurz besichtigten Sukkulenten bei mir vergessen: hier, direkt unter mir, liegt ein Flusslauf voll mit Nilpferden! Die grauen, massigen Leiber drängen sich dicht an dicht und ihre runden, glänzenden Rücken sehen aus wie eine regenfeuchte, kopfsteingepflasterte Straße. Herr Poliza, das ist DAS Bild das ich im Kopf hatte! Und nun bin ich noch nicht mal im Nationalpark drin, aber all meine Sehnsüchte haben sich bereits erfüllt! Ich bin völlig hingerissen, geplättet, begeistert, fasziniert, atemlos.

Blick von der Brücke
Unglaublich!
Tierisches Kopfsteinpflaster











Nun, atemlos kann man hier aus zweierlei Gründen werden: erstens verströmen die unzähligen Hippos in ihren Pfützen einen unglaublich strengen Geruch, der einem das Luftholen ein wenig schwer macht. Das aber nehme ich in meiner Begeisterung gar nicht so wahr, denn es ist, zweitens, ein wirklich unfassbarer Anblick, der von einer noch unfassbareren Geräuschkulisse untermalt wird! Meine Freunde sind auch begeistert, doch bei mir reicht der Ausdruck „Begeisterung“ bei weitem nicht aus. Am liebsten würde ich sofort mein Zelt aufschlagen, hier, auf der Brücke! „Barbara, reiß dich los! Die Campsite ist auch direkt am Fluss und du wirst mehr Nilpferde kriegen, als dir vielleicht lieb ist.“ Nur zögerlich gebe ich Annettes und Jochens Worten statt. Doch sie müssen es ja wissen, schließlich waren sie schon mal hier. Also besteigen wir unsere Gefährte und kurven runter zum Camp, das ein paar kleine Bungalows und eine Campsite offeriert. Wir durchqueren eine Toreinfahrt, von der aus man auf ein paar winzige, recht heruntergekommene Gebäude und einen großzügigen Platz blicken kann, der mit spärlichen Grasbewuchs aufwartet und der, sehe ich da recht, von unzähligen Nilpferdhaufen übersät ist! Woah, die Dicken kommen hier raus? Ja! Erst, als wir den eigentlichen Campground erreichen, realisiere ich, wie nahe wir den Tieren heute Nacht sein werden: da ist ein Zaun, der den Namen eigentlich nicht verdient – er besteht aus windschiefen, verfallenen Brettern und ist nicht länger als sechs Meter –, fünf Meter neben diesem „Zaun“ fällt ein steiles Ufer zum Katuma River ab und auch in diesem Flussabschnitt liegen die Hippos Bauch an Bauch, Po an Po, Kopf an Kopf. Links vor uns, auch in greifbarer Nähe, plätschert etwas Wasser in einem tiefen Erdriss herab und dort grunzt es ebenfalls heftig. Ich kann mein Glück kaum fassen – wir sind quasi von Nilpferden umzingelt! „Wo wollen wir unsere Zelte aufbauen?“, fragt Annette. „Am liebsten da unten, neben dem sogenannten Zaun!“, antworte ich wie aus der Pistole geschossen und sehe die anderen erwartungsvoll an. Denen ist es recht, und so lassen wir uns, nach kurzen Anmeldungsformalitäten, an meinem Wunschort nieder. Heinz und ich errichten unser Zelt direkt an diesem wackeligen Holzkonstrukt, Gabi, Annette und Jochen nehmen ein paar Meter Abstand und Erika sorgt sich ohnehin nicht übermäßig, denn sie nächtigt ja im Dachzelt. Perfekt, nun kann der Abend beginnen!

Unser Lager am Katuma
Der „Zaun“, dahinter der Fluss
Blick vom Zaun











Entspannt nehmen wir an unserem Tisch Platz und lassen uns erst mal einen Sundowner schmecken, bevor wir mit den Vorbereitungen fürs Abendessen beginnen, die von erregtem Hippo-Gegrunze begleitet werden. Und deshalb bin ich heute auch nicht ganz bei der Sache. Ich schäle ein paar Zwiebeln, hüpfe aber immer wieder aufgeregt zu unserem Zelt, stütze mich auf den Zaun und beobachte die Hippos, die langsam aber sicher in Dämmerungs-Modus kommen – sie schicken sich an, den Fluss zu verlassen! Selig lächelnd liefere ich die geschälten Zwiebeln bei meinen Freunden ab und beteilige mich fortan – zum ersten Male überhaupt – nicht mehr an den Kocharbeiten. Schließlich muss ich ja kucken! Und es ist ein Anblick ohnegleichen! Ein Nilpferd nach dem anderen hievt sich aus den schlammigen Resttümpeln, grunzt und schnaubt, und stemmt sich anschließend mit kurzen Beinchen, aber erstaunlich gewandt, am gegenüberlegenden Steilufer nach oben, um im spärlichen Grün zu verschwinden. Dann geht die kurze Dämmerung rasch in absolute Dunkelheit über, das Essen ist fertig und wir können fortan nur noch lauschen, nicht aber mehr sehen. Trotz der anschwellenden Geräuschkulisse vergeht keinem von uns der Appetit, wir lassen uns ein würziges Gulasch schmecken, zubereitet mit vom deutschen Metzger eingedostem Fleisch und ungarischer Paprika-Paste und lauschen nebenbei genüsslich den vielsagenden Lauten einer extrem nahen Flusspferd-Population. Ich bin im siebenten Himmel!

Dann schreitet der Abend voran. Die leisen Schritte der Wasserdickhäuter und ihr lautstarkes Geschnorchle kommen plötzlich von mehreren Seiten. Vorsichtig leuchten wir in die Dunkelheit – nun sind sie auch aus der Rinne unterhalb der Campsite geklettert, verlassen den Fluss auf unserer Seite und ziehen rund um uns herum ihre nächtlichen Bahnen! Wie gebannt sitzen wir an unserem Tisch; Hippos hinter uns, vor uns, auf allen Seiten neben uns, es grunzt, es schnorchelt, es tapst, es rupft, es kaut. „Ich wäre ja jetzt müde!“, vermeldet Erika gähnend. „Ne, jetzt noch nicht, warte, bis der Weg frei ist!“ Und so sitzen wir inmitten der grasenden Flusspferde und harren der Dinge, so lange, bis wir uns, einer nach dem anderen, gefahrlos ins Zelt begeben können. Heinz und ich, die unser Zelt der Aufstiegszone der Nilpferde am nächsten aufgeschlagen haben, warten naturgemäß am längsten, bis auch wir uns endlich ins Bett verdrücken können, ohne auf dem Weg dorthin einem missgelaunten, hungrigen Hippo in die Quere zu kommen. Absolut irre – nicht ins Zelt zu kommen, weil eine Flusspferdautobahn vor deinem Schlafzimmer verläuft! Absolut irre...

Mittwoch, 29. August 2018

6. Oktober 2015; The Middle of Nowhere > Kigoma, Jakobsen’s Beach and Guesthouse, Lake Tanganjika


Alles war ruhig heute Nacht, niemand hat sich in unserem Lager zu schaffen gemacht, wir erwachen völlig unbeschadet, haben aber trotzdem nicht die nötige Ruhe, entspannt noch ein paar Minuten länger liegen zu bleiben, denn wir hören Menschen. Menschen, die mit Fahrrädern und zu Fuß an uns vorbeiziehen, auf dem Weg zur (Feld-)Arbeit. Sie alle sehen uns neugierig an, verhalten sich aber eher schüchtern bis zurückhaltend, ziehen den Kopf ein und nicken allenfalls andeutungsweise in unsere Richtung. Niemand kommt und will Geld von uns, niemand fragt nach unserer Genehmigung für eine Übernachtung, niemand kommt uns nahe. Wir werden leicht verwundert, aber dennoch erstaunlich selbstverständlich zur Kenntnis genommen. Erleichtert, dass wir die Nacht unbeschadet überstanden haben und unsere Präsenz so unaufgeregt hingenommen wird, werde ich mutiger: jedem, der des Weges kommt, schmettere ich ein herzliches „Habari asubuhi!“ entgegen - Guten Morgen auf Suaheli. Verdutzte Blicke der Passierenden treffen mich; eine Weiße, die Suaheli spricht! Gott sei Dank jedoch haben es die vorbeiziehenden Menschen eilig und wissen nicht, dass sich meine Sprachkenntnisse damit auch schon fast erschöpfen. Ein tansanisches Grußritual nämlich ist kompliziert und nach dem „Guten Morgen“ wüsste ich schon nicht mehr wirklich weiter. Habari asubuhi heißt wörtlich „Wie ist der Morgen?“ Darauf wird eigentlich eine kurze Antwort nebst Gegenfrage erwartet, zum Beispiel: „Gut. Was macht die Arbeit?“, wiederum gefolgt von einer Antwort und einer Gegenfrage. „Sehr gut. Wie geht es den Kindern?“, und so weiter. Beendet wird der Fragereigen schließlich mit einem abschließenden „Asante. Salama.“, erst dann geht man auseinander oder beginnt das eigentliche Gespräch. Um derartige Grußprozeduren sicher und fließend durchstehen zu können, fehlen mir erstens, ganz ehrlich gesagt, die entsprechenden Worte, und zweitens, noch ehrlicher gesagt, das Verständnis. Warum sollte ich einen wildfremden Menschen nach dem Gang seiner Arbeit fragen, nach dem Befinden seines Ehepartners oder seiner Kinder? Warum sollte ich solche Fragen beantworten, wo ich doch nicht mal einen angetrauten Gatten und erst recht keine Kinder habe? Soll ich etwa lügen? Ja! Lügen werden in einem derartig ritualisierten Blabla hingenommen, denn es sind ja keine Fragen ehrlichen Interesses und man will deshalb auch nicht unbedingt aufrichtige Antworten hören. Frage: „Was macht die Gesundheit?“ Erwartete Antwort ist zumindest ein „Gut!“, auch wenn der Gefragte sichtlich ausgezehrt ist und auf allen Vieren daherkommt. Lediglich einem sehr guten Freund gegenüber darf der Sieche in diesem Ritual zugeben: „Nzuri kidogo – nicht ganz so gut.“ Irgendwie faszinierend, gleichzeitig aber auch völlig bekloppt! Aufgrund dieser, für mich total unergründlichen Verfahrenswege, bin ich sehr froh, dass die Passanten in ihrer morgendlichen Eile und ethnischen Verdutztheit nicht auf solch seltsamen Gepflogenheiten beharren, sondern lediglich meinen Gruß zur Kenntnis nehmen, kurz nicken, etwas murmeln und dann hurtig weitereilen.

Ein Amethyst-Glanzstar ...
... und seine Frau
Brücke über den Malagarasy










Und auch wir eilen weiter, so schnell wie eben möglich, denn schließlich befinden wir uns hier unerlaubterweise auf fremdem Land und möchten außerdem gerne möglichst viel unserer gestern verlorenen Zeit wieder aufholen, um wenigstens noch ein paar geruhsame Stunden an den Gestaden des Tanganjikasees verbringen zu können. Nach einer raschen Packaktion, ein kurzes Frühstück und einige Vogelbeobachtungen inklusive, ötteln wir schließlich zurück auf die B8, die uns in altgewohnter Staubigkeit empfängt und Richtung Süden weiterleitet. Wenig später überqueren wir eine Brücke und blicken auf einen ansehnlichen Fluss hinab. Die Karte gibt Auskunft: es ist der Malagarasi, der zweitgrößte Fluss Tansanias, und der Ort, an dem wir heute übernachtet haben, liegt in minimaler Entfernung zum Nachbarland Burundi – gerade mal zwanzig Kilometer trennten uns von der Grenze zu dem Land, aus dem in den vergangenen Jahren fast eine Million Menschen geflohen sind. Tja, rein lagetechnisch gesehen nicht gerade der beste Platz, um eine Nacht im Zelt zu verbringen... Angesichts dieser Tatsache sind wir nun doppelt froh, dass alles so problemlos gelaufen ist und wir in keine prekäre Situation geraten sind. Und für heute Nacht, sofern das Auto durchhält, haben wir ja ein sicheres Ziel. 

Es staubt wie Hölle
Gefährlich naher Gegenverkehr
Die Fußgänger tun mir leid!











Die Radler auch ...
Langsamer heißt weniger Staub
Bananentransport









Wohlgemut staubwolken wir uns diesem entgegen, immer Richtung Süden, weichen mittlerweile schon fast virtuos dem schlingernden Gegenverkehr aus und erreichen schließlich gen frühen Mittag die Zubringerstraße nach Kigoma, die wunderbarerweise geteert ist. Wenig später, der Verkehr hat schon wieder beträchtlich zugenommen, entern wir die Stadt, in der die deutsche Vergangenheit besonders deutlich zu spüren bzw. zu sehen ist. Diverse Gebäude, unter anderem der Bahnhof und einige andere öffentliche Bauten, sind so offensichtlich kolonialen Ursprungs, dass sie der ansonsten recht afrikanischen Stadt ein ganz eigenes Flair verleihen. Ein Flair, das schwer zu beschreiben ist: einerseits verströmt Kigoma einen Hauch deutscher Solidität, etwas Altmodisch-Heimeliges, andererseits aber fügen sich die Bauwerke so selbstverständlich in das Stadtbild, in das Tagesgeschehen dieses betriebsamen Ortes ein, dass man ihn sich anders gar nicht vorstellen kann. Eigen eben und nur unzureichend in Worte zu fassen. Doch wir haben ohnehin nicht lange Gelegenheit, dieses Ambiente auf uns wirken zu lassen, denn, nachdem wir durch das Zentrum gekurvt sind, biegt eine Stichstraße nach links ab und bringt uns an das Ufer des Tanganjikasees, genauer gesagt in das lange ersehnte Resort namens Jakobsen’s Beach and Guesthouse, das seinen Gästen angeblich einen der schönsten Strandabschnitte dieser Region bietet. Gespannt erledigen wir unsere Formalitäten an der Rezeption, die etwas oberhalb des Sees liegt, und kurven danach hinunter, dorthin, wo die Campingplätze ausgeschildert sind. Auch diese liegen nicht direkt am See, aber immerhin kann man von hier aus schon den Wellenschlag des zweitgrößten Binnengewässers Afrikas vernehmen. Wir suchen uns ein nettes Plätzchen. Eine tiefsandige, ebene Terrasse, eine überdachte Fläche, die Koch-, Grill- und Spülgelegenheit unter ihrem Schatten beherbergt, keine anderen Gäste weit und breit. Ja, das gefällt uns! 

Wir nähern uns Kigoma
Noch in den Vororten
Jetzt mittendrin











Bahnhof von Kigoma
Schwimmreifen und Räder
- eine runde Sache
Feudale Villen am Stadtrand









Doch wir haben uns zu früh gefreut: unsere Autos sind kaum geparkt und wir haben uns gerade mal oberflächlich umgesehen, als auch schon ein Angestellter des Camps herbeieilt und uns vertreibt. Hier nicht, das sei ein reservierter Platz mit Strom und anderem Komfort, für was oder wen auch immer – für ein Wohnmobil jedenfalls ist die Zufahrt definitiv zu unwegsam. Wir hingegen, die wir nur mit Zelten unterwegs seien, müssten weiter drüben unser Lager aufschlagen. Unmissverständlich deutet der Angestellte nach links. Nun gut, wenn es so sein soll... Annette chauffiert ihren Wagen in die angegebene Richtung, Gabi, Erika und Heinz folgen ihr zu Fuß, und alle sind ziemlich schnell verschwunden. Ich tauche soeben aus den Tiefen des unter des Platzes liegenden Buschwerks auf und will ihnen hinterherdackeln, als Jochen seinen Landy anwirft und ebenfalls startet. Leider aber hat er noch den Rückwärtsgang drin und rutscht mir, mit dem Heck voran, durch den losen Sand entgegen. „Scheiße! Barbara, ihr müsst gegenhalten!“ Ich rufe nach den anderen, doch sie sind schon zu weit weg, um mich zu hören. Fuck! Kurzerhand demontiere ich deshalb die Grillstelle des uns verwehrten Platzes und schiebe Ziegelstein um Ziegelstein unter die abgleitenden Hinterreifen. Gute zwei Tonnen Blech mitsamt Inhalt bauen sich bedrohlich über mir auf, Sand rutscht unter mir und den Reifen des Land Rovers weg, ich werde allmählich panisch, doch dann, ich dresche den letzten Stein in den sandigen Abhang, fängt sich der Wagen plötzlich. „Jochen, wir haben Halt. Versuchs jetzt!“ Sanft, aber bestimmt gibt er Gas, die Reifen schrubben Sand auf die Ziegelsteine, das lose Geriesel verdichtet sich kurzzeitig – und mit einem kurzen Knirschen hebt sich der Landy aus der Vertiefung. Puh, Gott sei Dank! Erleichtert dackle ich Jochen und seinem Auto hinterher, bis wir schließlich unbeschadet die uns zugewiesene Campsite erreichen, wo die anderen bereits ungeduldig auf uns warten. „Na, da seid ihr ja endlich! Was habt ihr denn so lange gemacht?“ „Ach nix, nur die Grillstelle umgeschichtet...!“

„Unser“ Strand ...
... ist wirklich schön!
Badenixe Heinz












Alles müssen sie ja auch nicht wissen, vor allen Dingen jetzt, wo wir endlich mal eine Weile zur Ruhe kommen können, wenn auch kürzer als geplant. Jochen sieht mich dankbar an und geht erleichtert zum Erholungsprogramm über. Ich hingegen messe dem Ausgespanne am See nicht so viel Bedeutung bei wie meine Mitreisenden. Ein See, Wellen, Strand, Nichtstun. Schön, aber nicht interessant. Dafür muss ich nicht nach Afrika fliegen und ein paar der kostbarsten Tage des Jahres opfern, um am Ufer eines Gewässers rumzusitzen. Möchte ich das tun, dann fahre ich an den Starnberger See, den Ammersee oder den Thanninger Weiher. Die sind alle eine halbe Stunde von meinem Wohnort entfernt, das Wasser schwappt und die Umgebung ist auch schön. Okay, die Nummer mit der Lichtmaschine hätte ich jetzt auch nicht unbedingt gebraucht, aber nun, da alles wieder gut zu sein scheint, möchte ich diese Erfahrung nicht missen und bin fast froh, sie gegen anderthalb fade Tage am Strande des Tanganjikasees getauscht zu haben. Ein halber Tag Badepause, das geht, das ist verkraftbar. Aber wenn ich meine Freunde sehe, dann will ich mich auch gar nicht mehr beschweren: sie werfen alle Klamotten von sich, springen in mitgebrachte Badedresses, anschließend in die kühlen Fluten des Lake Tanganjika und freuen sich wie die Kinder. Ich platziere mich indessen in einem Bambus-Liegestuhl am Ufer des Sees, bohre meine Zehen in den warmen Sand, sehne mich nach dem Katavi und delektiere mich zur Überbrückung dieser Sehnsucht am Genuss meiner Reisebegleiter. Es sei ihnen gegönnt!

Chillen in seiner Reinform
Blaue Stunde am See
Malerischer Sonnenuntergang










Doch irgendwann finden auch deren Badefreuden ein Ende und wir wandern wieder auf unsere Campsite, um uns wichtigeren Dingen zu widmen. Duschen, Wäsche waschen, Equipment ordnen, Abendessen zubereiten und die Zutaten hierfür vor zudringlichen Meerkatzen schützen. Ein gemächlicher Spätnachmittag gleitet an uns vorüber. Diese Ruhe wird nur durch einen Mitcamper gestört, der sein Zelt auf dem selben Platz errichtet hat und bei unserer Ankunft offenbar noch unterwegs gewesen war. Nun kehrt er zurück und wir erfahren, in epischer Breite, wie lange er schon hier ist und warum und was er heute erledigt hat und wo und überhaupt. Nicht falsch verstehen: der junge Stuttgarter ist echt ein netter Kerl. Er ist mit seiner BMW-Tourenmaschine unterwegs, seit längerem schon, hat Afrika durchquert und wollte eigentlich bereits zuhause sein, doch ein Stein, der seiner Bremsscheibe einen Schlag versetzte, bereitete der Tour ein vorläufiges Ende. Nun wartet er seit Wochen auf ein Ersatzteil, um seine Route fortsetzen und in Kapstadt beenden zu können. Ich bewundere seinen Mut, eine derartige Reise durch den ganzen Kontinent alleine in Angriff genommen zu haben, ich bedauere seine Zwangspause, aber, so leid es mir tut, ich kann mir sein überausführliches, schwäbelndes Gesülze über technische Probleme nicht anhören. Es ist ja immer nett und informativ, sich mit anderen Leuten, Reisenden wie auch Einheimischen, zu unterhalten, aber was zu viel ist, ist zu viel! Wenn er wenigstens von Erlebnissen auf der bereits absolvierten Strecke erzählen würde. Doch nein! Musch, weisch, hasch, brauchsch, Bremsscheib, Stoi, Päckle, warta, repariera, schbinnsch, da brauchsch nix mehr... Wie eine Gebetslitanei leiert er sein Steinschlagunglück wieder und wieder herunter, gestützt durch sein Fachwissen – weil er ja bei Porsche arbeitet, weisch?! Wir alle klinken uns aus, allein Jochen klebt förmlich an den Lippen des labernden Bikers und erhofft sich wohl fachmännische Ratschläge bezüglich unserer eigenen Probleme. Doch er hofft vergeblich, denn ein Land Rover ist eben kein Porsche, eine angeschlagene Lichtmaschine erst recht keine durch einen Steinschlag demolierte Bremsscheibe und ein Auto kein Bike. Und ein hochbegabter Schwätzer schlägt ohnehin jeden, der einem derartigen Redeschwall nicht viel entgegenzusetzen hat, verschdehsch?! Schließlich streicht auch Jochen die Segel und reiht sich wieder in unsere traute Abendrunde ein, die wir essend, trinkend und genießend zu späterer Stunde genüsslich beenden und uns dann wohlig in unseren Zelten verstauen. Guads Nächtle!

Freitag, 11. Mai 2018

5. Oktober 2015; Biharamulo, Old German Boma > The Middle of Nowhere

Niemand scheint geschnarcht zu haben, denn wir erwachen sehr ausgeruht und recken uns wohlig in der Morgensonne, die gerade beginnt, über die Schutzmauer zu lugen. Beim Frühstück besprechen wir nochmal unsere Pläne für heute: wir wollen Kigoma erreichen und dort in einem Strandresort namens Jakobsen's Beach absteigen, um am Ufer des Tanganjikasees zwei Tage bei Wind, Wellen und Sonne unsere Seele baumeln zu lassen. Da das einen strammen Fahrtag bedeutet, lassen wir uns nicht allzu viel Zeit mit dem ersten Mahl des Tages und packen danach ebenso zügig zusammen. 380 Kilometer bis Kigoma, das ist machbar, denken wir zuversichtlich, klettern in unsere fahrbaren Untersätze und düsen los. Doch es kommt alles anders als geplant; ein reiner Fahrtag, über den es eigentlich nicht viel zu erzählen geben sollte, wächst sich im Laufe der nächsten zehn Stunden zu einem der ereignisreichsten Tage dieses Urlaubs aus – leider nicht im positiven Sinne...

Die ersten Kilometer rollen noch relativ eintönig an uns vorüber, auf der perfekten Teerstraße kommen wir schnell voran und wir werden von nichts abgelenkt, da wir die Strecke ja bereits von gestern kennen. Doch kurz vor Rubondo Village, diesem seltsamen Containerdorf, können wir sehen, der schnurgeraden Streckenführung sei Dank, dass im Ort irgendwas passiert sein muss. Eine große Menschenansammlung blockiert die Straße, Blaulicht blinkt hektisch und Polizisten halten Autos an. Eine Großkontrolle, eine Straßenblockade, ein Unfall? Langsam nähern wir uns dem unübersichtlichen Gewimmel und halten Ausschau nach Hinweisen, die diesen Auflauf erklären. Wir können jedoch nichts entdecken, sehen nur, dass eine ziemliche Aufregung herrscht. Ich blicke gerade ratlos aus dem Fenster, als meine Augen kurz, nur ganz kurz, etwas wahrnehmen, was ich so schnell wohl nicht wieder vergessen werde: der verdrehte Körper eines jungen Mannes liegt wie eine weggeworfene Puppe auf dem Teer, auf seinem Kopf klaffen schreckliche Wunden und mir ist im selben Moment klar, dass er tot ist. Schockiert schnappe ich nach Luft und wende meinen Blick sofort ab. In der gleichen Sekunde, wir rollen langsam weiter, schieben sich aufgeregte Menschen in mein Blickfeld, ein Polizist winkt uns voran, wir passieren die Ansammlung, lassen sie hinter uns – und es geht normal weiter. „Und was war da jetzt bitte los?“, fragt Jochen, der offenbar nichts mitbekommen hat. Doch auch Heinz hat es gesehen: „Ein Unfall. Da lag jemand auf der Straße. Der war tot! Der hatte …, sein Kopf …!“, stammelt er. „Aber da war nirgendwo ein Verursacher zu sehen. Nur Leute und Polizei. Seid ihr euch sicher?“ Ja, sind wir, denn wir haben Bilder im Kopf, die da nie mehr wieder rausgehen werden! Und ich bin mir zudem sicher, dass der Unfallfahrer wohl nie gefunden werden wird. Grund dafür ist das tansanische Verkehrsrecht, das drakonische Strafen über Schuldige verhängt – und in einem derartigen Fall ist mit fast hundertprozentiger Sicherheit der Autofahrer der Verursacher und somit der Schuldige. Eine schnurgerade Strecke, keine verbergenden Büsche, keine parkenden Autos, klare Sicht. Eine solche Strecke provoziert überhöhte Geschwindigkeit, man rast aus Freude am schieren Tempo, man will zügig von A nach B kommen, man genießt die schlaglochfreie Strecke – und plötzlich hat man dabei einen Menschen übersehen, ihn touchiert. Ein dumpfer Knall, eine Schocksekunde, eine Realisierungssekunde – und nix wie weg! Hier kümmert sich  in der Praxis niemand um die Verkehrstüchtigkeit von Fahrzeugen, um Bremsen, Beleuchtung, maximale Beladung. Doch wenn sich ein Unfall ereignet, wird plötzlich genau gekuckt – und fast immer etwas entdeckt. Kein Wunder also, dass die Quote der Fahrerflüchtigen in Tansania augenfällig hoch ist, obwohl die Strafen auf „Hit-and-Run“ noch wesentlich schwerer ausfallen.

Noch ist der Teerbelag
mustergültig ...
... und die Landschaft grün.
Dann beginnt es zu stauben.









Traurig und ziemlich schockiert von dem eben Ges(ch)ehenen setzen wir unseren Weg fort und hoffen, dies möge kein böses Omen für den heutigen Tag sein. Doch ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir Lusahunga, zockeln mit unter 50 Stundenkilometern durch das Örtchen, wehren winkend die Honig- und Nüsschenverkäufer ab, die sich uns schon wieder, ihre Waren laut anpreisend, aufdrängen, verlassen das Kaff und nehmen den nächsten Streckenabschnitt in Angriff, der uns nach Nyakanazi führt. Auch diese knapp 20 Kilometer sind noch geteert, der Belag jedoch ist, wie so oft Tansania, nicht sonderlich gut erhalten. So macht der Wechsel ausgefahrener Staubabschnitte und kümmerlichen Restteers, den man als solchen meist nicht mehr erkennen kann, das Fahren zu einer äußerst holperigen Angelegenheit, die starke Konzentration erfordert. Eine knappe dreiviertel Stunde kostet uns diese Strecke, dann empfängt uns Nyakanazi. Ein staubiges Nest, geschäftig, heruntergekommen und voller Müll. An den Straßenrändern stehen zahlreiche schmutzige Marabus, die ihr täglich Brot aus dem Weggeworfenen der Menschen picken, es gibt unzählige Kneipen und jeder dritte Shop beherbergt einen Alkoholladen. Kein Wunder, denn Nyakanazi ist ein Ort, an dem sich zwei Hauptrouten treffen, ein wahrer Verkehrsknotenpunkt in diesem entlegenen Teil Tansanias, auch wenn man das kaum glauben kann. Doch in Nyakanazi teilt sich die Straße: nach Osten zweigt die B3 ab; sie führt nach Dodoma, der offiziellen Hauptstadt Tansanias. In südlicher Richtung fährt man auf der B8 aus dem Ort heraus; sie zieht sich am Tanganjikasee entlang, immer mehr oder weniger weit von der Grenze zur DRK (Kongo) entfernt, biegt schließlich in einem sanften Bogen nach Osten und bringt einen direkt nach Tunduma, den Grenzübergang nach Sambia – die Route, die auch wir einschlagen werden. Nun ist dieser westliche Teil Tansanias nicht gerade der strukturstärkste, doch natürlich gibt es auch hier Menschen und Geschäfte, die mit Waren versorgt werden wollen, Lkw-Fahrer, die diese Strecke befahren müssen und so etwas wie einen öffentlichen Nahverkehr, der die hier ansässigen Leute von A nach B transportiert. Und all diese Personen treffen in Nyakanazi aufeinander, froh um eine Pause, froh, ihre verstaubten Kehlen benetzen, den Müll einer langen Fahrt entsorgen zu können. Und dementsprechend sieht es hier aus.

Marabu in Nyakanazi
Desaströser Unfall
Lebensgefährlicher
Gegenverkehr









Auch wir sind froh – froh, diesen ungemütlichen Ort verlassen zu können und auf unserem Weg zum Katavi ein gutes Stück weiterzukommen. Am Ortsausgang verabschiedet uns allerdings noch das Bild eines vergangenen Desasters. Drei Lkws, darunter auch ein Tanklaster, liegen ausgebrannt in einer kleinen Senke vor ein paar Wohn- und Ladengebäuden. Im Umkreis von vielen Metern ist alles verbrannt, verrußt, geschwärzt, der einzige Baum in der näheren Umgebung bietet ein trauriges Bild – und die Menschen und Marabus staksen über den verkohlten Boden, als wäre nichts gewesen. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie viele Leute bei diesem schrecklichen Unfall zu Schaden gekommen sind. Auf der weiteren Strecke jedoch, Teerbelag hat diese Straße noch nie gesehen, relativiert sich meine Schreckensvorstellung – ich bin beinahe erleichtert, dass dieses Unfallzeugnis das einzig sichtbare bleibt. Denn angesichts dessen, was sich auf dieser rumpeligen, staubigen, schmalen, schlaglochdurchsetzten B8 tut, grenzt das an ein echtes Wunder! Die Piste windet sich durch mehr oder weniger dichtes Buschland, man sieht nicht, was einem hinter der nächsten Kurve entgegenkommt: Fußgänger, Radfahrer, ein Kleinkraftrad, ein großer Bus, ein Lkw, ein kleiner Personentransporter? Nur einer Sache kann man sich sicher sein – der Gegenverkehr fährt, aufgrund des grottenschlechten Zustands der Piste, meist auf der falschen Seite, und, trotz des schlechten Zustands der Piste, fast immer viel zu schnell. Da rasen uns völlig überladene Laster auf unserer Seite entgegen und scheren erst im letzten Moment schlingernd nach rechts aus, Minitaxis, auch Dala-dala genannt, zugelassen für maximal sechzehn Personen, schlingern mit siebzig Sachen und sechsundzwanzig Passagieren nebst deren üppigem Gepäck an Bord in maximaler Schräglage um ausgefahrene Kurven, wehrlose Fußgänger materialisieren sich von einem Moment auf den anderen aus einer Staubwolke heraus, hin und wieder taucht plötzlich die Schnauze eines Reisebusses auf und droht uns, aufgrund seiner schieren Breite, von der Straße zu drängen. Es ist ein sehr spezielles Erlebnis. Oder sollte ich das Kind beim Namen nennen und sagen: es ist der Horror?!

Warnschild auf der Horrorpad
Ein schlechtes Omen?
Es ist sicher unschuldig!










Unendlich lange juckeln wir auf dieser Schreckenspiste dahin, versuchen, uns gegenseitig in den allgegenwärtigen Staubwolken nicht aus den Augen zu verlieren, passieren ein paar Dörfer, die uns zumindest einen Ansatz von Ahnung verleihen, wo genau wir überhaupt sind, als Jochen eine Vollbremsung hinlegt. Jochen? „Da war ein Chamäleon!“ Uih, ein Chamäleon! Hurtig springen wir aus dem Auto und pflücken das grüne Tierchen aus dem Straßenstaub. Ein Wunder, dass es noch am Leben ist – sich auf dieser Straße zu bewegen, erst recht mit vier kurzen Beinchen, kann echt böse ausgehen. Und kein Bus-, Lkw- oder Dala-dala-Fahrer wird wegen so einer winzigen Echse bremsen. Während das Chamäleon nun von Hand zu Hand wandert und wir es gebührlich bestaunen, reden wir auf das Reptil ein und erzählen ihm, in welcher Gefahr es gerade geschwebt hat. Das Tier jedoch hat mehr Angst vor uns, als vor der Horrorpiste, und als es sich schwarz zu färben beginnt, setzen wir es behutsam in einen Baum etwas abseits der Fahrspur; natürlich nicht ohne es abermals zu ermahnen. Augenrollend verschwindet das Echslein im Laub, wir verstauen uns erneut in unseren fahrbaren Untersätzen und nehmen wieder Fahrt auf. Mhm, Chamäleons werden doch in vielen Gegenden Afrikas für Unglücksbringer gehalten. Sollten also auch wir ein schlechtes Omen darin sehen? Dieser Gedanke schießt mir unwillkürlich durch den Kopf, als sich Annette wenige Kilometer später über Funk meldet und wir, zwischen all dem Rauschen und Knacksen nur die Worte „Auto“ und „Problem“ verstehen.

Grüner Landy in Staubwolke
Wir schleppen Annettes Landy
Das nächste Kaff naht!









Ne, bitte nicht schon wieder! Langsam rollen wir am Straßenrand aus und warten auf unser Sorgenkind. „Kommen..“, „nicht...“, „Kaputt...“ krächzt es aus dem Walkie-Talkie. Seufzend wenden wir unseren Wagen, ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, fahren zurück und treffen wenig später auf den weißen Land Rover, der, samt seiner gestikulierenden Insassen, am Rande der Piste steht. „Jochen, ich glaub, es ist wieder die Lichtmaschine! Es schlägt und kracht so komisch und ich trau mich keinen Meter mehr weiterzufahren!“. „Ach, was! Das haben wir gleich...“, meint Jochen cool, schiebt seine lamentierende Gattin beiseite, steigt ins Auto und startet es. Es schlägt und kracht vernehmlich. Jochen würgt sofort den Motor ab. „Tja, wir müssen schleppen. Barbara, wann kommt das nächste Kaff?“ Oh, Scheiße! „In ein paar Kilometern. Ist ein größerer Ort und hat laut Karte sogar ’ne Tankstelle.“ „Das ist gut!“ Jochen schaltet nun auf emotionalen Durchzug, kramt das Abschleppseil aus dem grünen Landy, parkt sich in Position, hängt den weißen an und schon kann's weitergehen, im Abschlepptempo... Unendlich langsam und schwer manövrierbar kriechen wir über die Staubstraße, immer den taumelnden Gegenverkehr im Auge, und schlagen uns so tatsächlich unbeschadet zum nächsten Ort durch, der ungefähr 10 Kilometer entfernt ist. Am Ortseingang, man kann weit und breit noch nichts von einem Dorf erkennen, empfängt uns eine recht spaziöse Tankstelle, deren Ausmaße uns zunächst Hoffnung auf eine angegliederte Werkstatt machen.

Altes Problem - neue Panne
Durchreisende an der Tanke
Eigenwilliges Konstrukt










Schaukelnd und ächzend kurven wir auf den Hof der Treibstoffstation, rangieren uns in genehmer Entfernung der Zapfsäulen ein und freuen uns, dass die Sonne so günstig steht, dass die Zapfsäulenüberdachung ihren Schatten drei Meter neben die Zapfgasse und somit auf uns wirft. Sofort eilen einige Einheimische herbei, die sehen wollen, warum wir Touris uns gegenseitig abschleppen. Helfen jedoch können sie uns nicht, denn es gibt, entgegen unserer Hoffnung, doch keine Werkstatt. Immerhin aber dürfen wir hier stehenbleiben und uns selbst um unser Dilemma kümmern. Jochen und Heinz, die ja, wenn man das so nennen darf, schon eine gewisse Routine in Sachen Lichtmaschine haben, gehen das Problem wie gehabt an: Motorhaube auf, bis zu den Ellbogen in den Eingeweiden des Autos versinken, Heinz reicht Jochen das erforderliche Werkzeug – wie eine Krankenschwester dem Chefchirurgen – stöhnen, keuchen, fluchen. Teil um Teil wird die Lichtmaschine auseinandergenommen, Teil um Teil landet auf einem auf dem Boden ausgebreiteten Geschirrtuch, Teil um Teil wird Jochens Gesicht sorgenvoller, bis er schließlich wieder zum bewährten Knetstahl greift und ihn beherzt in den ausgeleierten Anker der Lichtmaschine drückt. Na ja, warum sollte das nicht wieder funktionieren, schließlich hat die erste Reparatur auch über zwei Wochen gehalten! Jochen allerdings reagiert schon wieder unwirsch, wenn ihm einer der zahlreichen Tankstellenbesucher neugierig oder, noch schlimmer, pseudo-fachmännisch über die Schulter schaut und schlaue Kommentare von sich gibt. Kein gutes Zeichen! In solchen Situationen, wenn ich schon nicht helfen darf, verkrümle ich mich gerne und gehe der schlechten Stimmung aus dem Weg – der Jochens und meiner eigenen... Wir sind dem Katavi so nahe und ich könnte es echt nur schwer verkraften, da nun doch nicht mehr hinzukommen, weil das doofe Auto zickt. Also verziehe ich mich, soweit es die Örtlichkeit eben zulässt. In diesem Falle beschränkt sich mein Radius auf den nahen Umkreis der Zapfsäulen, das Gelände der Tankstelle. Doch es gibt genug zu entdecken, was meine Laune sofort wieder hebt: über den Zapfsäulen hängen Werbeplakate, die die Modernität der Tankstelle visuell unterstreichen sollen. Auf einem der Plakate sieht man ein Elektro-Auto der absolut ersten Generation, in frechem Bio-Grün und mit deutscher Aufschrift, auf dem zweiten ein Mercedes, Typ Rohöl-Schaukel aus dem vorvorletzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrtausends, die zudem noch ein Münchner Kennzeichen zur Schau stellt! Wo der Tankstellenbetreiber diese Bilder wohl her hat?

Auf der Außenseite eines kleinen Nebengebäudes, das die Elektrik der Gesamtanlage beherbergt, sind auf einer Holzleiste rote Notfallschalter angebracht, wie man sie bei uns beispielsweise von Drechselbänken oder älteren Druckmaschinen kennt. Darunter wurde fein säuberlich per Hand ein Schriftzug aufgepinselt: Emergency switch – Notfallschalter. Weil aber der Platz knapp war, steht da in der ersten Zeile nur „Emergenc“, in der zweiten hingegen „Y switch“. Das gesamte Konstrukt wäre bei uns in Deutschland undenkbar, der Schriftzug nicht regelkonform, doch es erfüllt seinen Zweck. Niemand muss vorher studiert haben, um es im Notfall bedienen zu können und das abgetrennte Y, das einsam und alleine in der zweiten Zeile steht, tut der simplen Verständlichkeit des Notfall-Boards auch keinen Abbruch.

Münchner
Kennzeichen???
Elektroauto???
So wandere ich also eine ganze Weile über den staubigen Hof der Tankstelle, halte hier und da ein Pläuschchen mit Fahrgästen eines tankenden Minibusses und schlage auf vergnügliche Art und Weise die Zeit tot. Als ich schließlich wieder zu meinen Reisefreunden zurückkehre, ist der Schatten des Zapfsäulendachs bereits ein paar Meter weitergewandert und unsere Jungs schwitzen sich in der prallen Sonne einen ab. Doch immerhin sind die Lichtmaschinenteile alle wieder an ihrem vorgesehenen Platz, Jochen gibt sich zuversichtlich und schließt mit einem zufriedenen Grunzen die Motorhaube. Heinz und er waschen sich noch die rabenschwarz verschmierten Hände, dann gibt Jochen das Signal zum Aufbruch. „Das sollte halten! Der Freilauf ist zwar ganz schön ausgenudelt, aber ich hab ordentlich Knetstahl reingetan. Da kann jetzt nichts mehr schlagen.“ Nun ja, sein Wort in Gottes Ohr! Hoffnungsfroh besteigen wir unsere Fahrzeuge und warten gespannt auf den Klang des weißen Landys beim Anlassen. Hui, klingt tatsächlich gut! Vorsichtshalber aber lassen wir Annette vorausfahren, um im Notfall gleich bei ihr zu sein. Doch das Auto läuft problemlos und bald erreichen wir den auf der Karte eingezeichneten Ort namens Kiboko. Noch an der Tankstelle hatten wir beschlossen, uns hier ein Quartier für die heutige Nacht zu suchen und dem Knetstahl somit genügend Zeit zu geben, vollständig auszuhärten. Und tatsächlich entdecken wir nun einige Hinweisschilder, die in Frage kommende Unterkünfte bewerben. Das erste dieser Etablissements liegt in einer steil abfallenden Seitenstraße, ist von einer hohen Mauer umgeben und sieht recht ansprechend aus. Wir kurven durch das offenstehende Tor und finden mit Müh und Not einen Parkplatz auf dem kleinen Innenhof, auf dem sich ein Auto an das andere drängt. Was ist denn hier los? Annette und Jochen gehen zur Rezeption, kehren jedoch bereits nach zwei Minuten kopfschüttelnd wieder zurück. „Alles voll! Hier findet ein UNHCR-Kongress statt und das Städtchen platzt aus allen Nähten. Soll in den anderen Unterkünften auch nicht besser ausschauen...“. Ach du heilige Scheiße, das hat uns gerade noch gefehlt! Trotzdem rangieren wir uns aus dem engen Innenhof und klappern anschließend weitere Herbergen ab. Doch überall das selbe – voll bis unters Dach! Tja, hilft nix, dann müssen wir eben weiterfahren. Vielleicht bietet sich ja unterwegs noch was an, auch wenn ein Blick auf die Karte nicht gerade zuversichtlich stimmt.

Seufzend besteigen wir unsere Blechkisten, kurven auf die Hauptstraße zurück und schicken uns gerade an, Kiboko zu verlassen, als Annette, die erneut vor uns fährt, die Warnblinkanlage anschaltet und an den Straßenrand steuert. „Wieder das selbe!“ Fuck! Nun ist die Kiste also endgültig fahruntüchtig, wir sitzen in einem Ort fest, in dem es keine Übernachtungsmöglichkeit und auch keine Autowerkstatt gibt – danach hatten wir nämlich bei unserer Herbergssuche ebenfalls gefragt. Manno, kann es eigentlich noch blöder laufen? Ratlos stehen wir neben der Straße und beratschlagen, was wir nun tun können. Moment mal. Hier gibt es zwar keine Autowerkstatt, wie man sie aus unseren Breiten kennt, aber wir sind in Tansania und jedes Kaff hat diverse Fundis (Handwerker), die sich in allen möglichen Fachbereichen auskennen. Und da ist doch sicher auch ein Auto-Fundi dabei. Also beschließen wir, uns auf die Suche nach einem solchen zu machen. Annette, Erika und Gabi lassen wir mitsamt dem kaputten Landy an der Hauptstraße zurück und stürzen uns in die Seitenstraßen Kibokos. „Barbara, was heißt Auto?“ Ich krame meine spärlichen Swahili-Kenntnisse zusammen. „Gari.“ „Okay, nach einer Garage brauchen wir nicht mehr zu fragen, also suchen wir jetzt einen Gari Fundi!“ Ab sofort wird jeder Passant, der sich in Hörweite befindet, angesprochen. „Gari Fundi?“

Wir Frauen werden
ruhiggestellt ...
... während die Männer sich
sich sachkundig machen ...
... und loslegen.









Und wir haben Glück: bereits nach kurzer Zeit weist uns ein freundlicher Herr den Weg; eine steile Gasse nach oben, dann rechts, kurz danach wieder links und dann Gari Fundi, Gari Fundi nzuri! Heissa! Ein Auto-Mann, und ein guter noch dazu! Enthusiastisch folgen wir der Wegbeschreibung und landen wenig später tatsächlich, am obersten Ende einer steil abfallenden Straße, bei einem Grundstück, auf dem verdächtig viele Schrottfahrzeuge und auseinandergenommene Karossen herumstehen. Wir steigen aus. Sofort eilen ein paar junge Männer herbei und erkundigen sich, was unser Begehr sei. Gari Fundi? Gari Fundi! Radebrechend, mit Worten, mit Händen und Füßen versuchen wir unser Problem zu schildern. Der Fundi winkt nur ab und bedeutet uns, einfach vorbeizukommen. Dankend verabschieden wir uns, düsen zu Annette, hängen ihr Auto ans Abschleppseil und eine halbe Stunde später schlagen wir alle erneut bei unserem Fundi auf. Der ist sofort zur Stelle, weist uns einen Standplatz zu, krempelt die Ärmel hoch und setzt Prioritäten. Frauen? Die kann er jetzt nicht brauchen. Bei einer benachbarten Bar (ein kleiner Holzverschlag in Flugzeugtoiletten-Größe, ohne Kühlschrank), organisiert er vier Plastik-Stühle, platziert diese im Schatten eines ausladenden Baumes, bittet uns, Platz zu nehmen und wendet sich dann an unsere Männer. Problem? Jochen öffnet die Motorhaube des weißen Landys, deutet auf die Lichtmaschine, gibt das Schadensbild nachahmende Geräusche von sich, der Fundi nickt verständig und macht sich ans Werk. Mithilfe seines eigenen Werkzeugs, das er wohl selbst aus alten Schrottteilen zusammengeschweißt hat, und dem Inhalt unserer Werkzeugkiste schält er sachverständig den Freilauf aus der Lichtmaschine, begutachtet ihn, ruft ein paar Helfer herbei, schildert diesen das Problem, einer spurtet los und kehrt Minuten später mit einer kleinen, dünnen Blechplatte wieder. Mit einer arg mitgenommenen Blechschere wird nun ein Stückchen aus der Platte geschnibbelt, rundgebogen, probehalber eingepasst, begradigt, am Rand vielfach eingeschnitten und schließlich umgebördelt. Ich bin fasziniert: das alles geht per Augenmaß, aber es passt, nach ein paar minimalen Korrekturen, wie maßgeschneidert. Und der Fundi weiß zudem genau, was er da tut. Es wird nicht rumgetan, nicht lange hin- und her überlegt, die Lösung des Problems wird einfach zielstrebig angegangen und mit einfachsten Mitteln bewerkstelligt. Ich ziehe meinen Hut vor diesem Mann und gebe dem auch verbal Ausdruck. Der Fundi nimmt’s zur Kenntnis, lächelt mich milde an – und ich sehe, was er denkt: Frau. Was versteht die schon davon...? Egal! Ich bleibe dabei – das ist genial.

TIA: Reparaturgrube
Selfmade-Werkzeug
Handgemachtes Ersatzteil









Natürlich ist das alles keine Sache von einer halben Stunde, sondern dauert schon seine Zeit. Zeit, die wir unbeteiligten Frauen nutzen, das Ambiente in uns aufzusaugen und uns an diversen Kleinigkeiten zu erfreuen. Da sind zum Beipiel der Fundi und seine Helfer, die sich teilweise zu fünft über die Motorhaube und das zu reparierende Werkstück beugen – und es ist sehr interessant, sie dabei zu beobachten, denn sie alle legen ein sehr unterschiedliches Arbeitsverhalten an den Tag. Einer hält sich gerne im Hintergrund, scheint keinen Schimmer zu haben, was da vor sich geht, will sich aber nicht die Blöße geben, nachzufragen. Ein Zweiter versucht sich zu drücken, indem er Werkzeug herbeischafft, das keiner braucht. Als ihn der Fundi schließlich nach einer Feile schickt, eilt er von dannen und ward nicht mehr gesehen. Ein Dritter assistiert dem Chef mit der Präzision einer OP-Schwester und scheint immer genau zu wissen, was dieser als nächstes vorhat, wohingegen der Vierte versucht, einen chefmäßigen, wissenden Anschein zu erwecken, indem er wichtig herumzappelt, stets Sekunden nach dem Dritten nach dem benötigten Werkzeug greift und dann so tut, als hätte er den Kollegen nur anleiten wollen. Damit niemand merkt, dass er keine Ahnung und zudem auch keine Lust zu arbeiten hat, versucht er, das Ganze mit aufgeblasenen Kommentaren zu vertuschen. Ich amüsiere mich königlich: ich sitze hier am Arsch der Welt, in einer Autowerkstatt, die mit einer in unseren Breiten nicht ansatzweise zu vergleichen ist, die Personalstruktur aber scheint in jeder Firma auf dem ganzen Erdball ähnlich zu sein. Es gibt immer mindestens einen Doofen oder Schlamper, einen Drückeberger, einen G’schaftler oder Möchtegern-Chef und einen Engagierten, der die Unfähigkeit der anderen mit seinem Wissen und seinem Fleiß kompensiert. Und überall auf der Welt gibt es geborene Charmeure, die wissen, was sich gehört - seien sie auch noch so jung oder schüchtern: ein kleiner Junge, 10 oder 12 Jahre alt, bekleidet mit einem T-Shirt und einer Hose, war bereits bei unserer Ankunft neugierig herbeigeeilt, beobachtete die Situation eine Weile, verschwand dann wieder und kehrte fünf Minuten später zurück: angetan mit einem viel zu großen Sakko und sonnengelben Crocs, die er extra über seine staubigen Füße gestülpt hat. Seitdem wohnt er, angelehnt an eine Holzsäule der benachbarten Bar, dem Geschehen bei, verschwindet verschämt-schüchtern hinter dem Balken, sobald seine und unsere Blicke sich treffen, taucht aber sofort danach wieder auf, spielt mit seiner Schüchternheit und uns, zwinkert uns sogar hin und wieder verwegen zu – und, ich könnte fast wetten, errötet dabei zart unter seiner dunklen Haut.

Fundi-Trupp
Jung-Charmeur
Neben den menschlichen Beobachtungen, die uns aufs Trefflichste unterhalten, begeistern uns auch die technischen Besonderheiten, die in unseren Breiten unvorstellbar wären, hier jedoch ungeheuer pragmatisch, erfindungsreich und funktional gelöst wurden und den selben Zweck erfüllen wie unser High-Tech-Krempel: hochgebockte Autos, deren Achsen stabil, aber flexibel auf Ziegelsteinen und Autoreifen ruhen, eine Arbeitsgrube, die in Ermangelung einer gemauerten, auf dem tiefen Abwassergraben der Straße errichtet wurde; zwei dicke Holzbohlen lenken die Vorderreifen des Kundenwagens sicher über den Graben, der Fundi klettert hinunter, inspiziert den Unterboden und erhellt seine Tätigkeit mit einer Lampe, die mit einem meterlangen Kabel an eine weit entfernte Steckdose angeschlossen ist. Primitiv, rudimentär, rustikal? Wie man es auch nennen mag; es funktioniert. Und das auch noch äußerst erfolgreich, wie man an dem betriebsamen Kommen und Gehen auf dem Werkstatt-Gelände unseres Fundis sehen kann.

Über diesen vergnüglichen, aufschlussreichen und auch unseren eigenen Standard relativierenden Beobachtungen verstreicht die Zeit auf äußerst unterhaltsame Weise. Nach etwa drei Stunden wird der kunstfertig unterfütterte Freilauf schließlich wieder mit dem Rest der Lichtmaschine zusammengeführt, die Werkzeuge werden nach Besitzern auseinanderklamüsert, die angefallenen Kosten ermittelt, wir begleichen unsere Schulden, ein angemessenes Trinkgeld inklusive, verabschieden uns herzlich von unserem kundigen Fundi und dem kleinen Charmeur, dem es sichtlich leid tut, dass er nicht beherzteren Kontakt zu uns aufgenommen hat und rollen, derart verarztet, hoffend aus Kiboko heraus. Wenn das jetzt nicht hält, dann haben wir ein richtiges Problem! Doch das Auto läuft, es sind keine komischen Geräusche zu hören, keine Schläge zu spüren, der Fundi scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. Dankbar und zunehmend optimistisch machen wir Kilometer, wissen aber immer noch nicht, wo wir heute nächtigen sollen. Eigentlich wollten wir ja den Tanganjika-See erreichen und uns zwei gemütliche Tage an dessen Ufern, im Jakobsen’s Beach Resort machen, ein bisschen bei Wind und Wellen ausspannen, bevor wir in die staubigen Tiefen des Katavi NPs abtauchen, aber daraus wird nun ganz sicher nichts mehr. Also tuckern wir die B8 entlang, soweit, wie die Tageszeit es eben zulässt und halten nach einem Alternativquartier Ausschau.

Nun ja, reich gesät sind größere Ortschaften hier nicht gerade und somit gibt es auch kaum offizielle Unterkunftsmöglichkeiten. Die einzige, die wir finden, eine Art Motel aus wellblechgedeckten Baracken, ist bei näherer Inspektion wahrlich nicht einladend. Die Hütten machen einen heruntergekommenen Eindruck, das Motelgelände ist für jedermann zugänglich und wirkt wenig sicher, im Hof liegt haufenweise Müll herum – und es riecht streng nach Pisse. Nein, hier wollen wir nicht bleiben! Doch allmählich neigt sich der Tag seinem Ende zu und wir müssen irgendwo unser Nachtquartier aufschlagen. Jochen sieht die ganze Angelegenheit ziemlich pragmatisch und schlägt vor, wir könnten doch einfach am Straßenrand, irgendwo in einer kleinen Senke, unsere Zelte aufbauen, schließlich sei nicht so viel Verkehr auf der B8, sodass wir das durchaus wagen könnten. Jochen, sorry, aber tickst du noch ganz richtig? Heinz und wir Frauen zweifeln an Jochens Verstand und fragen ihn, ob er allen Ernstes dieses Risiko eingehen möchte: wir sind hier mitten in der Pampa, würden uns an der einzigen Hauptverbindungsstraße im Westen Tansanias, frequentiert von Schwer-, Privat- und Personenverkehr, quasi wie auf dem Präsentierteller niederlassen und allen Vorbeifahrenden zeigen, dass wir Touristen sind, zwei voll beladene Autos besitzen und uns mehr oder weniger wehrlos in kleinen Stoffhäuschen zur Ruhe begeben haben. Ich will niemandem Böses unterstellen, aber das wäre mehr als fahrlässig. Alle, bis auf Jochen, sind derselben Meinung: wir müssen etwas anderes auftun. Ein bisschen eingeschnappt, weil wir uns so wenig risiko- und abenteuerbereit zeigen, fragt Jochen schnippisch: „Dann macht Vorschläge! Bin ja gespannt...“ Rasch gehen wir die sich uns bietenden Möglichkeiten durch und legen ihm schließlich einige praktikable Lösungen dar. Entweder fragen wir bei einer Mission oder UNHCR-Niederlassung nach, ob wir auf deren Gelände nächtigen dürfen, oder wir wenden uns in einem Dorf an den Dorfältesten und bitten ihn um Erlaubnis, unsere Zelte aufbauen zu dürfen – natürlich gegen Bezahlung, oder wir schlagen uns in die Büsche, mit einem Mindestabstand von einem Kilometer zur B8. „Wenn ihr meint. Dann fahren wir also mal weiter.“

Gesagt, getan. Nach wenigen Kilometern erreichen wir tatsächlich eine Missionsstation, an der Jochen aber zielgerichtet vorbeifährt. Hallo? „Nö, die sieht so geschlossen aus!“ Spricht’s und fährt weiter. Auch das nächste Dorf lässt er links liegen und wir werden allmählich nervös und auch leicht ungehalten. Was soll denn das? „Das gefällt mir alles nicht!“ Dafür hält er kurz darauf in der Nähe eines freien, abgeernteten Feldes, auf dem noch einige Arbeiter zugange sind, und stapft zu Fuß über den Acker, direkt auf die Leute zu. Diese scheinen Jochens Aktion völlig falsch zu verstehen: sie schultern ihre Harken und strömen in Scharen auf den komischen Weißen zu, von dem sie sich offenbar eine Mitfahrgelegenheit erhoffen. Jochen stutzt kurz, winkt abwehrend und sieht dann zu, dass er Land gewinnt, bevor wir auch noch zwanzig mitfahrwillige Landarbeiter an der Backe haben. Mhm, würden wir nicht so dringend ein einigermaßen sicheres Nachtquartier benötigen, wäre diese Situation echt zum Schmunzeln... Doch nach Schmunzeln ist uns im Augenblick wirklich nicht zumute. „Ich habe mein Bestes gegeben. Doch wie ihr seht: hier ist nix zu machen. Also bleibt uns doch nur der Straßenrand, oder?!“ Nein, sicher nicht! „Beim nächsten Weg, der von der Straße weg in den Busch reinführt, biegen wir ab und sehen uns das mal an!“ Keine fünf Minuten später, die Dämmerung senkt sich bereits samten auf uns hernieder, zweigt erfreulicherweise wirklich eine vielversprechende Stichstraße nach rechts ab. Jochen schert willig ein und wir verständigen uns mit unseren Mitreisenden im zweiten Auto: ihr wartet hier, wir erkunden die Lage und rufen euch per Funk, wenn es gut aussieht. Erneut gesagt, getan. Jochen, Heinz und ich mäandern auf einem kurvenreichen Weglein hinein ins Gebüsch. Nach einem halben Kilometer entdecken wir eine kleine Hütte abseits der Fahrspur, aus deren Dach Rauch entweicht. Hah, da wohnt jemand, den fragen wir jetzt! „Barbara, mach du mal, du bist irgendwie besser mit sowas.“ Folgsam steige ich aus dem Auto und nähere mich vorsichtig rufend und grüßend der winzigen Rundhütte, doch niemand antwortet. In meiner Verzweiflung spähe ich schließlich, ohne eine Einladung zum Eintreten erhalten zu haben, in das Innere des Häuschens hinein. Keiner da. Unverrichteter Dinge kehre ich zu Jochen und Heinz zurück. „Ausgeflogen. Lasst uns den Weg aber noch ein Stück weiterfahren. Hier sind wir weit genug von der Hauptstraße entfernt und ich denke, das ist eine große Farm, auf der die Arbeit für heute beendet ist. Wenn wir noch jemandem begegnen, fragen wir, ansonsten bleiben wir einfach da und regeln alles andere morgen Früh.“ Hoffnungsfroh schrauben wir uns weiter in den Busch, bis wir schließlich einen geeigneten Standort unter mehreren großen Bäumen entdecken. Hier hätten alle Zelte Platz, es ist eben und niemand kann uns von der Hauptstraße aus entdecken. „Annette, bitte kommen! Wir haben was gefunden!“ Endlich!

Ein Viertelstunde später sind unsere Mitreisenden bei uns und inspizieren misstrauisch die von uns erwählte Stelle. „Ja, sieht okay aus.“ „Meint ihr, wir dürfen hier echt übernachten?“ „Na ja, besser als direkt neben der Hauptstraße....“ Nein, es ist keine perfekte Lösung, aber das Beste, was wir zu dieser fortgeschrittenen Stunde noch finden konnten – mittlerweile nämlich ist es fast dunkel. Schicksalsergeben ebnen wir sandige Huggel ein, entfernen widerspenstige Grasbüschel, errichten unsere Zelte und lassen uns dann, es ist bereits stockfinster, erleichtert auf unseren Campingstühlen nieder, um ein schnelles Abendessen einzunehmen. Halt, da war ein Geräusch! Angestrengt leuchten wir in die Dunkelheit – und entdecken einen Radfahrer, der ohne Beleuchtung des Weges kommt. Wir winken dem völlig verdutzen Mann, signalisieren, dass wir eine Frage hätten: mit Händen und Füßen gestikulierend, Englisch und Suaheli mischend, versuchen wir, ihm eine Erlaubnis zum Übernachten zu entlocken. Doch er ist nicht zuständig, nicht befugt, nicht interessiert, hat keine Ahnung, was auch immer. Ratlos sieht er uns an und meint nur trocken: „Lala salama!“ Schlaft gut. Dann fährt er weiter. Tja, dann versuchen wir das mal.

Lager fertig, Sonne weg!
Nach einem recht frugalen Abendmahl, wir wollten verständlicherweise kein riesiges, gemütliches Lagerfeuer entfachen, und einem kurzen Abend ziehen wir uns in unsere Schlafsäcke zurück. Wir fühlen uns dabei mehr oder weniger geborgen – Heinz schläft in Schuhen, Gabi nächtigt im Auto – doch immerhin sind wir hier etwas ab vom Geschehen auf der B8 und allesamt rechtschaffen müde. Kein Wunder nach diesem Tag, der uns einiges abverlangt hat...