Donnerstag, 2. März 2017

21. September 2015; Entebbe > Kampala > Murchison Falls NP; Campsite oberhalb der Fälle

Ab heute weht ein anderer Wind! Trotz Urlaub ist's nix mit ausschlafen, im Gegenteil. Und wie jedes Mal bin ich, normalerweise Langschläferin vor dem Herrn, aufs Neue erstaunt, wie leicht ich aufwache und aus den Federn komme, sobald ich in Afrika bin. Gegen halb sieben Uhr morgens, undenkbar in Deutschland, erwachen wir alle von selbst, krabbeln aus den Zelten, frühstücken (zuhause, um diese Uhrzeit, ist auch das unvorstellbar), packen zügig zusammen und machen uns auf den langen Weg zum Murchison Falls Nationalpark.

Ufer des Viktoriasees
Wird das ein Märchenschloss?
Begehrtes Neubaugebiet










Wir verlassen das lauschige Entebbe in nördlicher Richtung, erhaschen dabei ein paar wenige Blicke auf den Viktoriasee, über dem noch leichter Morgennebel liegt und delektieren uns an der Landschaft, die in üppigem Grün erstrahlt. Doch mit jedem Kilometer, den wir vorankommen, wird das Grün weniger, der Verkehr heftiger und die Luft rauchiger. Das liegt zum Teil sicher an den Abgasen, aber auch die morgendlichen Kochfeuer der immer dichter werdenden Siedlungen tragen ihren Teil dazu bei – Vorboten der ugandischen Hauptstadt Kampala. Wie ein Krake scheint die Metropole mit ihren rund 1,5 Millionen Einwohnern ihre Arme ins Umland auszustrecken. Die einspurige Verbindungsstraße von Entebbe nach Kampala wird bald zweispurig, der Verkehr wechselt wie von Zauberhand von spärlich über dicht bis hin zu stockend und Stau. Rechts und links der Fahrbahn wuchern Gebäude, die Geschäfte und kleine Restaurants beherbergen, anfangs noch vorhandene Gärten weichen geteerten Flächen und unfertigen Neubauten, und es sind immer mehr Menschen unterwegs. Per Auto, per Fahrrad, die meisten aber sind zu Fuß. Und gelegentlich wagt einer dieser Fußgänger sogar das Abenteuer der Straßenüberquerung – bei dem Verkehr ein fast selbstmörderisches Unterfangen. Wir, die wir sicher in unseren bulligen Autos sitzen, beobachten fasziniert das geschäftige Treiben, drücken den Straßenüberquerern die Daumen, empfinden tiefes Mitgefühl mit den Brigaden von Straßenreinigern, die, an die Leitplanken gequetscht, scheinbar ihr Leben riskieren, um Müll von den Seitenstreifen zu klauben, bewundern die Kreativität der hiesigen „Schaufenstergestalter“ und erfreuen uns der einfallsreichen Namensgebung so mancher Shop- und Barbesitzer. Dazu haben wir ja ausgiebig Zeit, denn wir kommen immer langsamer voran...

Kurz nach Entebbe
Die Verkehrsdichte steigt
Straßenreinigerin









Klamotten-Boutique
Bodas: Motorradtaxis
Der Octo Pub ;-)










Bald aber vergeht uns die Freude, denn wir erreichen die, wenn auch fließende, Stadtgrenze Kampalas; und ab da ist die Hölle los! Ich war schon in einigen afrikanischen Großstädten unterwegs, doch so etwas habe ich noch nie erlebt: mehrspurige Zubringerstraßen, riesige Kreisverkehre, alle hoffnungslos verstopft. Ein heilloses Chaos aus Pkws, Lkws, Minitaxis, Radfahrern, Fußgängern und Eselskarren, es wuselt, kreiselt, hupt, schreit und klingelt. Ineinander verkeilte Fahrzeuge, suizidale Radler und mutige Mopedfahrer auf röhrenden Kleinstkrafträdern versuchen, in dieser unübersichtlichen Blechlawine zu überleben und gleichzeitig voranzukommen, nebenbei bieten zahlreiche Straßenhändler ihre Waren feil und quetschen sich dabei durch sich ständig verändernde Lücken, nicht breiter als einen halben Meter. Richtig gefährlich wird das, wenn zwei Außenspiegel aneinander vorbei schrappen...  Diese Menschen- und Fahrzeuglawine bewegt sich wie ein bockender Fluss, eingesperrt, kanalisiert durch ein merkwürdiges Konglomerat an Gebäuden: handgezimmerte Buden, winzige, gemauerte Läden und niedrige Bauwerke zweifelhaften Zustands schmiegen sich selbstbewusst an hochgereckte Bürotürme, die ihre besten Zeiten ebenfalls hinter sich haben. Dazwischen überall Menschen: sie sitzen am Straßenrand, die Beine gefährlich nah am Verkehr, sie hasten die schmalen Bürgersteige mit den halsbrecherisch hohen Bordsteinen entlang, sie tragen Businessoutfits, Schuluniformen, zerschlissene Hosen und T-Shirts oder farbenfrohe afrikanische Kleider, sie rennen, schlendern, schreien, telefonieren, träumen planlos, sausen zielgerichtet, brüllen aufgeregt. Alles in allem präsentiert sich uns ein unvorstellbares Durcheinander, das Annette und Jochen, die die Autos steuern, ein Höchstmaß an Konzentration abfordert, in uns Mitfahrern eine Mischung aus atemlosen Staunen und Respekt für die Fahrer erzeugt – und uns summa summarum fast zwei Stunden kostet.

Kampala aus dem Auto
Bürogebäude in Kampala
Fahrrad-Chaos










Zwei Stunden für die Durchquerung dieser unsäglich chaotischen Stadt, zwei Stunden, in denen wir aus dem Schauen und Wundern gar nicht mehr rauskommen, zwei Stunden, in denen unsere Nasen die absonderlichsten Gerüche erschnuppern und unsere Lungen sich mit Abgasen füllen. Doch langsam lichtet sich das Tohuwabohu und fast von einem Moment auf den anderen - die nördliche Stadtgrenze ist weit weniger diffus als die südliche – hat uns die einspurige Straße wieder. Dort bietet sich uns das typische Bild einer ostafrikanischen Fahrstrecke im ländlichen Bereich dar: wenig Verkehr, einige windschiefe, völlig überladene Lkws, die bei jeder auch noch so kleinen Steigung fast zum Stehen kommen, Frauen, die Brennholz oder Kanister auf ihren Köpfen balancieren, Männer, unter schattigen Bäumen sitzen und „wichtige“ Gespräche führen, Kinder, die uns aufgeregt zuwinken. Die Gegend, die wir auf unserem Weg nach Norden durchfahren, ist vergleichsweise spärlich besiedelt, trotzdem aber reiht sich ein Dorf ans andere, wie Perlen auf einer sehr lose geknüpften Kette. Kawempe, Bombo, Kalule, Wobulenzi, Luwero, Kakinzi, Kakoge, Katugo, Nakasongola, Kigumba, Mpobo, Karuma – und wie sie nicht alle heißen. Zügig rollen wir dahin, saugen die vorbeiziehenden Eindrücke in uns auf und freuen uns auf unseren ersten Nationalpark dieses Urlaubs.

Da stimmt was nicht!
Wir harren der Dinge
Na, Fehler gefunden?









Alles ist prima. Bis plötzlich, irgendwo zwischen Wobulenzi und Luwero, das Walkie-Talkie zu rauschen beginnt und Annette uns mit von der Technik abgehackter Stimme signalisiert, dass ihr Auto komische Geräusche von sich gäbe. Den Rest verstehen wir nicht, weswegen wir erst mal am Straßenrand stehenbleiben und warten, ob sie nachkommt. Tut sie aber nicht. Also kehren wir um und finden schließlich den weißen Landy nebst seiner Besatzung ein paar Kilometer hinter uns, ebenfalls am Straßenrand parkend. Wir rangieren uns davor, steigen aus und versuchen gemeinsam, das Problem einzugrenzen. Rasch ist etwas sehr Unerfreuliches klar: es ist die Lichtmaschine. Ach du Kacke! Doch Jochen, unser Mechaniker-Fels in der Brandung, ahnt sofort, woran es liegt, als er  das komplexe Bauteil wie in einer Sektion freilegt – der indische Werkstattmensch, der vor einigen Wochen die Lichtmaschine überholte, hat wohl einen falschen, nicht passenden Freilauf in die Riemenscheibe gesetzt. Der Freilauf hat zu viel Spiel, läuft unrund, was sich auf den Lichtmaschinenanker überträgt, und das erzeugt nun diese schlagenden Geräusche, die Annette gehört hatte – ein Totalausfall droht. Und ohne Lichtmaschine ist leider nix mit Fahren. Doch wie sollen wir das jetzt, hier im Norden Ugandas, ohne große Zeitverluste, wieder in den Griff bekommen? Jochen geht im Geist seine Werkzeugkiste nebst Appenix durch – und hat eine zündende Idee: selbstaushärtender Knetstahl! Gedacht, rausgekramt und schon kann die Reparatur beginnen. Jochen und Heinz, unsere beiden Männer, vergraben sich bis zu den Ellbogen in den Eingeweiden des schwächelnden Autos, wir Damen hingegen werden nur hin und wieder zu einer kleineren Handreichung herangezogen, ansonsten aber haben wir genügend Zeit zum Beobachten unserer Umgebung  – oder sollte ich besser sagen: beobachtet zu werden...

In Afrika, besonders in ländlichen Gegenden, ist man als Weißer ja gerne mal eine Attraktion, erst recht, wenn man ein offensichtliches Problem hat. Die Art und Weise, wie einem Aufmerksamkeit zuteil wird, differiert jedoch von Land zu Land, von Gegend zu Gegend – vom verstohlenen Beobachten bis hin zum neugierigen Volksauflauf, Anfassen inklusive, ist alles möglich. Hier in diesem Ort, an dessen Namen ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern kann, bewegen sich die Interesseäußerungen in etwa im ersten Drittel der genannten Bandbreite: unter einem Baum versammeln sich immer mehr Männer gesetzten Alters in einem Halbkreis, den sie in unsere Richtung offenlassen. Jede unserer Handbewegungen wird mit Argusaugen verfolgt und sicher auch ausgiebig kommentiert, doch sobald einer von uns zu den Männern hinübersieht, schielen diese sehr angelegentlich in eine andere Richtung. Nicht weniger angelegentlich postiert sich eine Phalanx jüngerer Männer am gegenüberliegenden Straßenrand, gerade so, als würden sie das jeden Tag um diese Uhrzeit tun – und sie alle tragen Sonnenbrillen. Nein, wir fühlen uns nicht angestarrt... Die Frauen sind ein wenig schüchterner, dabei aber nicht minder neugierig – und viel kreativer; es ist sicher kein Zufall, dass akkurat in unmittelbarer Nähe unserer Autos ständig Tücher neu um die Hüfte gewickelt und Lasten auf dem Kopf re-arragiert werden müssen, Tomaten zu Boden fallen und nur schwer wieder aufzufinden sind, obwohl sie wie ein Ampellicht leuchten oder zahlreiche Handys tonlos läuten, woraufhin man minutenlang und ohne Worte dem angeblichen Anrufer lauschen muss. Wir amüsieren uns königlich! Wer sich weniger amüsiert, das sind die Kinder. Die Kleinen nämlich zerreißt es fast vor Neugierde, doch scheint es nicht den örtlichen Erziehungsgrundsätzen zu entsprechen, diese Neugierde offen auszuleben und sich den fremden Weißen nähern zu dürfen, schon gar nicht ohne die Begleitung eines Erwachsenen. Die aber haben ja allesamt ihre eigenen Mittel und Wege, uns im Auge zu behalten. Alles in allem kann man unsere Begegnung mit der lokalen Bevölkerung also als recht distanziert bezeichnen, obwohl wir ständig freundlich in die Runde grüßen.

Diese Zurückhaltung löst sich erst ein wenig, zumindest partiell, als wir, die weißen Frauen, ein recht dringendes menschliches Bedürfnis verspüren, das wir in diesem Umfeld nicht ohne Hilfe zu lösen in der Lage sind – wir müssen pinkeln. Also grüßen wir die nächste Frau, der eine Tomate in unserer Nähe zu Boden fällt, besonders leutselig und fragen sie dann, nachdem sie verschämt zurückgegrüßt hat, afrikanisch umständlich, ob sie nicht eine Lösung für unser Problem parat hätte. Man sieht sie förmlich erröten (obwohl das bei der dunklen Haut eher nur zu erahnen ist), sie kichert verschämt, deutet dann auf ein paar niedrige Häuschen zu unserer Linken, nickt nachdrücklich, kichert nochmal und macht sich rasch aus dem Staub, um unser weiteres Vorgehen aus der Entfernung zu beobachten. Mhm, jetzt sind wir verunsichert. Da hinten. Das hatte die junge Frau uns zu verstehen gegeben. Da hinten aber sind nur kleine, Wand an Wand gebaute Wohn-Zimmerchen zu sehen, die, verbunden durch eine durchgehende, betonierte Veranda und bestückt mit trocknender Wäsche, kümmerlichen Topfpflanzen und vereinzelten Drahtstühlen, einen sehr privaten Eindruck machen. Und da sollen wir jetzt aufs Klo gehen? Aber klar! Keines dieser winzigen Appartements beherbergt eine En-Suite-Toilette, die Bewohner nutzen vielmehr eine gemeinsame Sanitäranlage inmitten des Wohnkomplexes, und genau da hat uns die Dame auch hingeschickt. Nicht ganz das, was man unter öffentlicher Toilette versteht, aber fast. Nacheinander suchen wir die vor Blicken geschützte und recht gepflegte Örtlichkeit auf, obwohl wir das auch gleichzeitig hätten tun können, denn es stehen mehrere Klos und sogar ein paar Duschen zur Verfügung, und kehren nunmehr erleichtert zu unseren Männern zurück, die immer noch am Auto zugange sind. „Es wird!“, schnauft Jochen unter der Motorhaube auf unsere Fortschritts-Nachfrage hin hervor, und schon sind wir wieder vergessen. Nicht vergessen allerdings haben uns die Dorfbewohner, denen wir nun offenbar „nahbarer “ erscheinen, nachdem wir menschliche Bedürfnisse zugegeben und auch befriedigt haben. Den Damen fallen keine Tomaten mehr zu Boden, die Tücher sitzen mit einem Mal perfekt, wir werden gegrüßt und schüchtern angelächelt. Und eine junge Frau wagt es sogar, sich uns zu nähern – allerdings nur auf heftiges Betreiben ihres etwa vierjährigen Sprösslings. Er muss nämlich unbedingt ein paar Dinge erledigen: uns die Hand schütteln und uns mitteilen, dass er sich, wenn er mal groß ist, kein Auto, sondern ein Flugzeug kaufen wird. Punkt. Befriedigt gibt er uns allen nochmal die Hand, quietscht vorfreudig auf und saust zu einer Gruppe Gleichaltriger, wahrscheinlich um ihnen von seinem Abenteuer mit den Weißen mit dem kaputten Auto zu berichten. Die Mutter zuckt entschuldigend die Schultern, lächelt liebevoll und entfernt sich ebenfalls.

Schmunzelnd blicken wir den beiden hinterher. Die Sache mit dem Flugzeug können wir allerdings nicht so mir nichts, dir nichts, auf uns sitzen lassen, weshalb wir uns nun eingehender nach den Reparaturfortschritten unseres Transportmittels erkundigen – schließlich müssen wir unser Gesicht wahren und hier wieder wegkommen... Und tatsächlich: Jochen und Heinz finalisieren soeben ihre Bemühungen, schrauben diverse Einzelteile wieder zu einem Ganzen zusammen, schließen befriedigt die Motorhaube und reinigen sich dann ihre kohlrabenschwarz verschmierten Hände. Alles wieder gut? Probestarten? „Nee, noch nicht!“, sagt Jochen, „Erst muss der Knetstahl aushärten. Normalerweise über Nacht.... Aber jetzt machen wir erst mal gemütlich Lunch und dann könnte es vielleicht gehen.“ Jochens Worte in Gottes Gehörgänge beamend, zerren wir hoffnungsfroh die Geschirrkisten aus dem Auto und pfeifen uns, unter den wachsamen Augen der Dorfbewohner, einen Mittagssnack ein, kauen ausgiebig, trinken noch was, verstauen die Kisten wieder und dann, nach einer Dreiviertelstunde, wird es spannend. Annette, Erika und Gabi besteigen unser Sorgenkind, starten die Kiste – klingt gut – und fahren testhalber los. Nach einigen Minuten rauscht Annettes Stimme aus dem Walkie-Talkie: „Jungs, das habt ihr gut gemacht! Scheint zu funktionieren. Ihr könnt nachkommen.“ Erneut penetrieren wir Gottes Ohren, packen das restliche Werkzeug zusammen und folgen dann, vorsichtig erleichtert, aber noch nicht zur Gänze überzeugt, dem weißen Land Rover. Einige Dorfbewohner winken uns hinterher und halten ihre Daumen nach oben. Mögen ihre Zuversicht und die guten Wünsche uns Glück bringen!

Über Land
Es wird noch ländlicher
Ankunft am Gate









Und das tun sie. Um den Ereignissen vorzugreifen: der nicht vollständig ausgehärtete Knetstahl tut genau zwei Wochen lang seine Dienste, stabil und zuverlässig, dann tritt das Problem jedoch erneut und umso heftiger auf. Dazu aber später. Jetzt, im Moment, ist erst mal alles, wie es sein soll, wir kommen rasch voran und erreichen nachmittags das östliche Gate des Murchison Falls Nationalparks. Annette kümmert sich dort um die nötigen Formalitäten, während wir anderen uns ein wenig umsehen. Interessiert lesen wir diverse Schautafeln, spähen in die Botanik, beobachten erste Vögel, besuchen das örtliche Klo und entdecken dann einen Souvenir-Laden. Uih! Wie der Pfeil verschwinden Heinz und ich in dem kleinen Laden, der ein überraschend attraktives und gar nicht sooo teures Sortiment für uns bereithält. Neben Schmuck aus Perlen und Pflanzensamen, diversen Batikarbeiten und T-Shirts, gibt es hier auch einen unglaublichen Fundus an Holzschnitzereien, die so ganz nach unserem Geschmack sind: ashanti-artige Holzfiguren von beachtlicher Größe und zahlreiche andere Skulpturen, die uns ebenfalls durch ihre sympathisch rudimentäre, prägnante, ausdrucksstarke Formgebung sofort ins Auge stechen. Heinz und ich sind Feuer und Flamme. Lange mäandern wir durch den Shop, grenzen unser Begehren ein, fixieren uns auf bestimmte Stücke und fällen dann die finale Entscheidung. Der Shop-Betreiber, der uns nicht aus den Augen, aber in Ruhe gelassen hatte, sieht uns das wohl instinktiv an und eilt sofort herbei.

„Ah, Madam, you are interested in this!?!“ Strahlend pflückt er mit erstaunlicher Gewandtheit zwei, von anderem Tand fast völlig zugehängte Figuren von der Wand, ohne dass dabei irgendwas zu Bruch geht. Formvollendet, beinahe wie bei einem TV-Shopping-Kanal, bekomme ich nun die beiden Skulpturen zum finalen Kaufentscheid interessanterzählt. Es handle sich hierbei um typische Luba-Schnitzereien, ein Pärchen, bestehend aus Mann und Frau (grinsend weist er mich auf die geschlechtsspezifischen Merkmale hin), antike Fruchtbarkeitspuppen mit Jahrtausende alter Tradition, und es würde und es wäre und überhaupt. Scheinbar beeindruckt lausche ich seinen Ausführungen, um dann, ganz nebenbei, einzuwerfen: „Uh, really?! But Luba? This remarkably reminds me of Ghanaan Akuaba, Ashanti dolls...“ „Mhm – maybe not really Luba, yes, but – very nice, Madam?“. Wir lächeln einander abschätzend an; die Verhandlungen sind eingeleitet... „And you, Sir, very good choice this!“, wendet er sich ablenkend an Heinz, der die Schnitzerei seines Begehrens gerade aus dem Regal gefummelt hat. Es ist eine seegurkenförmige Holzwurst mit winzigen Ärmchen und Beinchen und einem putzig ungestalten Kopf. Heinz sieht den Verkäufer fragend an und möchte nun auch seinerseits eine Herkunftsstory ans Ohr gelabert bekommen. Da aber muss sogar unser geschäftstüchtiger Shopbetreiber passen: „Typical African, but quite unusual!“, ist alles, was er dazu zu sagen hat. Schade, keine neue Geschichte – aber wo der Verkäufer recht hat, da hat er recht: es sind, auch in unseren Augen, entzückende und ungewöhnliche Stücke, und, egal, woher sie stammen oder was sie bedeuten – wir wollen sie haben. Nach weiterem, unvermeidlichem Preis-Geplänkel gehen Heinz und ich schließlich aus dem Shop; mit der bebeinten Seegurke beziehungsweise der weiblichen Version der angeblich antiken Luba-Ashanti-Fruchtbarkeitspuppe unter den Armen. Wir alle strahlen: Heinz, ich - und der Shopmann. Wir Touris mit unserer heruntergehandelten Wunschbeute und er, weil er einen zufriedenstellenden Gewinn gemacht hat. Was will man mehr?

Beglückt verstauen Heinz und ich unsere Souvenir-Trophäen im Auto, scharf beobachtet von Annette, der offenbar Fürchterliches schwant: wenn wir jetzt, quasi am ersten Tag, schon so zuschlagen, was kommt da wohl im Laufe der nächsten Wochen noch dazu – und wo soll es hin? Das wissen wir natürlich auch nicht, doch der Packlast ist ohnehin eine natürliche Grenze gesetzt, denn schließlich müssen wir das Zeug in drei Wochen mit dem Flieger heimtransportieren. Und da haben immer nur die anderen unzulässige Handgepäckmengen mit an Bord. Also keine Sorge, liebste Annette!

Durch den dichten Wald
Geweihfarn
Schmetterlinge









Sodala, Souvenirs verräumt, Formalitäten erledigt, wir alle versammelt – es kann weitergehen. Wir klettern in die Autos und tuckern los, Richtung unserer ersten avisierten Campsite, die keinen Namen hat, sich dafür aber in nahezu perfekter Lage direkt oberhalb der Murchison Falls befinden soll. Der Weg dorthin führt uns zunächst über eine rote Staubstraße, die in keinster Weise staubt, denn sie wird von dichten Baumkronen, aus denen reichlich Feuchtigkeit herabregnet, beschattet. Immer wieder passieren wir flache Pfützen, in denen sich Scharen buntester Schmetterlinge tummeln, im Geäst der Bäume haben zahlreiche Spinnen ihre riesigen Netze errichtet, Geweihfarne krallen sich an Stämme und Äste, Vogelgezwitscher übertönt sogar das Wummern unserer Diesel-Motoren, und es gäbe genügend weitere Gründe, mal anzuhalten und die Blicke schweifen zu lassen. Doch aufgrund unserer Lichtmaschinen-Panne sind wir leider in Eile, sodass wir erst, als Jochen größere Affen in den Baumkronen erspäht, einen kurzen Stopp einlegen. Nur wenige Blicke sind uns vergönnt, so wenige, dass wir lediglich erahnen können, um welche Affen es sich handelt. Schwarz-weiß, also wahrscheinlich Colobus; mehr sehen wir davon nicht. Während Annette und Jochen noch den entschwundenen Langarm-Primaten hinterherstarren, sind wir anderen jedoch schon längst wieder ausgebüxt und erfreuen uns der anderen Schönheiten des Waldes, an denen wir vorher nur bedauernd vorbeigedüst waren. Ach, diese Schmetterlinge, wie groß und bunt sie sind, und wie sie schillern! Ich kniee an einer dieser Pfützen nieder und versuche, die Flattermänner mit dem Salz meines Schweißes auf die Hand zu locken, Gabi harrt meines Erfolges, um ein paar gute Nahaufnahmen zu schießen, Erika schlendert verzückt am Straßenrand entlang und Heinz absolviert eine inbrünstige Andachtszeit bei den Geweihfarnen. Es ist so schön hier!

Der Tag aber neigt sich bereits seinem unvermeidlichen Ende zu und wir müssen unsere Campsite vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Nur zögernd verabschieden wir uns von diesem facettenreichen Wald, sind jedoch einsichtig, was die Eile anbelangt. Wieder im Auto und in Fahrt, schweifen unsere Blicke umso mehr durch die vorbeiziehende Dschungel-Landschaft, bis sie, relativ abrupt, ein Ende nimmt und in eine Art Gebüschsavanne übergeht. Hier ist Artenvielfalt nun nicht mehr so deutlich auf den ersten Blick zu sehen, weshalb wir uns nunmehr entspannt zurücklehnen und uns auf einen gemütlichen Abend auf unserer Campsite freuen, die jetzt nicht mehr fern sein kann. Ich seufze gerade wohlig und halte mein Gesicht in den samtig-warmen Fahrtwind, als ich etwas erblicke, was mir sehr bekannt vorkommt. Plötzlich nämlich befinden sich Unmengen bremsenähnlicher Insekten im Auto – Tsetses!?! Zuerst will ich es gar nicht glauben, bin auch ob der zierlichen Gestalt der Fliegenmonster am Zweifeln, ob es sich wirklich um Tsetses handelt, doch der erste Biss, direkt in die weiche Haut zwischen meinem Daumen und Zeigefinger belehrt mich eines Besseren. Es SIND Tsetses! „Nee, komm, Schneck, das sind nur Fliegen.“, beruhigt mich Heinz. „Ganz bestimmt nicht, das sind gottverdammte Tsetses!“ Zum Beweis halte ich ihm die himbeerartige Blase unter die Nase, die soeben an der ersten Bissstelle zu blühen beginnt. Heinz staunt, während mich weitere Tsetses aufs Übelste traktieren. Warum immer mich? Ich glaube, man könnte mich mit hundert anderen Menschen in einen großen Raum sperren, einen Schwarm Tsetses auf uns loslassen und die einzige, die gebissen würde, wäre ich. Na ja, vielleicht gäbe es auch noch drei oder vier andere Opfer, doch niemand würde so oft gebissen und zugleich derart heftig drauf reagieren. Beängstigend! Natürlich (meine Großmutter war hochgradige Bienenallergikerin) habe ich mich dahingehend untersuchen lassen, als dieses Reaktions-Phänomen zum ersten Mal in Erscheinung trat, anno 2006 in Tansania – vorher nämlich reagierte ich normal bis unterdurchschnittlich auf Glossina-Bisse und wurde von den Ungeheuern auch nur durchschnittlich mit durchschlagenden Besuchen bedacht. Die Untersuchungen jedoch ergaben – nichts. Keine Ketosen oder sonstige Stoffwechselerkrankungen, die durch ihre typischen Körperausdünstungen anziehend auf jedwedes Insektenwesen wirken könnten, keine als allergisch oder gar pathologisch einzustufende Reaktionen auf Insektengifte. „Sie sind dahingehend völlig unauffällig, Frau Schneider, müssen sich also keinerlei Sorgen machen. Sie haben halt, wie soll ich sagen, reaktionstechnisch gesehen, die Arschkarte gezogen, sowas kommt vor. Tut mir echt leid. Aber dagegen kann man nix machen...“, beschied mir der untersuchende Arzt vom Tropeninstitut, was mir der Kollege aus der allergologischen Fraktion, den ich daraufhin, nicht glauben wollend, besuchte, mit ähnlichen, wenn auch gewählteren Worten nochmals bestätigte.

Nun ja, damit muss ich wohl leben. Ich hatte ja auch durchaus mit Tsetses gerechnet, nur eben noch nicht zu einem so frühen Zeitpunkt – aber was soll ich dagegen tun? Fest entschlossen, mir den Urlaub durch nichts und niemanden (auch nicht durch Tsetses) verleiden zu lassen, hülle ich mich eben, die hiesigen Temperaturen völlig ausblendend, in dichte Fleecegewirke, bedecke meine nackten, in Sandalen steckenden Füße mit einer wärmenden Decke und sehne unsere Ankunft am Camp und die Dunkelheit herbei. Eine halbe Stunde und diverse Bisse später sind wir dann tatsächlich da. Doch zunächst ist keine Besserung in Sicht, denn auch das Camp wird von zahlreichen Tsetses bevölkert, die sich schon rüsselreibend auf mein Kommen gefreut haben. Fluchend werfe ich die Wolldecke von mir, klettere aus dem Auto und leiste, um mich schlagend, meinen Anteil am Camp- und Zeltaufbau – für die Schönheit der Lage dieser Site habe ich dabei erst mal keinen Blick...

Rasch ist unser Equipment ausgepackt und betriebsbereit, bei den Zelten dauert es etwas länger, bis wir in dem hügeligen Gelände endlich geeignete Stellen gefunden haben, dann aber steht alles an seinem Platz – und mir, immer noch in meiner Fleecejacke steckend, läuft das Wasser in Strömen von Gesicht und Körper. Triefend lasse ich mich in einen unserer Stühle fallen, als sich justament in diesem Augenblick, einer kleinen Hügelkuppe sei Dank, die langen Schatten des beginnenden Abends über mich und unsere Sitzgruppe legen. Keine Minute später und das Camp ist tsetsefrei! Voller Wonne schäle ich mich aus meinem Sauna-Fleece und nehme erst jetzt die Umgebung so richtig wahr. Dieser Platz liegt wirklich traumhaft! Auf einer Anhöhe thronend, blickt man direkt auf die rauschenden Fluten des Viktoria-Nils (der zum Weißen Nil gehört), kurz bevor sich der Fluss eine 43 Meter hohe Stufe in Kaskaden nach unten stürzt - die Murchison Falls – und das Ganze ist gar malerisch in das warme Licht der untergehenden Sonne getaucht. Die Fälle selbst, nur etwa einen halben Kilometer westlich von uns, kann man von hier aus zwar nicht sehen, aber das tut der Sache keinen Abbruch – vor allen Dingen jetzt, da die Tsetses verschwunden sind.

Blick von der Campsite
Der Nil in voller Pracht
Stromschnellen










Bis zum letzten Sonnenstrahl genießen wir diese Aussicht und die einlullende Geräuschkulisse, bevor wir mit der Zubereitung unseres Abendessens beginnen. Und ich endlich in Ruhe meine von den Tsetses geschlagenen Wunden lecken kann. Uih, dafür, dass ich das blutgierige Kroppzeug hier noch nicht erwartet hätte, sehe ich echt übel aus! Auf Händen, Füßen, Oberarmen und meinem Rücken prangen Bissmale, auf die mein Körper die verschiedensten Reaktionen zeigt: von der juckenden Rötung über wassergefüllte Blasen bis hin zu massiven Schwellungen ist alles vertreten. Auch Gabi hat einiges abbekommen, doch ihr Immunsystem tut die Bisse mit streuseligen, mückenstichartigen Pusteln ab, alle anderen hingegen sind nicht ein einziges Mal gebissen worden und glauben, so argwöhne ich in meinem Glossina-Elend, immer noch an die Story mit den harmlosen Fliegen... Zumindest aber wird mir deren staunendes Mitgefühl zuteil, was ich als tröstliches Gefühl mit in den Schlafsack nehme, nachdem ich den Abend am rauschenden Fluss schließlich doch noch ausgiebig zu genießen in der Lage war – wenn auch heftig kratzend...


Weitere Impressionen des Tages:

Es gibt alles: Carwash Mini
Ziegelverkauf
Kleingärtnerei









Alles aus Metall
Gartendeko
Getränkehandel









Schönheitssalon
Boutique
Boutique
Möbel
Zweiradgeschäft
Landwirtschaftlicher Transport










Dekoartikel
Kreative Übertöpfe
Bremsen-Checkup









Dichter Verkehr
In Kampala City
Taxi von Gottes Gnaden 
Autopanne
Junge mit Kuhherde
Gate des MFNP










Geweihfarn
Campsite am Nil
Angekommen!













Der Farbenhändler
Ihres Vertrauens

Dienstag, 28. Februar 2017

19./20. September 2015; Flug von München via Dubai nach Entebbe, Uganda

An einem bewölkt-kühlen Samstag machen wir uns also auf den Weg zum Ausgangspunkt unserer heiß ersehnten Reise durch Uganda, Ruanda und Tansania - Entebbe. Doch gut Ding will ein wenig Weile und und ein gerüttelt Maß an Muße haben: am Abflughafen in München sind wir erst mal mit Gabi verabredet, auf ein - auf beiden Seiten - traditionelles Urlaubsanfangsbier. Voller Vorfreude – auf das Bier und unsere gemeinsame Tour – fallen wir uns vor dem Airbräu in die Arme und lassen uns danach im Freiluftbereich der Gaststätte nieder, um auf unsere bevorstehende Reise gebührlich und genüsslich anzustoßen. Aaah, jetzt kann der Urlaub so richtig beginnen!

Aufgeregt quatschen wir über unsere Erwartungen, über vergangene Reisen und das, was wohl wirklich auf uns zukommen wird und stellen fest, dass die Zeit schon jetzt, vor dem langen Flug, viel zu schnell vergeht. Ein letzter Schluck, und schon müssen wir los. Bald darauf sitzen wir im Flieger, machen es uns so bequem wie eben möglich und fliegen unserem ersten Teilziel, Dubai, entgegen, das wir, meinem Gefühl nach, relativ schnell erreichen. Die Betonung liegt auf relativ. Meine Güte, wie gerne bin ich früher geflogen! Alles war so aufregend, so ungewohnt, so spannend. Heute hingegen, nachdem ich, die geflogene Gesamtstrecke betrachtet, mehrmals um die Erde gejettet bin, nervt mich das ganze Prozedere und Rumgesitze zunehmend, auch wenn die Bordunterhaltung, verglichen mit der meiner Jugendzeit, qualitative Quantensprünge gemacht hat.

Hibbelig wische ich auf meinem, im Stuhl des Vordermanns eingelassenen Display rum, picke mir einen Film raus, stoppe diesen wieder, als das Abendessen serviert wird, und starte ihn erneut, als endlich Ruhe an Bord einkehrt. Das cineastische Machwerk zieht an mir vorüber, beschleunigt die abzusitzende Zeit auf ein erträglich Maß, ein zweiter Film muss trotzdem noch herhalten, dann endlich legt sich, gegen dessen Ende, die Watte des Sinkflugs auf meine Ohren. Bald darauf landen wir in Dubai, stauen uns aus dem Flieger, hinein in die nächste Wartezone, durch zahlreiche Kontrollen hindurch. Und da biegt plötzlich Erika ums Eck, die wir, wie gesagt, letztes Jahr schon kurz in Upington kennenlernen durften. Wir begrüßen uns, Gabi und Erika ziehen nochmal los, um zollfreien Alkohol zur Abwehr der vielen, allgegenwärtigen Bazillen einzumarkten, die uns auf unserer Tour sicher heimsuchen werden (;-) ), dann geht es weiter: unser Flug von Dubai nach Entebbe wird aufgerufen. Boarding, das übliche Geschlichte und Gestopfe mit dem viel zu üppigen Bordgepäck, das von manchen Personen erstaunlicherweise anstandslos mitgeführt werden darf, das Geräume, das Gedrängel, die Sicherheitsinstruktionen, Getränke, Essen, Abräumen, Andrang auf den Toiletten, Ruhe. Wie immer eben. Und – auch wie immer – scheine ich der einzige Passagier zu sein, der nicht schlafen kann. All die Räumer, Rangler, Drängler und Wusler sind wie auf Kommando plötzlich in Schlaf gesunken, kuscheln sich in den unmöglichsten Stellungen in ihre Sitze, schnarchen und röcheln mit offenen, glücklich sabbernden Mündern vor sich hin, bombenfest, durch nichts aus ihrer schlafenden Ruhe zu bringen. Wie machen die das nur? Ich hingegen winde mich schlaflos auf meinem Sitz, schiele zu Heinz rüber (der natürlich auch schläft) und frage mich, wie ich diese fünf Stunden rumkriegen soll, ohne wahnsinnig zu werden. Irgendwann, und auch das ist wie immer, schmerzt mein Nacken, ich schwitze und friere gleichzeitig, bin total entnervt und stelle dann, meinen Gefühlen zum Trotz, erstaunt fest, dass ich wohl doch geschlafen haben muss und mich darob sogar ziemlich erholt fühle...

Gut gelaunt beobachte ich daraufhin das Erwachen der anderen Passagiere, verspeise mein Frühstück und mache mich langsam bereit, endlich diesen Flieger zu verlassen. Wenig später landen wir in Entebbe, wo wir den zuständigen Behörden nur noch ein Visum aus den Rippen schnitzen und unser Gepäck aufsammeln müssen, bevor der Urlaub endgültig beginnen kann. Ja, dass das alles nicht Ruckzuck passiert sein wird, ist uns klar, als wir uns wohlgemut an der langen Einreiseschlange anstellen, dass es sich aber so kompliziert und langwierig gestaltet, übersteigt dann doch unsere schlimmsten Befürchtungen...

Schon bei der Vorkontrolle geht es äußerst zäh voran, da nur wenige Schalter geöffnet haben, und die wenigen Beamten, die hier ihren Dienst versehen, offenbar besonders penibel zu Werke gehen. Im Zeitlupentempo werden Pässe durchgeblättert, Gesichter verglichen, unsinnige Fragen gestellt, hin und wieder ein Vorgesetzter in einem anderen Büro zum weiteren Vorgehen befragt, worauf der vorher erarbeitete Faden verloren geht und das Geblättere und Vergleichen von vorne beginnt. Tapfer stauen wir uns durch diese zeitraubende Prozedur, bis auch wir endlich alle durchblättert, verglichen und abgenickt zu den Visabeantragungsschlangen durchgewunken werden, wo wir uns sicherheitshalber in drei Parteien aufsplitten. Und jetzt geht der Spaß erst richtig los. Wir haben nämlich den ungeheuerlichen Wunsch, nicht nur ein Uganda-Visum erhalten zu wollen, sondern beantragen unverschämterweise ein für Uganda, Ruanda und Kenia gleichermaßen gültiges, das sogenannte Ostafrika-Visum.

Gabi kommt in ihrer Warteschlange am schnellsten voran und beißt mit ihrem Ansinnen gleich mal auf Granit. Ein Ostafrika-Visum? Hier? Nein! Gabis Grenzbeamtin zeigt sich halsstarrig und verweigert die Ausstellung des gewünschten Visums; ist nicht, haben wir nicht, gibt’s nicht. Mit Engelszungen redet Gabi auf die widerspenstige Amtsperson ein, flötet, doziert, erklärt. Es bleibt beim Nein. Gabi verliert die Geduld und wird insistent, was gar nicht gut ankommt. Die Visatante fühlt sich angegriffen, in ihrer Ehre gekränkt, und ist deshalb kurz davor, Gabi sogar ein einfaches Uganda-Visum zu verweigern, als Heinz und ich in unserer Schlange an der Reihe sind. Nach freundlichen Begrüßungsfloskeln formulieren nun auch wir unser Ansinnen und stoßen auf damit, nein, nicht auf Granit, sondern auf beinahe atemlose Überforderung. Heftig schnaufend, mit angstgeweiteten Augen, verweist uns „unser“ Visafuzzi sofort auf die Schlange rechts neben uns, genau dorthin, wo sich Gabi gerade mit der unwirschen Lady streitet.

Oje... Seufzend wechseln wir rüber, winken Erika aus der dritten Schlange dazu und fordern nun das Visa-Glück mit einem hoffnungsfrohen Anlauf unsererseits heraus: erneutes Begrüßungsgesülze, erneute Erklärungen - erneute Weigerung. Wieso wir ein Ostafrika-Visum bräuchten, wenn wir doch nur noch nach Uganda und Ruanda, nicht aber nach Kenia wollten, was ja inkludiert wäre. Gabi und ich reden daraufhin zu zweit auf die gute Frau ein, die sich jedoch nach wie vor sperrig gibt. Doch plötzlich steckt einer ihrer Vorgesetzten neugierig, offenbar angelockt durch die ausufernde Diskussion, seinen Kopf durch die Glastür seines Büros, lauscht kurz interessiert, und zischt dann der ihm untergebenen Beamtin was zu, woraufhin diese ihrem Chef eilfertig in sein Office folgt. Minuten später erscheint sie wieder auf der Bildfläche, einem begossenen Pudel nicht unähnlich.

Um Contenance ringend, versucht sie ihr Gesicht zu wahren: es wäre alles überhaupt kein Problem mit unserem Ostafrika-Visum, wäre nur die Dame (Gabi) nicht so frech geworden! Gabi entschuldigt sich daraufhin äußerst wortreich und sehr versöhnlich, schiebt ein Missverständnis und ihr mangelhaftes Englisch vor (obwohl es alles andere als mangelhaft ist), wir alle bedauern unisono, leider nicht die Zeit zu haben, auch noch das wunderschöne Kenia besuchen zu können, schwärmen von unserer bevorstehenden Reiseroute im noch wunderschöneren Uganda und schieben nach, dass sie, die kundige Visalady, uns als DIE Grenzbeamtin genannt wurde, die als einzige dieses komplizierte Ansinnen zu erledigen in der Lage wäre. Dieses Konglomerat aus positiver Kompetenzerwartung, uns selbst herabwürdigender Entschuldigung bei gleichzeitiger Anerkennung der Schönheit Ostafrikas im Allgemeinen und Speziellen nebst der Betonung der schon recht unverschämten Komplexität unseres Ansinnens (und der offenbare Tadel ihres wieder in seinem Büro sitzenden Vorgesetzten) entfalten nun seine volle Wirkung. Gebauchpinselt sammelt die ehemals verstimmte Beamtin unsere Pässe ein, nickt uns wohlwollend zu, verschwindet erneut im Büro ihres Chefs und – wenige Minuten später -  erhalten wir unsere Dokumente zurück; korrekt gestempelt, mit einem freundlichen Lächeln und geradezu überschwänglichen Wünschen zu einer guten, schönen und sicheren Reise. Tja, das ist Afrika! Alles geht, alles lässt sich bewerkstelligen, solange man nur insistent genug ist und nebenbei die erwarteten Formen wahrt, die stellenweise erheblich von europäischen Gepflogenheiten abweichen können. Erheblich? Nein, nicht wirklich. Eigentlich ist es wie bei uns, nur ein bisschen intensiver, wortreicher, komplizierter, verwobener, mit ganz eigenen Befindlichkeiten gespickt. Wenn man erfühlt, wo diese jeweiligen Besonderheiten im Umgang liegen, dann klappt fast alles – wie soeben wir erfolgreich bewiesen haben...

Glücklich über die gelungene Visa-Beschaffung entfernen wir uns rasch und sehr erleichtert aus dem Bereich der versammelten Beamten, bevor doch noch einem der Herrschaften der Formulare was Unliebsames einfällt, und machen uns auf, unser Gepäck zu suchen, das mittlerweile schon lange vom Band gefallen sein muss – oder immer noch rumkreiselt... Nein, super, da steht es schon, in der inzwischen menschenleeren Gepäckhalle – und es ist vollzählig! Rasch greifen wir uns unsere Taschen und hechten hinaus in den Empfangsbereich, wo sich Annette und Jochen bereits seit geraumer Zeit die Beine in den Bauch stehen. Großes Hallo, gefolgt von einem „Ja, wo wart ihr denn so lang?“. Eine Frage, die Heinz und mich ab der ersten gemeinsamen Reise mit Annette und Jochen begleitet – diesmal aber können wir echt nichts dafür! Während wir, uns umarmend, zum Parkplatz gehen, erzählen wir von unserer Visa-Odyssee, und wir sitzen schon lange in den Autos, um unserem Nachtquartier zuzustreben, als wir noch immer am Erzählen sind. Kurz vor unserem Eintreffen im Entebbe Backpackers aber sind wir doch mit unserem Gesprudel fertig und können uns endlich voll und ganz unserer Ankunft erfreuen.

Wir kurven in das Gelände dieser dem Flughafen sehr nahen Unterkunft, die, umgeben von einer hohen Mauer, eine gewisse Sicherheit vermittelt, ohne gefängnisartig zu wirken. Auch das in grellen Orange- und Pinktönen gestrichene Hauptgebäude, vor dem einige jugendliche Rucksackreisende entspannt rumfläzen, trägt zu einem angenehmen Willkommensgefühl bei. Und als wir dann, in einem lauschigen Eck an der Mauer, unser wohlvertrautes Equipment erspähen, fühlen wir uns schließlich endgültig angekommen: Annette und Jochen haben bereits alles aufgebaut – den Klapptisch, die Campingstühle, die Küchenkisten und alle Zelte stehen, auch die unsrigen. Wie zuvorkommend und schön ist das denn! Strahlend danken wir unseren fleißigen Freunden, die uns damit jeglicher Eile enthoben haben. Entspannt zerren also wir unser Gepäck aus den Autos, werfen uns in dem Klima angepasste Klamotten, lassen uns dann alle zu einem Willkommens-Drink in die Klappstühle sinken und nehmen uns gemütlich Zeit, das Gefühl des Angekommenseins zu genießen. Nebenbei tauschen wir natürlich Neuigkeiten aus, berichten über dies oder jenes, doch in erster Linie ergehen wir uns in dem wonniglichen Bewusstsein, wieder in Afrika zu sein – mit Haut und Haaren, mit Augen und Ohren. Unsere geplagten Winterfüße atmen vergnügt in luftigen Sandalen, jauchzende Zehen kämpfen dabei fröhlich mit zudringlichen Ameisen, eine warm-feuchte Spätnachmittagsbrise umschmeichelt wohltuend unsere blassen Wangen, in einem türkis gestrichenen, von Rostflecken durchsetzten Zierbrunnen stehen Hagedasch-Ibisse und geben ihr typisch atonales Krächzen von sich, in dem Bäumen hoch über uns kreischen Bindenlärmvögel, auf der Grundstücksmauer tummeln sich tarnfarbene Eidechsen und unfassbar blaue Agamen – und wir sind da – mittendrin!

Erst als sich die Abenddämmerung auf uns hernieder senkt, können wir uns von all dem losreißen – der Urlaubsalltag winkt... Wir richten unsere Zelte häuslich ein, sortieren unser Gepäck nach den Erfordernissen des Busches, der uns morgen hoffentlich gnädig empfangen wird, bereiten gemeinsam unser Abendessen zu und geben uns anschließend mit wohliger Vorfreude unserer ersten Nacht in Uganda hin...








Donnerstag, 2. Februar 2017

LebensTraumPfade - Prolog

Unter uns Menschen gibt eine ganz besondere Subspezies, die ich, ihrem Gebaren entsprechend, als „Abhaker“ bezeichne. Sie verhalten sich, als würde eine ellenlange Liste in ihrem Gehirn implementiert sein, die es im Laufe eines Lebens abzuarbeiten gilt – möglichst bis zur letzten Position. Schon als Kind empfand ich diese Typen als recht befremdlich: ich war mit meinen Eltern fast jedes Wochenende in den Bergen unterwegs und wir wanderten, weil wir Spaß daran hatten, weil wir die Natur und so manchen Gipfelblick genossen, gerne in ein kaltes Gebirgsbächlein sprangen, Schnee- und Schotterfelder herabrutschten und Freude am Erlebnis Berg als solchem hatten. Auf unseren Touren aber begegneten wir immer wieder diesen Menschen, die mit Scheuklappen bergauf hasteten, blind für die Schönheit der Natur; sie hatten nur eines im Blick: das Gipfelbuch und den dazugehörigen Stempel, den sie sich in ihr mitgeführtes Beweis-Büchlein droschen. Stempel drin, umkehren, runter ins Tal, am nächsten Tag der nächste Berg, bis die Liste abgearbeitet war. Der Lohn des Ganzen bestand, zumindest in unseren Augen, wohl lediglich darin, dass man für all die hurtig gesammelten Stempel vom jeweiligen Tourismusverband eine Plakette erhielt, die man sich stolz an den Wanderstock oder den rustikalen Filzhut tackern konnte. Für mein Empfinden ein Entgelt, das den Aufwand, noch dazu unter derartigen Blindflug-Konditionen, nicht lohnt, für die Abhaker hingegen offenbar das Nonplusultra, den Himmel auf Erden darstellt.

Solche Menschen gibt es jedoch nicht nur in den Bergen, sondern in allen Lebensbereichen, unter anderem also auch im Reisesektor – und für diese Leute existiert sogar eine To-Do-Liste in Buchform: „1000 places to see before you die“. Ich hab da mal, als ich in einer Buchhandlung nach etwas ganz anderem suchte, reingeguckt und war erstaunt, was ich alles schon gesehen und „erledigt“ hatte, ohne zu wissen, dass es als abhakenswert gilt! Für das südliche und östliche Afrika werden beispielsweise ganze 46 Muss-Ziele genannt; fast die Hälfte davon habe ich bereits besucht, jedoch kein abschließendes Häkchen dahinter gemacht. Mann, bin ich doof; wie soll ich das jetzt beweisen und wer verleiht mir eigentlich meine Plakette?

Aber mal Ironie beiseite: so abwegig, wie ich das hier schildere, ist dieses Buch nicht, denn es zählt wirklich viele der absoluten Traumziele eines jeden Reisenden auf. „Tracking the Mountain Gorillas“ ist zum Beispiel etwas, was auf der Wunschliste vieler Afrikatraveller ganz oben steht. Als unsere Freunde Annette und Jochen nun heuer erstmals zwei Touren nach Uganda anbieten, Gorilla-Tracking inklusive, ist auch Heinz sofort Feuer und Flamme. „Da fahren wir mit, das ist schon lange einer meiner Lebensträume!“, seufzt er begeistert. Diesen Traum erfülle ich ihm natürlich gerne, auch wenn es nicht einer meiner eigenen, dringlichsten ist. Die mögliche Erfüllung des meinigen aber entdecke ich kurz darauf im Tourplan: den Katavi Nationalpark. Seit ich vor vielen Jahren ein Bild von Michael Poliza gesehen hatte, das unzählige, wie Kopfsteinplaster aneinandergereihte Nilpferdkörper zeigte, zählt dieser entlegene, auf dem Landweg schwer erreichbare Park zu meinen besonderen, persönlichen Traumzielen – auch wenn dieses nicht in besagtem Buch verzeichnet ist und auch, wenn dieser Park für seine zahlreichen Tsetses bekannt ist. Mit denen nämlich stehe ich auf echtem Kriegsfuß...

Trotzdem melden wir uns ohne große Diskussionen sofort für diese Tour an und freuen uns auf ein gemeinsames Beschreiten unserer ganz persönlichen Lebenstraum-Pfade, zusammen mit unseren langjährigen Freunden Annette und Jochen und zwei weiteren Tourteilnehmern: Erika, die wir letztes Jahr kurz am Flughafen in Upington kennengelernt hatten und Gabi, die ich über berufliche Kontakte schon seit ewigen Jahren kenne und sehr schätze.



Mittwoch, 1. Februar 2017

Reiseroute 2015 - LebensTraumPfade - Uganda, Ruanda, Tansania

UGANDA 

19./20. September 2015
Anreise München > Entebbe via Dubai; Camping im Entebbe Backpackers

21. September 2015
Entebbe > Kampala > Murchison Falls NP, Campsite oberhalb der Fälle

22. September 2015
Besuch des Aussichtspunkts an den Fällen > Red Chili Camp, Bootsfahrt zu den Fällen

23. September 2015
Übersetzen mit der Fähre > Rundfahrt im Nordwestteil des Parks; Red Chili Camp

24. September 2015
Murchison Falls NP > Hoima, Kolping Hotel

25. September 2015
Hoima > Kibale NP, Primate Lodge, Camping bzw. Baumhaus

26. September 2015
Kibale NP, Schimpansen-Tracking; Primate Lodge, Camping

27. September 2015
Kibale NP > Queen Elizabeth NP; Mweya Campsite

28. September 2015
Queen Elizabeth NP; Bootstour Kazinga Channel; Mweya Campsite

29. September 2015
Queen Elizabeth NP; Mweya Campsite > Ishasha River Campsite Nr. 2

30. September 2015
Gamedrive im Park > Ishasha River Campsite > Bwindi Impenetrable NP, Buhoma Community Rest Camp, Mietzelt

1. Oktober 2015
Bwindi Impenetrable NP, Gorilla-Tracking; Buhoma Community Rest Camp, Mietzelt

2. Oktober 2015
Bwindi Impenetrable NP > Lake Bunyonyi, Bugombe Gateway Camp, Camping

UGANDA > RUANDA

3. Oktober 2015
Bugombe Gateway Camp > Grenze Katuna > Kigali > Kayonza, Women’s Opportunity Center, Camping

RUANDA > TANSANIA

4. Oktober 2015
Kayonza > Grenze Rusumo > Biharamulo, Old German Boma, Camping

5. Oktober 2015
Biharamulo > Kibondo, Autopanne > Camping „In the Middle of Nowhere“

6. Oktober 2015
Mitten aus der Pampa > Kigoma; Jakobsen Beach and Guest House, Camping

7. Oktober 2015
Kigoma > Sitalike

8. Oktober 2015
Sitalike > Katavi NP,  Gamedrive, Camping am Katuma River

9. Oktober 2015
Katavi NP, Gamedrive, Camping am Katuma River

10. Oktober 2015
Katavi NP > Mbeya, ICC Guest House

11. Oktober 2015
Geplanter Flug Mbeya > Dar es Salaam > Dubai > München; Flugausfall Mbeya > Dar es Salaam; ICC Guest House

12. Oktober 2015
Flug Mbeya > Dar es Salaam > Dubai > München




Mittwoch, 11. Januar 2017

17. Oktober 2014; Augrabies Falls NP > Upington; Heimflug

Ute und Annette sind schon eine ganze Weile weg, als wir im ersten Sonnenlicht erwachen. Von ihrer Abreise haben wir nichts mitbekommen, haben noch fest geschlafen. Jetzt aber weckt uns das betriebsame Geraschle Jochens, der schon emsig zugange ist, alles in seinen Augen Unnötige im Auto zu verstauen – und für ihn sind ganz viele Dinge nur unnützes Beiwerk... So kommt es, dass wir schließlich an einem recht übersichtlichen Frühstückstisch Platz nehmen und das, was noch zur Verfügung steht, zu uns nehmen - mit den Gerätschaften, die noch nicht verräumt wurden. Na ja, immerhin gibt es reichlich Kaffee und etwas zwischen die Zähne, und der Abwasch fällt auch spärlicher aus als sonst.

Nachdem wir schließlich unsere Kaffeegelüste befriedigt und uns ausreichend sattgegessen haben, geht es an finale Packen. Heinz und ich quetschen rasch unsere Schlafzimmereinrichtung ins Gepäck, säubern das Zelt von innen und von außen, reißen es ab und verpacken es sorgfältig, auf dass unsere Nachfolger heute Abend ein, nun ja, nicht ganz jungfräuliches Stoffhäuschen in Gebrauch nehmen können – die Gäste für die Folgetour werden wir nämlich schon mittags in Upington in Empfang nehmen. Dann assistieren wir Jochen beim Packen des Rest-Equipments, polieren das Auto auf Hochglanz, gehen schnell duschen und werfen uns zum Schluss in unsere Rückreiseklamotten. Zivilisiert duftend und reisefertig nehmen wir zu guter Letzt noch wehmütigen Abschied von unseren gefiederten Freunden, bevor wir uns Jochen zuwenden, der entspannt am Auto lehnt und raucht. „Fertig! Wir können!“. Jochen nickt, wir klettern in den Wagen – und staunen nicht schlecht, als Jochen diesen erst zum Waschhaus lenkt, dann auf dem Campgelände herumsteuert und schließlich bei einem Wasserhahn stehenbleibt.

Hä? „Wir müssen noch Wasser auffüllen, hab aber keinen Schlauch...“, brabbelt Jochen in seinen Bart. Doppel-Hä? „Muss das jetzt sein? Können wir das nicht in Upington an einer Tanke erledigen?“ „Nee, was ma ham, des hamma!“ Aha, fragt sich nur, wie wir das ohne Schlauch bewerkstelligen sollen... Jochen versucht es mit einer abenteuerlichen Konstruktion: eine abgeschnittene Wasserflasche fungiert als Trichter und soll nun das Wasser aus dem Hahn in den Tank leiten; leider aber liegt die Öffnung des Hahns viel zu tief. Seufzend machen wir uns auf dem umliegenden Gelände auf die Suche nach etwas Brauchbarerem und fluchen dabei insgeheim vor uns hin – warum muss so etwas immer auf den letzten Drücker erledigt werden? Schließlich finde ich ein längeres Stück eines alten Leerrohrs; normalerweise werden damit Kabel unter Putz verlegt und es ist wohl noch irgendwelchen Bauarbeiten übriggeblieben. Vorsichtig grabe ich das alte Teil aus dem staubig-harten Boden und bringe es zu Jochen, der glücklich lächelt.

Wir spülen es durch, dichten mit allen verfügbaren Händen den Übergang zum Hahn ab und schon gluckert das Wasser in den Tank. Nach zwanzig Minuten ist dieser endlich voll, Jochen zufrieden – und wir sehen aus wie die Schweine. Rückreiseklamotten, drei Wochen geruchs- und staubdicht durch den Urlaub gerettet, um wie ein zivilisierter Mensch heimfliegen zu können – warum? Achselzuckend sehen Heinz und ich uns an, klopfen losen Staub aus unserer ehemals sauberen Kleidung, hoffen, dass sich bis Upington auch noch der mit Wasser vermatschte Rest entfernen lässt und schlichten uns, etwas schief grinsend, ins Auto. Dann steht ja unserer Fahrt nach Upington nichts mehr im Wege – denken wir...

 Und tatsächlich fressen wir nach dem Verlassen des Augrabies Falls Nationalparks erst mal diverse stoppfreie Kilometer, bis wir, zirka auf halber Strecke, den Ort Keimoes erreichen, wo Jochen nun abermals mehr oder weniger zielgerichtet anhält. Mhm? „Wir brauchen noch Gas. Das sollte es hier geben.“ Sollte... Wir fragen uns durch. Und dann beginnt eine Odyssee, wie sie schöner nicht sein könnte: Laden A, der kein Gas auffüllt, aber so aussieht, schickt uns zurück an den Ortsausgang, zu Händler B. Wir wenden, fahren bis zum Ende des Kaffs, doch benanntes Geschäft existiert offenbar nicht mehr. Also wieder rein nach Keimoes, jemand anderen befragen. Wir werden an das andere Ortsende geschickt. Wieder Fehlanzeige. Erneutes Fragen. Unsere letzte Fahrt, denn auch Jochen verlässt nun allmählich die Geduld, führt uns in ein recht ominöses Viertel von Keimoes, halb Wohngebiet, halb Industriegelände. Kein Mensch auf der Straße, weit und breit kein Gas-Laden in Sicht. Das Ende vom Lied: nach fast einer Stunde der vergeblichen Suche nach einem Gas-Dealer in Keimoes kehren wir dem Ort den Rücken und fahren endlich weiter nach Upington. Hier könne man sicher auffüllen, sagt Jochen. Warum sind wir dann hier rumgekurvt?

Tja, who knows... Trotz unserer mehr oder weniger erheiternden Extrarunden kommen wir schließlich dennoch einigermaßen pünktlich am Flughafen in Upington an, wo Annette natürlich schon ungeduldig auf uns wartet. Sie hatte Ute rechtzeitig abgesetzt, war dann noch beim Einkaufen und harrt nun seit geraumer Zeit unserer Ankunft – gemeinsam mit Jochen wollte sie die getätigten Einkäufe auf beide Autos verteilen. Dazu ist jetzt aber keine Zeit mehr, denn der Mittagsflieger aus Johannesburg ist bereits gelandet und vier neue Gäste müssen in Empfang genommen werden. Heinz und ich, die wir ja Zeit haben, übernehmen die Bewachung beider Fahrzeuge, während Annette und Jochen ihren Pflichten als Veranstalter nachkommen und dem Empfangsterminal zustreben.

Eine halbe Stunde kehren sie wieder; mit Anke, Gabi, Simone und Karl-Heinz im Schlepptau. Ich freue mich sehr, denn Gabi und Anke kenne ich, über meine Arbeit, schon seit Jahren. Freudig umarmen wir uns, alle anderen stellen sich gegenseitig vor, Annette kramt einen Empfangsdrink aus dem Kühlschrank und schon sind wir vergangene und künftige Mitreisende fröhlich am Plaudern. Annette und Jochen kümmern sich währenddessen, wie üblich laut streitend, um die Verteilung der erworbenen Lebensmittel in den beiden Autos. Anke und Gabi sehen mich angesichts des hektischen Gezeters fragend an. „Passt scho, so sind die beiden halt. Aber es klappt alles meistens trotzdem wie am Schnürchen!“

Beruhigt vertiefen wir uns erneut in unsere Erwartungs- und Erlebnisschilderungen, als Annette mich plötzlich fragt: „Sag mal, Barbara, gibt es in Rietfontein eigentlich eine Tankstelle? Ich hab’s hier nämlich nimmer geschafft.“ „Was? Rietfontein? Ihr wollt doch über Twee Rivieren in den KTP, da liegt Rietfontein gar nicht auf der Strecke!“ „Stimmt...“, konstatiert Annette verwirrt, während sich Ankes Mund an mein Ohr bewegt und leise, aber dennoch hörbar flüstert: „Wer ist hier eigentlich der Guide? Das kann ja heiter werden...“ „Das wird es, im positivsten Sinne, ich verspreche es euch!“, versichere ich den neuen Gästen aus vollem Herzen. „So sind die beiden halt, sobald sie auf Zivilisation und Formalitäten treffen. Aber sie wissen genau, was sie tun!“ Mein Gott, jeder hat so seine Eigenheiten! Ich kann verstehen, dass das soeben Erlebte die Neuankömmlinge ein wenig verunsichert, dennoch lege ich meine Hand dafür ins Feuer, dass jede Tour mit Annette und Jochen ein ganz besonderes, eigenes, persönliches und ungewöhnliches Ereignis sein wird. Die beiden lieben den schwarzen Kontinent und nehmen dort, auf ihre eigene, bewundernswerte Art und Weise, ihren Weg - zuverlässig und extrem sympathisch.

 In diesem Sinne nehmen wir nun alle Abschied voneinander; die neue Truppe voller Hoffnungen und zu erfüllender Erwartungen, Heinz und ich voller Wehmut, bereits erfüllter und schon wieder neuer Erwartungen. Nächstes Jahr geht es nämlich nach Uganda, Ruanda und Tansania, und wir freuen uns jetzt schon wie wahnsinnig drauf! So sehr, dass wir auch nach der endgültigen Verabschiedung von unseren Freunden und der neuen Reisetruppe unsere vierstündige Wartezeit am Flughafen von Upington trotz alledem positiv erleben: es werden Dutzende von Mitarbeitern des Monats gewählt, der gesamte Betrieb ist für Stunden wie lahmgelegt, man kann nichts zu trinken erwerben, kein Gepäck aufgeben, keine Sicherheitskontrolle durchschreiten, geschweige denn irgendetwas anderes bewerkstelligen. Amüsiert grinsend beobachten Heinz und ich den Ehrungsrummel und das daraus resultierende Chaos – TIA – This Is Africa! Und trotzdem, auch das ist Afrika, startet der Flieger nach Johannesburg pünklich – mit uns und unserem Gepäck an Bord. Auf Wiedersehen, bis nächstes Jahr!

Donnerstag, 5. Januar 2017

16. Oktober 2014; Erholungs- und Packtag, Augrabies Falls NP

Mann, nicht mal am letzten Urlaubstag kann man hier ausnahmsweise mal ein bisschen länger schlafen! Schon lange bevor die ersten Sonnenstrahlen durch die Bäume lugen, weckt uns heute Morgen das heisere Gebell und durchdringende Gekreische aufgeregt streitender Paviane. Im Prinzip könnte man ja auf Durchzug schalten und noch ein wenig weiterdösen, doch in Anwesenheit dieser frechen Affen, die gerne alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest ist, kann selbst der Faulste nicht in Frieden pennen! Seufzend wälzen wir uns also aus den Schlafsäcken, um das marodierende Treiben der Primaten kontrollierend zu beobachten und notfalls sofort einzugreifen. Gerade noch rechtzeitig, wie sich zeigt! Als nämlich die Reißverschlüsse vernehmlich ratschen und wir unsere Köpfe aus den Zelten strecken, sehen wir zwar nur noch die sehr nahen Kehrseiten einiger Pavian-Männchen, doch die blicken sich derart angelegentlich nach uns um, dass wir genau wissen: sie hatten soeben Kurs auf unser Lager genommen... Nicht mit uns! Grimmigen Blickes verteilen wir uns, den Tisch deckend, zwischen unseren Besitztümern und beginnen schließlich, noch grimmigeren Blickes, unser Frühstück einzunehmen. Die Baboons wissen unser Gebaren wohl zu deuten und ihre Erfahrungen als unwillkommene Campräuber scheinen hinreichend von sehr viel rigoroseren Menschen als uns geprägt worden zu sein: ein paar wenige, direkte Augenkontakte und die entsprechende Körperhaltung genügen in diesem Falle, um die diebische Rasselbande in die Flucht zu schlagen. Ungewöhnlich, aber sehr angenehm!

Doch es gibt auch Lebewesen, die sich durch unser böses Geschau nicht im mindesten beeindrucken lassen - und sie sind ja auch nicht gemeint: mit dem ersten Brottüten-Rascheln versammeln sich all unsere lieben, gefiederten Freunde um uns und sehen uns, mit unwiderstehlich schräg gelegten Köpfchen, fordernd an. So unwiderstehlich, dass auch die emotionale Resistenz unserer Freunde langsam zu bröckeln beginnt... Still lächle ich ob dieser Tatsache in mich hinein und teile mein Frühstück nun bevorzugt mit den frecheren Staren, während ich die schüchternen gerne unseren ornithologischen Auftauern überlasse. Interessant dabei ist, dass ich die Vögel mittlerweile nicht mehr nur aufgrund ihres Verhaltens oder offensichtlicher körperlicher Gebrechen (fehlende Zehen, Fußstümpfe, Milbenbefall, etc.) recht gut voneinander unterscheiden kann, sondern auch durch die Beringung, die die Tierchen fast ausnahmslos tragen.

Beringung? Darüber hatte ich mich schon bei unserer Ankunft gewundert, gestern aber endlich Aufklärung auf einer der Schauwände im Besucherzentrum erhalten: hier läuft ein Forschungsprojekt mit Fahlflügelstaren, um deren Gesang im Sinne der Wissenschaft zu entschlüsseln. Im Besucherzentrum wurde das so simpel und einleuchtend beschrieben, dass ich die Erklärungen erst mal hinnahm, bei näherem Nachdenken jedoch erschienen mir die dort verzeichneten Ausführungen bald recht unlogisch und lückenhaft, sodass ich weitere Erkundigungen einholte. Also: ja, es läuft ein Gesangserforschungsprojekt, und ja, die Vögel wurden zu diesem Behufe beringt. Was auf den Schautafeln jedoch nicht zu lesen ist - weil wahrscheinlich zu weit gefasst – ist die Tatsache, dass hier zwei Forschungsprojekte ineinandergreifen beziehungsweise aufeinander aufbauen. Und gerade das finde ich besonders interessant: eine im Internet gefundene Abhandlung erklärt es mir genauer - ein wenig später. 

Vor einigen Jahren schlossen sich vier Ornithologen zusammen, um den Gesang des bis dato wenig erforschten Fahlflügelstars (Onychognathus nabouroup) auf wissenschaftlicher Basis auseinanderzupflücken. Im Jahre 2011 erhielten sie dafür das Go vom Augrabies Falls NP, wo bekanntermaßen eine größere Schar benannter Vögel wohlhabituiert ihr Unwesen treibt. Super! Doch wie will man den Gesang (im Sinne einer Kommunikation) erforschen, wenn man nicht mal männliche Fahlflügler von weiblichen unterscheiden kann?! Onychognathus nabouroup ist nämlich eine monomorphe Spezies, was bedeutet, dass beide Geschlechter rein optisch nicht auseinander zu halten sind. Folglich musste also erst ein Weg gefunden werden, dieses Problem zu lösen, was sich allerdings recht kompliziert gestaltete, da den Forschern weder allzu viel Zeit noch unerschöpfliche Geldmittel zur Verfügung standen. Dieser Zeit- und Geldmangel schloss leider die gängigsten Methoden, bei Monomorphen Geschlechter auseinanderzudividieren aus, nämlich die zeitintensive Beobachtung geschlechtsspezifischer Verhaltensunterschiede und auch die teure, aber sichere, ausschließliche DNA-Analyse. Deshalb entschieden sich die Wissenschaftler, eine adäquate Menge von Vögeln einzufangen, sie zu vermessen, nach einem bestimmten System zu beringen, um dann die Tiere wieder freizulassen und anschließend die Daten in einer Art „Trockenübung“ auszuwerten.

Unwiderstehlich!
Beringter Fahlflügelstar
Vogelversammlung









Innerhalb von zwei Jahren wurden 65 Stare dergestalt dingfest gemacht, größentechnisch examiniert und mit jeweils einem Metall- und drei bunten Kunststoffringen bestückt. Einigen wenigen Tieren wurden dabei ein paar Federn entnommen, um zumindest eine hundertprozentig sichere Untermauerung für die anschließende Datenauswertung zu erhalten, gleichzeitig untersuchten die Herrschaften aber auch noch zahlreiche Bälge der genannten Staren, die ihnen von Museen und diversen Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt wurden. Schließlich konnte die Studie in der Studie erfolgreich abgeschlossen werden: die Trefferquote bei der richtigen Geschlechtsbestimmung lag bei durchschnittlich etwa 75 Prozent, was den Forschern offenbar ausreichend erschien.

Ich finde solche Zusatzinformationen ja immer hochinteressant, und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens macht man sich viel zu wenig Gedanken, unter welchen Umständen das Wissen, über das wir so selbstverständlich verfügen, gewonnen wurde. Man nimmt es einfach als gegeben hin, kann sich jedoch nur in den seltensten Fällen vorstellen, welch ein Aufwand dahintersteckt. Und zweitens zeigen solche Studien, zumindest in meinen Augen, auf welch tönernen Füßen die Ergebnisse oft stehen. Eine Trefferquote von 75 Prozent. Hallo?! Das mag ja ausreichen, um eine neue Erkenntnisbasis zu schaffen, nicht aber, um etwas für immer und ewig als absolute Wahrheit zu zementieren. Kein Wunder also, dass man sich als naturinteressierter und wissenschaftsaffiner Mensch immer wieder mit der Revidierung gerade gewonnener Forschungsergebnisse abfinden muss. Man nehme zum Beispiel die jahrelang proklamierte Verwandtschaft der Klippschliefer mit den Elefanten – heute weiß man, dass das nicht stimmt und die Dassies eine komplett eigene Ordnung darstellen. Doch vielleicht wird auch das in zehn Jahren erneut revidiert... Besonders auffällig und (für mich persönlich) anstrengend aber sind solche Umklassifizierungen im Reich der Pflanzen: da wird die Gattung Phyllobolus plötzlich bei Mesembryanthemum eingemeindet, aus einem lautmalerischen Sarcocaulon wird eine weichgespülte Monsonia, aus dem sukkulenten Asterngewächs Kleinia macht man ein Senecio. Da soll man nicht irre werden! Doch auch, wenn sich mein unter schweren Mühen angeeignetes Wissen ständig selbst überholt, fasziniert mich diese Materie natürlich weiterhin – trotzdem und gerade deswegen.

Man kennt keine Scheu
Beim Brosamen-Abgreifen
Kopfhaltung: perfekt!









Dennoch hat mich die intensive Beschäftigung mit derartigen Themen auch eines Besseren belehrt: von Kindesbeinen an liebäugelte ich nämlich mit dem Beruf des Forschers – ob nun Archäologe, Botaniker, Zoologe, forensischer Pathologe, egal, Hauptsache forschen, herausfinden, Puzzleteile zusammensetzen, komplettieren... Dieser Wunsch überkommt mich heute nur noch äußerst selten. Obwohl ich viel Geduld habe, muss ich aber mittlerweile konstatieren, dass das Ausmaß an Zeitintensität bei gleichzeitiger, nur theoretischer Nähe zum Forschungsobjekt sogar meine Ausdauer stark überstrapazieren würde. Konkret gesagt: da sitze ich doch viel lieber inmitten der zutraulichen Vögelchen, klassifiziere sie aus dem Bauch heraus als männlich, weiblich, schüchtern, neugierig und frech, zwietsche sie an, erhalte tirilierende Antworten und genieße so meinen letzten Urlaubstag in vollen Zügen. Besser, als jahrelang Trockenübungen zu absolvieren, oder? Und zum Genießen habe ich heute den ganzen Tag ausgiebig Gelegenheit, denn wir werden uns keinen Meter hier wegbewegen, es sei denn, um nochmal den Shop zu besuchen oder den Wasserfall oder, oder...

Zunächst jedoch, wir sind ja gerade erst aufgestanden, wird ausgiebig gefrühstückt. Zwischen zwei Tassen Kaffee fällt Heinz auf einmal seine Wildkamera wieder ein. Sofort eilt er zum Baum und montiert das gute Stück ab, um den Inhalt der Speicherkarte unter die Lupe zu nehmen. Jawoll, da sind reichlich Bilder von heute Nacht drauf! Neben den üblichen Insekten, die im Licht der LEDs faszinierend-flirrende Flugbögen in die Luft zeichnen, hat die Kamera auch, wie erwartet, eine Katze festgehalten. Aber nein, das ist nicht die Miezie, die wir gestern Abend gesehen hatten, sondern ganz eindeutig eine Hauskatze, gut erkennbar am glücks-gefleckten Fell. Ach Mensch, schade! Enttäuscht blättern wir uns durch weitere Insektenbilder, freuen uns etwas halbherzig über eine Manguste und eine kleine Streifenmaus, als doch noch weitere Katzenschnappschüsse folgen – ja, und da ist sie, die Geistermieze, auf die wir gehofft hatten! Mit großer Spannung examinieren wir jedes einzelne Foto, zoomen rein, sehen uns Details an, zoomen raus und wieder rein. Mhm, ist das jetzt eine Wildkatze oder nicht? Leider können wir es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen: die LEDs, die eine geradezu unheimliche Power haben, reflektieren auf dem vor der Katze liegenden, hellen Sandboden so stark, dass das Tier auf allen Aufnahmen ziemlich überbelichtet wurde. Dadurch kann man die Fellzeichnung bedauerlicherweise nur unzureichend erkennen. Nachdem wir aber alle Bilder abgeglichen und die Ausschnitte mit der am besten sichtbaren Fellzeichnung vor unserem geistigen Auge zusammengesetzt haben, sind wir zumindest zu 95 Prozent davon überzeugt, Besuch von einer veritablen Wildkatze gehabt zu haben.

Auch sie ...
... hätten gerne ...
... was abbekommen.









Ach, wie schön, das ist doch ein guter Einstieg in den heutigen Tag. Einer, der noch besser wird, als drei Stunden nach dem Erscheinen der Geisterkatze die Pavianhorde, die uns geweckt hatte, im Dunstkreis der Kamera auftauchte. Meine Güte, was die für Faxen machen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Und mit welchen Finten sie sich unserem Lager zu nähern versuchten! Dabei hatten sie allerdings immer die am Baum montierte Kamera im Blick; sie erschien ihnen wohl nicht ganz geheuer. Und das ist gut so, denn, wie wir auf den Uhrzeiteinblendungen auf den Bildern erkennen können, hatten sie sich bereits eine halbe Stunde vor unserem Erwachen in unserer Nähe herumgetrieben - wer Paviane kennt, der weiß, was sie in dieser halben Stunde alles hätten anrichten können... Da sie aber dazu, dank der Kamera, keine Gelegenheit hatten, können wir nun, nach dem Frühstück allmählich beginnen, unser von Pavianen verschontes Equipment, das wir aber heute und morgen voraussichtlich nicht mehr brauchen werden, schon mal in unseren Reisetaschen zu verstauen. Im Zeitlupentempo durchstöbern wir unsere Sachen, sortieren aus, lüften die Rückreiseklamotten, packen das Entbehrliche ins Reisegepäck und lassen uns dabei immer wieder gerne von den zutraulichen Staren ablenken, die jeden unserer Handgriffe mit Adleraugen verfolgen. So ein gemächlicher Abschieds- und Packtag hat was!

Kleiner Punk
Liegt was auf dem Boden?
Ich kanns nicht lassen ...









Irgendwann jedoch, so gegen Mittag, ist alles getan, was getan werden konnte und unser Tatendrang erwacht erneut. Ach komm, lass uns doch nochmal zum Shop hochgehen und ein letztes Mal den Wasserfall besuchen. Gesagt, getan! Heinz und ich machen also eine Runde auf dem Catwalk entlang des Hauptfalls, bevor wir erneut dem Shop zustreben. Was wir da wollen? Keine Ahnung. Aber wir kommen auch gar nicht so weit, denn als wir soeben an der Terrasse des Restaurants vorbeischlendern, erblicken wir Ute, an einem Tisch sitzend und uns heftig winkend. „Hey, ich gönn mir einen Snack, wollt ihr mir nicht Gesellschaft leisten?“ Aber ja, gerne! Wohlig seufzend lassen wir uns nieder, durchforsten die reichhaltige Speisekarte, wählen einige Köstlichkeiten aus, geben diese in Auftrag und erfreuen uns anschließend an einem gemütlichen Ratsch mit Ute. Dabei entgeht uns natürlich nicht, dass uns offenbar alle Stare der Campsite hierher gefolgt sind – jeden einzelnen von ihnen erkenne ich wieder und amüsiere mich köstlich, wie die Vögelchen ordentlich aufgereiht hinter uns auf der Balustrade der Restaurantterrasse sitzen und hoffen, an unserem Snack teilhaben zu dürfen. Deutlich weniger amüsiert hingegen zeigt sich das Restaurantpersonal, das, bevor unser Essen serviert wird, mit Wasserzerstäubern anrückt, um die zudringlichen Stare von uns Gästen fernzuhalten. Mit einem fragenden Blick auf Ute (ich erhalte ihre lächelnde Freigabe) winke ich der Zerstäubergruppe ab. Leicht ungläubigen Blicks ziehen die staatsbediensteten Starenvertreiber daraufhin ab und unser Essen wird serviert. Natürlich unter den extrem wachsamen Blicken der Stare...

Klettermaxe
Recken nach dem Leckerbissen
Dassie-Kolonie










Nun sitzen wir also mampfend und mit den Vögeln teilend auf der schattigen Terrasse und genießen unser Dasein, als plötzlich Annette und Jochen auftauchen. Ihren für Sekunden irritierten Blicken entnehme ich deutlich, dass sie glauben, wir hätten uns heimlich verabredet, um uns hier ohne sie zu vergnügen. Auf die Hintergründe, die zu dieser offensichtlichen Vermutung seitens unserer Freunde führten, möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, doch irgendwie kann ich ihren Verdacht durchaus nachvollziehen. Aber er ist völlig unbegründet. Eilig bemühe ich mich deshalb, die sich entwickelnde Missstimmung glaubhaft zu entkräften, was mir Gottseidank rasch gelingt. Erleichtert und mit der sich darbietenden Situation versöhnt, nehmen nun also auch Annette und Jochen an unserer Tafel Platz, bestellen ihrerseits und gemeinsam begehen wir dergestalt einen entspannten Nachmittag bei kühlen Getränken, köstlichem Essen und guten Gesprächen – und werden, so ganz nebenbei, auch noch gut von den zutraulichen Staren unterhalten. Doch nicht nur von diesen... Denn in der relativen Kühle der Nachmittagssonne haben sich auch die Dassies wieder auf den Weg nach Futter gemacht und ein paar von den eher schwerfälligen Schliefern klettern nun recht gewandt in den stärkeren Ästen der terrassennahen Büsche umher. Was heißt da eigentlich „recht“ gewandt?! Das ist reichlich untertrieben, denn die doch etwas moppelig wirkenden Schliefer outen sich auch auf dünnem Geäst als ausgezeichnete Kraxel- und Balancekünstler. Wir sind so beeindruckt von deren Fähigkeiten, dass wir kurz am zweifeln sind, ob wir hier wirklich Felshyraxe vor uns haben – schließlich gibt es ja noch zwei andere Spezies, nämlich die Busch- und die Baumschliefer. Aber nein, hier sind nur Fels-Dassies existent, das Verbreitungsgebiet der beiden anderen Spezies ist weit, weit entfernt. Also doppelt Hut ab vor den kleinen Klettermaxen, die sich so geübt in für sie ungewohntem Terrain bewegen – und uns dabei mit entzückenden Ausblicken auf kleine, runde Popöchen, mollig gerundete, pelzige Bäuchlein und schweißig-klebrige Fußballen verwöhnen. Wann sieht man so ein Tierchen schon mal von unten?! Ach, dieser Nachmittag ist doch wirklich ein Genuss auf ganzer Linie!

Nichtsdestotrotz machen sich Annette und Jochen nach dem Essen zu einem Rundgang am Wasserfall auf, während Heinz, Ute und ich noch eine ganze Weile sitzenbleiben und unseren Urlaub revue passieren lassen. Dabei kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir alle, trotz unterschiedlicher Interessen, voll auf unsere Kosten gekommen sind, dass auch die kurzen Momente des Sichgenervtfühlens dem Ganzen keinen Abbruch taten und dass wir die Gesellschaft der jeweils anderen „Partei“ in weiten Zügen als Bereicherung empfunden haben. Besser kann es fast nicht laufen, das muss wohl nun auch unser Flüsterteufelchen Mark Twain, der uns im Vorfeld der Reise mit Zweifeln ziemlich gepiesackt hatte, so akzeptieren. Wir sind mit Ute auf Reisen gegangen – und wir mögen sie! Allerdings wird unsere Freude aneinander nicht mehr lange andauern, denn heute Abend ist Zapfenstreich für Ute und uns. Sie ist nämlich auf die Mittagsmaschine von Upington nach Johannesburg gebucht, wohingegen unser Flieger den Norden Südafrikas erst am späteren Nachmittag verlassen wird. Ohne diesen frühen Check-In-Zwang können wir uns also reichlich Zeit lassen, bevor wir mit Jochen nach Upington starten. Ute und Annette jedoch werden sich schon in der Morgendämmerung aus dem Staub machen, während wir anderen noch in den Federn liegen. Nun ja, auch die schönste Zeit hat eben mal ein Ende... Doch noch ist es nicht so weit.

Zusammen kehren wir also für die letzten gemeinsamen Stunden ins Lager zurück, machen es uns bei einem lukullischen Abendessen richtig schön und beschließen dann kurzerhand, nochmal zum beleuchteten Hauptfall aufzubrechen, dort mit einem Bier auf einen gelungenen Urlaub anzustoßen und diesen vom beruhigenden Rauschen des Wassers abrunden zu lassen, bevor wir uns endgültig voneinander verabschieden müssen. Gesagt, getan. Annette und Jochen, die wir frecherweise mit unserem Abmarsch auf dem Abwasch sitzen lassen, gucken etwas verdutzt und auch leicht konsterniert, wünschen uns dann aber doch viel Spaß, widmen sich den lästigen Spülarbeiten und lassen uns ziehen. Und dieser nächtliche Besuch am Wasserfall ist wirklich etwas Besonderes. Mittlerweile hatten wir ja alle reichlich Gelegenheit, uns mit den touristischen Komfort-Einrichtungen von Augrabies Falls ausreichend anzufreunden, sodass wir jetzt die Flutlichtanlage am Catwalk nicht mehr als befremdlich empfinden, sondern einfach und ausschließlich ihren Effekt genießen können: rings um uns herrscht Dunkelheit, ein fulminanter Sternenhimmel spannt sich über uns und das Licht der Scheinwerfer erleuchtet punktuell die einzelnen Katarakte des nach unten stürzenden Oranje. Nein, erleuchten ist das falsche Wort. Die Strahlen der kraftvollen Spots durchdringen das Wasser förmlich, lassen es in verschiedenen, intensiven Grüntönen geheimnisvoll erglühen, die Gischt gleißt wie spritzender Eischnee und im Kegel der Strahler tummeln sich Myriaden lichtgeiler Insekten, die sich Dutzende von lautlos gleitenden Fledermäusen aus der Luft in den Mund pflücken. Und außer uns ist kein Mensch zu sehen! Lange wohnen wir diesem Schauspiel bei, trinken wieder einen Schluck, wandern weiter, schauen erneut. Ein wirklich schöner, allerletzter Abschluss unseres Urlaubs, doch auch der neigt sich seinem Ende zu, denn Ute wird langsam hibbelig – sie muss ja noch zu Ende packen. So schlendern wir langsam ein letztes Mal zum Lager runter – uih, Annette und Jochen sind schon schlafen gegangen -, umarmen uns und lassen Ute schließlich in Ruhe ihre Siebensachen packen. Dann lassen Heinz und ich den Abend am verglühenden Lagerfeuer sachte ausklingen, bevor auch uns, beim vergeblichen Warten auf die Wildkatze, langsam das Sandmännchen heimsucht. Beim immer noch andauernden Packrascheln Utes ziehen auch wir uns schließlich in unsere Schlafsäcke zurück und begeben uns vertrauensvoll in die samtenen Hände unserer letzten Nacht in Afrika.


Weitere Impressionen des Tages:

Augrabies Plattechse
Dassie-Kolonie
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Hauptfall