Dienstag, 13. Januar 2015

29. März 2013, Thakadu Camp, Ghanzi > Motopi Pan, CKGR

Frühmorgens wecken uns die mittlerweile gewohnten Geräusche des Buschs - obwohl wir ja noch gar nicht wirklich in der Wildnis sind. Ganz unbuschmäßig tragen wir also unser gestriges Geschlemme gepflegt zum naheliegenden Sanitärgebäude, machen uns ein letztes Mal für längere Zeit dental und auch anderweitig frisch und finden uns dann am Frühstückstisch zusammen. Als letzter stößt hierbei Heinz zu uns und er hat von unterwegs etwas mitgebracht: eine riesige, giftgrüne Gottesanbeterin! Nun bin ja ich DIE Insektenschisserin vor dem Herrn, soll aber schrittweise meiner Phobien enthoben werden, indem ich zunehmend größere Krabbeltiere auf meine Hand gesetzt bekomme, die Heinz höchstpersönlich zu diesem Behufe anschleppt. „Schneck, ich hab da was für dich!“, flötet er, als er mit der Monstermantis vom Waschhaus kommt. Huuuh, oh Schreck, ist die groß - und grün! Nun, die Therapie zeigt zwar mittlerweile durchaus Wirkung, aber dieses Insekt ist so riesig, dass ich mich nicht überwinden kann, es auf meine Finger krabbeln zu lassen. Zumal Heinz es auf seinem ebenfalls giftgrünen Reisegeldbeutel herbeigetragen hat - und sich standhaft weigert, selbst in Hautkontakt mit dem Beter-Teil zu treten... Schließlich haben wir beide schon Filmberichte gesehen, in denen Gottesanbeterinnen dieser Größenordnung selbst wohlgenährte, rundliche Großmäuse einfach so dahinmeuchelten. Respektvoll setzt Heinz die grüne Schönheit in unser aller Sinne also auf einen Baumstamm und wir genießen unser Frühstück - unter den wachsamen Facettenblicken des räuberischen Gigainsekts. Unbeschadet überstehen wir – und die Gottesanbeterin - das frühe Mahl und machen uns anschließend alle vom Acker: die Mantis entfleucht unbemerkt in die unendlichen Jagdgründe der dichten Buschumgebung, wir hingegen streben, nach dem Abbau unseres Lagers, der Rezeption zu. Während Annette dort die Bezahlung regelt, büxen Heinz und ich in den benachbarten Andenkenshop aus, der genau die Versprechen hält, die er gestern Abend in diffusem Heimgehlicht verhieß; Souvenirs über Souvenirs - und noch dazu von der Sorte, die unsereiner wirklich gerne erwirbt.

Frühstück auf Thakadu
Mantis vor der Linse
Mantis auf Geldbörse










Annette zahlt also für vergangenes Schlafen, als wir bereits für die stilvolle Zukunft unserer Wohnatmosphäre Erinnerungsdeko einmarkten: ein geschnitztes Erdmännchen, sehr nett, aber eher durchschnittlich. Ein Brautgeschenk aus Mosambik in Form einer in zwei Hälften geteilten Kokosschale - mit Kopf und Armen, mit bunten Glasperlenketten geschmückt, einem gemusterten Kopftüchlein auf dem Haupt. Sehr speziell, sehr zerbrechlich und recht schwierig zu transportieren - aber so schön und geradezu unwiderstehlich. Und dann noch zwei erdferkelförmige Perlenskulpturen, ebenso ungewöhnlich und unwiderstehlich. Heinz und ich haben den Laden soeben von allen wirklich interessanten Souvenirs befreit, als Annette herbeieilt und gerne auch noch was abhätte. Speziell auf eines der beiden Erdferkel hatte sie es abgesehen. Das wußte ich aber nicht und habe ihr nun Minuten zuvor beide vorhandenen Exemplare quasi vor der Nase weggekauft. Jetzt kann sie leider nur noch bedauernd zusehen, wie die Shoplady beide Aardvarks in Zeitungspapier wickelt und mir strahlend überreicht. Ich strahle nicht weniger, auch wenn mir Annette fast ein wenig leid tut. Aber eben nur fast und nur ein klein bisschen - zu sehr bin ich in die beiden Perlentiere verliebt. Und nichts in der Welt könnte mich dazu bewegen, eines davon an Annette abzutreten. Ferkel Eins ist nämlich schon fest gebucht, als Deko in meiner Wohnung zu arbeiten, Ferkel Zwei werde ich in die liebevollen Hände meiner Mutter übergeben, deren Entzücken ich bereits förmlich vor mir sehe - und so bleibt wenigstens alles in der Familie… Jochen hingegen sieht meinen Wegschnappkauf mit gewisser Erleichterung, denn die holde Gattin schleppt, zumindest für seinen Geschmack, ohnehin immer zu viel Tand und Nippes mit nach Hause. Aber so sind wir eben, wir Hüterinnen der behaglichen Wohnlichkeit!

Mein Kokos-Weiblein
Thakadu: Aarvark-Restaurant
Plocepasser mahali










So, nun ist aber genug geshoppt, es wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen, der heute wieder mal ein langer sein wird. Zärtlich bette ich meine Neuerwerbungen ins Auto, wir boarden und fahren los. Nach vielen schnurgeraden und ereignislosen Kilometern erregt plötzlich ein Gegenstand in der Mitte der Fahrbahn unsere Aufmerksamkeit. Das einzig Gute an diesen brettebenen Endlosstraßen ist, dass man Hindernisse der erhabenen Art, und seien sie auch noch so klein, bereits von Weitem sehen und sich folglich langsam nähern kann. Auch wir bremsen nun etwas runter und tasten uns auf das komische Häufchen zu, das beim Näherkommen allmählich ein schwarz-weißes Streifenmuster offenbart. Mhm, das ist wohl kein zerfleddertes Reifenstück und wohl auch kein Schal, denn es flattert nicht, als auf der anderen Straßenseite ein Personenwagen mit hohem Tempo vorbeibrettert. Als wir gerade abseits des Teerbelags unser Auto zum Stehen bringen, quietschen auch die Bremsen des gerade Entgegengekommenen, er wendet und hält schließlich ebenfalls, genau wie wir, auf Höhe des gestreiften Teils, das sich in der Folge als Zebrakobra entpuppt. Vorsichtig nähern wir uns der Schlange. Man kann ja nicht sicher sein, ob sie wirklich tot ist oder sich nur auf dem Teerbelag sonnt. Vor einer Schlange dieser Größe und Giftigkeit sollte man sich auf jeden Fall in Acht nehmen, auch wenn sie benommen oder verletzt ist.

Kein Borussia-Schal...
Road kill: Naja anchietae
Abzweigung zum Tsau Gate










Doch nein, so sehen wir recht schnell, das arme Tier nimmt kein Sonnenbad (mehr) - eine tiefe Verletzung direkt hinter dem Kopf legt den Verdacht nahe, dass es das Leben unter den Reifen eines vorbeikommenden Autos ausgehaucht hat. Überprüfen jedoch können wir das nicht mehr, denn auf der Gegenspur rast soeben ein silberner Mercedes heran, macht auf der Höhe der Schlange einen absichtlichen Schlenker, lässt dabei den gestreiften Roadkill meterhoch durch die Luft wirbeln und uns alle ziemlich erschrocken und fassungslos aus der Wäsche schauen. Was war denn das für ein Idiot? Jedenfalls einer, der offensichtlich tierische Freude daran hatte, uns einen gehörigen Schreck zu versetzen und gleichzeitig den aufregenden Fund zu vermiesen. Auch das Pärchen, das für die Schlange gewendet hatte, hat nur ein ungläubiges Kopfschütteln für den mutwilligen Raser übrig. Doch der ist weg, wie auch die Schlange, fortgeschleudert in das unübersichtliche Gebüsch und hohe Gras am Straßenrand. Und da müssen wir sicher nicht hinterher! Bedauernd und hoffend, dass das Reptil wirklich tot ist, klettern wir also schulterzuckend wieder ins Auto und setzen unsere Fahrt fort.

Auf diesen weiterhin schnurgeraden Kilometern erinnere ich mich plötzlich an einen Namibier namens Richard, den ich auf einer meiner ersten Afrikareisen in Windhoek kennengelernt hatte und der mir eine Geschichte erzählt hatte. Er war Party-Gast auf einer Farm, weit außerhalb der Stadt. Nach feuchtfröhlichen Stunden des Feierns bezog er, zusammen mit anderen Gästen, seinen Schlafplatz in einer gemütlichen Scheune auf dem Farmgelände. Lange lag er wach und versuchte, sein Alkoholkarussell in den Griff zu bekommen, erlag diesem aber schließlich und wankte vor das Scheunentor, um sich dort gründlich auszukotzen. Danach fühlte er sich deutlich besser und kroch wieder in seinen immer noch lauwarmen Schlafsack. Beim Reinkriechen jedoch durchfuhr ihn plötzlich ein heftiger Schmerz an der Hand, er schrie auf, tastete nach dem Schalter seiner Stirnlampe, die er aufbehalten hatte und sah in deren Schein eine schwarz-weiß gestreifte Schlange verschwinden… Eine Zebrakobra hatte ihn soeben in die Hand gebissen! Umgehend wurde er von Freunden ins weit entfernte Krankenhaus gebracht, dort behandelt und er überlebte. Acht Monate war dieser Zwischenfall damals her, als ich Richard kennenlernte, doch er litt noch immer unter den Folgen der Schlangenbegegnung: das injizierte Gift tat, auch Monate danach, noch immer seine Wirkung. Zwar wurde ihm recht bald nach dem Biss  Serum gespritzt, sein Kreislauf erfolgreich stabilisiert und alles schien gut, doch die Ärzte warnten ihn vor den zu erwartenden Folgen des starken Gifts der Schlange. Und diese ließen auch nicht lange auf sich warten. Zum Beweis reckte mir Richard die betroffene Hand entgegen, von der mittlerweile bereits Ring- und Mittelfinger entfernt wurden, wie auch ein großzügiger Gewebekeil aus dem Unterarm, bis zum Ellbogen hinauf. „Und demnächst geht's weiter mit Rausschneiden und Amputieren!“, sagte Richard, als er mir eine pralle blaurote Wurst unter die Nase hielt, die mal sein Zeigefinger war. Die neurotoxische Wirkung des Schlangenbisses also hatte er durch die Erstbehandlung gut überstanden, die gewebezerstörende hingegen war immer noch aktiv – und das auf unabsehbare Zeit. Schauderhaft, grauenvoll und eine deutliche Warnung an alle, die einen Schlangenbiss auf die leichte Schulter nehmen - Serum gespritzt, alles gut; das ist in vielen Fällen ein Trugschluss, eine Augenwischerei. Denn der Begriff „Überleben“ bedient lediglich die Statistik, nicht aber das eventuell leidensvolle Fortbestehen des betroffenen Individuums.

Die Gedanken an Richard und wie es ihm wohl heute gehen mag, beschäftigen mich lange und lassen die langweilige Strecke an mir vorüberziehen. Zumindest so lange, bis uns mitten im Nirgendwo die Abzweigung Richtung Central Kalahari Game Reserve, Richtung Tsau Gate, scharf nach rechts lenkt. Doch die linealförmige Wegführung setzt sich auch nach dem Abbiegen unverändert fort. Einziger Unterschied: wir haben jetzt Sand unter den Reifen und einen Veterinärzaun zu unserer Rechten, in dem wir leider immer wieder Tierleichen entdecken müssen. Springböcke, Oryxantilopen, das sind die am häufigsten zu findenden Kadaver, aber wir sehen auch ein totes Steinböckchen und mehrere kleine, nicht mehr identifizierbare, weil bereits skelettierte Überbleibsel tierischen Lebens, das Selbiges qualvoll im Zaun aushauchen musste. Zäune, die erbaut wurden, um das Weidevieh vor den Erkrankungen der Wildtiere zu schützen. Gerne wird auch mal, je nach Gesprächspartner, das Umgekehrte behauptet - doch jeder, der hier öfter und interessiert unterwegs ist, weiß, dass diese Argumentations-Variante jeglicher praktischen Grundlage entbehrt. Es ist der selbe Quatsch, der beim Aufflackern der Vogelgrippe gerne verbreitet wurde: man hatte dankbarerweise irgendeine arme Wildente ausfindig gemacht, die das Virus nachweislich in sich trug und schon wurde sie zum Epizentrum des Seuchenausbruchs hochstilisiert. Dass sie jedoch, eher naheliegend, auf einem verschissenen Mastgeflügelhof Station gemacht und sich dabei auf dem Misthaufen infiziert hatte, verschweigt man lieber. Der Verbraucher ist ja extrem sensibel. Trotzdem präferiert der geneigte Konsument eher das günstige Fleisch, das er stets „für gut“ verzehrt und macht sich vor, es wäre lückenlos und akribisch kontrolliert. Und der Produzent manipuliert diesen hochkommerziellen Zug, auf den der Fleischkunde so gutgläubig und gerne aufspringt, zu aller Beteiligten Vorteil - angeblich. Im Endeffekt aber sieht es so aus: das Wildtier wird zum Verursacher und Überträger des Übels deklariert, wird getötet, geopfert, der Verbraucher zahlt und wird seinerseits gründlich verarscht, der Tierproduzent hingegen heimst seinen Gewinn auf Kosten der beiden anderen Parteien ein. So ist es auch hier. Riesige Rinderfarmen rund um die Zentralkalahari entlutschen dem kargen, aber geschmackgebenden Boden ein Maximum an Fleischvieh. Um diese Herden und deren Nahrungsgrundlagen zusammenzuhalten, werden Zäune gebaut, kilometerlange, hunderte von Kilometern lange Zäune. Ja, die verhindern die Verbreitung von Seuchen, hin wie her, aber das Wild ist definitiv der haushohe Verlierer dabei. Seiner natürlichen Wanderrouten beraubt, muss es sich mit geringeren Nahrungsressourcen zufrieden geben und die Bestandszahlen passen sich zwangsweise daran an, indem sie sich deutlich verkleinern. Schlimm genug, aber dennoch eine Art der in der heutigen Welt einzig möglichen Anpassung. Richtig schlimm wird es jedoch, wenn Panik bei einem Wildtier aufkommt, wenn es fliehen muss oder wirklich Todesnot leidet - dann stirbt es aufgrund dieses meist unüberwindlichen Hindernisses: es verdurstet, verhungert oder verfängt sich in den gnadenlosen Maschen des angeblich so nutzbringenden Zauns...

Immer an dem Zaun lang
Unbekannt
Dactyloctenium aegyptium










Tja, und diese Opfer des Vet-Zauns müssen nun leider herhalten, uns eine gewisse, wenn auch nicht sehr schöne Abwechslung zu kredenzen. Unser Mitleiden und unsere Empörung aber schaffen es tatsächlich, den langen Weg bis zum Eingangs-Gate in die offizielle Zentralkalahari gefühlsmäßig etwas abzukürzen. Kein Trost, keine Entschädigung für die verendeten Tiere, das ist klar, dennoch verleiht es dem Tod zumindest einen mikroskopisch kleinen, menschentröstlichen Sinn. Man muss es sich halt schönreden, wenn man Zeuge solchen Elends wird und, zu allem Überfluss, auch noch selbst daran beteiligt ist - unsere Schuld als Mensch kann uns halt niemand abnehmen.

Ankunft am Gate
Schrecken am Zaun
Erlangea misera (?)










So also streben wir schuldigen Menschen, die wir nur die Weite unberührter Natur erleben wollen, dem Gate entgegen, erreichen es schließlich auch und reisen ein in unsere ersehnte heile Wunderwelt der zentralen Kalahari. Rasch sind die üblichen Formalitäten erledigt und wir sind drin, im CKGR. Nun könnte man meinen, mit dem Passieren des Gates umfänge einen plötzlich und übergangslos der gewünschte Naturtraum - doch ganz so ist es natürlich nicht. Denn lange Zeit noch begleitet uns der vermaledeite Zaun, diesmal zu unserer Linken. Viel Unterschied macht das zunächst auch faktisch nicht, trotzdem aber empfinden wir eine Art von Hochgefühl, weil wir endlich einen weiteren Ort erreicht haben, der auf unserer Reiseziel-Traumliste stets ganz oben steht. Und so sehen wir uns endlich auch wieder in der Lage, die Schönheiten und Schmankerl dieser Landschaft zu genießen. Eine Vielzahl kalaharitypischer, bunter Blühpflanzen am Wegesrand erfreut unsere Sinne, genau so wie eine schiere Invasion dickbäuchiger Sattelschrecken, die zu Hunderten und Aberhunderten die dünnen Oberdrähte des Zauns bevölkern. Wir fühlen uns wieder angekommen! Und mit einem Male nehmen wir uns deswegen auch wieder Zeit. Zeit, die erforderlich ist, die Einzigartigkeit dieses Landstrichs wirklich entdecken zu können. Obwohl mich dieses rasche Umschalten unsererseits durchaus befremdet, erfreut mich das zu Sehende umso mehr, erst recht, als wir endlich scharf rechts abbiegen müssen und den Zaun hinter uns lassen können. Hier können unsere Augen nun ungehindert schweifen! Wenn sie denn könnten. Denn je weiter wir in den Park vordringen, desto verbuschter präsentiert sich uns die Landschaft - was das Schweifen des Blicks erheblich erschwert. Darauf hatte ich mich zwar seelisch vorbereitet, zumal diese Landschaftsform typisch für weite Gebiete der nördlichen Zentralkalahari ist, dennoch bin ich jetzt etwas enttäuscht. Aber es besteht ja durchaus noch Hoffnung für den ersehnten Abschluss des heutigen Tages, denn unser eigentliches Ziel ist die Motopi Pan. Eine Pan, eine Salzpfanne, zählt zu den weiteren typischen Erscheinungsbildern der Kalahari und verheisst Weite, denn auf den salzhaltigen Böden der Pfannen gedeihen keinerlei Pflanzen. Dafür aber sammelt sich auf diesen vegetationslosen Flächen gerne das Wild und darauf hoffe ich jetzt. Allerdings muss ich mich überraschen lassen, denn wir besuchen Motopi zum ersten Mal und haben keine Ahnung, wie es dort wirklich aussieht, beziehungsweise wo genau unsere gebuchte Campsite liegt.



















Gespannt ötteln wir durch den Busch, aktivieren unser GPS-Gerät, um auch den richtigen Platz zu finden, doch das verbuschte Gelände will nicht weichen. Auch nicht, als unsere aktuellen Koordinaten schon fast mit denen des Ziels übereinstimmen. Zwar staubt es seit geraumer Zeit gipsfein unter unseren Reifen - ein deutliches Indiz, dass wir uns auf Pfannenboden bewegen, doch es buscht und buscht und buscht. Dann endlich, das GPS steht auf Ziel, finden wir die Einfahrt zur heutigen Campsite, die auf normalem Wege kaum zu finden ist, denn sie ist, ohjeh, von dichtem Buschwerk umgeben! Ein paar Meter noch kurven wir die schmale Zufahrt entlang, sind einfach nur noch froh, in wenigen Sekunden den langen Fahrtag beenden zu können, als uns die nächste „freudige“ Überraschung empfängt. Da stehen zwei Autos, zwei Zelte und vier Personen auf unserem gebuchten Platz und blicken uns ohne Begeisterung entgegen. Ach nö! Nicht das auch noch! Höchst genervt steigen wir aus und grüßen die Platzbesetzer, die sich dankbarerweise ihrer Untat bewußt sind. Es ist eine südafrikanische Familie; Eltern mit einer fast erwachsenen Tochter, begleitet vom Freund des Mädls, die sich hier auf gut Glück niedergelassen und nicht damit gerechnet hatten, in dieser entlegenen Gegend doch noch auf rechtmäßige Buchungsgäste zu treffen. Wir sind froh, dass die vier ohne Streitereien das Feld, oder besser gesagt den Busch räumen wollen, doch erst mal müssen wir dazu unser Auto aus der schlauchartigen Zufahrt zurückrangieren, um dann abzuwarten, bis die vier ihren weit ausgebreiteten Ausrüstungswahnsinn in qualvoller Langsamkeit gepackt haben. Endlos werden Wäscheleinen aus den Ästen gepflückt und sorgfältig aufgerollt, Bettzeug wird liebevoll geschüttelt und anschließend in Tragetaschen verpackt, die ausklappbare Trailerküche erst mal grundgepflegt, bevor sie im Anhänger verschwindet, zwei Zelte werden akribisch abgebaut und gerollt, dann folgen weitere Accessoires, die alle ihren Platz finden wollen. Wir hätten unseren Platz ja bereits gefunden, allein er wird nicht frei...

Kudubock
Raphicerus campestris
Da ist ’ne Agame im Busch!










Nach einer Stunde ist es dann doch geschafft, die Südafrikaner räumen zitronigen Gesichts das Feld und wir können uns, wenn auch nur für eine Nacht, endlich häuslich einrichten. Eine Nacht, die übrigens schon am Hereindämmern ist... Gerade noch so schaffen wir unseren Lageraufbau, dann machen wir uns im beginnenden Sonnenuntergang auf die Suche nach der eigentlichen Pfanne. Wir finden sie tatsächlich, doch das weiße Auge liegt wie ausgestorben vor uns. Oh mann, das hatten wir uns anders vorgestellt! Nichtsdestotrotz streckt der stille Zauber der Kalahari seine Finger nach uns aus. Wir werden Zeugen eines zart-pastelligen Sonnenuntergangs, der so unspektakulär ist, dass er uns mit seiner vorsichtigen Kreidigkeit wohlig umfängt, wir sehen müde Vögel in ihre Schlafbäume fliegen, wir hören die Geräusche der beginnenden Nacht und wir werden, zurück auf unserer Campsite, von einem perfekten Vollmond empfangen. Während wir unser Abendessen zubereiten, zieht die blass leuchtende Scheibe des Mondes über uns hinweg und taucht die eigentlich reizlose, verbuschte Umgebung in spannendes Licht. Hier und da raschelt es im Gebüsch, ein Ast knackt, es ist irgendwie heimelig - so heimelig, dass auch wir bald knacken, eingehüllt in unsere kuscheligen Schlafsäcke...


Weitere Impressionen des Tages:

Alien? Buntschrecke!
Zonocerus elegans
Flinke Spinne










Rhinoptilus africanus
Kududame
Mitreisender Käfer










Schöne Landschaft
Tolle Stimmung
Aber nix los...










Quietschgrüne Schrecke
Grünmarmorierte Wanze










Thakadu-Restaurant
Nicht zu nahe ran...
Die Monstermantis
Kurze Pause

Donnerstag, 8. Januar 2015

28. März 2013, Windhoek, Urban Camp > Ghanzi, Thakadu Camp, Botswana

Nur widerwillig krabbeln wir nach einer zwischenfallsfreien Nacht frühmorgens aus unseren Zelten, frühstücken leidenschaftslos, packen zusammen und machen uns anschließend auf den langen Weg nach Ghanzi. Sobald wir aus Windhoek raus sind, fräst sich die Straße beinahe schnurgerade durch eine relativ eintönige Landschaft, die Kilometer ziehen sich und Heinz und ich hängen unseren Gedanken nach. Schwelgende Gedanken über bereits Gesehenes, wehmütige Gedanken über das Verlassen unserer Lieblings-Vegetationszone, aber auch vorfreudige Gedanken an das Kommende. Wenn es denn dann mal kommt... Bis dahin aber müssen wir noch ein bisschen warten, diverse Kaugummi-Kilometer ertragen, einen Einkauf erledigen und einen Grenzübergang meistern. Doch eines nach dem anderen...

Schönheiten...
...am Parkplatz
Commicarpus pentandrus










Die Landschaft also zieht vorüber, doch jeder von uns nimmt sie anders wahr (oder eben auch nicht): Jochen fährt konzentriert, Annette grübelt über der Einkaufsliste, Heinz schläft und ich bohre meinen Blick bedauernd in die zunehmend verbuschte Landschaft, die, bis auf ein paar bunte Blüten-Farbtupfer, recht uninteressant erscheint. Aber nur so lange, bis wir kurz vor Gobabis zu einer Pinkelpause anhalten. Der Parkplatz bietet das gewohnte Bild einer Mini-Müllhalde, auf der wir uns deshalb auch nur kurz die Füße vertreten; Jochen streckt seinen vom Fahren verkrampften Körper, Annette legt zufrieden die Einkaufsliste beiseite, Heinz schüttelt sich den Schlaf aus den Gliedern und ich - ich verschwinde in der Botanik, denn bei näherem Hinsehen zeigen sich auch hier wunderschöne Pflanzen. Es grenzt fast an ein Wunder, was da alles seine Triebe und Blüten aus Glasscherben und Chipstüten reckt! Lange ist mir das Vergnügen einer botanischen Kleinexkursion allerdings nicht gegönnt, denn meine Reisegenossen, frisch gereckt, gestreckt und blasenentleert, drängen auf Weiterfahrt. Und ja, sie haben recht, schließlich haben wir noch einiges zu erledigen. Also klettere ich wieder ins Auto und wir kurven auf das bereits sichtbare Gobabis zu, wo wir, mal wieder, einkaufen müssen. Nach wenigen Minuten erreichen wir das Zentrum der zirka neunzehntausend Einwohner zählenden Stadt und stürzen uns in den dort herrschenden Trubel. Ein Trubel, der angesichts der Größe dieses Städtchens wirklich erstaunlich ist: rushhourartiger Verkehr, wimmelnde Passanten, Gedränge vor vielen Geschäften, Karawanen von schwer schleppenden Frauen, Gehupe, Geschrei, Abgaswolken. Sieht man aber auf die Landkarte, verwundert das rege Treiben nicht; Gobabis ist hier, diesseits der namibisch-botswanischen Grenze, der einzig größere Ort im (halben) Umkreis von 200 Kilometern und somit auch die kommerzielle Drehscheibe der Region Omaheke. Und durch diesen Ameisenhaufen bahnen wir uns nun unseren Weg, um uns schließlich in eine schmale Parklücke in einiger Entfernung des örtlichen Supermarkts zu quetschen – die einzig freie übrigens.

Streetlife Gobabis
Beliebter Personentransporter
Man kennt sich!










Unsere beiden Freunde begeben sich sofort mit der aktualisierten Liste in das gut besuchte Geschäft, während Heinz und ich mal wieder auf unser Auto nebst seiner kostbaren Fracht aufpassen. Diesmal ist der Wachhundjob allerdings ein wahres Vergnügen, denn der Ort verwöhnt uns mit ständig wechselnden Bildern und kleinen Alltagsgeschichten. Eine junge Frau mit Lockenwicklern im Kraushaar überquert die Fahrbahn, ein kleines Mädchen quengelt seine Mutter an, die offenbar etwas Begehrenswertes in der Einkaufstüte mit sich führt, bekommt aber nichts und verfällt daraufhin in trotziges Kreischen. Hererofrauen in bunten, viellagigen Kleidern und steifen Kopftüchern schreiten gemessenen Schrittes die Straße herab und bilden wundervolle Farbkontraste zu den bunt gestrichenen Hausfassaden, ein Pickup transportiert eine Schar fröhlicher Passagiere, die offenbar jeden zweiten Einwohner Gobabis’ kennen und folglich auch grüßen, zwei Frauen geraten sich schreiend in die Haare, weil die eine der anderen mit dem Einkaufswagen in die Hacken gefahren ist. In vollen Zügen genießen Heinz und ich dieses quirlige Streetlife der kleinen afrikanischen Stadt und fühlen uns blendend unterhalten.



















So gut, dass die Zeit wie im Fluge vergeht und wir fast erstaunt sind, als Annette und Jochen mit den Einkäufen wiederkehren - nach über einer Stunde, die sich wie zwanzig Minuten anfühlte. Rasch schlichten wir die neu erworbenen Fressalien und Getränke ins Auto, steigen ein und verlassen Gobabis, um eineinhalb Stunden später den Grenzübergang nach Botswana zu erreichen. Die Grenzformalitäten sind auf beiden Seiten schnell erledigt und wir können den restlichen Streckenabschnitt nach Ghanzi in Angriff nehmen, ein Streckenabschnitt, der uns bald wieder mit seiner Ereignislosigkeit einlullt. Die Kilometer ziehen sich; nicht mal ein kleiner Regenschauer, der mit heftigem Prasseln auf unser Autodach herabpladdert, ist in der Lage, uns aus dieser drögen Fahrlethargie zu reissen. Meine Güte, ist das öde! Dabei haben wir dieses Jahr wirklich gut und großzügig geplant, in möglichst kurze Etappen unterteilt und lange Fahrtage so weit wie irgend möglich vermieden. Doch hin und wieder blieb uns dabei eine größere Strecke eben nicht erspart - Afrika ist halt nicht das Saarland... Doch schließlich haben wir auch diese Monsteretappe endlich hinter uns gebracht und passieren das Thakadu Camp, das etwas außerhalb der Ghanzis liegt. Bedauernd werfen wir im Vorbeifahren einen Blick auf die Einfahrt des Camps, in dem wir heute übernachten werden, raffen uns aber dennoch tapfer zum letzten Akt des Tages auf: rein nach Ghanzi, etwas Bargeld am Automaten ziehen und anschließend noch tanken.

Die Grenze ist nah
und noch näher
Regen zieht auf










Es ist schon früher Abend und Ghanzis Straßen sind dicht gesäumt von Trauben herumsitzender und -stehender Menschen, die offenbar ihr Tagwerk in der Stadt hinter sich gebracht haben und nun auf eine Mitfahrgelegenheit hinaus aufs Land warten. Mit afrikanischer Ruhe harren sie der kleinen Minibusse, die irgendwann des Weges kommen und Passagiere aufnehmen, so lange, bis keiner mehr rein geht. Fahrpläne gibt es natürlich nicht, die Busse sind auch nicht mit Fahrzielen beschriftet und mir ist es nach wie vor ein Rätsel, wie man hier zielgerichtet von A nach B kommt - und das auch noch mit entspannter Geduld und einem Lächeln auf den Lippen. Wenn ich da an München und sein hervorragendes öffentliches Verkehrssystem denke: alles flutscht, alles klappt meist wie am Schnürchen und trotzdem sieht man nur verkniffene Gesichter. Da könnten wir uns mal ein Scheibchen von der Gelassenheit der Afrikaner abschneiden! Vor allen Dingen dann, wenn mal wieder eine Bahn drei oder vier Minuten Verspätung hat...

Ghanzi Streetlife
Warten auf den Bus
Auch hier wird gewartet










Ebenfalls drei oder vier Minuten später erreichen wir dann auch schon den Parkplatz der örtlichen Shopping-Mall, auf deren Gelände es unter anderem einen Bargeld-Automaten gibt, den wir nun dringend melken müssen. Auf dem großen Parkplatz vor der Mall herrscht reges Treiben, aber von Gelassenheit ist hier nichts mehr zu spüren. Es wimmelt, es wuselt, es rangieren die Autos, die Fahrer hupen und schimpfen und man sieht mit einem Male viele verkniffene Gesichter. Umso beherzter steuert Jochen unseren Wagen in das Getümmel und versucht, einen Parkplatz zu ergattern, so nahe am Geldautomaten wie irgend möglich. Ein weises Vorhaben, wie sich sogleich zeigt: denn kaum haben wir angehalten, sind wir auch schon von bettelnden Kindern und Männern umringt, die äußerst aufdringlich sind und nicht mal davor zurückscheuen, unsere Autotüren von außen zu öffnen, um uns ihre Hände fordernd unter die Nasen halten zu können. Normalerweise versuche ich, auf so etwas gelassen und verständnisvoll zu reagieren, indem ich mir meinen relativen Wohlstand vor Augen führe, einen Wohlstand, den ich persönlich im gemäßigten Mittelstand sehe, der für andere aber durchaus als steinreich rüberkommen mag. Natürlich bin alles andere als steinreich, gebe jedoch durchaus gerne mal was ab. Nicht aber, wenn man mich derart bedrängt; Not hin oder her. Es gibt gewisse Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen - und dazu zählt für mich eben auch ein ungefragtes Eindringen in meinen persönlichen Schutzraum. In diesem Falle ist es das Auto, dessen geschlossene Tür von einer mir völlig fremden Person einfach so aufgemacht wird, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Hallo!? Ich knalle die Türe wieder zu, drücke den Absperrknopf und drehe mich demonstrativ weg. Wie bei einem Carambolage-Spiel beobachte ich nun über eine Spiegelung im Fenster, die sich im rechten Außenspiegel wie ein Film abspult, die rein gestische Verständigung der Bettelnden, die uns nach wie vor umringen: „Hier geht nix, geh du rüber auf die andere Seite, da ist noch offen. Schnell, mach schon! Pah, zu langsam!“ Heinz nämlich hat die Tür mittlerweile auch verriegelt... Und nun folgt etwas, was mir, trotz meines sonstigen Verständnisses, recht gibt: der Typ, der meine Tür geöffnet hatte, dabei gescheitert war und nun seinen Kollegen, trotz deutlicher Aufforderung seinerseits, ebenfalls scheitern sieht, hechtet um das Heck unseres Wagens herum und schlägt den Loser mit der flachen Hand demonstrativ ins Gesicht – uns stets im Auge behaltend - und schreit ihn zusammen. Ah, man setzt also auf unser Mitleid und Schuldgefühl, indem man denjenigen misshandelt, dem wir nichts gegeben haben! Interessant und höchst aufschlussreich! Der Gedemütigte seinerseits jedoch, ein paar Jahre jünger als sein Aggressor und noch nicht ganz spielsicher, steckt die Watsche hinnehmend ein, schüttelt sich und verweist mit einer leichten Kopfdrehung und mit deutlich richtungsweisend hochgezogener Augenbraue auf ein neu hinzugekommenes Auto, in dem offenbar vielversprechendere Opfer sitzen, als wir das sind. Effektiv und durchaus eindrucksvoll, aber darauf falle ich nicht herein!

Denn ähnliche, fast theaterreife Spielfreude kenne ich bereits aus meiner Heimatstadt, die von südlichen Ex-Ostblock-Fordernden überflutet wird - um das mal politisch einigermaßen korrekt auszudrücken. Auch dort konnte ich Vergleichbares beobachten: ein augenscheinlich bemitleidenswerter junger Mann saß Tag für Tag auf dem Kontaktblech der Rolltreppe, die ich fast jeden Morgen zur selben Zeit aus der U-Bahn nach oben komme. Er jammerte mich an, reckte mir seine Beine angelegentlich, aber penetrant fordernd in den Weg, legte es auf eine Konfrontation Aug’ in Aug’ an. Er zwang mich mit seinem Gebrabbel, Gejammer und Gestöhne, ihm direkt in die Augen zu sehen, wich meinem Blick jedoch in demütiger Manier aus, wenn ich den seinen fixierte. Nun dachte ich bis dato immer, der Typ sei halt einfach eine arme Sau, die gehbehindert, mit Krücken einherhumpelt, und keine andere Möglichkeit hat, als andere, Wohlhabendere anzuflehen.

Doch weit gefehlt: eines Tages, ich stand gerade am Zeitungskasten und überflog die Schlagzeilen, kam eine junge, sommerlich-adrett gekleidete Frau des Weges und steuerte winkend auf den Bettler zu. Der starrte sie an, sprang auf und stürzte erbost auf sie zu. Dann schrie er sie an, zwang sie, ihre Flipflops auszuziehen und zerrte sie barfüßig mehrmals durch den Rinnstein. Anschließend riss er ihr T-Shirt aus dem Rockbund, verstrubbelte ihre wohlfrisierten Haare, ging ein paar Schritte zurück und betrachtete zufrieden sein Werk. Die Frau sah ihn fragend an, er nickte, sie reckte den Daumen nach oben und verschwand pfeifend in der nächsten Querstraße, um ihr Tagwerk frisch gestylt andernorts zu beginnen. Der maskenbildnerische Bettler hingegen strebte erneut seinem Kontaktblech zu, bemerkte dabei aber, dass ich die ganze Aktion beobachtet hatte. Nun versuchte er zu retten, was zu retten war, fing augenblicklich wieder an zu hinken und erklärte jammernd: „Tochter! Nix gutt, immer Ärgär!“. Als ich dazu nur den Kopf schüttelte, drohte er mir mit der Faust und beschimpfte mich lautstark…

Und so ähnlich mutet das Gebaren der Bettler hier in Ghanzi auch an: sie schleichen hoffnungslosen Blicks über den Parkplatz, werden aber, sobald sie sich unbeobachtet fühlen, zu agilen Individuen, die ihre Aktionen zielgerichtet abgleichen und nicht davor zurückschrecken, sich gegenseitig zu misshandeln, nur um die Wohlhabenderen erfolgreich abzuzocken. Apropos wohlhabend: mein Münchner Bettler klapperte abends regelmäßig die umliegenden Lokale ab, um sich seinen Tagesverdienst von durchschnittlich hundert Euro (steuerfrei) in Scheine wechseln zu lassen. Danach, so wurde mir aus glaubwürdiger Quelle berichtet, humpelte er mit seinen Krücken außer Sichtweite seines Arbeitsplatzes, klemmte sich die Gehhilfen unter den Arm und eilte lockeren Schrittes zu seinem Auto, das er in unauffälliger Entfernung geparkt hatte. Und ich könnte wetten, dass auf diesem Mall-Parkplatz ein vergleichbar unehrliches Spiel gespielt wird. Wenn nicht gar ein kriminelles. Denn als Annette aus dem Auto steigt und auf den Geldautomaten zugeht, löst sich sofort einer der jungen Männer aus der Gruppe und folgt ihr unauffällig. Doch Jochen signalisiert ihm deutlich, dass diese Aktion nicht unbemerkt blieb und stellt sich abschirmend hinter Annette. Daraufhin dreht der Typ schlendernd ab, wendet sich orientierungssuchend an seine Kumpanen und verfällt, sobald ihm das nächste Opfer zugewiesen wird, wieder in seine Rolle: hängende Schultern, hoffnungsloser, demütiger Blick und schleppender Gang.

Natürlich darf man die Situation im reichen München nicht mit der im afrikanischen Ghanzi vergleichen oder gar gleichsetzen, aber beides hinterlässt einen ähnlich schalen Nachgeschmack. Hier wie da wird einem etwas vorgespielt, gewollt unaufällig, aber dennoch für jeden aufmerksamen Beobachter offensichtlich. Ein Schauspiel, das von organisierten, professionell agierenden Bettlern aufgeführt wird und letztendlich rücksichtslos auf Kosten der wirklich Bedürftigen geht. Vielleicht sehe ich das Ganze zu undifferenziert, trotzdem aber bin ich froh, als wir endlich diesen Parkplatz wieder verlassen und aus Ghanzi City rausfahren können.

Am Stadtrand tanken wir rasch noch, bezahlen mit unseren frisch gezogenen Scheinen und begeben uns dann voller Vorfreude ins Thakadu Camp, wo wir eine Campsite vorgebucht haben. Wir passieren das Eingangsgate, kurven ein paar Kilometer durch dichten Busch und erreichen schließlich das Zentralgebäude der Guest Farm, das die Rezeption, ein Restaurant und einen Shop beherbergt. Schnell haben wir unsere Ankunft kundgetan und dürfen daraufhin auf das Campinggelände fahren, wo wir uns einen Platz nahe eines der Waschgebäude suchen und flugs unser Lager errichten. Erschöpft lassen wir uns dann in unsere Campingstühle sinken und lauschen den Geräuschen der anbrechenden Nacht. Große schwarze Käfer und dicke, haarige Spinnen umwuseln unsere Füße, schlaftrunkene Vögel zwitschern ihr letztes Lied des Tages, Grillen zirpen, wir entspannen uns - und haben Hunger. Annette beginnt im Auto herumzukramen und stellt schließlich die Frage, was wir denn kochen könnten. Kochen? Heute? Hier, wo es ein hervorragendes Restaurant gibt? Für Heinz und mich kommt das überhaupt nicht in Frage, schließlich freuen wir uns schon seit Monaten auf das Aardvark Restaurant auf Thakadu, das exzellente Küche bietet. Selbst kochen? Heute sicher nicht! Annette und Jochen sind zwar generell etwas sparsamer veranlagt als wir, lassen sich aber schnell von unserer Restaurant-Vision überzeugen und so stapfen wir mit unseren Stirnlampen bewaffnet voller Vorfreude durch die Dunkelheit des Camps. Bald leuchtet uns die illuminierte Veranda des Restaurants einladend entgegen, wir tappern die letzten Meter durch die Nacht und lassen uns schließlich an einem der letzten freien Tische des gut besuchten Gastbetriebs nieder. Erstaunlich, was in einem Restaurant mitten im Busch los sein kann! Doch hier ist es so gemütlich und es wird so hervorragend gekocht, dass es so erstaunlich dann doch nicht ist...

Anthia circumscripta
Toilettenbesucher Schrecke
Toilettenbesucher Spinne










Heinz und ich müssen übrigens erst gar nicht in die Karte sehen; wir wissen seit Monaten genau, was wir wollen - Straußencarpaccio als Vorspeise und danach ein medium-rare gebratenes Eland-Steak mit Beilage nach Wahl. Unsere Freunde hingegen brauchen etwas länger - die Auswahl ist einfach zu groß. Schließlich aber haben auch sie sich entschieden, wir bestellen und schwelgen bald darauf in unseren servierten Köstlichkeiten. Baaah, waaaah, mhhhhm, ist das lecker! Zartes Wildfleisch, köstlich zubereitet, freundlich serviert und höchst appetitlich angerichtet, schmackhaft, deliziös, einfach unwiderstehlich! Und was on top noch dazukommt: beim Speisen hat man Blick auf das campeigene, hell erleuchtete Wasserloch, an dem sich, sofern man Glück hat, allerlei Großgetier zum Trinken sammelt. Und wir haben Glück: eine Herde Eland-Antilopen senkt die Köpfe über der Quelle und wir thronen wie die Könige auf unserem Aussichtsbalkon, visuellen und geschmacklichen Höhepunkten erliegend. Oh Mann, geht's uns gut!

Nach diesem wundervollen Mahl - wir fühlen uns ungemein wohl und zugleich zutiefst ermattet - machen wir uns auf den Rückweg zu unserer Campsite. Dabei gehen wir hinter dem Restaurant vorbei und erspähen die kleine Auslage des angegliederten Shops. Natürlich hat dieser um die späte Uhrzeit schon geschlossen, aber das vom Lokal herüberscheinende Dämmerlicht enthüllt einige Kostbarkeiten, die wir uns morgen früh unbedingt nochmal genauer ansehen müssen! Doch jetzt ist erst mal Schlafenszeit, schließlich ist morgen wieder ordentlich Strecke angesagt - und auch, wenn dem nicht so wäre: wir sind soooo müde...


Weitere Impressionen des Tages:

Der müllige Parkplatz
Gobabis
Gobabis










Toilettenbesucher Gottesanbeterin
Perfekte Tarnung
Perfekter Sonnenuntergang










Hermbstaedtia sp.
Wassertrrm
Buntes Gedrängel
Lockenwicklerfrau