Freitag, 2. Mai 2014

20. März 2013, Potjiespram Campsite > Kokerboomkloof Campsite

Gut gelaunt und ausgeschlafen erwachen wir am frühen Morgen, krabbeln freudig aus unseren Zelten und finden uns zum Frühstück zusammen. Doch nicht nur wir freuen uns auf ein gemütliches Beisammensein, begleitet von kulinarischen Leckerbissen: während wir bereits genüsslich Kaffee trinken, bräunen diverse Toastscheiben auf der wieder entfachten Glut des gestrigen Abends appetitlich vor sich hin – und zwar unter den scharfen Blicken einiger Meerkatzen. Die kleinen Äffchen hatten sich leise angeschlichen und im umliegenden Gebüsch postiert, offenbar in der unsinnigen Hoffnung, wir würden sie nicht bemerken. Doch weit gefehlt; wir kennen unsere Pappenheimer sehr gut! Dennoch müssen wir alles an Wachsamkeit aufbieten, um die kleinen Diebe von ihren Beutezügen auf unseren Toast, unser Equipment und den Abfall abzuhalten. Sie sind so schnell, so geschickt, dass man sie nicht aus den Augen lassen darf. Die Meerkatzen begreifen jedoch bald, dass sie keine Chance gegen uns haben und ziehen frustriert schimpfend ab. Aber sicher nicht, ohne sich zu fragen, was sie falsch gemacht haben: mit erstaunt blinzelnden Augen nämlich haben sie durchaus wahrgenommen, dass wir die erneut aufgetauchte Frankolin-Familie großzügig mit Brosamen versorgen. Tja, ihr pelzigen Kleptomanen, dann denkt mal gründlich drüber nach!

Heinz und die Hühnchen
Francolinus capensis
Haariges Diebsvolk











Begleitet vom freundlichen Glucksen der rundlichen Hühnchen beenden wir schließlich, bar jeglicher unfreiwilliger Verluste, unser Frühstück und machen uns ans Aufräumen. In gewohnter Reihenfolge wird alles abgebaut und verstaut – Schlafequipment, Zelte, Stühle, Tisch. Übrig bleibt, wie immer, das Geschirr. Es muss noch gespült werden - und heute bin ich dran. Vorfreudig rühre ich mir einen Vorrats-Kaffee in meiner neu erworbenen Tasse an, stelle diese ins Auto und mache mich gleich darauf mit unserem Spülgut, gesammelt im faltbaren Camping-Becken, auf den Weg zum Waschhaus. Dieser führt durch eine schmale, freigeschlagene Gasse inmitten dichten Gebüschs, in dem nicht nur zahlreiche Vögel zuhause sind, sondern das durchaus auch noch andere Bewohner beherbergen könnte. Natürlich achte ich bei derartigen Gängen ganz besonders auf meine Umgebung, nehme Bewegungen besonders bewusst wahr und schaue genau, was da los ist. Alles okay, alles harmlos! Plötzlich aber tut sich etwas Ungewöhnliches: aufgeregtes, hektisches Flattern, angsterfülltes Fiepsen, grau-weiße Flitze-Blitze, zu Boden sinkende Federn. Ich brauche eine ganze Weile, bis ich voll erfasse, was genau hier geschieht, kann kaum mit den Augen folgen - aber schließlich offenbart sich das seltene Schauspiel! Es ist ein Fiskalwürger, der gerade hinter einem jugendlichen Nektarvogel her ist! Wie erstarrt bleibe ich stehen und rufe meine Reisegenossen herbei: „Schnell, kommt, seht euch das an! Jagd! Shrike gegen Sunbird!!!“ „Was?“, schallt es von hinten. „Kommt schnell!“, flüster-schreie ich.


 

Dokumentation eines unangekündigten Todes



Meine Freunde horchen auf, denn so atemlos quieke ich normalerweise nur, wenn mich ein größeres Insekt mit seinen menschenfressenden Kiefern bedroht. Heinz ist als erster zur Stelle, zunächst sehr besorgt, dann aber genauso fasziniert. Darauf folgen auch Annette und Jochen und sind ebenfalls gefesselt von diesem Anblick - ein Anblick, der einem vielleicht einmal im Leben vergönnt ist: ein juveniler Nektarvogel, braun-grau, mit bereits sichtbar blau-metallischer Federbrust, kämpft um sein Leben. Der Aggressor ist ein weiß-schwarzer Fiskalwürger, kaum größer als das Opfer. Aber der Würger weiß, was er will und lässt sich nicht davon abbringen. Mit unglaublich flinken Flugmanövern jagt er dem flüchtenden Jungvogel hinterher, powert ihn aus und versetzt ihm immer wieder schwächende Hiebe. Kaum lässt sich der Sunbird keuchend und benommen irgendwo nieder, ist der Würger schon zur Stelle, pickt erneut zu, hetzt sein Opfer weiter. Wir fiebern fasziniert mit: ach, der arme Nektarvogel; uih, ist der Würger schnell - wir sind hin und her gerissen. Doch bevor wir in der Lage sind, Partei zu ergreifen, ist es schon passiert: der Jäger war erfolgreich, direkt vor unseren Augen! Atemlos pumpend umfasst er das dünne, zerbrechliche Genick seines Opfers, dessen Kopf bereits schlaff nach unten hängt. Ein kurzes Durschschnaufen, ein schnelles Nachgreifen später, und fort ist der Würger. Mitsamt seiner Beute, die ihn beim Starten sichtlich Kraft kostet. Kaum aber ist er in der Luft, merkt man ihm das Gewicht fast nicht mehr an.

Der Würger war erfolgreich
Schwemmebene
Karge Berge am Oranje











Bitte zwicke uns jemand! War das gerade echt, ist es tatsächlich geschehen? Ja, so belegen unsere Aufnahmen, die jedoch nur einen Bruchteil dessen dokumentieren können, was wir soeben in voller Bandbreite erleben durften. Unfassbar! Aber nach dieser Beobachtung ist nun endlich auch für Annette und Jochen die aufgespießte Maus bei Spoeg River vom Hirngespinst zur glaubhaften Tatsache geworden.

Wie gebannt starren wir noch eine ganze Weile auf den Tatort, in der sinnlosen Erwartung, es könne sich dort Weiteres ereignen. Mit irgendeiner Übersprungsreaktion aber müssen wir das Geschehene, das Gesehene ja erst mal ein bisschen verarbeiten, oder? Schließlich lösen wir uns doch - ich gehe spülen, die anderen packen das Auto voll - aber jeder von uns hat dabei stets die flimmernden Bilder dieses Beutezugs vor Augen. Meine Güte, ein solches Erlebnis in dem von mir so ungeliebten Potjiespram - damit hätte ich nicht gerechnet! Dennoch bin ich froh, als wir, das Geschirr ordentlich gespült und getrocknet, dieses verbuschte Camp verlassen und nun die botanisch spannenden Regionen des Richtersveld Nationalparks ansteuern...

Botanische Öde
Landschaftliche Fülle
Hungrige Nama-Ziegen











Ein paar Kilometer geht es zunächst noch am Oranje entlang, bevor wir die Schwemmebene erreichen, die uns auf der letzten Tour so reichlich mit blühenden Hoodias beschenkt hatte. Heuer jedoch ist es viel trockener und, wie schon befürchtet, sieht man das auch deutlich: bis auf zahlreiche, sehr staubige Stachelwürste tut sich hier nichts. Halt, dass ich nicht lüge! Eine Ziegenherde durchquert gerade gemächlichen Trabs die Ebene und macht sich über alles her, was auch nur ansatzweise grün ist. In diesem Falle sind das zwar lediglich ein paar wenige Bäumchen, die recht niedrig gewachsen sind, ihr dürftiges Laub aber dennoch in einer Höhe tragen, die für die Ziegen fast unerreichbar ist. Fast. Denn man glaubt kaum, zu welchen Verrenkungen ein hungriger Hufträger fähig ist! Auf den Hinterbeinen balancierend, den Hals auf Giraffenlänge streckend, rupfen sie mit gespitzten Lippen das letzte bisschen Grün von den unteren Ästen. Ein besonders gieriges Zicklein versucht gar, den Rücken einer Artgenossin zu Erklimmen, scheitert jedoch an deren Gegenwehr und den eigenen, fehlenden Akrobatikfähigkeiten. Wir amüsieren uns köstlich. Gleichzeitig wird uns aber auch etwas mulmig, denn die Trockenheit ist so offensichtlich, dass wir fürchten, heuer vergeblich ins Richtersveld gekommen zu sein – zumindest, was unsere Pflanzenausbeute betrifft. Doch dieser einzigartige Nationalpark belehrt uns bald eines Besseren: hier gibt es immer etwas zu entdecken – und wenn es nur Gefühle sind...

Ceraria namaquensis
Blütenlose Hoodia
Schneckerl mit Steckerl ;-)











Natürlich hatte uns die letzte Tour mit strotzendem Leben verwöhnt - kurz zuvor fiel ausreichend Regen - und natürlich sind wir gerade ein wenig enttäuscht, da wir logischerweise Vergleiche ziehen: hier hatten die Hoodias geblüht, dort standen die Cerarien in vollem Blattkleid, da drüben die Euphorbien in Blüte. Heute hingegen sieht man nur stachelige Triebe, nackte Zweige und blütenlose, mattgrüne Steckerl. Aber die Pflanzen sind ja nicht weg, sie sehen nur anders aus. Und das ist für uns botanisch Interessierte erst Mal das Wichtigste. Der Aspekt, der mich hierbei jedoch am meisten fasziniert, ist ein schwer beschreibbarer, ein recht persönlicher: es ist wie in einer wachsenden Beziehung, in der sich mit zunehmender Dauer Facetten in der Wahrnehmung der geliebten Person hinzugesellen und ihr Bild somit Schritt für Schritt komplettieren. Die Bindung festigt sich hierbei und irgendwann kennt man den anderen in vielen, durchaus nicht nur schokoladenseitigen Lebenslagen. Liebt man ihn deshalb weniger? Nein! Nicht, wenn es wahre Liebe ist. Und die scheint es bei mir und den sukkulenten Gewächsen zu sein, die hier und heute vor meinen Augen vor sich hin darben. Mir ist, als würde jemand, auf den ich schon vor Jahren ein begehrliches Auge geworfen, den ich jedoch stets in hippen Klamotten und mit seinem Sonntagsgesicht gesehen habe, gerade zum ersten Mal neben mir aufwachen - verstrubbelt, verschlafen und - zu allem Überfluss - auch noch in Socken und einem knitterigen Pyjama. Und ich werde nicht aus dem Bett und der Wohnung geworfen, sondern bekomme einen äußerst liebevollen Kuss, ein tolles Frühstück und ein sehnsüchtiges „Sehen-wir-uns-bald-wieder“ ins Ohr gehaucht! Im übertragenen Sinn haben die Sukkulenten genau das gemacht: ich fühle mich, als hätten die Pflanzen mich soeben vollen Herzens in ihr Leben gelassen. Das klingt sicher höchst befremdlich, doch besser kann ich die Gefühle, die mich angesichts der schrumpeligen Sukkulenten gerade übermannen, nicht erklären.

Crassula deceptor
Brownanthus pseudoschlichtianus
Cheiridopsis robusta











Dass das Richtersveld etwas in mir wachruft, was mein Innerstes nach außen kehrt, kenne ich ja bereits. Das liegt ganz sicher, neben den Pflanzen, auch an der Landschaft, die so einzigartig ist, dass es mir die Schuhe auszieht - salopp gesagt. Wenn man allerdings auf eine Kombination aus landschaftlicher Schönheit und pflanzlicher Vielfalt trifft, dann müssen auch die Socken dran glauben - und aus diesen haut es mich jedes Mal, wenn wir im Richtersveld über Pässe fahren. Enge, felsige, steile Fahrwege schlängeln sich kurvenreich durch hoch aufragende, schroffe, abweisend wirkende Felsen, die, je nach Tageszeit und Sonneneinfall, reizvolle Strukturen und Farbspiele präsentieren. Grau, Blau, Rot und Schwarz in allen Abstufungen und Intensitäten schmiegen sich aneinander, zeichnen unwirkliche Bilder, abgefahrene Gemälde, abstrakte Kunstwerke. Das allein ist schon überwältigend genug. Wagt man sich dann aber, bei fast unerträglichen Temperaturen, hinauf auf diese glühenden Felsen, wird man zusätzlich mit einer Pflanzenvielfalt belohnt, die ihresgleichen sucht. Auch wenn sie sich heute nicht von ihrer Schokoladenseite zeigt...

Trachylepis sp.
Brownanthus nucifer
Euphorbia hamata











Aber sie ist da, man muss eben nur genau hinsehen. Unser erster Pass, der Swartpoort, ist kaum als solcher erkennbar, da wir aber nun schon etwas mit der Gegend vertraut sind, wissen wir genau, worauf wir achten müssen: es sind die Cerarien, die heute ihrem afrikaansen Namen alle Ehre machen und sich als blattlose, peitschenförmige Hotnotsrieme (Hottentottenriemen) zeigen - geduckte Büsche mit biegsamen Zweigen, absolut unspektakulär, nicht besonders hübsch, aber eben absolut faszinierend als hoch endemische Überlebenskünstler. Ein paar Kilometer weiter, wir gewinnen stetig an Höhe, erreichen wir den Halfmens Pass, benannt nach den ebenfalls endemischen Namaquanum-Pachypodien, die trotz der Trockenheit tapfer ihre kleinen Blattkränzchen in den blauen Himmel recken. Wir erweisen den markigen Gewächsen unsere Ehre und klettern zu ihnen in die heißen Felsen, begrüßen sie wie alte Freunde und freuen uns, dass sie immer noch da sind - die Sagengestalten aus der uralten Nama-Legende: sehnsüchtige, heimatvertriebene Menschen, die es der Gnade der Götter zu verdanken haben, für den Rest ihres Lebens in ihr angestammtes Land schauen zu dürfen - als in Pflanzen verwandelte, gen Norden gerichtete Stachelgestalten mit erhobenen Armen und einem Blattkrönchen. Kein Wunder, dass solch bizarre Silhouetten die Phantasie der Betrachter schon immer anregten und auch heute noch deren Vorstellungskraft beflügeln!

Pachypodium namaquanum
Euphorbia dregeana
Namensgeberin "Akkedis"-Pass











Schwitzend und mit roten Gesichtern treibt es uns nach diesem Wiedersehen erneut ins Auto, dem Akkedis Pass entgegen; er war auf unserer letzten Tour der mit Abstand Interessanteste: fahrtechnisch nicht zu unterschätzen und extrem pflanzenreich. Trotzdem oder gerade deswegen hatten wir gestern Abend gut daran getan, ihn nicht mehr zu fahren, denn der „Eidechsen-Pass“ ist in der Tat so steil und engkurvig, dass man Tageslicht braucht, um ihn sicher zu bewältigen und nebenbei auch noch all seine Schätze zu entdecken. Bei unsäglichen Temperaturen nahe der 50-Grad-Marke schrauben wir uns unter damit einhergehender, optimaler Ausleuchtung nun den Akkedis nach oben, der uns, am höchsten Punkt angelangt, mit kaum kühleren Temperaturen empfängt. Oh je, wir haben gerade mal frühen Vormittag, aber die Hitze glüht bereits, als befänden wir uns inmitten eines Backofens. Es ist heisser als auf der letzten Tour, auf der wir hier mit über 40 Grad ins Schwitzen gerieten. Allerdings ist die Luft heute, im Gegensatz zu damals, wesentlich trockener und deshalb sind die paar Grad mehr auch besser zu ertragen. Der Schweiß, der nichtsdestotrotz in Strömen fließt, verdunstet, kaum dass er die Poren verlassen hat, im Nu sammeln sich Salzkrusten auf der Stirn, die Augen brennen und die Nase fühlt sich an wie ausbetoniert. Aber egal. Unverdrossen klettern wir die steilen, den Akkedis Pass überragenden Bergflanken nach oben und treffen all die alten Bekannten, die uns vor zwei Jahren schon so begeistert hatten. Heute wirken sie natürlich nicht ganz so taufrisch, dafür aber präsentieren sie sich in einer Form, die dem interessierten Botaniker eine neue Welt eröffnet: wie sieht eine Pflanze in ihrer angestammten Heimat aus, wenn sie in der Ruhephase ist, wenn sie ihren Stoffwechsel auf ein Minimum herunterfährt? Jeder, der zuhause solch exotische Pflanzen kultiviert, wird wissen, was ich meine. Daheim erfreut man sich am Wachstum und der Blüte solcher Gewächse, versucht, die natürlichen Bedingungen so gut wie eben möglich nachzustellen, wird dabei jedoch nie den typischen Wuchs einer „In-Habitat-Pflanze“ herbeiführen können. Und das, was einem in einschlägigen Bestimmungsbüchern präsentiert wird, ist ebenfalls in den seltensten Fällen das Standortfoto eines Gewächses in der Ruhephase.

Eberlanzia schneideriana
Cheiridopsis sp.
Crassula deceptor











So also ist es schon schwierig genug, eine Pflanze am Naturstandort zu identifizieren, indem man sie mit Fotos von strotzenden (Kultivar)-Exemplaren abgleicht. Befindet man sich allerdings „in situ“ - so wie wir heute - und hat vermeintlich ein wenig Gefühl für die unter natürlichen Bedingungen wachsenden Sukkulenten erworben, wird man erneut beginnen, zu lernen. Und genau das tun wir gerade. Eine schrumpelige Schwantesia bildet Blattzipfelchen aus, die beinahe denen eines Mitrophyllums würdig wären; eine Crassula deceptor, in Stresssituationen normalerweise orangefarben, ist vor lauter Wassermangel erblasst; eine Kissenia capensis präsentiert pergamentene Kronblätter, die man ansonsten, verdeckt durch weiße Blütenblätter, nie zu Gesicht bekommt. Eine selten lehrreiche Situation ist das, in der wir uns hier befinden! Doch Lehrjahre sind bekanntermaßen keine Herrenjahre - und mir wird gerade klar, dass ich mich immer noch ganz am Anfang meiner (Selbst-)Ausbildung befinde. In den vergangenen 24 Monaten hatte ich mich intensiv in das für mich neue Fachgebiet „Sukkulenten“ eingearbeitet, große Fortschritte gemacht und fühlte mich zu Beginn dieser neuen Tour schon relativ sattelfest. Doch weit gefehlt! Denn jetzt, da mir die Sukkulenten ein völlig neues Gesicht zeigen, merke ich deutlich, dass ich noch immer ganz am Beginn meiner Lehrzeit stehe. Obwohl: ein paar Mosaiksteine des Wissens sind trotzdem kleben geblieben, die sich in der jetzigen Situation als äußerst hilfreich erweisen. Heinz entdeckt zum Beispiel eine Brownanthus-Pflanze am Fuße eines Felsens. „Was für einer ist das genau, Schneck?“, fragt er mich. Hui, allein diese Frage geht schon runter wie Öl - ER, der Sukkulentenkenner, fragt MICH! Ich bücke mich, werfe einen fachmännischen Blick auf das Gewächs und meine mit gewichtiger Kennermiene: „Pseudoschlichtianus.“ „Bist sicher?“ „Ja, ganz eindeutig. Pseudoschlichtianus hat ganz charakteristische, rechteckige Epidermis-Zellen.“ Heinz starrt mich mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Schön langsam wirst mir unheimlich, Schneck!“. Dieses Kompliment geht erst recht runter wie Öl. Insgeheim jedoch bin ich froh, dass nicht noch weitere Fragen folgen, denn da könnte es eng werden...

Brownanthus
nucifer
Brownanthus
pseudoschlichtianus
Cucumis rigidus
Pergularia daemia
ssp. gariepensis
















Ums Herz aber wird mir weit und immer weiter. Mein Gott, was für ein Ort ist dieses Richtersveld! Magisch, zauberhaft, atemberaubend. Atemberaubend, ja, sogar in zweierlei Hinsicht: einerseits, wie ja bereits ausführlich beschrieben und thematisiert, sind es die einzigartige Pflanzenwelt und die malerische Landschaft, andererseits ist da das Klima. Es ist unglaublich harsch, feindselig, unwirtlich: von Schneefall und Frost, was ich hier persönlich noch nie erlebt habe, über Backofentemperaturen, die einen feucht wie ein Dampfbad (letzte Tour) oder aber trocken wie knisterndes Pergament umwabern (heute), kann einem hier alles passieren. Unser kleines Thermometer im Auto zeigt im Moment 48 Grad Celsius an, die Luftfeuchtigkeit liegt bei gefühlten minus 10 Prozent: die trockene Hitze, die im Moment das dominante Klimaelement ist, brennt in den Bronchien, jeder Schritt, besonders bergauf, ist ein Kraftakt, die Hitze dampft einem fast das Hirn weg und jeder Atemzug verstärkt das Gefühl, man sei eine Dörrpflaume. Atemberaubend, egal, wie auch immer man es nimmt! Heinz und ich klettern lange in den Anhöhen des Akkedis-Passes umher, ringen um Luft - vor Begeisterung, vor Hitze, vor Trockenheit, vor Ehrfurcht. Annette und Jochen allerdings geben sich unter diesen Bedingungen etwas weniger leidenschaftlich und harren lieber im dürftigen Schatten des Autos aus, sodass auch wir nach einer Stunde bereits wieder aus den Hängen krabbeln. Na ja, wir haben viel gesehen und mit Sicherheit auch genügend Sonne getankt. Das lauwarme Wasser, das wir uns durstig aus unseren Trinkflaschen in die Kehlen rinnen lassen, schmeckt auf jeden Fall köstlich wie nie zuvor...

Blick nach unten
Kissenia capensis
Cleome foliosa











Nach einem kleinen Mittagssnack, den wir noch an Ort und Stelle zu uns nehmen, geht es dann weiter. Wir halten uns in südlicher Richtung und erreichen, nach einer Fahrt durch das breite, sandige Bett des Kook River den letzten Pass des heutigen Tages: den Domorogh. Hier waren wir noch nie, sind aber gleich sehr angetan von dem, was wir sehen. Der Domorogh Pass ist, im Vergleich zum Akkedis, relativ klein, die Aussicht allerdings, die man von hier auf eine gegenüberliegende Bergkette hat, ist einzigartig - und Sukkulenten gedeihen auch hier in Hülle und Fülle. Die Flora des Domorogh gleicht der aller Richtersveldpässe, die wir bis jetzt gesehen haben, trotzdem hat jeder Pass, jeder einzelne Hügel seine ganz besonderen Schätze und typischen Gewächse. So auch der Domorogh; er wird von Steckerl-Pflanzen aller Couleur dominiert: Kleinia longiflora, Sarcostemma viminale und Euphorbia dregeana recken ihre grünen Zweige in die Luft und sind sich auf den ersten Blick recht ähnlich. Dabei gehören sie völlig unterschiedlichen Familien, ja, sogar Ordnungen an: Kleinia ist ein Korbblütler aus der Ordnung der Asterales, Sarcostemma ein Seidenpflanzengewächs (Gentianales) und Euphorbia ein Wolfsmilchgewächs (Malpighiales). Betrachtet man nun Angehörige dieser Pflanzenordnungen, die in unseren Breiten beheimatet sind, und vergleicht sie mit den hier wachsenden Exemplaren, wird einem diese unglaubliche optische Annäherung unterschiedlichster Pflanzen erst in seinem ganzen Ausmaß bewusst. Sind sich Margerite (Asterales/Asteraceae), Immergrün (Gentianales/Apocynaceae) und Sonnwend-Wolfsmilch (Malpighiales/Euphorbiaceae) in irgendeiner Weise ähnlich? Ich würde deutlich sagen: Nein! Dennoch stehen wir jetzt vor Angehörigen genau dieser drei Ordnungen/Familien und sehen, auf den ersten Blick, drei zumindest optisch nahe Verwandte. Handelt es sich hier etwa um eine Konvergenz?

Sarcostemma viminale
Kleinia longiflora
Euphorbia dregeana (re.)











Nein, in unserem Falle kann davon, streng wissenschaftlich gesehen, nicht die Rede sein, da ein entscheidendes Merkmal fehlt. Um diesen Tatbestand zu erfüllen, müssten nämlich Organe der Pflanzen, die in ihrer Anlage verschieden sind, durch Anpassung an äußere Umstände vergleichbare Formen ausbilden. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das Diptychon aus neuweltlichem Kugelkaktus und altweltlicher Kugeleuphorbie: sowohl das mexikanische Astrophytum asterias als auch die südafrikanische Euphorbia obesa haben auf vergleichbare klimaökologische Verhältnisse mit der Ausbildung einer fast zwillingshaften Wuchsform reagiert. Mit einem eklatanten Unterschied – der Kaktus evolutionierte die Form seines Stängels zur optimalen Daseinsform mit maximalem Speichervolumen bei gleichzeitig minimaler Oberfläche; bei der Euphorbie hingegen mussten die Blätter diese Rolle übernehmen. Genau dieses entscheidende Merkmal liegt bei unseren Gesellen nicht vor, trotzdem aber finde ich es höchst faszinierend, wie Angehörige dreier verschiedener Ordnungen sich so weit vom „eigentlich üblichen“ Erscheinungsbild entfernen und einander optisch annähern können, um sich die besten Überlebenschancen in diesem Klima zu sichern.

Domorough Pass
Strukturen durchs Fernglas
Ehrfürchtiges Staunen











Wir genießen die kleine Exkursion in die Flora des Domorogh Passes, bevor wir uns wieder ins Auto schlichten und endlich unserem heutigen Übernachtungsziel zustreben, dem Kokerboomkloof. Auf diesen Ort sind wir schon extrem gespannt, denn er ist als heißestes Camp des Richtersvelds bekannt und soll aufgrund seiner flussfernen Lage am wenigsten frequentiert sein. Unsere Neugier allerdings wird etwas länger auf die Folter gespannt, denn wir müssen zuerst noch um die fünfzig Kilometer zurücklegen, fünfzig lange, trockene, heiße Kilometer - über Berg und Tal, durch die Flussbetten des Gannakouriep und einen seiner Seitenarme. Diese Flusstäler, in denen sich die Hitze besonders staut, sind, was die Vegetation anbelangt, relativ uninteressant. Das kommt einem raschen Vorankommen durchaus entgegen - wir schaffen die weite Strecke tatsächlich in zweieinhalb Stunden, lediglich unterbrochen durch einen einzigen Pinkelstopp. Gegen 13 Uhr sichten wir schließlich die Silhouette des Tatasbergs, wenig später zeichnet sich das felsige Wahrzeichen des Kokerboomkloofs gegen den wolkenlosen Himmel ab: die Toon, die Zehe, ein riesiger Felsbrocken, dessen Umrisse gewisse Ähnlichkeit mit einer molligen Großzehe aufweisen. Und dann ist es so weit! Wir biegen um die letzte Kurve und haben eine erste Aussicht auf die Campsite, auf die ich mich so sehr gefreut hatte.

Die Toon - Die Zehe
Kokerboomkloof
Springbokvlakte











Das, was ich da sehe, enttäuscht mich allerdings ein wenig: es gibt hier zwar einige Köcherbäume, diese jedoch sehen allesamt nicht sehr gesund aus. Klar, es ist schon lange recht trocken – was nicht gerade zum Strotzen der Baumaloen beiträgt; vielen der sukkulenten Bäume aber würden auch üppige Regenfälle nichts mehr nutzen, denn sie sind schlicht und einfach tot und recken ihre dürren Zweige anklagend in die Luft. Das ist in der Tat ein bisschen schade, wäre aber noch zu verschmerzen, verleiht es dem Ort doch einen leicht morbiden Charme, der durchaus anziehend auf mich wirkt. Weniger anziehend und weitaus schwerer zu verschmerzen hingegen ist eine Ansammlung mehrerer Zelte, Fahrzeuge - und Menschen, die offensichtlich soeben ihre Siesta beendet haben und wie wuselnde Ameisen über das Gelände mäandern. Mhm, insgeheim hatte ich gehofft, wir wären alleine hier, das aber war wohl ein Schuss in den Ofen. Okay, ein paar wenige Camper hätte ich wohl noch klaglos hingenommen, doch das hier ist eine ganze Reisegruppe und Gruppen sind in der Regel Garanten für einen erhöhten Lärmpegel. In der Regel. Doch keine Regel ohne Ausnahme!

Leicht ernüchtert kurven wir über das Camp-Areal, nehmen unsere Mitbewohner unauffällig in Augenschein und lassen uns schließlich auf dem letzten von vier freien Stellplätzen nieder. Immerhin - eine schön gelegene Site nur für uns, mehrere hundert Meter entfernt von den Zelten der Gruppe. Bei glühenden Nachmittagstemperaturen errichten wir unser Lager, räumen unsere Kisten in das kleine, zur Campsite gehörende Küchen-Waschhäuschen, das übrigens recht ungepflegt und noch dazu partiell funktionsuntüchtig daherkommt. Dann lassen wir uns schwitzend und ermattet in unsere Faltstühle fallen, die vom Gazebo gnädig beschattet werden. Puh, jetzt erst mal was trinken und ein wenig ausruhen! Während wir nun gemütlich unseren Tee schlürfen und die Umgebung auf uns wirken lassen, zieht eine lange Karawane menschlicher Wesen von den unteren Campsites zu uns nach oben. Es handelt sich durch die Bank um Herrschaften gesetzteren Alters, sie alle tragen Stative und Kameras, grüßen höflich und wandern gemessenen Schrittes an uns vorüber. Eine Dame bleibt gar stehen, heißt uns willkommen und entschuldigt sich prophylaktisch für den Lärm, den die Gruppe morgen, zu früher Stunde, wohl machen wird: die fünfzehn Teilnehmer dieser Foto-Gruppenreise müssten leider bereits vor Sonnenaufgang an unseren Zelten vorbei, hinauf zu den Köcherbäumen, um beim besten Fotolicht bereit zu sein, tut sie uns kund. Wir sind angenehm überrascht von der ausgesuchten Höflichkeit und Rücksichtnahme, die hier praktiziert wird und versichern der Dame, kein Problem mit derart angenehmen Nachbarn zu haben - selbst wenn sie mitten in der Nacht zu einem Moonlight-Shooting aufbrechen wollten. Und das meinen wir auch wirklich so! Die Gesellschaft anderer Menschen ist in der Abgelegenheit der Wildnis nicht immer eine Bereicherung, geschweige denn ein Vergnügen, in diesem Falle aber schon. Was so ein bisschen Rücksichtnahme, ein wenig Einfühlungsvermögen, ein Quäntchen Kommunikation und eine Prise gleicher Interessen alles ausmachen kann!

Gemächlich verdödeln wir nun, eins mit uns selbst und unseren ruheliebenden Nachbarn, den heißen Nachmittag. Doch nicht nur uns ist warm, nicht nur wir haben Durst. Es gibt eine Menge Vögel, die ebenso empfinden und zu ihrem eigenen Vorteil gelernt haben: menschliche Zweibeiner, die einen derart unwirtlichen Ort freiwillig besuchen und sich dort auch noch niederlassen, haben meist ein offenes Herz nebst einer freigiebigen Hand für gefiederte Zweibeiner. Im Zuge dieser Erkenntnis werden wir also von zahlreichen, sehr neugierigen und recht zutraulichen Vögeln belagert, die nur darauf zu warten scheinen, dass etwas für sie abfällt. Ach, hätte ich in Springbok doch nur den Edelstahlbräter gekauft! Annette deutet meine Blicke sofort richtig und kramt aus den Tiefen unserer Kisten eine Pizzabackform hervor. Mit Wasser gefüllt und etwas im Sand versenkt wird die flache Schüssel auch sofort zur Attraktion des Tages. Die lauernden Bokmakieries und Schmätzer verlieren auf der Stelle jegliche Restscheu und bevölkern badend und trinkend das Gefäß. Und wir sitzen unter unserem Schattendach, trinken Tee und genießen das Sein – wenige Meter neben planschenden, trinkenden und leise tschilpenden Vögeln in unserer Pizzaform. Was kann es Schöneres geben?

Plötzlich jedoch wird die Idylle vom hämmernden Rattern eines Dieselmotors durchschnitten. Ein Wartungsfahrzeug des Nationalparks, beladen mit einem riesigen Wassertank, biegt um die Ecke. Zwei Herren steigen aus, machen sich grußlos an der solarbetriebenen Pumpstation unseres Waschhäuschens zu schaffen und würdigen uns dabei keines Blickes. Höflich grüßen wir, machen darauf aufmerksam, dass die Klospülung nicht funktioniert und fragen, ob wir etwas helfen könnten. Mit einer unwirschen Geste wird uns kundgetan: „Hey, ihr Touris, nervt uns nicht, haltet euch da raus, wir tun unsere Arbeit und möchten nicht behelligt werden.“ Sorry, wir wollten doch nur... Offenbar aber sind weder unsere Kommentare noch unsere Mithilfe erwünscht. Okay!?! So bleibt uns folglich nicht anderes, als die halbherzigen Bemühungen der beiden Parkangestellten aus dem Off zu beobachten. Die Zwei brabbeln, schrauben, betanken, testen, zucken die Schulter und ziehen schließlich ebenso grußlos wieder ab. Tschüß und danke! Als die beiden unfreundlichen Parkangestellten hinter den Felsen verschwunden sind, überprüfen wir sofort das Ergebnis ihres Tuns - wir alle müssen dringend strullern. Hui, die stinkende Kackwurst, die bei unserer Ankunft noch in der Schüssel dümpelte, ist tatsächlich weg! Das stimmt zuversichtlich. Wassersparend pinkeln wir alle, einer nach dem anderen, in die Schüssel mit der vermeintlich reparierten Spülung – erst der letzte spült. Besser gesagt: versucht zu spülen. Doch der Spülkasten ist leer und es läuft nach wie vor kein Wasser. Toll! Wir verstehen ohnehin nicht, warum man ausgerechnet an einem trockenen Ort wie diesem vier Toiletten mit Wasserspülung installiert hat, haben wir doch die fantastischen Öko-Plums-Klos im Namaqua NP kennengelernt, aber wenn schon WC, dann sollte es auch funktionieren. Was also tun, wenn einer von uns „groß“ muss? Wohin? Der Boden ist nicht wirklich grabefreundlich, überall lauern Hobbyfotografen auf den Felsen, nirgendwo ist man unbeobachtet. Na ja, es wird sich eine Lösung finden, wenn es so weit ist.

Bis hierher und nicht weiter
Tal von Aussenkehr
Blick nach Namibia











Noch aber drückt uns nichts Derartiges; lediglich die Lust, die Umgebung weiter zu erkunden rührt sich in uns. Der geben wir schließlich gegen sechzehn Uhr vorfreudig nach, füllen vorher natürlich noch die Pizzaform mit frischem Wasser und schieben unsere Kisten ins Küchenhäuschen. Dann kann es losgehen. Unser Weg führt uns zunächst Richtung Springbokvlakte, an der nächsten Wegkreuzung (die auch die einzige ist), biegen wir gen Osten ab und fahren so lange, bis wir auf eine gesperrte Straße stoßen. Diesen Ort kennen wir bereits von unserer letzten Tour - und genau hier wollten wir hin. Man erreicht, umrahmt von Bergen, einen fantastischen Aussichtspunkt und hat eine weite, wundervolle Sicht - hinüber nach Namibia. Auf südafrikanischer Seite, da, wo wir uns befinden, umgibt einen trockene, felsige, ungezähmte Natur. Das Auge schweift hinab zum Oranje, dessen blaues Band die Grenze zwischen den beiden Ländern bildet und dann fängt sich der Blick in den flachen, satt grünen Ebenen des Weinanbaugebiets um Aussenkehr. Es ist ein sehr reizvolles Panorama, ein sehr kontrastreiches - genau so hatten wir es in Erinnerung. Damals allerdings war es recht bedeckt und allein der Kontrast zwischen den kantigen, rötlichen Felsen des Richtersvelds und den samtig grünen Kulturebenen wirkte auf unsere Sinne. Heute hingegen neigt sich ein klarer, sonniger Tag seinem Ende zu und das immer intensiver werdende Licht bringt die Bergketten auf unserer Seite zum Glühen. Minütlich ändern sich die Farben, die unglaublich viele Schattierungen zum Besten geben. Rostrot, Sienabraun, Ocker, Rotviolett, Dunkelblau, Blaugrau, Tiefschwarz - und alle nur vorstellbaren Farbabstufungen, die in unzähligen Facetten dazwischen liegen. Und minütlich werden die Bergkämme plastischer, man hat das Gefühl, sie anfassen zu müssen. Es sind zwei wahrhaft magische Stunden, die wir hier verbringen. Je weiter die Sonne jedoch sinkt, desto mehr tauchen die Hügelflanken hinter uns im Schatten ab - der Startschuss für Heinz und mich, die dortige Vegetation in angenehmer Kühle zu erkunden. Wie erwartet, gedeiht auch auf diesen Hügeln wieder einiges; Pflanzen, die wir bereits kennen, aber auch einige Gewächse, die wir noch nie gesehen haben. Heinz ist eifrig am Klettern, Knipsen und Erforschen, ich hingegen kann kaum meinen Blick von den Bergen wenden. Diese Landschaft, diese Szenerie - es ist wie im Märchen, wie in einem überzeichneten Alpenglühen-Kitschfilm, wie in einem Fantasy-Kinoepos. Ich bin richtig ergriffen - mit Gänsehaut, wohligem Schaudern und einem leichten Schwindelgefühl - das volle Programm. Und ich, die ungläubige Ex-Christin, die an alles mögliche glaubt, nicht jedoch an ein Leben nach dem Tod, verspüre plötzlich ein Gefühl in mir, das sich selten richtig anfühlt: hier könnte ich die ewige Ruhe finden - als Ascheregen, der den Pflanzen als Nahrung dient. Vielleicht ist es mir ja dann, wie den Halbmensch-Pachypodien aus der Nama-Legende, auch vergönnt, weiter auf diese Landschaft zu blicken. Der Gedanke ist wunderschön...














Aber sterben will ich trotz allem nicht, nicht jetzt, nicht heute - zumindest nicht, bevor wir diese Tour bis zum letzten Kilometer gefahren sind und alles in vollen Zügen genossen haben. Dann können wir nochmal drüber reden... Nein, nicht wirklich, denn die Welt ist so groß und es gibt noch so viel zu sehen! Annette und Jochen aber haben erst mal genug vom Sehen, wie ich von meiner erhöhten Position aus erkennen kann: sie liegen faul neben dem Auto, genießen ihren Sundowner und richten sich erst wieder in die Senkrechte, als auch Heinz und ich freudig strahlend erneut von den Hügeln herabgestiegen sind. Verschlafenen Blickes bekommen wir von Annette je ein Bier in die Hand gedrückt. „Schön hier, gell!“, murmelt sie verzaubert-entrückt. Jochen rekelt sich wohlig, wir nicken ergriffen und zusammen schlucken wir andächtig das kühle Bier, während die letzten Sonnenstrahlen ihre Finger zärtlich über die zunehmend schattigen Berge gleiten lassen.

Tylecodon wallichii

Crassula sericea var. sericea











Bevor es nun richtig dunkel wird, lösen wir uns schweren Herzens von diesem zauberhaften Ort und düsen zurück zum Camp. Unsere Scheinwerfer tasten sich schon eine ganze Weile suchend durchs Gelände, als wir müde und erlebnissatt bei unseren Zelten ankommen. Ein Moment, der mit nichts anderem zu vergleichen ist. Dennoch gäbe es noch eine Steigerung: ein Restaurant, in dem man einfach ordert und nach Wunsch bedient wird, während man selbst passiv in den Seilen hängt und den Tag ungestört revue passieren lassen kann, nicht selbst kochen muss. Das jedoch bleibt uns nicht erspart. Aber wir machen es kurz und schmeissen Folienkartoffeln ins Feuer, hauen Steaks auf den Grill und bereiten rasch einen Tomatensalat zu. Nach dem Essen wandert das gebrauchte Geschirr in den Laderaum - morgen ist auch noch ein Tag - und wir genießen den strahlend-funkelnden Sternenhimmel, bevor wir todmüde in unsere Federn sinken und der Stille dieses entlegenen Fleckchens Erde lauschen, bevor uns der Schlaf endgültig übermannt. Unsere Nachbarn sind wohl auch schon im Reich der Träume angekommen, denn wir hören nichts, absolut nichts...


Weitere Impressionen des Tages:

Euphorbia hamata
Eberlanzia schneideriana
Brownanthus pseudoschlichtianus











Euphorbia dregeana
Euphorbia decussata ()
Kleinia longiflora












Nymania capensis
Boscia foetida











Domorogh Pass
Tylecodon sp.
Tylecodon paniculatus











Ozoroa dispar
Ozoroa dispar
Aloe ramosissima



























Euphorbia gariepensis












Crassula sericea
Sundowner

























Ozoroa dispar
T. paniculatus
Halfmens
Ganzer Mensch
















Ozoroa dispar
Cheiridopsis sp.
B. pseudoschlichtianus
T. paniculatus
















Ozoroa dispar
Kissenia capensis
P. daemia
Kleinia longiflora
















Schwantesia sp.
Acanthopsis disperma
Crassula sericea
Phyllobolus
melanospermus

Freitag, 21. März 2014

19. März 2013, Skilpad > Richtersveld Nationalpark, Potjiespram

Ein letztes Sahnehäubchen hatten wir dem gestrigen Tag noch aufgesetzt: Heinz und ich haben uns sehr bald nach dem Abendessen in unser eigenes Chalet zurückgezogen, um in aller Ausgiebigkeit den Luxus einer en-suite-Dusche und eines flauschig-weichen Bettes zu genießen, das wir nicht selbst aufbauen mussten. Die kleinen Freuden eines ansonsten fast ausschließlichen Zelturlaubs, die sogar wir, als eingefleischte Camper durchaus zu schätzen wissen! Und derartige Zuckerl entschädigen uns quasi vorab – für heute: diesen 19. März nämlich haben wir in unserem Urlaubsplan rot markiert - als zähen, langen, aber leider unvermeidlichen Fahrtag. Nach dem Frühstück stellen wir uns ergeben unserem bevorstehenden Schicksal und klettern ins Auto, nicht ohne noch einen letzten, sehnsuchtsvollen Blick auf die hinter der Kurve schwindenden Chalets geworfen zu haben.

Noch auf Nationalparkgebiet
Farmland
Die N7 hat uns wieder











Dann geht sie los, die Tor-Tour; rund 400 Kilometer liegen nun vor uns, lange, öde, gleichförmige vierhundert Kilometer, die dankbarerweise größtenteils über Teer führen. Allerdings sind solche Teerstrecken ein recht zweischneidiges Schwert, denn einerseits geht es auf glattem, kurvenarmem Untergrund logischerweise rasch voran, andererseits aber sind solche Pads einfach nur schnarchlangweilig und erfordern höchste Konzentration vom Fahrer. Doch auch wir Mitfahrer können uns nur mühevoll wachhalten: die Landschaft fliegt an uns vorbei, an und für sich schöne Farben und Formen verschmelzen zu einem uninteressanten Sichtbrei, während uns uns nach wie vor die Zeit im Nacken sitzt. Wir möchten, wir wollen, wir müssen heute noch den Richtersveld Nationalpark erreichen, wo wir einen Platz am De Hoop-Camp gebucht haben: da aber müssen wir erst mal hinkommen...

Zur Abwechslung: Ortschaft
Steinkopf City
Fußballplatz in Steinkopf











Kaum haben wir also den Namaqua Nationalpark verlassen und einige wenige Staubkurven hinter uns gebracht, erreichen wir die N7, das Teerband, das Kapstadt mit Namibia verbindet. Mann, wie oft war ich hier schon unterwegs – jedoch immer nur auf der Durchreise. Mal um Mal hatte ich mir aufs Neue geschworen, auf dieser Strecke demnächst innezuhalten, mich umzuschauen, denn es ist, botanisch gesehen, eine höchst interessante Gegend. Doch wie der Teufel eben will, heizen wir auch heute durch, stoppen erstmals in Springbok, einem vergleichsweise kleinen Kaff - für deutsche Verhältnisse. Im nördlichen Namaqualand jedoch rangiert Springbok unter den Großstädten, ist einer der wenigen Dreh- und Angelpunkte der Zivilisation. Hier gibt es Tankstellen (diverse), Supermärkte (mehrere), viel Verkehr, noch mehr Menschen und all das vereint sich zu einem betriebsamen Gewusel, das ich ganz schrecklich finde - besonders jetzt, nach den Tagen der Menschenleere und Abschiedenheit. Aber es geht nicht anders: wir müssen hier unsere Vorräte aufstocken, schließlich sind wir die nächsten Tage fernab jeglicher Versorgungsmöglichkeiten und da muss an alles gedacht werden. Annette zückt unsere Liste, ein ständig wachsendes Dokument, das wir nun abermals durchgehen und hier und da ergänzen, bevor wir unser Auto auf dem brechend vollen Parkplatz eines Spar-Marktes abstellen. Meine Güte, in den Laden müssen wir nun rein, mit unserer Liste, die mir ellenlang erscheint: vier Tage Richtersveld erfordern einiges an unabdingbarer Grundversorgung wie Fleisch, Käse, Brot, Gemüse und Wasser. Allein von Letzterem benötigen wir drei Liter pro Person und Tag – was in der Summe schon mal 48 Liter ausmacht, Minimum. Dann kommen noch Leckerlis wie Wurst, Bier, Saft, Wein, Obst und Kekse dazu. Und all das muss nun eingemarktet und anschließend ins Auto gestapelt werden - rüttelsicher, verbrauchslogistisch klug und teilweise auch kühl. Schon zuhause, in meinem gewohnten Stadtumfeld, ist so ein Großeinkauf fürchterlich ätzend für mich: bah, wie ich es hasse, dieses Gestaple in den Einkaufswagen, das Aufs-Band-Räumen, das erneute Geschlichte in ein passendes Beförderungs-Behältnis, den anschließenden Transport ins traute Heim, dem sich ein gnadenloses, abermaliges Geräume anschließt. Hier aber, ohne geräumige Wohnung und spatiösen Kühlschrank, ist Einkaufen in solchen Dimensionen der wahre Horror - zumindest für mich.

Frustriert trotte ich mit meinen Freunden in den Supermarkt und bereite mich innerlich auf die kommende Seelenqual vor. Wir schnappen uns einen Einkaufswagen (reicht der?) und beginnen unseren Weg der Listenabarbeitung. Gemüse hier, Nudeln da, Brot dort. Mitten im laufenden Besorgungsvorgang bleibe ich an einem Regal mit Haushaltswaren kleben, das seltsamerweise eine magische Anziehungskraft und zugleich eine beruhigende Wirkung auf mich ausübt. Langsam schlendere an den bunten Plastikbehältern, den Stahlschüsseln, den Küchengeräten und schließlich den Putzmitteln vorüber und male mir im Geiste aus, wozu wir mindestens die Hälfte dieser Gegenstände gar trefflich auf unserer weiteren Reise gebrauchen könnten. Einen Edelstahlbräter als Vogeltränke, einen Fensterwischer zum Autoscheibenputzen, den Hightech-Dosenöffner als Ersatz für unseren altgedienten, der schon deutlich Sand im Getriebe hat, für jeden eine eigene kleine Salatschüssel und auch noch ein Windlicht, eine Kerze, ein Kartoffelstampfer…

Ha, da würden meine Freunde aber Augen machen! Allerdings nicht vor Begeisterung, sondern eher vor Besorgnis über meinen geistigen Zustand, fürchte ich. Denn unser Stauraum im Wagen ist ohnehin schon sehr knapp bemessen - würde ich jetzt auch noch mit dem ganzen Krempel anrücken, hätten wir ein echtes Problem. Das ist mir natürlich völlig klar, dennoch verspüre ich gerade eine Art von unwiderstehlichem Kaufzwang, der befriedigt werden will. Es wird sich doch, Herrschaft nochmal, irgendetwas finden; etwas Kleines, Nützliches, Hübsches, Buntes... Vor meinem inneren Auge lasse ich einen unserer üblichen Tagesabläufe vorbeiziehen: aufstehen, frühstücken, abspülen, packen, eincremen, losfahren. Weiter muss ich nun gar nicht mehr denken, denn auf Anhieb fallen mir zwei Dinge ein, auf die ich in Zukunft unter keinen Umständen mehr verzichten werde können: seit Jahren schon nervt mich zum Beispiel, dass ich meinen morgendlichen Tee oder Kaffee vor dem Spülen getrunken haben sollte. Dabei wäre es so gemütlich, nach dem Packen noch eine weitere Tasse zu genießen. Geht aber nicht, denn dann vergisst man früher oder später, die Tasse einzupacken oder sie geht unterwegs verschütt. Zudem schwappt beim anschließenden Fahren auf holperiger Piste das heiße Gebräu unkontrolliert über Hände, Oberschenkel und Autositze. Ein geräumiger, eigener, selbst bezahlter Thermobecher mit Schraubdeckel und Trinköffnung muss also her. Gesucht, gefunden! Dass es ein deutsches Fabrikat ist, das ich locker von zuhause hätte mitbringen können - und sicher auch wesentlich preiswerter - stört mich nicht im Geringsten. Der zweite Gegenstand, ein Microfasertuch zum Reinigen meiner Brillengläser, ist ebenfalls rasch ausfindig gemacht. Das Tuch ist zwar so groß, dass es zum Putzen eines ganzen Badezimmers ausreichen würde, aber auch das trübt mein Shopping-Glück in keinster Weise. Strahlend mäandere ich mit meiner Beute nun durch die Regalfluchten, um wieder zu meinen Freunden aufzuschließen und wenigstens bei den weiteren Besorgungen behilflich zu sein.

Vom Anenous Pass...
... über Land ...
... Richtung Ozean











Allerdings, so stelle ich mit schlechtem Gewissen fest, stehen Annette und Jochen bereits an der Kasse und packen die Einkäufe aufs Band. Hinter ihnen warten auch schon andere, gut beladene Kunden, sodass ich gerne darauf verzichte, mich hier durchzudrängeln und alibimäßig Beistand zu leisten. Stattdessen steuere ich lieber eine „Wenig-items-Kasse“ an, zahle rasch meine persönlichen Errungenschaften und helfe anschließend beim logistisch klugen Verstauen unserer neuen Vorräte in vom Supermarkt bereitgestellte Plastiktüten. Puh, Teamgesicht gewahrt... Also, hier die zu kühlenden Sachen, dort die sperrigen, da die haltbaren und zu guter Letzt die Wasserflaschen. Diese werden mir dann plötzlich von Heinz aus den Händen genommen und in den Einkaufswagen zurückgestapelt. Ach ja, Heinz! Wo war der eigentlich die ganze Zeit? Eine Stange Zigaretten und zwei Zeitschriften unter seinem Arm sprechen Bände: er hatte sich ebenfalls ausgeklinkt... Jetzt aber sind wir alle wieder vereint und rollen den schwer beladenen Wagen zum Auto, wo wir, Heinz und ich, schon mal mit dem Verräumen beginnen, während Annette zum Bottle Store eilt, um auch noch die benötigten Sundowner-Alkoholika zu besorgen. Jochen hingegen gönnt sich derweil eine Zigarette und lässt uns in aller Seelenruhe schuften - ausgleichende Gerechtigkeit! Dann kehrt Annette mit den alkoholischen Getränken zurück, die allerdings nur noch mit viel Mühe und Gestopfe untergebracht werden können. Schließlich ist alles im Auto - mehr schlecht als recht, mehr streitend als friedlich, aber immerhin - nix wackelt, nix trudelt, nix wandert. Kann es auch nicht, denn wir sind voll bis unters Dach. Und obwohl wir all das Zeug brauchen, wir uns wie blöd aufs Richtersveld freuen, so stellen wir dennoch mal wieder fest, wie widerwillig wir solche Einkäufe tätigen, wie sehr uns das stresst, wie latent aggressiv uns derartige Vorbereitungs-Aktionen machen. Unumgänglich, aber eben trotzdem tierisch ätzend. Also nichts wie weg von hier, der erneuten Einsamkeit entgegen!

Einfahrt Port Nolloth
Uferpromenade
Rustikales Restaurant











Minuten später sind wir, erleichtert durchatmend, erneut auf Piste, raus aus Springbok, unterwegs nach Steinkopf, das wir rund vierzig Kilometer danach erreichen. Hier geht es nun links, Richtung Westen, über den Anenous Pass, dessen gut ausgebaute Kurven und spektakuläre Aussichten mich, wie auf der letzten Tour bereits, abermals begeistern. Allerdings ist es diesmal erheblich trockener und somit auch karger als vor zwei Jahren um die selbe Zeit. Das hat, neben Heinz' und meiner persönlichen Enttäuschung, die wir bedauernd zur Kenntnis nehmen, dennoch auch einen wirklichen Vorteil: wir preschen durch, ohne anzuhalten, ohne auch nur einmal das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen. Stattdessen blättert Heinz interessiert in seinen neu erworbenen Magazinen und vertreibt uns die Zeit auf den nächsten neunzig Kilometern bis Port Nolloth, indem er uns diverse Artikel, den Fahrlärm übertönend, vorliest. Gut informiert über Glanzstare des südlichen Afrika, die umfassende Gattung der Sperlingsvögel und mehr oder weniger effektvolle Schutzmaßnahmen für seltene Federträger der südlichen Hemisphäre, laufen wir schließlich in Port Nolloth ein - und haben Hunger.

Museum in Port Nolloth
"Zwergenschule"
Straßenszene











Es ist bereits früher Nachmittag - ein Zeitpunkt also, der unsere knurrenden Mägen durchaus legitimiert. So suchen wir nach einem Etablissement, das schmackhaftes Essen anbietet. Fastfood allerdings sollte es schon sein, denn eilig haben wir es immer noch. In Blickweite des Meeres werden wir schließlich fündig: eine Fisch-Fritten-Schnell-Ess-Bude, die hauptsächlich Pommes, begleitet von frittierten Tagesfang-Fisch-Filets, anbietet; Fresh fish (catch of the day) and fries to go, so sagt das Schild. Ein Widerspruch in sich, sagt der gesunde Menschenverstand. Egal, wir bestellen das jetzt. Der Menschenverstand, beziehungsweise dessen Vorahnung aber obsiegt. Doch es werden nicht nur unsere leisen Vorahnungen erfüllt, nein, man beglückt uns auch sonst auf ganzer Linie: der Fisch ist geschmacksarme Tiefkühlware aus fernen Gewässern, die Fritten sind weich und fetttriefend. Mit derartigen Kulinaria hatten wir ja teilweise gerechnet, nicht jedoch damit, auf die Fertigstellung der Fast-Food-Bestellung eine geschlagene halbe Stunde warten zu müssen. Als wir diese dann doch endlich in Händen halten und am Strand zum Essen auspacken, müssen wir zu allem Übel auch noch entdecken, dass die Tüte lediglich drei Portionen enthält, obwohl die Rechnung vier davon ausweist und wir diese auch bezahlt haben. Jetzt ist unsere Laune aber wirklich am Tiefpunkt angelangt.

Schulkinder
An der Tanke
Biltong-Laden











Mann, ist das ärgerlich! Aber nochmal zur Frittenbude fahren, eine Portion nachbestellen und wieder ewig warten, ist auch Blödsinn. Also bleibt nur teilen. Annette und Jochen schlagen vor, eine Portion mit Anteilen der ihrigen zwei aufzustocken und die könnten Heinz und ich uns dann teilen; doch genau diese gut gemeinte Offerte stößt Heinz, der gerne seine eigene Tüte hätte, es aber nicht sagt, sauer auf - und er lehnt dankend ab. Ich wundere mich und bin ebenfalls leicht angesäuert, denn ich werde hierbei nicht gefragt. Aber egal, wenn er meint. Also teilen wir beide eine Einzel-Portion, die ich samt Beutel in einer kleinen Felsspalte abstelle, die sich genau zwischen unseren Sitzplätzen befindet. Kaum haben wir uns jedoch gemütlich eingerichtet, tauchen diverse Möwen auf. Die Vögel umrunden uns fordernd und ich erliege sofort ihrem gefräßigen Charme. Immer wieder greife ich in unseren Essensbeutel, schiebe mir ein Stückchen Fisch in den Mund, werfe nebenbei den bettelnden Federtieren eine Fritte hin und freue mich daran, wie geschickt die Tiere die Häppchen auffangen. Dabei entgeht mir jedoch völlig, dass Heinz, immer noch gefangen in seinem unausgesprochen Groll, so gut wie nichts isst. Ich hingegen futtere und füttere fröhlich vor mich hin, total abgelenkt, als Heinz urplötzlich beschließt, auch ein paar Bissen essen zu wollen.

Chroicocephalus hartlaubii
Larus dominicanus
Chroicocephalus cirrocephalus











Doch bis auf wenige labberige Fritten und ein kleines Stückchen Fisch ist nichts mehr im Beutel. „Ja, danke, Hauptsach’ die Möwen hatten genug!“, zischt Heinz mich an. Uih, jetzt ist mein Schneck aber richtig sauer! Ich bin mir zwar irgendwie keiner, gleichzeitig jedoch jeder Schuld bewusst: ich habe alles weggefressen, die Vögel nebenbei noch generös versorgt - aber leider nicht auf Heinz geachtet. Tja, so war es. Verantwortlich für diese angespannte Stimmung aber ist, meiner Meinung nach, der lange Fahrtag, unter dem wir alle leiden. Man wird unaufmerksam, reizbar, störrisch, ist genervt, reagiert empfindlich. Und fallen unter solchen Umständen Begebenheiten zusammen, wie eben jene seit unserer Ankunft in Port Nolloth, dann gibt es Opfer. In diesem Falle bin ich schuld, obwohl auch ich nur ein Opfer der Umstände bin. Das lässt sich jedoch vorerst nicht mehr geradebiegen. Schneck schmollt, ich fühle mich missverstanden, Annette und Jochen sehen sich gänzlich unbeteiligt, spüren die Missstimmung aber dennoch und jeder gibt jemand anderem die Schuld. Mann, wie kompliziert! Lasst uns doch bitte einfach weiterfahren und diesen Tag rumbringen. Bald hat uns der Busch wieder und da ist die Welt hoffentlich in alter, harmonischer Ordnung!

Strand von Port Nolloth
Sieht nur idyllisch aus...
Carpobrotus edulis











Zügig bringen wir also schlechter Laune die Teerstrecke Richtung Alexander Bay hinter uns, biegen dort gen Nordosten ab und erreichen schließlich, leidlich besserer Stimmung, das erste Tor zum Richtersveld Nationalpark - Helskloof Gate. Dort, an diesem vor zwei Jahren noch recht unscheinbaren Ort, hatten wir auf der letzten Tour eingecheckt. Heute präsentiert sich das Gate jedoch ganz anders: Parkplätze, gekennzeichnet durch weiße Steine, rechteckig ausgelegt im roten Sand, dazwischen Beete, die gerade von Heerscharen buddelnder Gärtner mit Richtersveld-typischen Sukkulenten bestückt werden und jede Menge sonstiger Angestellter, die geschäftig umher wuseln. Hier wird richtig aufgerüstet! Allerdings sind wir mitten in der Bauphase angekommen und keiner hat Zeit für uns und unsere Eincheck-Wünsche. Das sei nur in Sendelingsdrif möglich, bekommen wir kurz angebunden zu hören.

Abraumhalden
Oranjeschleife
Helskloof Gate











Okay, okay, wir fahren ja schon wieder. Gegen sechzehn Uhr sind wir dann endlich am Hauptgate angekommen und dürfen dort unsere Formalitäten erledigen. Während Annette die Formulare ausfüllt und bezahlt, werfe ich immer wieder sorgenvolle Blicke auf die Uhr: wir haben De Hoop gebucht und es ist schon verdammt spät. Die Rangerin bestätigt meine Befürchtungen, indem sie uns dringend anrät, nach Potjiespram auszuweichen; De Hoop wäre, mit dreieinhalb Stunden Fahrzeit, nicht mehr bei Tageslicht zu schaffen. Nein, nein, bitte nicht nach Potjiespram! Ich kann dieses verbuschte Wochenend-Ausflügler-Camp am Oranje einfach nicht leiden - Flussnähe hin oder her. Leider aber hat die Rangerin recht: es wäre ziemlich unverantwortlich, heute noch nach De Hoop zu düsen - der Akkedis-Pass bei Dunkelheit ist zu gefährlich. Schweren Herzens, aber halbwegs einsichtig, fügen wir uns unserem Schicksal - warum sollte ein Scheiß-Tag nicht auch einen Scheiß-Abend haben...

Endlich da!
Der Tisch wird gedeckt
Opophytum hypertrophicum











Nun, so schlimm, wie befürchtet, wird es dann doch nicht: zumindest gibt es keine anderen (menschlichen) Gäste und wir können uns somit ungehindert auf den einzigen Platz mit angedeutetem Flussblick stellen. Der ist zwar auch nicht gerade wild-romantisch, aber immerhin recht weitläufig und man kann nach wenigen Schritten den Oranje hinter den Büschen erkennen. Auch Heinz, dessen Stimmung immer noch spürbar gereizt ist, entspannt sich sofort deutlich, als plötzlich eine Schar von Kap-Frankolinen über den sandigen Boden unseres heutigen Nachtquartiers marschiert. Die Hühnervögel mit der kleinen Kinderschar glucksen leise, sind recht zutraulich und egalisieren damit auf der Stelle Schnecks Fahrtag-Grant. Als wir schließlich das Lager fertig aufgebaut haben, das Sundowner-Bier in Händen halten, das Essen auf dem Lagerfeuer fröhlich brutzelt und der Oranje im Hintergrund versöhnlich plätschert, sind wir alle wieder im Lot. Der Busch hat uns wieder! Nach einem Dinner in bester Harmonie kuscheln wir uns todmüde in unsere Schlafsäcke und schlafen einem neuen Tag ohne Zivilisation und stressige Einkäufe zufrieden entgegen. Auch ein Scheiß-Tag kann ein halbwegs gutes Ende finden…


Weitere Impressionen des Tages:

Straßenszene Port Nolloth
Carpobrotus edulis
An der Uferpromenade












Der Weg nach Alexander Bay
... zieht sich ...
... und zieht sich!












Geister-Mine
Der Oranje hat wenig Wasser
Öde Gegend












Noch ödere Gegend
Echte "Traum-Farm"
Auf und ab über Dünen und Halden












Richtersveld in Sicht!!!
Tapinanthus oleifolius
Tapinanthus oleifolius