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Bah,
war diese Nacht schwül! Wir schälen uns aus unseren Schlafsäcken,
klebrig, schwitzig und pappig – ein Zustand der uns übrigens den
ganzen Tag über erhalten bleiben wird. Wohl oder übel, denn das
gestern Abend von Schrecken und Surrteilen bevölkerte Waschhaus ist
heute Morgen ein Schlachtfeld toter und halblebendiger Chitinkörper
und lädt nicht gerade zu einer Dusche ein. So also beschränken wir
unsere Morgentoilette aufs Nötigste und widmen uns lieber ausgiebig
unserem innerleiblichen Wohl. Während wir genüsslich unser
Frühstück verzehren, werden wir wieder von zahlreichen
Sattelschrecken belagert und auch diese scheinen mächtig hungrig zu
sein; allerdings nicht auf unsere Brosamen, sondern – ich muss
gleich zweimal hinsehen, um es glauben zu können – auf
ihresgleichen! Ein paar der gepanzerten Viecher sind wohl vorhin
unseren unbedachten, schlaftrunkenen Schritten zum Opfer gefallen und
über diese angedatschten Kadaver machen sich meine speziellen
Freunde nun mit schaufelnd rotierenden Kauwerkzeugen her. Ja ist denn
das zu fassen?! Kannibalismus in seiner reinsten Form! Die Natur
lässt eben nichts verkommen, so grausig das auch manchmal anmuten
mag, denke ich mir schaudernd; wohlig schaudernd, denn erstens hält
sich mein Mitleid mit den Insekten in engen Grenzen und zweitens
sorgt der derart gedeckte „Tisch“ für eine gewisse Ablenkung der
Monster, weg von meiner Person (zur Erinnerung: die Schrecken haben
es in der Regel natürlich nur auf mich abgesehen – wie ich gestern
Abend ja live erfühlen durfte...). Momentan aber sind die Tiere in
ihrer kannibalischen Fresslust dankenswerterweise so beschäftigt,
und das ist der dritte Vorteil, dass ich sie ohne Bedrohung für mein
eigen Leib und Leben genauestens und ganz aus der Nähe unter die
Lupe nehmen kann. Übrigens ein sehr lohnendes Unterfangen, denn sie
sind wunderschön und das trotz aller Schrecklichkeit!
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Kannibalismus - mhmm, lekker! |
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Noch ist das Licht nicht ideal |
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Ein erster Blick in den Canyon |
„
Barbara,
wir sollten dann mal...!“ Huch, ja, Canyonbesichtigung, beinahe
hätte ich’s vergessen. Rasch bauen wir vor unserer Abfahrt noch
die Zelte ab – dazu hatte man uns der ortsansässigen Paviane wegen
geraten – den Rest unseres Equipments lassen wir stehen, dann geht
es los. Rund elf Kilometer kurven wir durch das karge Land, elf
Kilometer, auf denen wir den bedeckten Himmel als äußerst angenehm
empfinden, als wir aber schließlich auf dem Parkplatz des
Hauptaussichtspunktes am Fish River Canyon ankommen, bedauern wir die
Absenz der Sonne sofort. Dieses beeindruckende Tal, das nun zu
unseren Füßen liegt und immerhin an zweiter Stelle der
Canyon-Weltrangliste rangiert, büßt durch das fehlende Strahlen des
Planeten erheblich an Plastizität ein. Sehr schade! Aber was nicht
ist, kann ja noch werden. In dieser nicht unbegründeten Hoffnung
verinnerlichen wir so also zuerst mal die theoretischen Parameter des
Naturwunders, die anschaulich auf mehreren Tafeln dargestellt werden.
90 Kilometer ist der Canyon lang, bis zu 550 Meter tief und an seiner
breitesten Stelle bringt er es auf stattliche 27 Kilometer. Der
Fisch-Fluss, der seinen Ursprung im östlichen Naukluft-Gebirge hat,
schlängelt sich hier mäandernd durch einen Gesteins-Komplex, der
mit rund 1,5 Milliarden Jahren zu den ältesten Namibias gehört, der
Canyon selbst aber hatte seine Geburtsstunde erst vor 350 Millionen
Jahren. Heftige tektonische Aktivitäten ließen damals einen
Erdkrustenblock einsinken, eine Grabenstruktur bildete sich und der
Fish River bahnte sich mit Beharrlichkeit seinen Weg durch dieses
Ur-Tal. Ganz am Anfang muss er wohl, so zeigt ein gedachter
Querschnitt durch den Canyon, auf großer Breite durch das
dargebotene Bett geflossen sein, dessen extrem harte
Gesteinsschichten eine Tiefenerosion weitestgehend verhinderten. Dem
Fluss blieb somit vorerst also nichts anderes übrig, als seitlich zu
expandieren – auf diese Weise entstanden die charakteristischen
Tafelflächen, die den Canyon heute begrenzen. Dann aber, vor zirka
120 Millionen Jahren, brach der Großkontinent Gondwana auseinander
und die bei diesem tektonischen Spektakel freiwerdenden, extremen
Kräfte hoben nicht nur die Kontinentalränder an, sondern zugleich
auch das gesamte Gelände des zukünftigen Canyons und brachten es in
Schräglage. Und schwupp, schon erhöhte sich die
Fließgeschwindigkeit des Flusses und damit auch seine erosive Kraft,
sodass er sich jetzt endlich mit Schmackes in die Tiefe fräsen
konnte. Diese zweite Phase, die heute immer noch andauert, ist
deutlich gekennzeichnet durch die mehr oder weniger steilen
Canyon-Wände: fast senkrechte Kanten mit bis zu 170 Metern Höhe in
den harten Quarzitschichten und deutlich sanfter geneigte Flanken in
den weicheren Urgesteinen des Nama-Metamorphit-Komplexes.
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Tripteris nervosa |
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Euphorbia phylloclada |
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Euphorbia sp. |
Während
wir all das eifrig lesen und viel Neues dazulernen, kämpft sich die
Sonne schrittweise durch die schwindende Wolkendecke und ermöglicht
uns nun, die Theorie auch in der erleuchteten Praxis zu genießen:
wir verlassen den Hauptaussichtspunkt und peilen den nördlich
gelegenen, drei Kilometer entfernten Hikers Point an. Und da wir
ohnehin wenig Gelegenheit zur körperlichen Ertüchtigung haben,
lassen wir natürlich das Auto stehen, nehmen die kurze Strecke
entlang der Canyon-Kante per pedes in Angriff. Eine herrliche
Wanderung, unbehindert von jedweden Zäunen und Absperrungen
(undenkbar in Deutschland!), gekrönt von noch herrlicheren Aus-,
Ein- und Weitblicken: tief unter uns mäandert der grünlich-braune
Fluss dahin, das in verschiedenen Rot- und Brauntönen leuchtende
Gestein bildet einen wundervollen Kontrast zum Wasser und zum Himmel,
die unterschiedlichen Felsstrukturen werfen charakteristische
Schatten, die dem toten Material eine fast greifbare Lebendigkeit
verleihen – und überall wachsen Euphorbien. Kleine, große,
säulige, stängelige, blättrige, blühende, darunter auch
samentragende. Heinz ist ganz begeistert, fotografiert eifrig und
sammelt voller Inbrunst neues Saatgut. Plötzlich, als er gerade auf
allen Vieren über den Boden robbt, jauchzt er freudig erregt auf:
„Schneck, schau mal, da ist ein Kürbis mit Zipfelmützenfrucht!“
Flugs eile ich herbei und bestaune das krauchende Gewächs. Hübsch
ist es ja mit seiner tomatenroten, peperoniartigen Schote, die es mir
entgegenreckt, allerdings wundere ich mich im Moment ein wenig über
Heinz’ doch sehr unbotanisch-flapsige Ausdrucksweise. Ein
Zipfelmützenkürbis? Und das aus dem Munde des Mannes, der mir im
Naukluft N. P. einen Stehgreifvortrag über Apocynaceae,
Asclepiadaceae und Konsorten gehalten hatte? „Zipfelmützenkürbis?
Heißt der echt so?“ „Nein, nein, natürlich nicht; das ist eine
Corallocarpus-Spezies, die zu den caudiciformen Vertretern der
Cucurbitaceae gehört und somit sukkulent ist.“ Ach, na dann –
nun bin ich beruhigt, meine Welt ist wieder in Ordnung und ich weiß,
was Sache ist. Phhft, Zipfelmützenkürbis!
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Sarcocaulon sp. (?) |
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Tylecodon paniculatus (Stamm),
Rhigozum trichotomum (Blätter) |
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Aloe dichotoma |
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Corallocarpus sp. |
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Euphorbia guerichiana |
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Aloe gariepensis |
Nachdem
Heinz ein paar Dokumentations-Fotos von der Kürbispflanze gemacht
und selbstverständlich einige Samen abgegriffen hat, stapfen wir
weiter und erreichen bald darauf den sogenannten Hikers Point, von
dem aus man zu (geführten und genehmigungspflichtigen) Wanderungen
hinab in die Schlucht aufbrechen kann. Da wir aber weder ein Permit
hierfür haben, noch eine Canyonwanderung bei bis zu 50 Grad Celsius
in unserer Absicht liegt, begnügen wir uns mit einer Rast am Hikers
Point, dessen etwas vorgelagertes Plateau wunderschöne Ausblicke auf
den Fish River Canyon zulässt.
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Die
Sonne scheint mittlerweile mit von dünnen Schleierwolken gebremster,
aber umso tückischerer Kraft vom Himmel, wärmt uns die Nacken, die
Herzen, lässt die Steinschlucht zu unseren Füßen in den subtilsten
Farbtönen erstrahlen – und erweckt zahlreiche Insekten zu
wuseligem Leben. Unsere altbekannten Freunde, die Sattelschrecken,
staksen auf ihren stacheligen Roboterbeinen um uns herum, aber auch
mehrere Arten einiger kleinerer Schrecken, die man so richtig nur
bemerkt, wenn sie sich bewegen. Sie haben nämlich exakt die selbe
Farbe und Maserung wie das Gestein unter ihnen und sind somit extrem
gut getarnt. In meinem Insektenführer kann ich sie leider nicht
finden, diese Mimese-Experten, aber das ist egal; ich taufe sie
einfach Felsschrecken und mache mir einen Spaß daraus, sie auf dem
Gelände unseres Rastplatzes aufzuspüren, was gar nicht so leicht
ist, jedoch ungeheuer Spaß macht und fast etwas von „Suchbild“
an sich hat. Plötzlich erspähe ich im Zuge dieser Jagd ein
besonders stattliches Exemplar, das sich scheu in eine kleine
Felsspalte drängt und wahrscheinlich inständig betet, nicht von mir
entdeckt zu werden. Doch da hofft es vergeblich; ich lasse mich auf
alle Viere herab und rücke der schüchternen Schrecke auf den
Panzer. Ängstlich presst sie sich in die Spalte, nach einer geraumen
Weile aber traut sie sich wieder heraus und präsentiert sich in
voller Pracht: der steingraue Körper wird vorne von vier rostroten
Beinen getragen und stützt sich hinten auf Sprungbeine, die von
bräunlichroten Stacheln gesäumt sind, die Schenkel ziert ein
gitterartiges Muster, die Kopfoberseite ist von zartem Gelb, die
Augen sehen aus wie geschliffener schwarzer Marmor und den
Thoraxpanzer sprenkeln zahlreiche, rote Chitinwarzen. Doch Moment
mal, eine dieser Warzen bewegt sich – über den Rücken der
Schrecke hinweg, hinauf auf zum rechten Fühler und bleibt da sitzen!
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Die Schrecke mit dem Ohr |
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Ein weiterer Mimesekünstler |
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Schneck ist eins mit der Landschaft |
Mhm,
das kann ja wohl keine Warze sein. Allerdings läßt mich die
Schrecke nicht nahe genug an sich heran, um dieses Rätsel zu lösen.
So also bemühe ich mich, ein möglichst gutes, scharfes Foto von dem
Insekt zu schießen, um der Sache „Wanderwarze“ später auf
diesem Wege auf den Grund gehen zu können. Und tatsächlich: als wir
wieder zurück auf dem Parkplatz sind, kann ich, kontrastfördernd
beschattet von unserem Auto, auf einer Ausschnittsvergrößerung den
roten Punkt identifizieren – es ist eine Milbe! Aber da ist noch
etwas anderes, Seltsames. Über dem Sprungbein sitzt etwas Graues,
Traubenförmiges, etwas, das einer Zecke verdammt ähnlich ist. Doch
das täuscht, so offenbart mir der Insektenführer – in Wahrheit
nämlich ist es das Tympanorgan, also das Schall-Sinnesorgan der
Felsschrecke, das sich auf einer erweiterten Trachee befindet, auf
allen Seiten von Luft umgeben, und somit ungehindert schwingen kann,
sobald es von Schall getroffen wird. Toll! So deutlich habe ich ein
Insektenohr noch nie wahrgenommen. Begeistert will ich gerade Heinz
von meiner Entdeckung erzählen, als dieser mir seine Hand unter die
Nase hält. „Schau mal, Schneck, ist die nicht süß?!“ Nun ja,
süß ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort für die kleine,
giftgrüne Gottesanbeterin, die da auf seinen Fingern ihre Ärmchen
gen Himmel reckt, aber putzig sieht sie schon irgendwie aus – mit
ihren seitlich am Kopf klebenden Riesenaugen. Wie ein winziger Alien.
Und sie ist so klein, dass sogar ich mich traue, sie auf die Hand zu
nehmen; natürlich mit einer gewissen Skepsis, das versteht sich von
selbst.
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Sinniges Gedicht am Viewpoint |
Unter
scharfer Beobachtung des Raubinsekts mit den gefalteten Vorderfängen
genehmigen wir uns einen kleinen Snack, einen erfrischenden Tee, dann
geht es weiter zum nächsten Aussichtspunkt, nach Sulphur Spring.
Diesmal allerdings nehmen wir das Auto, denn acht Kilometer (einfach)
sind uns bei den mittlerweile recht beachtlichen Mittagstemperaturen
dann doch etwas zu weit, um zu Fuß zu gehen. Rasch brettern wir also
über die staubige Rumpelpiste und kommen bald darauf auf dem
Parkplatz des zweiten View Points an, auf dem schon jede Menge
anderer Touris versammelt sind. Die meisten von ihnen aber sind im
Schatten ihrer Autos mit gemütlichen Mittagspicknicks beschäftigt,
sodass wir im angrenzenden Gelände ziemlich alleine unterwegs sind.
Und das ist gut so, denn ich verspüre ein dringendes Bedürfnis –
der Tee vom Lunch ist durch. Wie eine Bergziege – naja, nicht ganz
so elegant, aber mindestens genau so schnell – hopse ich durch die
steinige Landschaft, um ein geeignetes Örtchen zu finden. Nicht ganz
einfach. Zwar liegen hier jede Menge Felsen umher, die aber sind
deutlich zu klein, um meine üppige Gestalt zu verbergen und auch die
Stämme der zahlreichen Säulen-Euphorbien sind dafür definitiv zu
schlank. Schließlich aber finde ich doch noch ein Plätzchen an
einer recht abschüssigen Stelle der Canyon-Kante und – aaah, eine
Wohltat – Strullern mit famoser Aussicht. Wann hat man dazu sonst
schon Gelegenheit!? Lange allerdings dauert das Plaisir nicht, denn
plötzlich schießt Annette um meinen Klofelsen herum und drängt zur
Eile. Auch sie hat ein dringendes Bedürfnis, das sie jedoch lieber
hinter geschlossener Toilettentür im Camp erledigen würde. Und
außerdem haben wir heute ja auch noch ein bisschen Strecke vor uns,
es ist schon Mittag und packen müssen wir auch noch…
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Also
gut. Nachdem wir eine letzte genüssliche Runde auf dem
Canyon-Plateau gedreht haben, verabschieden wir uns von dem
Naturwunder, kehren zum Parkplatz zurück und brausen Richtung Camp,
wo wir all das tun, was eben zu tun ist. Gen 14 Uhr dann ist alles
vollbracht und wir machen uns auf, hinab zum Oranje-Tal, wo wir heute
irgendwo in der Nähe der südafrikanischen Grenze nächtigen wollen.
Wo genau, das wissen wir noch nicht, doch es gibt drei Camps auf der
Strecke und in einem davon werden wir schon Unterschlupf finden.
Wohlgemut begeben wir uns auf den Weg, der zunächst am Fuße der
Karasberge entlang führt, bevor er Richtung Osten schwenkt und die
Landschaft immer karger wird. Bald darauf passieren wir die
Abzweigung nach Ai-Ais, rattern nun weiter auf der D316 dahin und
unser einziges Vergnügen auf dieser vergleichsweise eintönigen
Strecke sind die namibischen Wildwechsel-Warnschilder, die sich mit
ihren exotischen Tierabbildungen so sehr von unseren vergleichsweise
schnöden heimischen Hirschen und Kühen unterscheiden. Und ein
Verkehrsschild hat es mir ganz besonders angetan: eigentlich
informiert es den geneigten Autofahrer über einen nahenden Viehrost,
die Abbildung aber ähnelt eher einem geplätteten Zebra... Nachdem
wir nun mehrere dieser Totes-Zebra-Gitter scheppernd überquert
haben, schieben sich allmählich höhere Berge in unser Blickfeld,
machen die Landschaft wieder ein wenig reizvoller. Mit ihren dunklen
Blau-, Violett- und Rottönen allerdings haben die Erhebungen,
besonders in Kombination mit den hin und wieder vorbeiziehenden
düsteren Wolken, fast etwas Bedrohliches. Doch das kann uns nicht
abhalten, inmitten dieses beinahe unwirklichen Panoramas zu stoppen
und eine weite Senke, die über und über mit kleinen, in der
Restsonne glitzernden Quarzsteinchen übersät ist, gründlich unter
die Lupe zu nehmen. Aufgrund des Quarzvorkommens und der
Landschaftsform nämlich vermutet Heinz hier ganz besondere
Sukkulenten: lebende Steine. Aber so sehr wir auch suchen, nicht ein
einziger Lithops ist zu finden, dafür aber wandern zahlreiche,
wunderschön gefärbte, jedoch tote Steine in unsere Taschen und
trösten uns gekonnt über das Fehlen der erwarteten lebenden,
pflanzlichen Kollegen hinweg.
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Schwitzend,
denn trotz der spärlichen Sonne ist es extrem heiß hier, schlichten
wir uns nach einer dreiviertel Stunde der vergeblichen
Sukkulenten-Suche wieder ins Auto und wischen uns die Salzkrusten von
der Stirne. Puh, dieses Treibhaus-Lüftchen gibt uns schon jetzt
einen deutlichen Vorgeschmack auf das berühmt-berüchtigte Klima des
Richtersveld Nationalparks. Doch genau da wollen wir ja unbedingt
hin, also nix wie weiter! Bald darauf erreichen wir auch schon die
Kreuzung mit der D212, die hinab ins Oranje-Tal führt oder aber
hinauf nach Rosh Pinah – doch diese Richtung ist mit zwei
unübersehbaren „Road-closed“-Schildern abgeriegelt. Ach du liebe
Güte! Diese überraschende Tatsache hätte uns in einigen Tagen ganz
schön in die Bredouille gebracht, wären wir, wie vorgesehen, über
Rosh Pinah in den Richtersveld Nationalpark gefahren - die D212
nämlich war ursprünglich als Rückweg geplant gewesen. Der Umweg,
den wir jetzt schon auf dem Hinweg auf uns nehmen müssen, so zeigt
sich nun, wäre uns also so oder so nicht erspart geblieben, hätte
uns aber auf dem Rückweg echt in zeitliche Schwierigkeiten gebracht.
Also haben wir, so betrachtet, noch Glück im Unglück und können
uns deshalb allmählich doch mit unserem Schicksal und den 350
Extra-Kilometern versöhnen.
Wenn
man so ein Kinkerlitzchen überhaupt in der Kategorie „Schicksal“
führen darf... Dass wir auf recht hohem Niveau jammern, wird uns
nämlich kurz darauf mal wieder überdeutlich vor Augen geführt: wir
nähern uns dem 25.000-Einwohner-Ort Aussenkehr, der fast
ausschließlich aus windschiefen Schilfstroh-Hütten und rostigen
Wellblech-Unterkünften besteht. Da wohnen zu müssen, das ist echtes
Schicksal! Dieses Kaff, das auf steinig-staubigem Boden steht, wirkt
an sich schon wahnsinnig trostlos, ein Eindruck, der sich aber durch
den üppig grünen Ufersaum des Oranje Rivers im Hintergrund noch
potenziert; und weder ein wellblecherner Vergnügungsschuppen mit dem
optimistischen Namen „Fabulous Bar“ noch ein buntes
Supermarktschild können diese anrührende Tristesse und den Eindruck
bitterster Armut mildern, im Gegenteil. Über besagten Supermarkt
übrigens, so fällt mir gerade ein, habe ich kurz vor dem Urlaub
noch etwas Bizarres gelesen: zu Stoßzeiten, also zum Beispiel am
Monatsanfang, herrscht hier Blockabfertigung. 300 Leute rein, Türen
zu, nach 20 Minuten ist Schicht im Schacht, alle Kunden müssen
wieder raus und die nächsten 300 Leute dürfen eintreten. Und wir
beschweren uns über lumpige 350 Kilometer...
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Das wäre ihr Weg gewesen |
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Bergiges Oranjetal |
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Aussenkehr |
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Wah, wie trostlos! |
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A nice neighbourhood! |
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Grünes Band des Oranje |
Trotzdem
sehen wir zu, diesen frustrierenden Ort möglichst rasch hinter uns
zu lassen und bewegen uns weiter Richtung Süden – rechterhand
immer das grüne Flussufer im Blick, linkerhand die karge steinige
Landschaft. Auf halber Strecke nach Noordoewer etwa erreichen wir
schließlich die Abzweigung zum Norotshama River Resort, dem ersten
Camp auf der Strecke, das wir uns jetzt mal ansehen wollen. Nach
einer schnurgeraden Fahrt durch eine schier endlose, flache
Weinplantage tut sich dann auf einmal ein seltsamer Anblick vor uns
auf: eine beinahe feudal zu nennende, frisch gebaute Einfahrt,
palmenbestanden, von (leeren) Wasserbassins gesäumt und eines
Landschlosses würdig, lenkt uns auf ein schon viel weniger feudales
Gebäude, in dem sich, laut Schild, die Rezeption befindet. Wir
parken unser Auto, Annette und Jochen entern den Empfang, Heinz
entdeckt ein paar Brillenvögel – und ich stehe alleine da. Also
sehe ich mich ein wenig um, tapse hinab zu Flussufer und staune nicht
schlecht: der Oranje hat immer noch extrem viel Wasser. Ein
Tankstellenschild ragt gerade noch so aus der trüben Strömung und
einer der sogenannten Floating Bungalows hängt schief und völlig
ramponiert an der Böschung. Hui, wenn da mal unser Campingplatz noch
in Ordnung ist! Doch ich mache mir völlig umsonst Sorgen, so stelle
ich fest, als ich wieder zur Rezeption zurückkehre, denn Annette und
Jochen sind bereits fertig mit den Preiserkundigungen und der
Besichtigung. „Bah, die Campsites sind total lieblos und völlig
überteuert, wir fühlen uns hier nicht willkommen!“ Jochen nickt
beipflichtend. „Kommt, lasst uns wieder fahren!“ Heinz und ich
verlassen uns vertrauensvoll auf das vernichtende Urteil unserer
Freunde – nicht nur, weil auch wir uns hier nicht wohlfühlen –
und klettern wieder in den Landy, der uns flugs aus diesem
befremdlichen Camp wegbringt, hinaus auf die D212, weiter nach Süden,
der nächsten möglichen Unterkunft entgegen.
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Einschiehs Rache... |
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Da kommt ganz schön was runter |
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Schlechte Sicht |
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Wir warten im Trockenen |
Wir
kommen gerade über eine kleine Kuppe, ein sanftes Tal erstreckt sich
zu unseren Füßen, als eine plötzlich eine dunkle Wand vor uns
steht, die Ebene unter uns mit heftigen Böen beutelt und alles mit
sintflutartigen Regenfällen zu ertränken droht. Oh, nein, da fahren
wir besser erst mal nicht weiter, sondern machen es uns am
Straßenrand gemütlich und beobachten das Spektakel trockenen Fußes
aus der Ferne. Und es ist wahrlich ein spektakuläres Wetterereignis:
die dunkelgrauen Wolken regnen Unmengen prasselnden Wassers aufs
Oranjetal herab, mächtige Eukalyptusbäume und Pappeln gehen unter
den orkanartigen Böen fast in die Waagrechte, Blitze zucken wie ein
riesiges Stroboskop und nahezu ununterbrochenes Donnern grollt wie
das Knurren aus der Kehle eines Höllenhundes. Nach einer kurzen
Viertelstunde ist das Schauspiel dann allerdings vorüber, die
Landschaft strahlt wie frisch gewaschen und die Sonne lacht
unschuldig vom Himmel, als wäre nichts gewesen. Auf dampfendem
Asphalt setzen wir unseren Weg fort und genießen den
heimelig-erdigen Geruch, der in unser Auto strömt. Bald jedoch
sichten wir ein Hinweisschild für das nächste Camp, folgen ihm,
biegen rechts ab, schlittern über eine regendurchweichte Zufahrt und
kurz bevor wir das Amanzi River Camp erreichen, mischt sich ein
rauchiges Odeur in den Regenduft. Sekunden später sehen wir, warum.
Hier findet heute eine feucht-fröhliche Veranstaltung statt, der
Campingplatz ist rammelvoll, der Rauch schwadet über das Gelände
und ein großes Schild neben der Einfahrt verkündet: Potjiekos
kompetisie vandag (frei übersetzt: heute
Open-Air-Eintopf-Kochwettbewerb mit lagerfeuergeeigneten
Gußeisenpötten). Die anwesenden Teilnehmer sind zwar eher am Feiern
und Bierverkosten als am kompetitiven Kochen, dafür aber sind sie
umso zahlreicher und unsere Chancen, hier noch ein Plätzchen zu
ergattern, scheinen verschwindend gering.
Tatsächlich
bestätigt sich diese Befürchtung, als wir durch das Tor fahren: ein
Campwächter kommt armewedelnd auf uns zugelaufen, winkt, mit
theatralischer Geste auf die Feierlustigen, ab und verkündet uns,
dass dies eine geschlossene Gesellschaft und das Camp voll sei. Tja,
schade, es hätte hier so gemütlich ausgesehen! Aber da kann man
leider nichts machen und so werden wir unser Glück eben im letzten
Camp dieses Streckenabschnitts versuchen; im ungünstigsten Falle
müssen wir halt wild zelten oder doch noch über die Grenze heizen.
Doch jetzt schauen wir erst mal…
Bedauernd
wenden wir unser Auto und brausen der nächsten
Übernachtungsmöglichkeit entgegen, die wir auch bald darauf
erreichen. Es ist die Ferienanlage von Felix Unite River Adventures,
die ebenfalls direkt am Oranje liegt und nun ihr Tor für uns öffnet.
Sofort stürzt ein freundlicher Angestellter herbei, heißt uns
herzlich willkommen und tut uns freudestrahlend kund: „Ah, you must
be the Zwiebels! We’ve already been waiting for you!“ Was, wie,
Zwiebels? Nein, die sind wir nicht. Aber als wir das dem
Campangestellten mitteilen, wechselt dessen freudiger
Gesichtsausdruck sofort zu einem entschuldigenden, denn in diesem
Falle, so sagt er seufzend, könne er uns leider keine Unterkunft
anbieten, alles sei voll – die Zwiebels hätten den letzten
Bungalow vorgebucht. Wir sollten doch ins Amanzi River Camp
ausweichen, das wäre ganz in der Nähe. Etwas geschockt, aber immer
noch hoffnungsfroh, klären wir ihn über die Vollbelegung des
Nachbarcamps auf und auch darüber, dass wir nur zelten wollen, den
Zwiebels ihren Bungalow also nicht streitig machen möchten. Wir
ernten ein knappes, verständnisvolles Nicken, ein „Just a moment!“
und schon flitzt der Knabe davon, um kurz darauf mit froher Kunde
wiederzukehren: er könne uns den Notplatz anbieten, der läge halt
nicht am Fluss und wäre auch nicht besonders schön, aber es sei die
einzig freie Campsite, ob wir’s uns mal ansehen möchten. Na klar!
Wir werden zu einem riesigen, überdachten Areal direkt neben dem Tor
geführt und bekommen ein noch riesigeres, gepflegtes Rasenstück
gezeigt, auf dem wir uns breitmachen dürfen. DAS soll der Notplatz
sein? Wahnsinn! Es ist purer Luxus, wir greifen natürlich sofort zu
und lassen uns glücklich und dankbar auf dem ausgesprochen adretten
und spaziösen Areal, das wir ganz für uns alleine haben, nieder.
Doch bevor wir unsere Zelte auf dem samtweichen Rasen aufschlagen,
widmen wir uns ausgiebig unserem leiblichen Wohl; nach einem
erfrischenden Sundowner spülen wir uns den Schweiß der vergangenen
zwei Tage in einem völlig insektenfreien Waschhaus vom Körper und
finden uns anschließend duftend und unklebrig zu einem weiteren
Bierchen unter unserem Küchendach wieder zusammen.
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Unter unserem „Notdach“ |
In
diesem saubermännischen Zustand lässt sich besonders gut
nachdenken; zum Beispiel darüber, womit wir unser Hungergefühl, das
sich schon seit geraumer Zeit bemerkbar macht, möglichst schmackhaft
zum Erliegen bringen könnten. Nach Sichtung unserer üppigen
Vorräte, natürlich unter genauer Berücksichtigung der einzelnen
Gelüste, ist rasch ein Dinner konzipiert und fast ebenso rasch
zubereitet: appetitlich geringelte Boerewors im Dialog mit
würzig-knackigen Grillwürstchen an Wellington’s Periperi-Sauce
und bayrischem Kartoffelsalat, gekrönt von einem Duett aus
sonnenreifen Tomaten und reichlich „Zwiebels“. Perfekter könnte
ein anstrengender, heißer, langer Tag beinahe nicht enden. Nur
unsere, bei wahrhaftig elektrischem Licht aufgeschlagenen Zelte,
platziert auf federndem Rasengrund, gepolstert mit verlockend
raschelnden Reißverschluss-Plumeaus toppen dieses Gefühl von
Tagesabschluss-Perfektion noch. Ermattet lassen wir den Abwasch
Abwasch sein, sinken voller Wohlbehagen in unsere Schlafsäcke und
träumen uns einem neuen Tag entgegen. Richtersveld, wir kommen!
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Bayrischer Kartoffelsalat... |
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...und afrikanische Würste |
|
Ameisenjungfer auf Besuch |
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